Freitag, 21. Juni 2019

Rezension zu Michael Butter: "Nichts ist, wie es scheint"

Butter, Michael (2018), „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien, Suhrkamp (oder bei der bpb).

Rezension

Autorin: Larissa Horn

In seinem 2018 erschienenen Werk „Nichts ist, wie es scheint – Über Verschwörungstheorien“ thematisiert Michael Butter die konspirationistische Argumentationsweise, die historische Entwicklung und die Berührungspunkte zwischen Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien. In Bezug auf seinen eigenen deutsch-amerikanischen Hintergrund stützt er seine Argumentation hauptsächlich auf Beispiele aus Deutschland und Amerika. Butter zieht dabei immer wieder den Artikel der ehemaligen Tagesschausprecherin Eva Herman „Flüchtlings-Chaos: Ein merkwürdiger Plan?“ heran und setzt sich kritisch mit diesem auseinander. Ebenso geht er auf Themen wie 9/11, die Neue Weltordnung oder Donald Trump ein.

Schon der Titel seines Buches „Nichts ist, wie es scheint“ birgt nicht nur eine Doppeldeutigkeit in sich, sondern verweist zugleich auf Grundprinzipien verschwörungstheoretischen Denkens, die Butter in seinem ersten Kapitel aufgreift. Anschließend befasst er sich mit der Beweisführung von Verschwörungstheorien, der Funktion, historischen Entwicklung und dem Einfluss des Internets auf diese und dessen Beitrag zur Fragmentierung der Öffentlichkeit.

Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist wertend. Er kann genutzt werden, um Thesen anderer zu disqualifizieren, auch wenn diese gar keine verschwörungstheoretischen Charakteristika aufweisen. Was macht also eine wirkliche Verschwörungstheorie aus? Hier nennt Butter drei Grundannahmen:
  • Nichts geschieht durch Zufall.
  • Nichts ist, wie es scheint.
  • Alles ist miteinander verbunden.
Wichtig ist zudem: die Verschwörer sind immer die Bösen. Anhand des Textes von Herman verdeutlicht Butter einige dieser typischen verschwörungstheoretischen Elemente. So ist die Flüchtlingskrise kein ungewolltes Resultat der Entwicklungspolitik. Herman schreibt: „Die Verzweiflung Einheimischer wächst, doch noch erahnen die meisten den Plan nicht“ (Herman 2017, zitiert nach Butter 2018, 23). Einen Plan, hinter dem der Feind steckt. Dieser Feind agiert im Verborgenen und wird nur vage als Kollektiv von Politikern skizziert. Es handelt sich, nach Herman, um eine Verschwörungsgemeinschaft von Machtmenschen. Inhalte des Plans sind in erster Linie die Rekrutierung von Flüchtlingen, um diese als Waffe gegen die deutsche Bevölkerung einzusetzen. Dies geschieht durch die Gegenüberstellung von Kulturen und Religion.

Butter zitiert Herman weiter: „Man weiß genau, mit welchen Folgen zu rechnen ist, wenn derart verschiedene Glaubenskulturen auf engstem Raum aufeinander losgelassen werden“ (Herman 2017, zitiert nach Butter 2018, 26). Was genau mit der Kollision des Multikulturalismus bezweckt werden soll, erfährt der Leser allerdings nicht. Vorbereitungsinstrumente des Plans, der seinen Höhepunkt in der Migration findet, sind außerdem die Einführung des Euros oder "Gleichmachungsgesetze". Außerdem werde das Bevölkerungswachstum durch den Feminismus oder Gender-Bewegungen gezielt geschrumpft. Weil alles miteinander verbunden ist, bezieht sich die Verschwörung nicht allein auf die EU. So habe die USA krisenauslösende Kriege angezettelt und Schlepperbanden finanziert, um die Flüchtlingsströme in Bewegung zu setzen.

In weiteren Ausführungen befasst sich Butter mit Typologien von Verschwörungstheorien, deren Abgrenzung zu wirklichen Verschwörungen, der Delegitimierung (die Verschwörungstheoretiker sind immer die anderen) und dem Begriff „Theorie“ unter wissenschaftlichem Aspekt.

