Montag, 17. Juni 2019

Rezension zu Yascha Mounk: Der Zerfall der Demokratie

Mounk, Yascha (2018), Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht, Droemer Verlag.

Rezension

Autorin: Nelly Drabits

Mounk geht in dem Buch „Der Zerfall der Demokratie“ auf eine "neue Ära der Demokratie" ein. Nachdem diese sich lange Zeit in Sicherheit wiegen konnte, sei sie nun in Gefahr. Der Grund? Der Populismus. Mounk zeigt dies anhand von Beobachtungen aus Ländern der ganzen Welt – wobei der Fokus auf den Vereinigten Staaten und Europa, insbesondere auch Deutschland liegt. Er porträtiert Entwicklungen hin zu diesem neuen fragilen Wesen der Demokratie, benennt derzeitige Zustände sowie Folgen und schließt mit Plänen zur Rettung ab. Im Folgenden werde ich die Kapitel nacheinander zusammenfassen.


Teil 1: Die Krise der liberalen Demokratie

Mounk definiert die liberale Demokratie schlicht als ein System, das „(…) sowohl die Menschenrechte schützt als auch den Willen des Volkes in Politik umsetzt.“ (Mounk 2018, S. 48). Es gibt also zwei Bestandteile, die sich zunehmend voneinander zu lösen scheinen. So entstehen illiberale Demokratien und undemokratische Liberalismen.

Kapitel 1: Demokratie ohne Recht

Populisten sind im Kern demokratisch, jedoch illiberal. Dies führt oftmals dazu, dass die Wahl durch unzufriedene Menschen einer populistischen Partei zum Aufstieg verhilft, diese jedoch in Alleinherrschaft mündet. Grund dafür ist in erster Linie die Wirtschaft. Zwar nehmen ökonomische Ungleichheiten global ab, national jedoch zu. Um dem entgegenzuwirken, sind langwierige und komplizierte Maßnahmen nötig, welche Populisten mit leichten „Lösungen“ beantworten. Die schinbar leichten Lösungen und das gegensätzliche Handeln der Eliten lassen diese unglaubwürdig erscheinen.

Die Populisten stellen sich als Sprachrohr der Unverstandenen, der Opfer dar und versprechen ihnen, „das Volk“ zu sein. Mit dieser Bezugnahme geht die Ausgrenzung anderer Gruppen einher. So sind sie im Wahlkampf gegen Randgruppen und für das Volk, im Amt dann gegen Institutionen, die sie infragestellen, wie die Presse und unabhängige Institutionen. Demnach hat der Populist nur Feinde und muss immer autoritärer werden.

Eine Volksabstimmung ist niemals undemokratisch - sie kann aber illiberal sein. Darauf basiert das Prinzip, auf welchem rechte Populisten aufbauen – die Kombination von Demokratie und Fremdenfeindlichkeit. Das Problem ist hierbei, dass sobald jegliche Feinde der Populisten beseitigt sind, sie sich leicht über das Volk hinwegsetzen können und das auf einem zunächst demokratischen Weg.

Kapitel 2: Recht ohne Demokratie

Repräsentative Demokratie steckt in der Krise, so Mounk, denn die Bürger und die politischen Eliten sind sich so fern, wie sie es noch nie waren. Die Wähler erkennen sich und ihre Interessen nicht in der Politik wieder. Dieses Auseinanderdriften begründet Mounk mit folgender Entwicklung:
„Da immer mehr Bereiche der Politik der öffentlichen Auseinandersetzung entzogen werden, kann das Volk immer weniger Einfluss auf die Politik ausüben.“ (Mounk 2018, S. 87)
Die Symptome sind, dass die Parlamente immer weniger Macht haben und die Bürokratie eine immer größere Rolle spielt. Mehr Aufgaben werden ausgelagert an „unabhängige Organe“, wie Zentralbanken und Gerichte, die die Macht besitzen, Entscheidungen mit immenser Wirkung zu beschließen. So kann das Gefühl entstehen, dass die Menschen nichts zu sagen haben. Dies dient als Hauptgrund, sich vom Populismus angezogen zu fühlen.

