Donnerstag, 24. Januar 2019

Rezension zu Kai Hirschmann: Der Aufstieg des Nationalpopulismus

Hirschmann, Kai (2017), Der Aufstieg des Nationalpopulismus. Wie westliche Gesellschaften polarisiert werden. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Rezension

Autor: Timon Groß

2017 veröffentlichte Dr. Kai Hirschmann das Buch „Der Aufstieg des Nationalpopulismus“. Er ist Politikwissenschaftler am Zentrum Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz. Des Weiteren ist er Hochschullehrer am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn sowie stellvertretender Direktor des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik (IFTUS) in Essen. Sein Buch erklärt den Nationalpopulismus und dessen Methoden, weiter die Gefahren, die sich durch diesen für unsere Gesellschaft sowie unser politisches System ergeben. Am Ende seines Buches gibt er konkrete Hinweise darauf, wie man dem Nationalpopulismus am besten begegnen sollte.

In Kapitel 1 („Der Nationalpopulismus als bürgerliche Gegenbewegung“) versucht Kai Hirschmann dem Leser sein Verständnis von Nationalpopulismus zu vermitteln. Es werden die verschiedenen Bestandteile sowie eine Unterscheidung zum Rechtspopulismus geliefert. Die klassische Unterscheidung zwischen links und rechts ausgerichteter Politik wird als ungenügend wie als nicht wirklich zutreffend bewertet, da die neue angeblich rechte Bewegung in Europa sich auch an eigentlich linken Themen bedient. Ein Beispiel hierfür ist die Globalisierungskritik, die ursprünglich von linken Parteien vertreten wurde. Jedoch wissen die neuen „Rechten“ deutlich besser, Kapital aus diesem Themenfeld zu schlagen, indem sie Ängste vor einer bürokratischen Politik durch zum Beispiel die EU schüren.


Auch Themenfelder wie der Konstruktivismus sowie der Populismus sind nicht zwingend Kriterien, die man als rechts einstufen kann. Der radikale Konstruktivismus ist ein weiteres Themenfeld, aus dem sich die Nationalpopulisten bedienen, um den Wahrheitsgehalt objektiver Fakten anzuzweifeln. Ein weiterer Bestandteil des Nationalpopulismus ist der kulturelle Rassismus, welcher darauf beruht, die eigene Kultur mithilfe von konsequenter Abschottung zu schützen. Es wird das Bild vermittelt, dass ein Land eine homogene Kultur hat, die es zu schützen gilt. Die vielen Diversitäten werden ausgeblendet.

Kai Hirschmann beschreibt drei Ebenen, auf denen der Nationalpopulismus stattfindet. Die erste Ebene ist die gesellschaftliche Ebene. Diese dient dazu, Wandlungen, die in der Gesellschaft und im Wertesystem stattfinden, zu nutzen, da diese oft Verunsicherung bei manchen Teilen der Bevölkerung auslösen. Diese verunsicherten Menschen werden von den Nationalpopulisten gezielt angesprochen, während sie sich von der Politik als vergessen ansehen. Die zweite Ebene ist die ideologische Ebene. Auf dieser Ebene versuchen die Nationalpopulisten, Wähler zu gewinnen, indem gezielt Themen bzw. Ideologien stark gemacht werden, die in der Politik bisher vernachlässigt wurden. Die dritte Ebene ist die organisatorische Ebene. Sehr wichtig ist es den Nationalpopulisten sowie auch anderen Populisten, den Bürgern zu vermitteln, dass sie sie direkt vertreten. Es wird also die Nähe zu den Bürgern gesucht, meistens dient hierzu auch ein charismatischer Führer.

Im zweiten Kapitel („Nationalpopulismus auf dem Vormarsch“) werden viele verschiedene Entwicklungen populistischer Gruppen erläutert. Ich werde mich jedoch auf die allgemeinen Bedingungen und Entwicklungen beschränken. Damit Nationalpopulisten sich etablieren können, gibt es mehrere Umstände, die notwendig sind und zusammenkommen müssen. Diese Umstände werden als der „populistische Moment“ bezeichnet: Dazu gehören die passende Stimmung (Ängste & Besorgnisse), die Gelegenheitsstruktur (krisenhafte Entwicklungen) und ein alternatives Konzept (nationalpopulistische Parteien, Mobilisierungsmethoden, Ideologien, …).

