Freitag, 7. August 2020

Chronologie: Koalition mit der FPÖ (2000)

Dies ist ein Hintergrundtext von Mareike Gebauer zu folgendem Eintrag in der Chronologie:

2000: FPÖ wird Teil der Regierungskoalition unter dem ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel

Durch die Regierungsbildung nach der Nationalratswahl 1999 wurde die bisherige Koalition aus SPÖ und ÖVP abgelöst. Dies veränderte das Gesicht der Zweiten Republik Österreichs. Beobachtern zufolge deutete vor der Nationalratswahl nichts auf eine Wende in der Regierung hin. Wie es dennoch zu einer Regierungsbeteiligung der rechtspopulistischen Partei FPÖ unter dem Parteivorsitzenden Jörg Haider kommen konnte, beschreibt der folgende Beitrag.


Die bisherigen Regierungsparteien SPÖ und ÖVP verzeichneten beide ihre schlechtesten Wahlergebnisse seit Gründung der Zweiten Republik. Dennoch ging die SPÖ mit 33,15 Prozent als stärkste Partei aus den Wahlen hervor. Für eine Alleinregierung genügten das jedoch nicht.

Bereits von 1945-1966 bildeten ÖVP und SPÖ eine Koalitionsregierung. Darauf folgte eine Periode der Alleinregierung durch die ÖVP. Von 1970-1983 bildete die SPÖ eine Alleinregierung. Im Anschluss daran bis 1986 koalierte sie mit der FPÖ. Diese Koalition wurde jedoch 1986 beendet, als Jörg Haider den Parteivorsitz der FPÖ übernahm. Danach kam es bis 1999 zu einer großen Koalition von SPÖ und ÖVP. Als großen Erfolg verzeichnet diese Koalition den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, welcher 1994 durch eine Volksabstimmung entschieden wurde. Beide Parteien litten unter dem Aufstieg der FPÖ und verloren an Wählerstimmen.

Die FPÖ erreichte ihr bisher stärkstes Wahlergebnis von 26,91% und wurde zweitstärkste Partei. Damit bestätigte sich ihr Wahlkampfvorhaben, das Arbeitermilieu als Wählerschaft zu gewinnen. Zum Ausdruck brachte dies eine Plakatserie, die das Gesellschaftskonzept der FPÖ - Zusammenhalt, Solidarität und Menschlichkeit - verdeutlichte. Jörg Haider, damaliger Klubobmann der FPÖ und Abgeordneter zum Nationalrat, ließ sich hierfür neben DEN ÖsterreicherInnen, wie beispielsweise Feuerwehrmännern, Müttern mit Kind usw. ablichten.

Der Slogan „Echte Freunde halten zusammen“ erwies seine Gültigkeit nur für einen ausgewählten Teil der Gesellschaft und verdeutlichte das Ausländer-Volksbegehren der FPÖ seit 1992. Ziel war ein Feindbilddiskurs durch eine Abgrenzung zu Migranten, Flüchtlingen etc., der zum Beispiel durch den Wahlspruch „Österreich zuerst“ und „Stopp dem Asylmissbrauch“ deutlich auf die rechtsradikale Haltung der FPÖ hinwies.

Der damalige Bundespräsident Thomas Klestil beauftragte am 04.10.1999 Victor Klima (SPÖ-Parteivorsitzender und Bundeskanzler 1997-2000), mit der Regierungsbildung. Die SPÖ schloss die Regierungsverantwortung mit der FPÖ von vornherein aus. Für sie kam lediglich die ÖVP als Koalitionspartner in Frage.

Wolfgang Schüssel, seit 1968 Berufspolitiker der ÖVP und ab 1995 ÖVP-Bundesparteiobmann, fungierte bei der Nationalratswahl 1999 als deren Spitzenkandidat und kündigte bereits vor der Wahl an, mit seiner Partei in die Opposition zu gehen – sollte diese durch die Wahlergebnisse lediglich Platz drei erreichen. Als Begründung nannte er das verbrauchte Erscheinungsbild der Koalition aus SPÖ und ÖVP, welche zu schwach für gründliche Reformen sei.