Kapitel 3: Die Entkonsolidierung der Demokratie

Der Zerfall der Demokratie wird weiter mit dem schwindenden Interesse an ihr begründet. So würde die Unterstützung durch die Bürger, der klare Vorzug gegenüber autoritären Alternativen und die Anerkennung der Regeln der liberalen Demokratie zunehmend fehlen. Diese Entwicklungen machen die liberale Demokratie fragil. Fakt ist nämlich, dass die Demokratie immer unbeliebter wird und auch immer mehr Menschen sie für ein „schlechtes“ System halten.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass autoritäre Alternativen mehr gewünscht werden. Akteure der Politik sind zunehmend dazu bereit, die Regeln der Demokratie zu verletzen, und bestärken die Bürger somit in ihrer Abneigung. Mounk meint außerdem, dass die Hoffnung in die Jugend keine Grundlage hat. So würden diese sich immer mehr den Extremen verbunden fühlen und die Demokratie ebenfalls verstärkt ablehnen.

Teil 2: Die Gründe für die Krise

Nachdem die Demokratie lange Zeit Stabilität genoss, muss nun der Tatsache ins Auge geblickt werden, dass auch sie von bestimmten Bedingungen abhängig ist. Diese Bedingungen scheinen an Geltung zu verlieren. So waren die Pfeiler der Demokratie laut Mounk bisher: die Begrenzung der Massenmedien, die positive ökonomische Entwicklung und der Zusammenschluss monoethnischer Nationen.

Kapitel 4: Soziale Medien

Mounk vergleicht die Erfindung der Druckerpresse und die damit einhergehende Revolution mit der Entwicklung des Internets. Beide Innovationen scheinen unsere Art zu kommunizieren von Grund auf neu erfunden zu haben. So kann mittlerweile jeder Mensch, der Zugang zum Internet hat, seine Meinung kundtun, und noch viel wichtiger: diese bleibt nicht an einer Stelle stehen, sondern kann an jeden anderen Ort auf der Welt weitergetragen werden. So kann „(…) jedermann potenziell ein weltweites Publikum erreichen (…)“ (Mounk 2018, S. 174). Die „Eins – zu Viele – Kommunikation“ hat sich zu einer „Viel – zu – viele – Kommunikation“ entwickelt (ebd.), wodurch es unmöglich wird, die Verbreitung von Informationen zu kontrollieren, was politische Folgen hat.

Der Aufschwung dieser neuen Art der Kommunikation ist ambivalent. Einerseits bietet sich hier die Möglichkeit, für mehr politische Gerechtigkeit zu sorgen, indem Denkanstöße geliefert werden, mehr Menschen mit Politik in Berührung kommen, Missstände aufgedeckt werden können und sich besser organisiert werden kann. Jedoch scheint die negative Seite momentan zu überwiegen. So wird social media oftmals in der eigenen Gruppe genutzt, was die Gefahr von Echokammern birgt und die maßlose Bestärkung der eigenen Meinung. Nachdem herkömmliche Medien nicht mehr benötigt werden, können Populisten nun ebenso leicht auf diese Art kommunizieren und verbreiten, was sie wollen – das kombiniert mit der Echowirkung bietet auch Platz für die Verbreitung „abstruser Vorstellungen“ (Mounk 2018, S. 180).

Wichtig ist jedoch, dass diese Kommunikation nach Mounk letztlich keine Intoleranz produziert, sondern lediglich eine Art Spiegel der Realität darstellt. So würde sich hier die Kluft zwischen In- und Outsidern schließen. Alles in allem beschleunigt dieser neue Faktor Wandlungsprozesse – Chaos ist greifbarer, Eliten werden geschwächt und Outsider werden gestärkt.

Kapitel 5: Wirtschaftliche Ängste

Nachdem frühere Generationen noch wirtschaftlichen Wachstum genossen, bleiben jüngere Generationen nun stehen. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer und Lebensstandards stagnieren. Der Glaube daran, dass harte Arbeit mit Reichtum belohnt wird, schwindet. Mounk meint hier einen entscheidenden Grund für die Destabilisierung der Demokratie zu sehen. Solange die Menschen nämlich auf dieser Ebene zufrieden sind, haben sie keinen Grund, die Regierung und das dahinterstehende System zu hinterfragen.

