Freitag, 25. Januar 2019

Rezension zu Manzel/Möllers: Populismus und Politische Bildung

Manzel, Sabine / Möllers, Laura (Hg.) (2018), Populismus und Politische Bildung, Wochenschau.

Rezension

Autorin: Lena Rosenacker

Der Sammelband „Populismus und politische Bildung“ geht auf eine Konferenz der Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung zurück. Das Buch soll dazu anregen, Herausforderungen zu diskutieren, die den Populismus und die politische Bildung betreffen. Es gliedert sich in sechs Teile. Der erste Teil ("Populismus und rechte Parteien aus Sicht der Politikwissenschaft") informiert über den Populismus in Europa sowie über dessen Erfolg.

Frank Decker beginnt mit einem Überblick über den deutschen und europäischen Populismus. Er veranschaulicht, dass der Rechtspopulismus von Land zu Land verschieden ist, jedoch geeint wird von dem identitären Gegenentwurf zu einem liberalen Politikverständnis. Die Wählerschaft sieht sich im allgemeinen als Verlierer, wobei damit nicht die tatsächliche soziale Lage gemeint ist, sondern empfundene Ängste bezogen auf die eigene Kultur. Decker spricht dabei von einer „soziokulturelle[n] Entwurzelung“. An diesem Punkt setzt der Rechtspopulismus an und versucht, ein „Wir-Gefühl“ in der Gesellschaft herzustellen.


Mit Blick auf die wirtschaftspolitische Ausrichtung zeigt Decker auf, wie der neoliberale Kurs der 1990er Jahre sich zu einem „Wohlfahrtschauvinismus“ in den 2000er Jahren wandelte. Darunter versteht man einen Ausbau des Sozialstaates, dieser muss jedoch vor Einwanderern und anderen „Nicht-Deutschen“ geschützt werden.

Im weiteren Verlauf sieht Decker einen Aufschwung des Populismus in Europa auch in Folge der vergangenen Krisen der EU. Von der Flüchtlingskrise über die Eurokrise sowie der Bürokratisierung und der Binnenwanderung in der EU fühlen sich die Menschen in Europa mehr und mehr fremdbestimmt und beziehen sich auf nationale Interessen. Als Konsequenz sieht Decker eine durchaus nützliche Funktion des Populismus in einer Demokratie. Dazu müssten allerdings die Protestgründe aufgenommen werden, sodass der Populismus sich selbst überflüssig macht.

Zur Folge hat der Populismus aber auch, dass die Parteien im Zentrum näher zusammenrücken müssen, sich also politisch noch mehr annähern, was wiederum den Populismus noch mehr verstärkt. Eine weitere Konsequenz ist eine Verrohung der Sprache im politischen Diskurs, welche durch die Benutzung von sozialen Medien noch verstärkt wird. Zum Abschluss nennt Decker vier Aufgabenfelder, die dazu beitragen, den Populismus einzuschränken:
  • Eine Gesellschaft auf der Basis von Chancengleichheit bilden
  • Wertepolitik verändern
  • Europäische Politik auf soziale und kulturelle Bereiche ausweiten
  • Mehr Volksnähe seitens der Politik
In seinem Beitrag informiert Samuel Salzborn über die Herausforderungen für die beschleunigte Demokratie im 21. Jahrhundert. Er geht dabei auf die Beschleunigungsprozesse durch die Digitalisierung ein und beschreibt sie folgendermaßen:
„Zeiten der Beschleunigung sind Zeiten, in denen weniger nachgedacht, abgewogen und reflektiert wird.“
Dabei wirft er auch einen Blick auf die sozialen Netzwerke wie zum Beispiel Twitter, mit welchen es unmöglich ist, Komplexität auszudrücken, da bei Twitter nur 280 Zeichen pro Tweet benutzt werden können. Somit verstärkt Twitter den Populismus automatisch. Als die größten Bedrohungen der Demokratie sieht Salzborn erstens die Entpolitisierung, zweitens spricht er von einer Essentialisierung, also der Umwandlung von sozialen und politischen Konflikten in rassistische Konflikte. Drittens ist von der Elitisierung die Rede. Dabei handelt es sich um die Ökonomisierung der Politik, was bei den Populisten den „die da oben“-Gedanken verstärkt.

Susanne Pickel und Gert Pickel kommen in ihrem Beitrag „Im postfaktischen Zeitalter?“, welchen sie mit Statistiken über die Gründe der AfD-Wahl stützen, zu dem Ergebnis, dass die Wahl der AfD vor allem aus Protest, Überforderung und der Angst vor dem Islam resultiert. Weiterhin sehen sie Anknüpfungspunkte der politischen Bildung vor den Wahlen. Unsicherheiten und Angst müssten abgebaut werden, indem es zu einem direkten Kontakt zwischen den Kulturen kommt.

