Freitag, 18. Januar 2019

Rezension zu Niedermeier/Ridder: Das Brexit-Referendum

Niedermeier, Alexander / Ridder, Wolfram (2017), Das Brexit-Referendum. Hintergründe, Streitthemen, Perspektiven, Springer.

Rezension

Autor: Leo Buchholz

2017 veröffentlichen Alexander Niedermeier und Wolfram Ridder, die beide am Institut für Politische Wissenschaft der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen-Nürnberg tätig sind, bei Springer Fachmedien in Wiesbaden einen der sogenannten ‚essential‘ über das Brexit-Referendum von 2015. Sie setzen sich in diesem kurzen Werk mit dem historischen Rahmen, der Kampagne und den Nachwirkungen dieses Referendums auseinander.

Inhaltlich beginnen die beiden mit der Rolle Großbritanniens in der EU, den Voraussetzungen und dem historischen Werdegang des Verhältnisses zwischen EG/EU und Großbritannien. Entgegen aller Prognosen entschied sich mit Großbritannien zum ersten Mal ein Staat, aus der EU auszutreten. Die Briten waren schon lange ein europaskeptisches Volk, obwohl sich besonders Umwelt-, Wirtschafts- und Regionalpolitik europäisiert hatten (das gilt nicht für Schottland).

Diese europaskeptische Einstellung tritt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf, wo Churchill einerseits Vereinigte Staaten von Europa fordert, gleichzeitig aber Großbritannien außen vor halten wollte. Vor allem wirtschaftliches Kalkül, also der europäische Binnenmarkt trieben das Vereinigte Königreich dann 1971 in die EWG. Die Uneinigkeit, die damals schon auftrat, gipfelte dann im ersten Europa-Referendum von 1975, bei dem der Brexit abgewendet wurde und Großbritannien von nun an in der EG verblieb.


Allmählich setzte sich auch der Ansatz durch, bei der europäischen Integration teilzuhaben, auch wenn Margaret Thatcher den sogenannten ‚Britenrabatt‘ aushandelte, bei dem Großbritannien als Netto-Zahler der EU prozentual weniger einzahlen musste als vergleichbare Nationen wie Deutschland oder Frankreich. Durch die Einführung des Euro und der Nichtteilhabe Großbritanniens an diesem verlagerte sich die Macht allerdings auf den Kontinent zugunsten ebendieser beiden Länder. Als Reaktion isolierte sich Großbritannien noch weiter selbst. Immer häufiger setzte sich Großbritannien mit Sonderregeln zu seinen Gunsten durch (S. 3-13).

Die Logik Churchills zog sich die gesamte Zeit durch die britische Politik: Großbritannien solle von Europa profitieren, aber kein Teil davon sein. Dadurch lässt sich auch der Gegensatz erklären, Teil des Binnenmarktes zu sein, aber die Zahlungen des Vereinigten Königreichs als unverhältnismäßig anzukreiden. Ein großes Thema war auch stets die Migration. Besonders osteuropäische Arbeitsmigranten und zugeteilte Flüchtlinge wurden vermehrt kritisch gesehen. Zweifel an der EU zogen sich auch stets quer durch die Parteienlandschaft. Die UKIP (UK Independence Party) war größtenteils eine Ein-Themen-Partei, die den Brexit durchgehend zum Thema machte. Bei Tories und Labour waren die Brexiteers zwar eigentlich in der Minderheit, eine Anti-EU-Haltung war aber stets in beiden Parteien präsent (S. 15-20).

Die beiden zentralen Persönlichkeiten der Brexit-Kampagne stammten beide aus dem Lager der Tories: Premierminister David Cameron in der Kampagne gegen den Brexit und der ehemalige Bürgermeister von London, Boris Johnson, für den Brexit. Die zentralen Argumente der Leave-Bewegung waren dabei die britischen Zahlungen an die EU, die Zuwanderung von Osteuropäern und Flüchtlingen und die wirtschaftliche Einschränkung des UK durch Handelsabkommen der EU.

Die Remain-Kampagne argumentierte vor allem mit den Risiken eines Austrittes aus der EU, was Cameron und Konsorten bis heute vorgeworfen wird. Die positiven Seiten einer EU-Mitgliedschaft kamen fast nur bei den, ziemlich spärlichen, Positionierungen der Labour-Partei sowie bei den bei weitem nicht so einflussreichen Parteien der Grünen und Liberaldemokraten zur Sprache.

Der Wahlkampf erlebte einen traurigen Höhgepunkt in der politisch motivierten Ermordung von Jo Cox, einer britischen Parlamentsabgeordneten, durch einen Neonazi ein paar Tage vor dem Referendum. Dies führte zu einer dreitägigen Unterbrechung aller Wahlkampfveranstaltungen. Das Ergebnis des Referendums ging schlussendlich mit 51.9% für den Brexit aus (S. 22-33).

Die Wahlergebnisse sind deutlich verschiedenen Bevölkerungsgruppen zuzuordnen: Schottland, Nordirland und Gibraltar stimmten mehrheitlich gegen den Brexit, England (mit Ausnahme Londons) und Wales dafür. Je älter die Wähler, desto größer der Zuspruch zum Brexit, je gebildeter die Wähler, desto häufiger dagegen.

Die EU gewährt zwei Jahre Frist zum Aushandeln eines Folgevertrags. Direkte Folgen des Referendums lassen sich in drei Kategorien einteilen: Parteipolitik, Wirtschaft und Verfassungspolitik.
  • Parteipolitisch trat David Cameron von seinem Amt als Premierminister zurück, Boris Johnson bewarb sich aber auch nicht auf die Amtsnachfolge. Die konservative Partei fand recht schnell mit Theresa May eine Nachfolgerin. Jeremy Corbyn manövrierte sich bei der Labour-Partei mit Ach und Krach durch mehrere Misstrauensvoten und Wahlen. Die UKIP verlor ihren Vorsitzenden Nigel Farage und stürzte bei den nächsten Wahlen in die Bedeutungslosigkeit.
  • Verfassungspolitisch kündigt sich in Schottland ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum an, bedingt durch die Empörung über das Ergebnis des Referendums. Auch in Nordirland, Gibraltar und sogar London wurden Unabhängigkeitsbestrebungen laut, auch wenn diese bei weitem nicht so ernst zu nehmen sind.
  • Wirtschaftlich brach der Londoner Börsenkurs ein. Mays sogenanntes „Brexit-Kabinett“ begann, Freihandelsabkommen auszuhandeln, da voraussichtlich alle Freihandelsabkommen der EU in Zukunft in UK nicht mehr gültig sein werden. Auch die EU war mit der Situation überfordert und hat seitdem Angst vor weiteren Austrittsbestrebungen (S. 34-40).
Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Leistung von Niedermeier und Ridder darin besteht, ein kompliziertes Thema wie das Brexit-Referendum auf engem Raum darzustellen. Ihr Buch „Das Brexit-Referendum“ bewegt sich im idealen Spannungsfeld zwischen Wissenschaftlichkeit und Zusammenfassung. Es ist ein ideales Werk, um sich kurz aber fundiert einen Überblick über die Thematik zu verschaffen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen