Samstag, 29. Juni 2019

Rezension zu Andreas Speit: Bürgerliche Scharfmacher

Speit, Andreas (2016), Bürgerliche Scharfmacher. Deutschlands neue rechte Mitte - von AfD bis Pegida, Orell Füssli.

Rezension

Autorin: Cathrin Würsig

Das Buch beschreibt den Wandel des rechten Milieus in Deutschland und die aktuelle Lage der verschiedenen Bewegungen. Hierbei bezieht der Autor sich immer wieder auf Interviews, Statements bei politischen Veranstaltungen und Expertenmeinungen, um die verschiedenen Hintergründe sichtbar zu machen. Es besteht aus einer Einleitung und vier Hauptkapiteln, welche in kleinere Kapitel unterteilt sind. Im Folgenden werde ich diese kurz zusammenfassen.


Das erste Kapitel „Eine Partei für ein anderes Deutschland – Die ‚Alternative für Deutschland‘“ behandelt die verschiedenen Phasen in der Entwicklung der AfD seit der Gründung. André Poggenburg, Björn Höcke, Jörg Meuthen, Frauke Petry, Alexander Gauland - all dies sind Namen, welchen man, sobald man sich mit der Partei AfD beschäftigt, begegnet. Am 13. März 2016 kann die AfD mithilfe dieser Gesichter in drei Bundesländern Stimmenzugewinne bei Landtagswahlen verzeichnen, und das obwohl die Partei erst im Jahr 2013 als Ein-Themen-Partei von Bernd Lucke gegründet wurde.

Die AfD konnte weitere Milieus erreichen, indem weitere Themen in das Wahlprogramm aufgenommen wurden. Besonders präsent erscheint hierbei die Islamfeindlichkeit, welche durch Aussagen wie „Der Islam gehöre nicht zu Deutschland und die Sozialleistungen für Zuwanderer sollen nach dem Heimatlandprinzip geschehen, um eine wirtschaftliche Intergration zu fördern“ (S. 100) unverhohlen zum Ausdruck gebracht wird.

Aber auch andere Kernthemen gehören zu der AfD, wie die traditionelle Geschlechterrolle, welche von der AfD unterstützt wird und wodurch die Gender-Debatte als hinfällig betrachtet wird. Die Flüchtlingsdebatte gab der AfD weiteren Auftrieb, mit Aussagen wie „Wir müssen die Grenzen dichtmachen“ (S. 80) bestärken sie ihre Position der „Verabschiedungskultur“.

Rhetorisch gesehen werden politische Themen mithilfe der Dichotomie von Gut und Böse, Schwarz und Weiß, Freund und Feind dargestellt – „eine vermeintlich einfache Welterklärung für angeblich einfache Lösungen“. Außerdem nutzt die AfD immer wieder Tabubrüche, um sich zu positionieren. Auch wenn Bernd Lucke zu Beginn propagierte „weder links noch rechts zu sein“ (S. 34), wurden nur ein Jahr später Anträge der NPD von Abgeordneten der AfD unterstützt.

Doch nicht nur in politischen Handlungen ist die rechte Orientierung der AfD deutlich sichtbar - volksverhetzende Aussagen im Internet, für welche Holger Arppe verurteilt wurde, oder auch Kommentare, in denen der Islam als Ursprung des Terrors ausgemacht wurde, machen die Positionierung der Abgeordneten der AfD deutlich.

Bei Wahlveranstaltungen wird das rechte Klientel besonders deutlich, Anhänger mit rechtsextremistischen Tattoos und rechten Szenemarken bilden das Publikum, während Björn Höcke auf dem Podium propagiert „Wir sind das Volk“ (S. 54). Auch Interviews in rechten Zeitschriften deuten darauf hin, ebenso wie der rege Austausch mit dem Verband der Deutschen Burschenschaften, welche stark nach rechts rücken - „Rassismus, Antisemitismus und Sexismus prägen die DB und ihre Mitgliedsburschenschaften. Rechtsradikales Gedankengut ist tief in den Grundsätzen der DB verankert“. (S. 88)

Im Jahr 2015 kam bereits das Aus für Lucke, welcher sich wenig kompromissbereit gab und auch deswegen viel Gegenwind aus der eigenen Partei bekam. Aus der Wahl von Petry als Vorsitzende der AfD zog Lucke die Konsequenz und gründete die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“.