Wie Verschwörungstheoretiker argumentieren, legt Butter im nächsten Kapitel dar. Dazu beschäftigt er sich mit der Argumentationsstruktur und -strategie, geht auf die mutmaßlichen Beweise der Verschwörungstheoretiker ein und gibt selbst Beispiele anhand verschiedener Fälle. Strategisches Vorgehen ist demnach in konspirationistischer Hinsicht wichtig. Dies geschieht dadurch, dass Geschichten immer vom Ende her erzählt werden. Es wird die Frage nach dem „Cui bono?“ gestellt, wem nützt das? Anhand dieser Frage werden die Verschwörer identifiziert. Dies kann nur geschehen, wenn man an ein mechanistisches Weltbild ohne Zufälle und ungewollte Konsequenzen glaubt. Denn schließlich muss die Zukunft auf lange Sicht geplant worden sein.

Wichtig ist es für Verschwörungstheoretiker außerdem, Experten hinzuzuziehen. Wissenschaftlichkeit garantiert Seriosität. Allerdings ist es für Verschwörungstheoretiker nicht maßgeblich, wofür die hinzugezogenen Doktoren oder Professoren genau ihre Expertise besitzen. So ist es, laut Butter, nicht unwahrscheinlich, dass ein Kunstgeschichtler oder Philosoph derjenige ist, der über die Statik des World Trade Centers referiert.

Um Beweise zu liefern, wird, neben Experten, als stärkstes Mittel die Existenz von Überläufern angebracht. Gerade diese neigen dazu, Enthüllungen zu erfinden oder auch Beweise zu fälschen. Als Beispiel hierfür eignet sich insbesondere das Interview eines der bekanntesten US-Verschwörungstheoretiker mit dem gegenwärtigen Präsidenten Donald Trump. Dieser bezeichnete sich selbst wiederholt als ehemaligen Teil einer elitären Gruppe, die wisse, wie man einfache Leute ausbeute, und von der er sich losgesagt hat und zum Überläufer wurde.

Immer wiederkehrende Beweismittel sind auch öffentliche Dokumente oder Videos. Diese werden dann umgedichtet oder fehlgedeutet. Details aus verschiedenen Kontexten werden zusammengeführt oder gar stark verändert. Die Strategie von Daniele Ganser, einem schweizerischen Verschwörungstheoretiker, ist die des „Nur-Fragen-Stellens“. Er hält sich selbst für denjenigen Wissenschaftler, der eben jene unbequemen Fragen aufwirft, die andere aus Rücksicht auf ihre Karriere nicht stellen würden. Infolgedessen werde er von der Gesellschaft als Verschwörungstheoretiker diskreditiert. Durch Auslassen bestimmter Themen und dem Arrangement einzelner (zusammenhangsloser) Punkte kreiert Ganser so ein Gesamtbild. Zum Thema der Terroranschläge vom 11. September entsteht durch den Einsatz seiner Strategien das Bild, 9/11 sei keine Attacke islamistischer Terroristen gewesen, sondern ein gezielter Akt der US-Regierung, um die Kriege im Irak und Afghanistan zu legitimieren.

Ein weiteres zentrales Charakteristikum von Verschwörungstheorien ist das Arbeiten mit Metaphern. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei Konspirationen immer um einen Kampf zwischen Gut und Böse handelt, gelten die Verschwörer als mit ausschließlich negativen Eigenschaften behaftet. Hierbei sind Vergleiche mit dem Teufel, Dämonen oder Schlangen beliebt. Ein weiteres Sprachbild ist die Marionetten-Metapher. So schreibt Eva Herman zur Flüchtlingskrise über das „Brüssler Marionettentheater“, während Barack Obama als „Marionette der Neuen Weltordnung“ gilt. Motive wie „Sklaven“, „Schlafende“ oder „Blinde“ stehen an anderer Stelle für die breite Masse, von der sich Verschwörungstheoretiker abgrenzen. Diese breite Masse stellt etwa 90 Prozent der Bevölkerung dar, ein Prozent ist Teil der Verschwörung, vier Prozent deren Marionetten und die restlichen fünf Prozent sind diejenigen, die die Verschwörung erkannt haben.

Im dritten Kapitel seines Buches beschäftigt sich Butter mit der Frage, die sich der Leser selbst immer wieder stellt: Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?