Dennoch beschloss die ÖVP, sich auf Verhandlungen mit der SPÖ einzulassen. Die Schwierigkeiten bei den Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP zogen die Regierungsbildung in die Länge. Im Januar 2000 präsentierte die FPÖ ein alternatives Regierungsprogramm. Ende Januar 2000 scheiterten SPÖ und ÖVP mit ihren zähen Regierungsverhandlungen. Bundespräsident Klestil beauftragte erneut Klima mit der Regierungsbildung und erwähnte dabei, auch eine Minderheitsregierung in Betracht zu ziehen.

Ohne Auftrag durch den Bundespräsidenten nahmen FPÖ und ÖVP Verhandlungen zur Regierungsbildung auf. Nachdem Klima erneut an einer Regierungsbildung scheiterte, gelangten FPÖ und ÖVP Ende Januar 2000 zu einer Einigung auf ein Koalitionspaket.

Trotz heftiger Kritik aus dem In- und Ausland wurde Wolfgang Schüssel mit seiner Regierungskoalition aus Schwarz-Blau am 04.02.2000 zum Bundeskanzler ernannt. Damit gelang ihm das bis dahin für unmöglich Gehaltene – die Bundeskanzlerschaft aus einer Partei auf dem dritten Platz. Thomas Klestil wollte diese Regierung nicht und zeigte deutlich seinen Widerwillen. Eine tiefe Kluft bildete sich zwischen Bundespräsident und Bundeskanzler.

Gerüchte über ein vorangegangenes Geheimabkommen der beiden Parteien wurden laut. Diese besagten, dass Schüssel absichtlich die Koalitionsverhandlungen mit Klima scheitern ließ, um danach eine Koalition mit Haider abzuschließen. Fakt ist, dass der Vorschlag zur Regierungskoalition von FPÖ und ÖVP zu einem taktisch geschickten Zeitpunkt geschah. Nach monatelangen Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP wurde die Öffentlichkeit der Sondierungsgespräche müde und Forderungen nach einer handlungsfähigen Regierung immer lauter. Wäre die Regierungsbildung aus Schwarz-Blau direkt nach dem Wahlergebnis zur Verhandlung gestanden, hätte Schüssel mit deutlich mehr Widerstand und Kritik rechnen müssen.

Für Schüssel erschien der Pakt mit Haider als kalkulierbares Risiko. Einige ließen sich von Schüssels Bekundungen überzeugen, Jörg Haider und die FPÖ mit ihrer Anti-EU- und Anti-Ausländer Politik durch die Koalition besser in Schach halten zu können. Andere allerdings nicht (vgl. Pelinka, S. 160-168). „[...] Wolfgang Schüssel wusste, dass ihm in dieser Konstellation die Kanzlerschaft wie eine reife Pflaume in den Schoß fallen musste.“ (Riedl, S. 27).

Innenpolitisch fand die Kritik an der Regierungsverantwortung Ausdruck in den sogenannten Donnerstags-Demonstrationen. Bereits am 19.02.2000 demonstrierten 150.000 Menschen auf dem Wiener Heldenmarkt und erhoben ihre Stimme gegen die FPÖ-ÖVP-Koalition. Diese Donnerstag-Demonstrationen etablierten sich als Ritual. Der Widerstand galt im Besonderen der rechtspopulistischen Partei FPÖ und deren Verhältnis zum Nationalsozialismus.

Innenpolitische Reaktionen erfolgten außerdem durch Thomas Klestil. Dieser ließ beide Koalitionspartner zu ihrem Koalitionsvertrag eine Präambel unterzeichnen. Deren Inhalte bezogen sich auf „demokratische Selbstverständlichkeiten: Bekenntnisse zum europäischen Wertekatalog von Menschen- und Bürgerrechten, zum historischen Erbe Österreichs inklusive jenem der NS-Epoche, auch eine Zustimmung zur Erweiterung und Vertiefung der EU, vom Euro bis zur Osterweiterung.“ (Pelinka, S. 82).

