Alt, Christian / Schiffer, Christian (2018), Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien, Hanser.
Autorin: Saskia Zimbra Matter
Rezension
Dieses Buch wurde von den befreundeten Autoren Christian Schiffer und Christian Alt geschrieben, die es sich zum Ziel gemacht hatten, dem Bullshit in der Welt Einhalt zu gebieten und an die Vernunft der Menschen zu appellieren, den Mut, nicht jeden Mist zu glauben, nur weil es theoretisch vielleicht ja schon wahr sein könnte.
Beide waren es leid, sich immer öfter auch im engeren Bekanntenkreis mit Diskussionen um alternative Fakten, Fake News oder die neuste Enthüllung von Udo Ulfkotte (regelmäßig vertreten in der Spiegel-Bestsellerliste, u.a. mit „Gekaufte Journalisten“) herumzuschlagen, bei der sich in der Regel schlussendlich keiner als Gewinner entpuppt. Denn wie sich auf ihrer 3-jährigen Reise durch das Paralleluniversum der Verschwörungstheorien herausstellte, reichen Fakten im Fall von Hard Core-Verschwörungstheoretikern à la Reichsbürger oder Flat Earthler nicht aus.
„Debunking“ wird das in der Skeptikerszene genannt – „wenn jemand an falsche Fakten glaubt, muss man ihm einfach nur die richtigen Fakten vorlegen.“ (S.32, Z.9-10) Doch so einfach ist das Leben nicht. Das merken auch C&C (Christian & Christian) gleich bei ihrem ersten Aufklärungsopfer – der Vater ihrer Freundin Sara. Ein netter, älterer Mann, der sich sehr regelmäßig im Internet aufhält und dort nach der einzig wahren Wahrheit sucht - hauptsächlich in Filterblasen. Doch trotz dieser Einseitigkeit reicht die reine Masse an angeeignetem Wissen aus, um jedem Argument ein Gegenargument zu liefern und C&Cs Debunking-Versuch auf ganzer Linie scheitern zu lassen.
Mit Fakten, Fakten, Fakten kommt man da also nicht weiter. Denn abgesehen davon, dass es auch immer genügend Gegenargumente gibt, ist es ja schlicht und einfach auch nicht immer so wichtig, wer die besseren Argumente hat - oft glaubt man auch dem, der die bessere Geschichte hat. Zudem hat man uns ja schon immer gesagt „Bleib kritisch! Glaub nicht alles, was die Medien, die Politik, die Kirche und die Eltern sagen! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (S.176, Z.1-4) Da wären wir auch schon bei Kants Übersetzung des lateinischen Spruchs „Sapere aude“ und somit bei der Aufklärung. Diese förderte zum einen die Weiterentwicklung der Naturwissenschaften, der Philosophie und der Kunst – sie führte jedoch auch zu einer Ablehnung althergebrachten Wissens, der bisherigen Wissenschaft und anderer Autoritäten.
Ein gutes Beispiel hierfür sowie für die Nutzlosigkeit des Debunking ist aktuell die „Impf-Lüge“: 1998 veröffentlicht Andrew Wakefield eine Studie und stellt einen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff gegen Masern, Mumps & Röteln und Autismus her. Seine Arbeit wurde diskreditiert, ihm wurde die Lizenz entzogen und ein Berufsverbot ausgesprochen, eine Meta-Studie konnte keinen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Autismus herstellen und doch glaubt man dem Kinderarzt nicht, wenn dieser empfiehlt, das Kind impfen zu lassen. Zu gefährlich.
Wirklich gefährlich sind hingegen aber nicht die Impfstoffe, vor denen man gewarnt wird, sondern dass eigentlich ausgerottete Krankheiten wieder epidemieartig auftreten, wie es zum Beispiel in Berlin mit den Masern passiert ist. Da scheint es schon fast fahrlässig, dass Wakefields Dokumentarfilm „Vaxxed“ 2016 deutschlandweit in den Kinos zu sehen ist. „Der Film, von dem sie nicht wollen, dass Sie ihn sehen“ heißt es da reißerisch im Trailer. Da sind sie, die ominösen „sie“ die nicht wollen, dass wir die Wahrheit kennen. Gerne sind das die Illuminaten oder die Juden, die NWO (New World Order) halt, aber das sind ja höchstwahrscheinlich jüdische Illuminaten..
Betrachtet man die Geschichte der Illuminaten, so ist das eigentlich eine ziemlich kurze Geschichte: 1776 gründet der Professor für praktische Philosophie Adam Weishaupt in Ingolstadt den Orden der Illuminaten. Eigentlich sollte dieser „Bienenorden“ heißen, da es ja schließlich darum ging, unter der Anleitung der Bienenkönigin den Nektar der Weisheit zu sammeln. Nicht nur durch seinen sehr geheimen Geheimorden, mit sehr geheimem Namen und Zeichen und Versammlungen fiel Weishaupt auf – er war auch als einziger unter den Professoren kein Jesuit und Anhänger der Aufklärung.