Das zweite Kapitel „Vom Rittergut ins Schlachtengetümmel – Netzwerke und Vordenker der 'Neuen Rechten'“ legt besonderes Augenmerk auf die Entwicklung zu einer rechtsorientierten Partei und den Vorgängern, welche die Ideologie der Partei populär machten. Es wird nicht nur von der „Jungen Freiheit“ berichtet, welche als das „Mutterschiff“ bezeichnet wird, sondern ebenso von anderen rechtspopulistischen Vereinigungen wie der Identitären Bewegung oder dem Institut für Staatspolitik.

Mit der Zunahme der Wichtigkeit von rechtspopulistischen Themen wie Zuwanderung und Integration wurde schon lange vor Gründung der AfD vermutet, dass eine neue rechte Partei sich etablieren könnte. Durch den Erfolg der AfD im Jahr 2015 geschah genau dies, jedoch ist nicht nur die AfD in diesem Milieu verankert, auch die Ifs und die Pegida teilen die gleichen Wertvorstellungen, wie Andreas Speit zusammenfasst:
„Sie eint nicht nur das äußere Feindbild, die angebliche Bedrohung der deutschen Nation durch Flüchtlinge und Asylsuchende, sie teilen auch das innere Feindbild: 'die 68er' und 'Gutmenschen'.“ (S. 119)
Auch weitere Vereinigungen teilen viele Punkte mit der AfD und gelten als Vorreiter. Im Besonderen gehört die Junge Freiheit hierzu. Bereits 1986 gegründet, gilt die wöchentlich erscheinende Zeitung als Sprachrohr der Neuen Rechten, auch wenn diese sich selbst als „dezidiert konservativ“ einstufen. Um dies glaubwürdig zu halten, werden auch Autoren und Interviewpartner in die Zeitschrift aufgenommen, die nicht aus dem rechten Milieu kommen. Der Inhalt zeigt jedoch trotz allem die rechte Positionierung.

Eine andere ausführlich behandelte Gruppierung ist die Identitäre Bewegung (IB), die im Jahr 2012 als Reaktion auf Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ gegründet wurde. Ein Hauptanliegen der IB ist der Kampf gegen den Identitätsverlust: „Wir kämpfen gegen den eigenen Identitätsverlust, gegen unseren demographischen und kulturellen Verfall und gegen die allgemeine Entwurzelung und Entfremdung des Menschen in der Moderne. Wir stellen uns gegen einen abstrakten, weltfremden Menschenbegriff, der ihn nur als degenerierte kultur- und geschlechtslose, internationale Ware, als Humankapital betrachtet, anstatt ihn in seiner Ganzheit, als Erbe und Träger einer bestimmten Identität zu betrachten.“ (S. 165) Den Zuspruch der AfD bekommt die IB vorbehaltlos, welche alle Positionen der IB ohne Kompromisse unterzeichnen würde.

Das dritte Kapitel „Ganz normale Leute – Pegida, die patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ thematisiert, wie der Protest auf der Straße entstand und wie dies die rechte Bewegung veränderte. Die ersten Spaziergänge der Pegida fanden 2014 in Dresden statt, wo auch zukünftig die größten Aufmärsche zu verzeichnen waren, obwohl 21 Ableger von Pegida in anderen Städten Deutschlands entstanden.