So ist es zwar nicht so, dass populistische Parteien von den ärmsten Menschen gewählt werden, jedoch von denen, die für die nächste Generation wirtschaftliche Not zu erwarten haben. Diese nach Mounk berechtigten ökonomischen Ängste haben zur Folge, dass solange sie nicht beseitigt werden, jeder andere, dem geholfen wird, leicht zum Feind werden kann, und die, die anderen zuerst oder „besser“ helfen, ebenso als Feind gelten.

Kapitel 6: Identität

„Die Demokratie verspricht das Volk regieren zu lassen. (…) Wer genau ist das Volk?“ (Mounk 2018, S. 198), ist die einleitende Frage für den dritten Grund. In einer stabilen Demokratie sei dies eine monoethnische Kultur, da sie gleichberechtigtes Zusammenleben in der Vergangenheit garantiert hat und außerdem das Selbstverständnis einer Demokratie leicht prägen konnte. Das Aufeinandertreffen verschiedenster Volksgruppen führt dazu, dass Spannungen auftreten, welche Ängste produzieren.

Dies machen sich Populisten als Hauptthema zunutze, gerade zu Zeiten großer Einwanderungsschübe. Zwar lassen sich Wahlerfolge von Populisten mit den Ängsten der Bürgerinnen klar in Zusammenhang bringen, jedoch muss klar sein, dass an den Orten, an denen mehr „Ausländer“ leben, weniger Menschen Populisten wählen, aufgrund höherer Toleranz und dem Ablegen von Ängsten.

Es handelt sich hier ebenso wie bei ökonomischen Ängsten eher um Ängste vor der Zukunft als um Unzufriedenheit in der Gegenwart. Die Sorge übermannt die Realität, sodass es zum Beispiel zu „einer systematischen Überschätzung des Anteils von Minderheiten“ (Mounk 2018, S. 214) kommt, mit welcher der Gedanke an das Aussterben der eigenen Nation oder Kultur einhergeht.

Die Frage der Identität hängt eng mit den wirtschaftlichen Ängsten zusammen. Man wählt nämlich die Partei, welche die Bedürfnisse auf der Bedürfnispyramide erfüllen kann. So herrscht für viele Menschen ein Wettkampf um Ressourcen, sodass Minderheiten zum Feind werden und Populisten diese Ängste nutzen können.

Teil 3: Gegenmittel

Kapitel 7: Den Nationalismus zähmen

Nachdem überall auf der Welt Nationalismus eine Wiedergeburt erlebt, muss mit dieser umgegangen werden. Mounk weigert sich jedoch, den Nationalismus als Feind zu sehen. Für ihn stellt er sich eher als große Macht dar, welche zum Guten oder Bösen gezähmt werden kann. Auf positive Weise kann dieser gezähmt werden, indem gesehen wird, dass eben nicht alle gleich sind und dass dieser naive Glaube Ungerechtigkeit reproduziert, anstatt sie zu beseitigen.

So wäre das Ideal, jede Ethnie und Kultur in ihrer Diversität anzuerkennen und somit einen gewissen Nationalismus zu dulden, ihn jedoch nicht so weit gehen zu lassen, dass er ausschließend wirkt und somit liberale Demokratien gefährdet. Damit einhergehend darf nicht die Meinungsfreiheit untergraben werden, da dies ebenso eine Verletzung der liberalen Demokratie wäre.

Damit sich dies positiv auswirken kann, müssen folgende Bedingungen nach Mounk gelten: die Prinzipien der freien Demokratie müssen in allen Bereichen gleichermaßen angewandt werden – dadurch wird die Benachteiligung von Minoritäten beispielsweise untergraben, da strukturelle Barrieren den Erfolg oder die Integration von Minderheiten nicht mehr verhindern. Außerdem müssen alle miteinander erzogen werden - nicht in Gruppierungen. Weiter darf es weder positive noch negative Diskriminierung geben. Die Rechte und Wünsche der Menschen, die bereits in einem Land leben, müssen ernst genommen und verteidigt werden – so sollten diese auch das Recht haben, über Zuwanderung mitzubestimmen.