Diese Faktoren bieten gemeinsam die Grundlage für Erfolge von Populisten. Ein weiterer Faktor, der die Nationalpopulisten so erfolgreich macht, ist die Etablierung eines Feindbildes, wie z.B. bestimmter Institutionen wie Medien. Die Vereinfachung, Wähler solcher Parteien als allgemein ungebildet und arm anzusehen, bestätigt lediglich deren Vorwurf für sie selber, von der Politik nicht ernst genommen zu werden und ist nicht zutreffend. Man kann allgemein über die Wähler populistischer Parteien sagen, dass akademisch Gebildete sowie Politikinteressierte, die das System der Demokratie besser verstehen, eher nicht zu deren Wählerklientel gehören. Der Nationalismus geht Hand in Hand mit ideologisierter Anti-Globalisierungspolitik, ideologisiertem radikalem Konstruktivismus, Kulturalismus und Populismus. Diese Punkte zeigen die breite Aufstellung der Nationalpopulisten innerhalb ihres politischen Programms, wodurch es ihnen gelingt, viele verschiedene Wähler aus verschiedenen politischen Lagern anzusprechen und zu mobilisieren.

Das dritte Kapitel („Die Vermittlung: das Hexagon der nationalpopulistischen Mobilisierung“) dreht sich um die Methoden, die die Nationalpopulisten nutzen, um ihre Ziele zu erreichen. Ein zentraler Punkt hierbei ist die Schaffung alternativer Fakten, die wissenschaftlich gesehen aber nicht alternativ sondern schlichtweg falsch sind. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist Donald Trump, der mit dem Wahrheitsgehalt seiner Aussagen eigentlich niemanden überzeugen dürfte, jedoch findet er trotz seiner ständigen Lügen ein sehr großes Spektrum an Bürgern, die ihn befürworten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Emotionalisierung. Diese lässt sich am Beispiel der „Theorie der sozialen Identität“ erklären. Diese Theorie beruht auf drei Grundannahmen, die sich mit der Zufriedenheit eines Individuums beschäftigen. Dafür ist es laut dieser Theorie wichtig, dass Individuen durch ihre Zughörigkeit zu einer bestimmten Gruppe eine positive soziale Identität erhalten. Des Weiteren ist es wichtig, sich in seiner Ingroup mit der Outgroup positiv vergleichen zu können, also sich selbst wenigstens so zu sehen, dass man mehr Vorteile hat. Wenn nun die soziale Identität unbefriedigt ist, gilt es in eine bessere bzw. positiver bewertete Gruppe zu kommen oder die eigene Gruppe stärker positiv abzugrenzen gegen andere.

Durch das Wiederholen von Vorurteilen und Stereotypen wird Angst und Hass geschürt. Durch die Verringerung der Komplexität bestimmter Sachverhalte werden konkrete Situationen als Beispiele für die angebliche Bestätigung bestimmter Vorurteile missbraucht. Ein weiteres Problem, das sich Nationalpopulisten zunutzemachen, ist, dass Politiker eigentlich ständig Werbung für sich selbst machen müssen. Während die gemäßigten Politiker dazu neigen, meist inhaltich schwammige Aussagen zu machen und diese in einem positiven Zusammenhang bringen, nehmen Nationalpopulisten kein Blatt vor den Mund und brechen bewusst bestehende Tabus und Regeln und sorgen dadurch dafür, dass die Medien über sie berichten. Das ist sozusagen kostenlose Werbezeit z.B. im Fernsehen, die sonst viel Geld kosten würde. Ebenso der sehr stark vereinfachte Gebrauch der Sprache auf politischer Ebene nutzt den Nationalpopulisten, um sich abzugrenzen und die Bürger besser zu erreichen.