Die einfachste Lösung lieferte Richard Hofstadter 1964: Verschwörungstheoretiker haben psychische Probleme. Da es sich bei Verschwörungstheorien aber um ein Massenphänomen handelt, wird diese Lösung allerdings gleich wieder von Butter revidiert. Butter argumentiert, dass Verschwörungstheorien psychologischen Studien zufolge zwei allgemeine menschliche Bedürfnisse befriedigen und Menschen daher geneigt sind, solchen empfänglich gegenüberzustehen. Diese sind zum einen die Fähigkeit unseres Gehirns, Verbindungen herzustellen und Muster zu erkennen. Manchmal finden wir auch dort Muster, wo überhaupt keine sind. Zum anderen haben Menschen ein natürliches Bedürfnis nach Erklärungen. Alles was sinnstiftend erscheint, betont auch menschliche Handlungsfähigkeit. Diese erlaubt es uns, einen „Schuldigen“ zu finden und die Hoffnung eines Rückgängigmachens oder Stopps der Verschwörung zu schüren. Teilweise sind so absurde Vorstellungen leichter zu akzeptieren, als Chaos und Zufall.

Weiter lassen sich auch Rückschlüsse über das Selbstbild von Verschwörungstheoretikern ziehen. Sieht sich dieser selbst in einer Opferrolle, so lassen sich eigene negative Attribute leicht den Verschwörern zuschreiben und haben eine entlastende Funktion für die eigene Selbstwahrnehmung. Butter skizziert folgendes Beispiel:
„Wenn die Migranten nicht aus purer Not nach Deutschland kommen, sondern Teil eines perfiden Plans sind, ist Widerstand gegen ihre Anwesenheit kein Ausdruck von Vorurteilen, sondern wohlmotiviert.“ (Butter 2018, 112)
Wer also sind diese Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben? Die Forschung kommt hier zu dem Schluss, dass ethnische Minorität eine Rolle spielt. Historische Erfahrungen von Unterdrückung oder eigene Erfahrung nicht erreichter Gleichberechtigung bedingen die Neigung, an Verschwörungstheorien zu glauben. Außerdem zeigt sich eine Diversität hinsichtlich der Geschlechter. Männer neigen eher dazu, großen politischen Verschwörungen Glauben zu schenken, während Frauen eher denjenigen zugewandt sind, die das eigene, unmittelbare Leben betreffen. Natürlich ist auch Bildung ein zentrales Element. Hierbei kommt es nicht nur auf den Grad an, sondern auch darauf, was gelernt wurde.

Auch das Gefühl von Machtlosigkeit oder die Angst, machtlos zu werden, identifiziert einen Verschwörungstheoretiker. Dabei fühlen sich insbesondere Männer, als Versorger und damit an Arbeit gebunden, häufig mit Verlustängsten konfrontiert. Rechtspopulistische Bewegungen, die dieses Konspirationsdenken aufgreifen, erhalten daher besonders von Männern Zulauf. Abschließend ist allerdings zu sagen, dass das Glauben an Verschwörungstheorien bei allen Geschlechtern, in jedem Alter, in allen Ethnien und allen Einkommensstufen vorkommt. Besonders diejenigen sind betroffen, die Angst davor haben, „Verlierer“ zu werden, oder denken, dass sie bereits Verlierer geworden sind.

Verschwörungstheorien können aber auch anders motiviert sein als nur durch den Glauben daran. So lassen sich diese zu Propaganda- oder kommerziellen Zwecken ausnutzen.

Im vierten Kapitel thematisiert Butter die historische Entwicklung von Verschwörungstheorien. Lange Zeit galten Verschwörungstheorien als vollkommen legitimes Wissen, so Butter. In der Antike wie auch in der Moderne dienen diese dem Ausschluss von Chaos und Zufall. Während es im Mittelalter keine nachweisbaren Verschwörungstheorien gibt, erlebt die Frühe Neuzeit mit ihrem Hexenkult eine Hochkultur. Als Verschwörung gilt ein Komplott des Teufels oder des Antichristen. Konspirationistisches Gedankengut vereint sich mit religiösen Vorstellungen.

In Zeiten der Aufklärung versuchten Philosophen, Phänomene rational durch menschliche Intentionen zu erklären. Erst mit der Erfahrung des Holocaust kommt es in Deutschland zu einer Delegitimierung und Stigmatisierung von Verschwörungstheorien. Konspirationen sind nicht länger normal, sondern werden als gefährlich und problematisch empfunden. Es wird eine Verbindung zwischen Populismus und Verschwörungstheorien aufgebaut, die Butter in drei Parallelen gliedert:
  • Misstrauen gegenüber Eliten.
  • Konservativismus, der links oder rechts ausgeprägt sein kann und versucht, eine gesellschaftliche Ordnung zu bewahren oder wiederherzustellen.
  • Die Gegenwart ist negativ, die Zukunft aber positiv zu sehen, d.h. Verschwörungen können zerschlagen, Eliten entmachtet werden.
Anschließend geht es um die Funktion des Internets und dessen Wirkung auf Konspirationsdenken. Butter argumentiert, dass das, was früher durch Redakteure aussortiert wurde oder keinen Raum in der Gesellschaft gefunden hätte, heute einfach im Internet verbreitet werden kann und dort seine eigene Glaubensgemeinschaft findet und anspricht. Die Vernetzung von Gleichgesinnten wird also wesentlich erleichtert. Über Google-Suche und Newsfeeds auf sozialen Netzwerken wird Verschwörungstheoretikern genau das angezeigt, was sie ohnehin schon vermuten, so Butter. Online bilden sich Teilöffentlichkeiten, in denen konspirationistische Einstellungen wieder legitimes Wissen darstellen.