Kapitel 8: Die Wirtschaft sanieren

Laut Mounk sind die nachteiligen Entwicklungen, die sich aus der Wirtschaft für Bürgerinnen ergeben, ein Versagen der Politik. Er stellt hierzu mehrere Gegenmaßnahmen vor: Das Steuerverfahren müsse sich stärker an die Gehälter der Menschen anpassen, sodass Spitzenverdiener deutlich mehr beitragen und Geringverdiener entlastet werden. Dies beinhaltet auch, dass Unternehmen, die in einem Land verkaufen, nur Zugang zu diesem Land haben, indem sie dort auch Steuern zahlen – dies lässt sich momentan leicht umgehen, würde jedoch einiges ändern. Außerdem müsse es für Steuerhinterziehung härtere Strafen geben.

Hoffnung könnte die Senkung von Wohnraumkosten geben, da diese signifikant verantwortlich sind für die Stagnierung von Lebensstandards. So muss die Zahl verfügbaren Wohnraums erhöht und das Steuersystem für Wohnraumbesitzer reformiert werden, sodass leerer Wohnraum zu teuer wird. Außerdem müsse mehr Geld in die Infrastruktur, Forschung und Bildung investiert werden.

Ein signifikantes Problem sei, dass die Produktivität sinkt, unter anderem deswegen, weil ein Umschwung ins digitale Zeitalter stattfindet und an vielen Stellen nicht ausreichend Anpassung stattfindet. Außerdem soll der Wohlfahrtsstaat neu aufblühen. Die schwachen Bürger brauchen mehr Schutz. Es sollte Menschen geholfen werden, erneut ihre Bedeutung in der Arbeit zu finden – ist der Glaube an diese da, ist die Gefahr geringer, die Identität zu verlieren und somit Minderheiten als Konkurrenz zu sehen.

Kapitel 9: Den Glauben an die Demokratie erneuern

Um den Glauben an die Demokratie zu stärken, muss sich sowohl in der Regierung als auch im Bürgertum etwas ändern. Innerhalb der Regierung sollten mehr qualifizierte Mitarbeiter eingestellt werden, um den Einfluss von Lobbyisten zu mindern und somit den Einfluss der Reichen und Mächtigen zu untergraben. Geschieht dies nicht, so wird weiter das Vertrauen der Bürgerinnen verletzt.

Außerdem müsse wieder der Grundgedanke aufblühen, dass jeder Teil der Politik ist. Unkritische Menschen werden nicht differenzieren zwischen Fakten und populistischen Verschwörungstheorien, und Menschen, die nicht (mehr) an die liberale Demokratie glauben, werden nicht die Parteien stärken, die offensichtlich Teil dieser sind oder sein wollen. So muss ständig dazu aufgerufen werden, kritische Menschen heranzuziehen sowie überzeugte Demokraten.

Fazit

Mounk bietet eine umfassende Darstellung dessen, was Demokratie bedeutet, und macht klar, dass heutige Demokratien nicht mehr das sind, was sie oftmals vorzugeben scheinen. Dieses Bewusstsein halte ich nicht nur für wichtig für die Kritik am Populismus, sondern auch für die Kritik an derzeitigen politischen Eliten, die den Kurs vorgeben. Diese sind nämlich in der Verantwortung, mit diesen Umständen umzugehen und dem Populismus somit entgegenzutreten. Die vorzufindenden Entwicklungen stellen sich nämlich durch Mounks klare Analyse als zu begründende dar, und es wird eine Systematik ersichtlich, die meines Erachtens für viele eher als ein Zusammenfall von Zufällen aussieht.

Das Buch weist teilweise Längen und Dopplungen auf, die für mich besser auf den Punkt gebracht hätten werden können. Ignoriert man diese, wird hier jedoch ein sehr umfassender und leicht erklärter Blick in die Problematik geboten, was für mich äußerst aufschlussreich war.

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