Zwei von Haider nominierte Ministerkandidaten, Thomas Prinzhorn und Hilmar Kabas, galten aufgrund ihrer fremdenfeindlichen Haltung als sehr umstritten. Dennoch nahm Schüssel diese auf seine Kandidatenliste. Beide wurden von Klestil gestrichen.

Die Regierungskoalition von ÖPV und FPÖ wurde auch außenpolitisch sehr kritisch beäugt. Schüssel, der als „glühender Europäer“ galt, verbündete sich mit dem größten Gegner der Europäischen Union, Jörg Haider. Dies blieb nicht ohne Konsequenzen. Auch die festgelegten Ziele der Koalitionspartner bezüglich der EU-Osterweiterung und großzügige Entschädigungen für NS-Opfer konnten diese Kritik nicht schmälern.

Staatspräsidenten sagten ihre Besuche ab, Schulen verzichteten auf den bisherigen Schüleraustausch mit Österreich, Wissenschaftler erhielten keine Einladungen zu anstehenden Konferenzen, Winterurlaube in Österreich galten als anstößig. Die Zweifel an der Regierungskoalition beeinflusste Österreich auf allen Ebenen. Ähnliche Zweifel wie die EU-14 hegten die Regierungen der USA, Kanadas und Israels (vgl. Rauchensteiner, S. 81, 463-471).

Die Regierungen der 14 anderen EU-Staaten reduzierten ihre Kontakte mit Österreich drastisch. Sie sahen ihre gemeinsamen Werte in Gefahr und gaben einen entsprechenden Bericht in Auftrag. Der so genannte Weisenbericht legte offen, dass die Regierungskoalition mit der rechtspopulistischen FPÖ wesentlich zur Salonfähigkeit fremdenfeindlichen Gedankenguts in der EU beiträgt. Ebenso verdeutlichte der Bericht den Umgang der FPÖ mit politischen Gegnern. Dieser verfolge das Ziel, politische Gegner zum Schweigen zu bringen. Dennoch wurde in dem Bericht betont, dass die österreichische Regierung an ihren Problemen in der Asylpolitik arbeite und sich in ihrer Haltung gegen Diskriminierung und Antisemitismus stelle. Daraufhin wurden die Sanktionen aufgehoben, unter der Bedingung, die Entwicklung der österreichischen Regierung weiterhin zu beobachten. Die Möglichkeit eines rechtsstaatlichen Verfahrens gegen Verletzungen der europäischen Werte wurde in Artikel 7 der Verträge von Amsterdam aufgenommen.

Jörg Haider beendete seinen Parteivorsitz im Mai 2000 und übergab ihn an Susanne Riess-Passer, die daraufhin als Vizekanzlerin amtierte. Haider betonte, dass diese Entscheidung nicht dem Druck der Öffentlichkeit geschuldet sei. Aus seiner Position als Landeshautpmann von Kärnten hatte er dennoch starken Einfluss auf die Regierungsebene und fungierte als Oppositionsstimme der eigenen Regierung (vgl. Pelinka, S. 94-104).

Das Ende der Koalition erfolgte im September 2002, als Vizekanzlerin Riess-Passer, Finanzminister Grasser und Klubobmann Westenthaler nach dem Knittelfelder FPÖ-Sonderparteitag ihren Rücktritt erklärten. Daraufhin wurden Neuwahlen für November 2002 ausgerufen. Aus dieser Nationalratswahl ging die ÖVP mit 42,30% als stimmenstärkste Partei hervor (+15,39). Die FPÖ verlor an Wählerstimmen (-16,90%) und erreichte lediglich Platz drei.

Nach langen Sondierungsgesprächen mit SPÖ und Grünen drängte Bundespräsident Klestil Wolfgang Schüssel zu einer raschen Entscheidung. Daraufhin beschloss die ÖVP Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ aufzunehmen. Am 28.02.2003 trat die Bundesregierung Schüssel II, bestehend aus einer ÖVP-FPÖ-Koalition, ihre Arbeit an. 

Tipp zum Weiterlesen
  • Pelinka, Peter: Wolfgang Schüssel. Eine politische Biografie; Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2003 
Quellen

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