Aufklären wollte er. Aufklären und diese aufgeklärten Bürger peu á peu in wichtigen Funktionen des Staates und der Gesellschaft unterbringen. Doch soweit kam es nie. Alsbald wurden die flüsternden alten Herren den Menschen suspekt, und nachdem ein Verbot von Geheimlogen ausgesprochen wurde, löste Weishaupt die Illuminaten 1784 auf. Doch wie löst man eine Geheimgesellschaft auf? Bis heute sind viele von der Existenz der Illuminaten überzeugt, auch wenn dies nur eine Projektion ist. Die Illuminaten erfüllen ihren Zweck, Schuldiger zu sein, wenn man einen braucht.
Ähnlich wie es seit Jahrtausenden mit den Juden gemacht wird, denn leider gilt: „Verschwörungstheorien funktionieren immer dann besonders gut, wenn sie sich gegen eine kleine Gruppe richten, die in der Gesellschaft keine wirkliche Lobby hat.“ (S.41, Z.9-11) Im Falle der Juden begann diese Diffamierung mit der Ritualmordlegende der Antike über die Mythen des brunnenvergiftenden Juden bis hin zu den 1903 erschienenen „Protokollen der Weisen von Zion“, welche die Nationalsozialisten sogar in den Schulen lehren ließen, obwohl sie bereits 1921 von der New York Times als Fälschung entlarvt worden waren. Besonders perfide: da der jüdischen Bevölkerung ja die Kontrolle über Banken, Medien, ja die ganze Welt angedichtet wird und man somit ja geknechtet und versklavt sei, wird jede Drohung, Diskriminierung bis hin zum Mord an einem jüdischen Mitbürger als legitimes Mittel des Widerstands angesehen.
Ähnlich die Mentalität des deutschen Reichsbürgers. Der deutsche Rechtstaat wird als ungültig befunden: „Deswegen muss man sich auch nicht an die Gesetze halten, ein Rechtsbruch ist die Wiederherstellung der natürlichen Ordnung und wird zum patriotischen Akt“. (S.167, Z. 1-3) Im Fall des Wolfgang P. kostete dieses Weltbild bereits einen Polizeibeamten das Leben. Doch wie kommt es, dass Otto Normalbürger zum Reichsbürger wird, der schlussendlich offen ist für jeden Bullshit, den man irgendwie ins zurechtgezimmerte Weltbild packen kann? Die Gründe für solche geistigen Irrfahrten rühren wie so oft von der persönlichen Unzufriedenheit her, den Rest erledigt eine Filterblase und die menschliche Verhaltenspsychologie. Die Welt ist kompliziert und erscheint nicht immer logisch. Das gefällt der menschlichen Psyche gar nicht.
Unser Gehirn ist ein Geschichtenerzähler, das wird in dem Experiment der Heider-Simmel-Studie sehr schön deutlich: wir sehen einen Film aus dem Jahre 1944, in dem ein kleines und ein großes Dreieck und ein Punkt zu sehen sind. Diese bewegen sich während des kurzen Animationsfilms willkürlich umher. Doch nicht für den menschlichen Zuschauer. Bei dem schlägt nämlich das Intentionality Bias zu. Die Ausgangsfrage der Studie war nämlich: „Was braucht es, um unsere Imagination zu stimulieren? Ab wann beginnt das menschliche Geschichten-Erzählen?“. (S.194, Z.20-22)
Die Antwort: 2 Dreiecke und einen Punkt. Die Interpretationen gehen von Hänsel & Gretel und die Hexe bis zum betrunkenen Vater, der den neuen Freund der Tochter nicht mag. Auch heute sind auf Youtube Kommentare zu dem Video zu lesen, wie „Alter, dieses Dreieck ist so ein Arschloch!“ oder „Kreis, du bist so ein scheiß Feigling!“. (S.195, Z.23-24) Geometrische Figuren, die emotionalisieren. Diese kognitive Verzerrung wird im Englischen Cognitive Bias genannt. Und von denen gibt es einige.
Neben dem Intentionality Bias, das hinter allem eine Intention vermutet, gibt es da zum Beispiel noch das Projection Bias. Man könnte es auch die „wenn ich du wäre“-Verzerrung nennen. Diese tritt nun unter anderem dann zu Tage, wenn sich der angehende Verschwörungstheoretiker in die Lage von Menschen hineinversetzt, die Teil einer Verschwörung sind. Wäre man zum Beispiel zu Zeiten der Mondlandung bei der NASA gewesen, dann hätte man sicherlich auch gern das Schweigegeld genommen.