Einen neuen Gesichtspunkt zeigt Dennis Spies in seinem Artikel „Wer wählt die Alternative für Deutschland?“ auf. Es handelt sich dabei um Kontextfaktoren. Sie gehen der Frage nach, warum vor allem in Regionen mit geringem Ausländeranteil die AfD einen großen Zulauf hat. Diese Kontakttheorie geht davon aus, dass sich Vorurteile abbauen, wenn die Kulturen dicht beieinander leben, während die Konflikttheorie davon ausgeht, dass es in Regionen mit hohem Ausländeranteil häufiger zu sozio-kulturellen Konflikten kommt.

Monika Oberle, Sven Ivens und Johanna Leunig analysieren in ihrem Beitrag die Interpretation des Beutelsbacher Konsens, welcher Politikdidaktiker*innen im Studium beigebracht wird. Sie kommen zu der Erkenntnis, dass der Konsens von vielen Lehrkräften missverstanden wird. Viele gehen davon aus, in jedem Falle politische Neutralität bewahren zu müssen. Außerdem glaubt jede vierte Lehrkraft, extremistische Haltung im Unterricht gleichberechtigt behandeln zu müssen. Dabei machen die Autor*innen deutlich, dass in Zukunft die Vermittlung des Beutelsbacher Konsenses im Lauf des Studiums weiterer Untersuchungsgegenstand sein wird.

Katrin Hahn-Laudenberg untersucht in ihrem Beitrag eine Studie mit Schüler*innen zum zivilen Ungehorsam. Dabei hat sie herausgefunden, dass Mädchen in geringerem Maße zivilen Ungehorsam einem Bürgerideal zuordnen. Die Studie hat auch gezeigt, dass Schüler*innen mit geringerem Bildungsniveau entgegen ihrer Annahme häufiger zivilen Ungehorsam einem Bürgerideal zurechnen.

In seinem Artikel „Populistische Muster im Staatsbürgerkundeunterricht der DDR“ untersucht May Jehle das Phänomen Populismus anhand von Videoaufzeichnungen aus dem Unterricht der DDR und arbeitet anhand dieses Beispiels Grundfragen und Vermittlungsproblematiken jeder politischen Didaktik heraus. Dabei untersucht der Beitrag die populistischen Muster im Verhältnis von Vermittlung und Aneignung.

Christian Fischer widmet sich der Konfliktlinie „offene vs. geschlossene Gesellschaft“ und fragt sich, wie Kontroversität in ihrer Bandbreite für den Politikunterricht erfasst und geordnet werden kann, wo die Grenzen der Kontroversität im Politikunterricht zu ziehen sind und welche Probleme auftreten können, wenn die Grenzen einer solchen Auslegung nicht klar definiert sind.

In einem weiteren Beitrag beschäftigt sich Stefan Müller mit normativen Herausforderungen in der Politischen Bildung. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass Normativität zu eingeschränkten pluralistischen Konzepten führt. Er sieht Theorie, Empirie und Didaktik herausgefordert, da Pluralismus nie ohne Begründung aufgeführt werden kann.

Claire Moulin-Doos schreibt über die politische Erziehung zu liberalen Werten. In ihrem Artikel kritisiert sie, dass kosmopolitische Liberale Angst davor haben, mit Populisten in einen richtigen politischen Streit zu gehen. Moulin-Doos geht davon aus, dass die Liberalen verbittert darüber sind, ihre Meinung nicht aufzwingen zu können. Weiterhin geht von ihnen ein sozialer Rassismus aus, der gegen die Unterklasse gerichtet ist. Populisten werden von ihnen als „dumm“ bezeichnet. Weiterhin merkt sie an, dass die Verteidigung des Partikularismus schnell mit Rassismus gleichgesetzt wird. Dabei wird das Thema Migration oft als ökonomische Konkurrenz angesehen, gerade bei wenig qualifizierten Arbeitern. Zum Schluss kritisiert sie, dass Antipopulisten nationalstaatliche Grenzen kritisieren, jedoch sozialräumliche Grenzen zementieren.

Sophie Schmitt möchte in ihrem Beitrag darauf hinweisen, dass Präventionsmaßnahmen gegenüber Populismus schon bei allgemeiner Menschenfeindlichkeit anfangen. Vor allem hat sie dabei die Einstellung gegenüber Langzeitarbeitslosen untersucht. Es ist ihr wichtig, Jugendliche dafür zu sensibilisieren, sich mit dem Thema Arbeit und Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen, ohne sich diffamierend zu äußern.