An der Fallstudie Donald Trump erläutert Butter noch einmal den geschickten Einsatz von Verschwörungstheorien und -gerüchten, die der US-Präsident während seines Wahlkampfes einsetzte und damit seine Kernwählerschaft, insbesondere einige, die bei den letzten Wahlen nicht abgestimmt hatten, erreichte. Durch Formulierungen wie: „Ich höre ganz oft, dass…“ leitet Trump, nach Butter, Themen wie „Impfen verursacht Autismus“, „Klimawandel ist eine Erfindung ausländischer Mächte, um die amerikanische Wirtschaft zu schwächen“, „Barack Obama ist nicht in den USA geboren und hätte daher nicht Präsident werden dürfen“ oder „das korrupte politische Establishment beutet die Arbeiterklasse aus“ ein.

Zum Schluss greift Butter die Frage auf, ob Verschwörungstheorien gefährlich sind und was man gegen sie tun kann. Anhand einiger Beispiele wird deutlich, dass konspirationistisches Denken in Kombination mit anderen Faktoren gefährlich ist: Anders Breivik, der 77 Menschen ermordete und behauptet, radikale Islamisten würden Europa infiltrieren mit dem Ziel, die Kultur zu zerstören, und die Regierung sei ein Teil dieser Verschwörung. Konsequenzen dieser Weltanschauungen in solchem Ausmaß sind allerdings selten. Oft ergeben sich aber andere Folgen, wie z.B. keine Wahlbeteiligung, weil man an eine Verschwörung der Regierung glaubt.

Auf den letzten Seiten hält Butter dafür auch einige Lösungsvorschläge parat. So lohnt es sich kaum, mit überzeugten Verschwörungstheoretikern zu diskutieren, sondern vielmehr mit denjenigen, die noch nicht ganz überzeugt sind. Man sollte Menschen die Fähigkeit vermitteln, die es ihnen ermöglicht, selbst zwischen konspirationistischen und nicht-konspirationistischen Erklärungen zu unterscheiden, so Butter. Dabei ist es wichtig, Medienkompetenzen und Geschichtswissen zu vermitteln, um seriöse von unseriösen Quellen unterscheiden zu können. Um die Probleme des 21. Jahrhunderts meistern zu können, ist es, nach Butter, ebenso wichtig, sich als demokratische Gesellschaft darauf verständigen zu können, was wahr ist.

Fazit: Das Buch von Michael Butter „Nichts ist, wie es scheint – Über Verschwörungstheorien“ enthält umfassende Einblicke in die Welt der Verschwörungstheoretiker. Es bezieht die Gegenposition zum Konspirationsdenken, behandelt Merkmale und Argumentationsmuster einer Verschwörungstheorie sowie interessante geschichtliche Faktoren. Wer nachvollziehen möchte, was eine Verschwörungstheorie für bestimmte Menschen so attraktiv macht, wie deren Argumentationsweise aufgebaut ist und wie man sich am besten mit Verschwörungstheoretikern selbst auseinandersetzt, für den lohnt sich ein Blick in Butters Werk. Bezogen auf rechtspopulistische Bewegungen in Deutschland und den USA sind insbesondere die Beiträge zur Flüchtlingskrise und Donald Trump lesenswert.

Die 233 Seiten lassen sich aufgrund eines gewissen Interesses, das allein die Thematik „Verschwörungstheorien“ beim Leser erzeugt, aber auch der stilistischen Gestaltung des Autors gut lesen. Da sich die Themen, auf die Butter eingeht, ganz im Sinne von „Alles ist miteinander verbunden“ oftmals überschneiden oder gegenseitig bedingen, erfolgen immer wieder Verweise auf bereits Genanntes oder noch Folgendes. Dies erzeugt einerseits eine gewisse Spannung, impliziert aber zugleich eine etwas unklare Strukturierung.

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