Eine weitere kognitive Verzerrung, die zu erwähnen lohnt, ist die Proportionality Bias. Dabei geht es darum, dass wir davon überzeugt sind, dass „es für die ganz großen Unglücke Erklärungen geben muss, die in der gleichen Größenordnung liegen“. (S.207, Z. 5-6) Die Psychologin Anna Ebel-Lam hat bezüglich des Proportionality Bias ein Experiment durchgeführt, in welchem sie zwei Versuchsgruppen zwei unterschiedlichen Versionen einer Geschichte zu einem Flugzeugunglück zu lesen gab. Der Unterschied: in der ersten Version stürzt die Maschine ab, in der zweiten gibt es ein Happy End. Im Anschluss an die Geschichte konnten die Probanden aus einer Liste von Ursachen die für sie am wahrscheinlichste auswählen. Dabei hielten diejenigen, die von einem Absturz gelesen hatten, Terrorismus für wahrscheinlicher, die andere Gruppe fand einen technischen Defekt recht plausibel. „Schlimme Dinge brauchen auch immer einen schlimmen Grund“ (S208, Z.24-25), es werden also Erklärungen gesucht, die proportional zum Ereignis scheinen.
Zum Schluss sei noch das Confirmation Bias erwähnt. Diese Verzerrung ist in gewissem Maße unserer Faulheit und Vorliebe für Erfolg geschuldet. Wenn wir eine Theorie eruieren, wäre uns ja ganz Recht, wenn sich diese im weiteren Verlauf unserer Nachforschungen stetig weiter bestätigen würde. Daher suchen wir aktiv auch eher nach weiterer Bestätigung als nach Beweisen, die zur Widerlegung unserer These führen. All diese Bias ebnen uns den Weg ins Verschwörungs-Universum.
Christian & Christian hatten hehre Ziele und vage Pläne. Debunking war nicht wirklich zielführend und den Plan, eine hausgemachte Verschwörungstheorie in die Welt zu setzen, überzeugte beide immer weniger, je mehr sie sich mit den Auswirkungen bereits existierender Verschwörungstheorien auseinandersetzten. Vor allem nachdem C&C, sozusagen als Höhepunkt ihrer Reise, einen ganzen Tag bei einem Vortrag von David Icke verbrachten, um damit „den Mount Everest der Verschwörungstheorien zu besteigen“ (S.247, Z.1-2).
Herr Icke schafft es innerhalb eines Tages, den Kreis der Verschwörungstheorien, beginnend mit Bildungs- und Medienkritik über 9/11 und Chemtrails bis hin zu der EINEN Verschwörung, die die Menschen versklavt, zu schließen. Dass dabei die Rede von echsenähnlichen Außerirdischen ist, die im Inneren der Erde leben und von dort die Strippen des Weltgeschehens ziehen, scheint hier nach vielen Stunden Filterblase niemanden mehr zu wundern. Irgendwie ergibt das ja alles Sinn..
„Der Ultraverschwörungstag bei David Icke ist der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“. (S.262, Z.27-28) Die Stimmung der beiden kippt, aus Frustration wird Wut! „Wir wollen schreien, unsere Instantkaffeebecher auf den Boden werfen und alle um uns rum ganz fest schütteln.“ (S262, Z.31-32) Doch was tun, um aufklärerische Ansätze nicht in wilde Theorien ausufern zu lassen, in die alle weiteren Details in einer dem eigenen Weltbild angepassten Weise einfließen?
C&C fassten ihre Erfahrungen in 23 goldene Regeln beziehungsweise Tipps zusammen, die uns helfen können, mit Verschwörungstheorien (&-theoretikern) umzugehen. Oberste Regel: Bleib skeptisch! Denn Skepsis scheint in Kreisen von Verschwörungstheoretikern nur gegenüber den offiziellen „Mainstream“-Darstellungen angebracht. Außerdem ist die einfachste Erklärung manchmal auch die richtige und Zufälle gibt es sehr wohl! Des Weiteren sehen die beiden Politik und Medien in der Verantwortung, Transparenz zu fördern, anstatt die Bevölkerung mit interpretationswürdigen Informationsvakuen zu versorgen. Soziale Gerechtigkeit und mehr Teilhabe an der Gesellschaft würde den Menschen Sicherheit geben und die Selbstwirksamkeit der Bevölkerung steigern, auch das hilft gegen eine Flucht in die Welt der Verschwörungstheorien.
Doch C&C sind nicht allein. Mittlerweile gibt es verschiedene Organisationsformen, die sich dem Kampf gegen die heutzutage scheinbar industriell hergestellten Verschwörungstheorien angeschlossen haben. Hierbei zu erwähnen sind Sonnenstaatland, die sich im Speziellen der Reichsbürger-Szene widmen, sowie das Internetportal „Lockere Schraube“, das unter anderem auch ein jährliches Voting durchführt, bei dem zum Beispiel 2017 Xavier Naidoo zum „Star mit Aluhut“ avancieren konnte.
Und was hat Angela Merkel jetzt mit Hitler zu tun? Mit ziemlicher Sicherheit GAR NICHTS. Aber es wäre ja immerhin möglich...
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