Die beiden Autoren Andreas Petrik und David Jahr haben sich dem Thema „rechtspopulistische Schüleräußerungen“ über ein Experiment in einer Klasse der Sekundarstufe in Sachsen-Anhalt genähert. Dabei hat sich die Gruppe zu einer Diskussion zusammengesetzt, wobei der Lehrer nur eine neutrale Funktion hat und über neutrale Fragen die Diskussion belebt. Dabei sollen Schülerinnen und Schüler lernen, ihre Wertvorstellungen konstruktiv in die Diskussion mit einzubeziehen. Es geht auch um die Anerkennung demokratischer Anteile in rechtspopulistischen Weltbildern, sowie die Möglichkeit, auf der Werteebene gegen diese Weltbilder zu argumentieren. Die beiden Autoren fassen die Lehrerstrategien wie folgt zusammen: Aktivierung der Peer-Ebene, Aufforderung zur Elaboration, Teilnahme als Expert*in, Exit-Option im Notfall.

Im folgenden Beitrag haben sich Rico Behrens und Stefan Breuer anhand eines Projektes mit dem Umgang mit Rechtsextremismus an Schulen beschäftigt. Im Vorfeld wurde ihnen deutlich, dass Lehrer*innen oft Kompetenzen fehlen, um mit rechtsextremen Schüleraussagen richtig umzugehen. Das Modellprojekt „starke Lehrer - starke Schüler“ soll deshalb Abhilfe schaffen und Lehrkräfte nachhaltig für das Thema sensibilisieren. Dabei stellen sie fest, dass Lehrer*innen sich schwer tun mit konkreten Reaktions- und Interventionsmaßnahmen. Deshalb wurde im Workshop viel Wert auf praktische Anwendungen gelegt. Im Alltag stößt man jedoch auf Herausforderungen, wie zum Beispiel die mangelnde Zeit im Unterricht oder die fehlende Unterstützung seitens der Schulleitung und dem Kollegium. Ihr eindringlicher Vorschlag ist es, solche Angebote zu intensivieren und auf längere Zeit anzulegen. Außerdem appellieren sie an die Teamarbeit im Kollegium, um in Zukunft handlungsfähiger zu sein.

Werner Friedrichs spricht in seinem Artikel über die Begegnung mit Rechtspopulismus anhand von rationaler Aufklärung. In der Einleitung macht Friedrichs deutlich, dass Rationalität in Konfrontation mit Populismus an seine Grenzen stößt. Der Begriff „Postdemokratie“ spielt ebenso eine wichtige Rolle. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Beobachtung, das Politische würde sich aus der Politik zurückziehen. Das erkennt man unter anderem daran, dass das Soziale nicht mehr so deutlich in der Politik wahrgenommen wird. Zum Schluss erklärt Friedrichs, dass politische Bildung an dem Punkt der politischen Selbstartikulation anknüpfen muss und dass nur auf diesem Weg persönliche Freiheit entstehen kann.

Inken Heldt fordert in ihrem Artikel, im Unterricht näher auf Menschenrechte und menschenrechtliche Prinzipien einzugehen. Zunächst einmal soll dabei die Menschenrechtsdebatte didaktisch aufgearbeitet werden. Es geht dabei erst einmal darum, welche Assoziationen Menschenrechte bei den Schüler*innen hervorrufen. Heldt formuliert dazu fünf Definitionskriterien:
  • Allgemeine Form von Menschenrechten
  • Bestimmung der Pflichtenträger
  • Bestimmung des Pflichteninhalts
  • Bestimmung der Quelle von Menschenrechten
  • Charakterisierung der Verletzung von Menschenrechten
Diese Kategorien unterteilt sie noch einmal in gesetzesorientierte, moralorientierte und politikorientierte Menschenrechtsbestimmungen. In einer Tabelle wendet sie ihre Kriterien auf diese drei Bestimmungen an, um so Übersichtlichkeit zu schaffen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Jugendliche Menschenrechte zwar hoch anerkennen, aber gleichzeitig auch einzelne gesellschaftliche Gruppen offen ausgrenzen. Heldt fordert als Konsequenz, lebenspraktische Erfahrungswelten von Schüler*innen mit Menschenrechten in Beziehung zu setzen.

Das Buch „Populismus und Politische Bildung“ hat meinen Horizont erweitert, da unterschiedliche Autor*innen die Thematik aus verschiedenen Perspektiven anhand von Studien behandelt haben. Einige Artikel waren dabei leichter zugänglich als andere, da sie sich einer Sprache bedienten, die besser zu verstehen war. Dabei wurde zunächst der wissenschaftliche und dann der didaktische Teil der politischen Bildung betrachtet, weshalb das Buch zu empfehlen ist, wenn man sich einen Überblick verschaffen möchte. Für die Zukunft sind solche Forschungsprojekte besonders für angehende Lehrer*innen wichtig, damit man handfeste Methoden hat, um sich mit Populismus im Unterricht auseinanderzusetzen.

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