Mittwoch, 23. Januar 2019

Rezension zu Hans-Peter Siebenhaar: Österreich - Die zerrissene Republik

Siebenhaar, Hans-Peter (2017), Österreich. Die zerrissene Republik, orell füssli (auch erhältlich als Lizenzausgabe bei der bpb).

Rezension

Autorin: Helena Haug

Gleich im Vorwort wird erklärt, warum Siebenhaar, eigentlich Deutscher, ausgerechnet ein Buch über den deutschen Nachbarn Österreich verfasst hat. Österreich sei seine Wahlheimat, er liebe es dort zu arbeiten und zu leben. Deshalb sei es ihm auch so wichtig, derart kritisch auf das Land zu blicken. Österreich brauche einen Weckruf, eine generelle Änderung des Systems auf vielen Ebenen, um „gerettet“ zu werden. Diese Ebenen werden im Buch systematisch in 14 Kapiteln aufgearbeitet.

Von ökonomischen, wirtschaftlichen und politischen Standpunkten bis zur historischen Entwicklung der Einstellungen in Österreich wird die Gesamtsituation des Landes aufgearbeitet und zum Aufstieg der FPÖ in Verhältnis gesetzt. Die Zerrissenheit Österreichs zieht sich als Motiv durch das ganze Buch. In jedem genannten Aspekt wird ein Bezug zur Zerrissenheit hergestellt. Klar wird, Siebenhaar sieht mit dem bisherigen System keine, oder zumindest keine rosige, Zukunft für Österreich voraus. Die Widersprüche im System seien zu groß, um zukunftsfähig zu sein. 2005 noch als Vorbild für Deutschland bezeichnet, sieht die Situation heute ganz anders aus.

Österreich mit seinen vielen Außengrenzen und als Verbindung von Ost und West sei eigentlich auf Weltoffenheit, Toleranz und Fremdenfreundlichkeit angewiesen. Sie sei Grundstock für eine funktionierende Wirtschaft und damit für den Wohlstand und den Lebensstandard im Land. Doch genau damit, so Siebenhaar, hapert es. Wenn Grenzen zugemacht werden, dann werde auch der Handel und die Kommunikation mit anderen Ländern schwierig. Dabei sei genau das gerade schon der Fall. Ungünstige Steuermaßnahmen und ein zu hoher Demokratieaufwand treiben ausländische und auch einheimische Firmen aus dem Land und Österreich werde „abgelöst“.


Auch die Taktik der „Ignoranz“ und der „Verleumdung“ werden immer wieder aufgegriffen. Solange Missstände totgeschwiegen werden, müsse man sich mit ihnen auch nicht befassen. Genau diese Taktik kritisiert Siebenhaar. Beispielsweise wird dafür die Industrialisierung der Alpen aufgegriffen. Systematisch werden die Alpen für den Skitourismus genutzt und verändert, nach dem Motto „Größe um jeden Preis“. Dieses Vorhaben habe keine Zukunft, das Skifahren werde immer mehr zu einer „Nischensportart“ und zwar genau durch dieses Motto. Eigentlich als Volkssportart gestartet, leisten sich immer weniger einen Skiurlaub. Doch keiner der Beteiligten nehme diese Kritik wahr, es werde weiter Geld hineingepumpt, um den heutigen Standard zu wahren.

Auch die Parteien selbst werden von Siebenhaar beleuchtet. Auch hier wird von ihm festgestellt, dass Festgefahrenheit und Trägheit zu lange vorgeherrscht haben. Durch die FPÖ plötzlich unter Druck gesetzt, kam es zum Rechtsruck der etablierten Parteien. Die Zerrissenheit des Landes wird auch hier regelmäßig bei Wahlen ersichtlich.

Doch nicht nur den offensichtlichen Zusammenhang beschreibt er in den Kapiteln. Große Aufmerksamkeit schenkt er auch dem Umgang mit den Medien und der Kunst. Während bei ÖVP und SPÖ hauptsächlich mit den öffentlichen Medien kooperiert wird (hauptsächlicher Kritikpunkt: Marktverzerrung auf Staatskosten), spricht er bei der FPÖ von einem „digitalen Medienimperium der Rechtspopulisten“.

Auch den Umgang mit Kunst in der Politik in Österreich kritisiert er. Systemkritische Kunst gebe es kaum, ihr werde kein Raum gegeben. Kunst diene weiterhin nur der Inszenierung, ein Weiterbewegen bleibe sogar hier aus. Als Beispiel nennt er hierfür die Salzburger Festspiele.

Ein weiterer Aspekt des Buches ist der Umgang mit dem Fremden. Hier wird die Zerrissenheit des Landes sehr gut beschrieben. Einerseits Fremdenangst und der Wunsch nach Österreich als „Wagenburg“, andererseits Willkommenskultur am Beginn des Flüchtlingsstroms.

Siebenhaar nennt als Grund hier unter anderem den historisch gewachsenen „Türkenhass“, auch hier wird wieder kritisiert, dass Österreich sich nicht weiterentwickelt. Dieses „Stehenbleiben“ wird auch im Zusammenhang mit dem Dritten Reich thematisiert. Österreich als „Opfer“ der Nazis sei zwar offiziell korrigiert, in der Realität aber immer noch in den Köpfen. Eine Aufarbeitung oder Befassung mit dem Thema werde nicht als wichtig angesehen. Beispielsweise seien Straßen noch immer nach Nazis benannt und wichtige Skulpturen in Wien und Salzburg von Nazikünstlern.

Nennenswert ist auch das Kapitel „Langer Schatten aus dem Osten“. Hier befasst sich Siebenhaar mit den vielen Tabubrüchen Österreichs im Umgang mit dem Osten, beispielsweise im Krim-Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Auch mit dem Aufnehmen gesuchter Oligarchen aus dem Osten habe das Land kein Problem.

In seinem Buch vermittelt Siebenhaar meiner Meinung nach einen guten Eindruck von der Situation des Landes. Er beleuchtet das Land auf allen Ebenen und nennt viele wichtige Aspekte, die zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Meiner Meinung nach will Siebenhaar mit seinen Thesen und Überschriften auch die Emotionen des Lesers wecken, dies wird schon beim Überfliegen des Inhaltsverzeichnisses klar. Auch aus seinen persönlichen Emotionen macht der Autor in seinem Werk keinen Hehl.

Manchmal scheint der Autor in seiner Darstellung der Probleme allerdings fast hysterisch zu werden. Dadurch bekommt man nach der Lektüre den Eindruck, Österreich sei gar nicht mehr zu retten. Besonders im Kapitel „Der gute Milliardär“ über den Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz regt sich Siebenhaar auf, was angesichts des dargestellten „Land-Grabbings“ aber auch nachvollziehbar ist.

Durch diese Äußerungen des Autors lässt sich das Buch jedoch sehr gut lesen, auch wenn man dem Autor in manchen Aspekten nicht zustimmen mag oder Äußerungen übertrieben erscheinen. Dass die Verhältnisse in Österreich nur schlecht stehen, erscheint mir dennoch unglaubwürdig. Die positiven Aspekte in Österreich werden meiner Meinung nach in dem Buch, das immerhin den dialektischen Aspekt „zerrissen“ im Namen trägt, nicht wirklich beleuchtet.

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