Das vierte Kapitel („Die Auswirkung: Gefahr der Systembeseitigung und Polarisierung westlicher Gesellschaften“) befasst sich mit den möglichen dramatischen Auswirkungen des nationalpopulistischen Gedankenguts. Der Grundsatz, mit dem die Nationalpopulisten arbeiten, ist die Konstruktion eines Modells, in dem das angeblich homogene Volk den korrupten Eliten bzw. dem korrupten System gegenübersteht. Ein korruptes System hat es an sich, dass es grundlegende Erneuerung braucht, was in den westlichen Gesellschaften eigentlich nicht notwendig ist. Die Nationalpopulisten spielen in diesem angeblichen Konflikt den Beschützer des Volkes. Nationalpopulisten fördern die Entkernung der Grundrechte, wo sie nur können. Dies ist eine echte Gefahr für unsere Demokratie, jedoch ist es die Aufgabe der Politik, den Interessen der Bürger gerecht zu werden, da diese das letzte Wort haben. Die Politik muss den Bürgern ihre Ängste nehmen und sich um sie kümmern, um eine Entwicklung in Richtung Systembeseitigung früh zu bekämpfen.

Das fünfte und letzte Kapitel („Der Umgang mit einem sich verstärkenden Phänomen“) versucht, Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Kai Hirschmann nimmt die Politik in die Pflicht, sich den Bürgern, die sich abgehängt fühlen, wirklich anzunehmen anstatt sie nur zu belächeln. Genauso wichtig ist es, dass die Parteien sich wieder auf ihre eigenen Prinzipien besinnen, anstatt immer mehr in die Mitte zu rücken. Also dass die Parteien mit demokratischen Ansätzen selber echte Alternativen anbieten und diesen Raum nicht den Populisten überlassen. Es ist wichtig, die gesellschaftliche Spaltung ernst zu nehmen und den Menschen die Vorteile der Globalisierung nahe zu bringen, da viele kurz- und mittelfristig zu Verlierern werden. Es gilt, den Nährboden der Nationalpopulisten auszutrocknen und die Leute nicht zu verurteilen, sondern sie wieder in der Gesellschaft und in der Politik mitzunehmen. Das Buch endet mit einem sehr zutreffenden Zitat, wie ich finde:
„Wenn wir jetzt in die Falle der populistischen Renationalisierung der Politik in Europa laufen, rütteln wir an jahrzehntelang mühsam erarbeiteten Grundlagen für Wohlstand und Frieden. Die Vorstellung ist schlicht inakzeptabel, dass die Generation der Nachkriegseuropäer und deren Kinder, von Populisten getrieben, noch einmal auf die harte Tour lernen sollen, dass nationale Lösungen für europäische und globale Probleme nicht taugen."
Meine persönliche Meinung zu dem Buch von Kai Hirschmann ist sehr positiv. Ich finde den Versuch, das Phänomen des Nationalpopulismus von dem Rechtspopulismus abzugrenzen, sehr wichtig und gut gelungen. Ebenso finde ich den Begriff des Nationalpopulismus weniger abwertend als den Begriff des Rechtspopulismus. Ein Rentner, der die AFD wählt aus Angst vor Flüchtlingen, ist meiner Meinung nach nicht gleich als rechts einzuordnen. Es ist wichtig, die Leute, die Parteien wie die AFD wählen, ernst zu nehmen und sich um ihre Sorgen zu kümmern, um zu vermeiden dass ihre Ängste dauerhaft bestehen – und somit die populistischen Parteien. Es gibt gewisse Kritik z.B. an der Globalisierung, die durchaus berechtigt und ernst zu nehmen ist. Die Art, wie die Nationalpopulisten die Probleme überspitzen und weiter eskalieren lassen, ist selbstverständlich völlig unangebracht, jedoch müssen die Probleme in ihrem Grundsatz gelöst werden. Nimmt man den besorgten Bürgern ihre Ängste, werden die Populisten schnell wieder an den Rand gedrängt und verlieren ihre Relevanz.

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