Als Gründer gilt Lutz Bachmann, der sich den Spaziergängern sehr nah gibt und eine einfache Wortwahl bevorzugt – er ist einer von ihnen –, ein Ostdeutscher, der sich in der westdeutschen Gesellschaft durchschlagen musste. Was immer wieder von Anhängern und Rednern betont wird, ist, dass sie keine Nazis seien, sondern Patrioten. Man solle sich von den Rechten distanzieren. Zugleich bekennt sich die AfD jedoch grundsätzlich zu der Pegida als Bürgerbewegung.

Der erste Redner der AfD bei einer Pegida-Veranstaltung ist Tillschneider, welcher betont: „Wir sind Patrioten, das heißt, wir streiten für die Interessen unseres Volkes. Wir sind Europa, das heißt, wir sind für ein Europa der Vaterländer und gegen die EU, und wir sind gegen die Islamisierung, das heißt, wir sind gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft auf deutschen Boden“. (S. 184)

Als weiterer Verband wurde Gemeinsam-Stark Deutschland e.V. thematisiert, welcher sich 2015 gründete und radikale Werte vertritt, wie z.B. „Beenden des Multi-Kulti Missbrauchs“, Ablehnung der EU und Nato sowie die Akzeptanz von „Bio- und Passdeutschen“, welche Patrioten seien. Was allen rechtsextremen Gruppierungen wie z.B. der NPD, Die Rechte, Der III. Weg und auch das Kameradschaftsmilieu, Freie Kameradschaften, Bruderschaften und Autonome Nationalisten gleich ist, sind die gemeinsamen Feindbilder und das Nutzen von politischen und sozialen Ängsten.

Das vierte Kapitel „Autoritäre Revolte einer sozialen Bewegung von rechts“ handelt vor allem von dem entbrannten Machtkampf in der Parteispitze der AfD, welcher durch antisemitische Äußerungen von Gedeon entfacht wurde. Meuthen drohte sogar mit dem Verlassen der Partei, sollte Gedeon nicht zurücktreten, da rassistische und antisemitische Äußerungen nicht zu einer staatstragenden Partei passen würden.

Jedoch steht nicht nur Gedeon in der Kritik, auch Petry steht mit anderen Parteimitgliedern im Konflikt. Sie sei zu autoritär und erinnere an Lucke. Bemerkbar machen sich die internen Konflikte durch Statements gegen die Aussagen anderer Parteimitglieder, wie z.B. Gauland oder Beatrix von Storch. Ein großes Anliegen aller scheint jedoch zu sein, die gesellschaftliche Mitte nicht durch stark rechtsextremistische Positionen zu verlieren.

Es wird auch festgestellt, dass die AfD Bestand haben wird, sie habe die kritische Größe überschritten, als dass sich Konflikte auf die gesamte Partei auswirken würden, sodass sich diese auflöst. Die Tabubrüche und das gezielte Auswählen von Themen, welche polarisieren, wurde von der AfD für ihre Popularität genutzt und wird auch weiterhin deren Bestand sichern.

Das Buch „Bürgerliche Scharfmacher“ gibt einen sehr guten Einblick in Ideologie und Rhetorik der Rechten in Deutschland. Nicht nur die Feindbilder werden sehr gut dargestellt, sondern auch die Denkweisen verschiedener rechter Gruppierungen, welche nicht alltäglich in den Nachrichten erscheinen. Es wurden viele Abschnitte aus Reden und Interviews zitiert, was einen guten Einblick in die sprachlichen Mittel der rechten Gruppierungen gegeben hat.

Durch Expertenmeinungen wurden Aussagen gestützt und glaubwürdig dargestellt. Im allgemeinen lässt sich jedoch sagen, dass das Buch durch viele inhaltliche Sprünge schwer zu lesen war, da sehr viele Akteure und Gruppierungen genannt wurden und der Überblick schnell verloren gehen kann. Deswegen würde ich das sehr umfangreiche Buch empfehlen, wenn ein gewisses Grundwissen über die rechten Gruppierungen vorliegt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen