Mittwoch, 19. Dezember 2018

Rezension zum Sammelband „Populismus – Gleichheit – Differenz“

Diendorfer, G.; Sandner, G.; Turek, E. (Hrsg.) (2017), Populismus – Gleichheit – Differenz. Herausforderungen für die politische Bildung, Wochenschau.

Rezension

Autorin: Vanessa Hofmaier

Das Buch „Populismus – Gleichheit – Differenz“ fasst die Inhalte der sechsten und siebten Jahrestagung der Interessengemeinschaft Politische Bildung (IGPB), welche 2015 und 2016 in Österreich stattgefunden haben, zusammen. Dabei ging es 2015 um „Populismus als Herausforderung für politische Bildung“ und 2016 um „Gleichheit und Differenz in der politischen Bildung“. Die Themen sind im Buch in Teil 1 und Teil 2 gegliedert. Dabei äußern sich verschiedene Mitglieder mit ihrem Beitrag, den sie in der Zusammenfassung als Buch veröffentlichen.

„Populismus in Westeuropa. Theoretische Einordnung und vergleichende Perspektiven“ von Frank Decker ist der Beginn des ersten Teils des Buches. Decker gibt einen Überblick über den Populismus und seine Entwicklung in Europa. Dabei teilt er die Erfolgsgeschichte der populistischen Parteien in eine Vorreiter-, Haupt- und Nachzüglerphase ein.


Als Entstehungshintergründe für die populistischen Parteien nennt Decker die Modernisierungskrisen, Statusangst, Zukunftsunsicherheit und politische Entfremdungsgefühle in der Bevölkerung. Auch die Globalisierung und ihre negativen Folgen bilden Ursachen für das Erstarken des Populismus in Europa.

Die Entstehungsursachen spiegeln sich in der Wählerstruktur der populistischen Parteien wider. Männer, junge und mittlere Altersgruppen, niedrige Bildungsabschlüsse, aber auch Angehörige des Mittelstandes und Arbeiterinnen und Arbeitslose wenden sich bei Wahlen dem Rechtspopulismus zu.

Rechtspopulismus kann mit rassistischen und extremistischen Positionen einhergehen und ist oftmals nicht klar abgegrenzt. Als Schlüsselthema zieht sich die „Identität“ durch. Der Rechtspopulismus wird von Decker in drei Typen kategorisiert:
  • Beim ersten Typus gruppiert sich die Partei meist um eine Person, die als Anführer zugleich meist auch Urheber der Partei ist.
  • Beim zweiten Typus wird die Partei von einer Unternehmerpersönlichkeit gegründet und finanziert und nach Prinzipien eines Wirtschaftsunternehmen geführt.
  • Der dritte Typus geht aus einem Netzwerk von Aktivisten aus der Gesellschaft hervor und nennt sich auch Bewegungs- oder Rahmenpartei.
Decker sieht die Parteien aufgrund ihrer Langlebigkeit nicht als Protestparteien, sondern als Sprachrohre der Unzufriedenheit, und vertritt daher die Position, dass „Populisten eine für die Demokratie potenziell nützliche Funktion“ (S. 26) erfüllen.

Kathrin Steiner-Hämmerle beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Populismus und wie man mit politischer Bildung darauf reagieren kann.
„Populismus ist aus Sicht der politischen Bildung eine Gefahr, bietet aber auch eine Chance.“
Die Parteien finden über Soziale Medien Mittel, die Jugendlichen auf direktem Wege zu erreichen. Weil sie eine einfache, verständliche Sprache verwenden, können sich Jugendliche gut mit den Parteien identifizieren. Damit erreichen sie bestimmte Bevölkerungsgruppen und überzeugen sie davon, sich für politische Themen und Fragen zu interessieren und sich mit diesen auseinanderzusetzen. Laut Steiner-Hämmerle kann Populismus sogar ein Glücksfall für politische Bildung bedeuten:
„Statt gegen Desinteresse und Apathie im Unterricht anzukämpfen, liegt die Herausforderung allerdings bei den neuen Medien sowie in der Polarisierung und Emotionalisierung der Jugend.“ (S. 30f.)
Für die politische Bildung ist Steiner-Hämmerle der Meinung, dass die Vermittlung von Medienkompetenz Grundlage des Lernprozesses im Umgang mit populistischen Parteien ist. Auch die historische Aufklärung wird in diesem Zuge mit angeführt. Für den politischen Unterricht gibt es 10 Schritte, die den Umgang mit Populismus schulen sollen, aber auch, um Jugendliche populismusresistent zu machen.

Unter anderem die Medien der Jugend nutzen, sprachlich analysieren (z.B. Wahlkampfslogans), rhetorische Tricks entlarven (Framing), Faktencheck (Quellenkritik), emotionale Themen behandeln (Betroffenheit hat langfristige Lerneffekte), die eigene Identität ausbilden (v.a. in der Pubertät), Rollentausch (Akzeptanz und Toleranz spüren) und Verantwortung für das eigene Leben und die Umwelt übernehmen. Am Ende führt Steiner-Hämmerle noch an:
„Was in der Klassengemeinschaft beginnt, endet oft im Rollenverständnis als Staatsbürgerin oder Staatsbürger in einer Demokratie.“ (S. 39)
Im letzten Kapitel des ersten Teils beschäftigt sich Siegfried Schiele mit dem Thema „Populismus, Extremismus und der Beutelsbacher Konsens – Möglichkeiten und Grenzen Politischer Bildung“. Das bekannte Tagungsprotokoll vom Beutelsbacher Konsens enthält 3 Kernpunkte und dient als Richtschnur für politische Bildung. Das Überwältigungs- bzw Indoktrinationsverbot ist der erste Grundsatz. Dabei geht es um den Schutz von jungen Mensch, die sich bei politischer Bildung eine eigene Meinung bilden sollen, ohne dabei unter Druck gesetzt zu werden oder irgendwelche Erwartung erfüllen zu müssen. Der zweite Grundsatz ist das Kontroversitätsgebot.
„Der Unterricht ist also keine Lehrveranstaltung, bei der vermittelt wird, was Sache ist, sondern Unterricht ist der Ort, bei dem die politisch-gesellschaftlichen Kontroversen aufeinanderprallen und wo die Schüler sich nach ausgiebiger Beschäftigung mit den Inhalten, die zur Debatte stehen, und mit den unterschiedlichen Ansichten zum behandelten Gegenstand eine eigene Meinung bilden können und sollen.“ (S. 41)
Der dritte Beutelsbacher Grundsatz besagt, dass Schüler im politischen Unterricht die Fähigkeiten erwerben sollen, die Voraussetzung für aktives politisches Handeln sind. Das kommt, wenn Schüler ihre eigenen Interessen erkannt haben, damit sie diese dann in Politik und Gesellschaft einbringen können. Alle drei Grundsätze bedingen sich wechselseitig. Laut Schiele kann man aber darauf vertrauen, dass man erfolgreichen politischen Unterricht führt, wenn man die Grundsätze befolgt. Außerdem sieht er in den Prinzipien von Beutelsbach eine gute Prävention gegen populistische Einstellungen bei Jugendlichen. Potenziale der politischen Bildung in allen Bereichen sind da, aber werden noch zu wenig genutzt.

Im zweiten Teil setzt sich Klaus-Peter Hufer mit Stammtischparolen und rechtspopulistischen Sprüchen auseinander und analysiert diese. „Stammtischparolen: dagegenhalten, aber wie?“ Zuerst definiert Hufer:
„Die Stammtischparole ist eine Metapher, in Chiffre, ein Stellvertreterbegriff für eindeutige weltanschauliche, vorzugsweise politische Botschaften, für platte Sprüche und für aggressive Rechthabereien“.
Sie richten sich mit harten Urteilen gegen Menschen anderer Herkunft, Hautfarbe, Lebensart, Religion oder sozialer Situation. Rechtspopulistische Sprüche sind Mutmacher und Wutmacher und stehen deshalb in einem Zwiespalt. Sie werden geäußert, um sich selbst Mut zu machen, und lösen dabei bei anderen Wut aus.

Hufer sieht den Rechtspopulismus als Vor- und Umfeld des Rechtsextremismus. Bei Rechtsextremismus ist eine Auseinandersetzung mit Vorurteilen dringend notwendig. Laut Hufer sind die Vorurteile ein Punkt, an dem man zur Bekämpfung ansetzen kann, da Vorurteile immer erlernt sein müssen und nie von Geburt da sind, und somit auch wieder verlernt werden können, wenn man sich unmittelbar mit den Stammtischparolen auseinandersetzt. Sie werden also durch neue, andere soziale Begegnungen irritiert.

Mit der neuen Forschungsperspektive „Inclusive Citizenship Education“ setzen sich Dirk Lange und Malte Kleinschmidt auseinander. In ihrem Beitrag erläutern Sie zuerst die verschiedenen Konzepte und Zusammenhänge von Migration und politischer Bildung. Dazu gehören die Ausländerpädagogik, der multikulturelle Ansatz, die interkulturelle Bildung und die antirassistische Bildung.

Später führen Sie Inclusive Citizenship Education als neue Forschungsperspektive in der migrationspolitischen Bildung an. Kern des Projektes ist es, Menschen durch Bildungsprozesse zur aktiven Teilnahme an der Politik und Gesellschaft zu befähigen. Außerdem steht der subjektive Umgang mit Diversität und Exklusionsmechanismen im Mittelpunkt. Es werden Rassismus, Migrationsgesellschaft, Gender (Un-)Gerechtigkeit, Umgang mit Behinderten und die Verhandlung von Armut früher und heute untersucht. Daraus ergeben sich die Spannungsfelder Ressourcen und Teilhabe, Normalisierung und Diversität und Macht und Partizipation, die von den Autoren erklärt werden.

Um „Politische Bildung und Konzepte differenzierter Gleichheit“ geht es in Hakan Gürses Beitrag. Seiner Meinung nach geht die Gesellschaft mit der Differenz nicht sehr positiv um. Dabei geht es einerseits um das Ignorieren der Andersartigkeit und andererseits um das absolute Fokussieren auf Andersartigkeit. Auch Gleichheit ist ein zentraler Begriff in der politischen Bildung. Im ersten Fall geht es um eine Einebnung und Ausblendung von Differenzen zugunsten der Gleichheit, im zweiten Fall um eine Fixierung von Differenzen. Die erste Position pocht auf formale Gleichheit und wird als Universalismus bezeichnet. Die zweite Position legt ihren Fokus auf Differenz und wird als Relativismus bezeichnet.

Gürses spricht über den Gleichheit-Differenz-Nexus, eine Verflechtung von Gleichheit und Differenz. Der Gleichheitsansatz charakterisiert die Suche nach Möglichkeiten, sich in die Norm zu integrieren, während der Differenzansatz davon ausgeht, dass eine Integration in die bestehende Norm nicht möglich oder nur sehr schwierig ist. Da Differenzen unverzichtbar sind, gibt es drei Fehler auf welche Gürses aufmerksam macht. Differenzen verabsolutieren, Differenzen ignorieren und Differenzen miteinander verwechseln. Die beiden Punkte Gleichheit und Differenz befinden sich in einem Spannungsfeld, das bisher nicht miteinander vereinbar war. Mit differenzierter Gleichheit werden beide Punkte zusammengeführt. Gleichheit basiert dann auf Differenz.

Im letzten Kapitel des zweiten Teils schreibt Susanne Binder über „Differenz im Klassenzimmer: Aktuelle Herausforderungen im schulischen Bereich durch Flucht und Migration“. Eingeleitet mit einem Fallbeispiel eines Migrationskindes erklärt Binder die Bereiche, die Lehrpersonen im Unterricht als herausfordernd bezeichnen könnten. Das sind der Umgang mit der Mehrsprachigkeit (geringe Deutschkenntnisse von Schülern), der Umgang mit kultureller Vielfalt (interkulturelle Konflikte) und systembedingte Probleme, die nicht beeinflusst werden können (Ressourcenmangel, z.B: Materialien in der Schule). Zusätzliche Belastungen können Traumatisierung oder bisherige Schulerfahrungen sein.

Sobald Schüler merken, dass sie anders sind, findet eine automatische Grenzziehung statt. Eine Folge von Ausgrenzung kann Rückzug und minderes Selbstwertgefühl sein. Lehrer nehmen dies oft als interkulturelle Konflikte war. „Interkulturelles Mentoring für Schulen“ ist eine Methode, um gut mit Differenzen im Klassenzimmer umgehen zu können. Studierende mit Migrationshintergrund besuchen Schulklassen, um Migrationskinder zu unterstützen. Sie dienen als Ansprechpartner für Lehrer und Schüler, und durch ihre eigene Erfahrung sind sie oftmals auch eine Bezugsperson für Kinder.
„Die Erfolgserlebnisse und die zusätzliche Aufmerksamkeit stärken das Selbstwertgefühl einzelner Kinder und fördern somit auch deren Position im Klassenverband.“
Insgesamt liefert das Buch der Schriftenreihe der Interessengemeinschaft Politische Bildung einen guten Überblick über die aktuell diskutierten Ansätze Politischer Bildung im Umgang mit Populismus und dem Spannungsverhältnis von Gleichheit und Differenz. Die Ausrichtungen der einzelnen Beiträge sind sehr unterschiedlich und eignen sich sehr gut dafür, sich einen Überblick über die Themen Populismus, Migration, Gleichheit und Differenz zu verschaffen.

Decker ist es im ersten Beitrag des Buches sehr gut gelungen, einen Überblick über die verschiedenen Parteien mit ihrer Geschichte, ihrem Werdegang und ihrer inneren und äußeren Organisation zu geben und Prinzipien und Themen des Rechtspopulismus aufzudecken. Er ist auf Ursachen und Entstehungsgründe eingegangen und hat diese ausführlich erläutert.

Hämmerle und Schiele schließen mit ihren Kapitel sehr gut an und führen die Probleme politischer Bildung sehr verständlich und kurz gefasst auf. Bei Hämmerle wird dabei auf die Wählerschaft eingegangen. Der Stufenplan für Populismusresistenz, den die beiden vorstellen, ist sehr einfach dargestellt und kann so direkt für die eigene politische Bildung übernommen werden.

Teil 1 des Tagungsbandes - "Populismus als Herausforderung für die politische Bildung" eignet sich gut zum Lesen, wenn man sich mit politischer Bildung beschäftigt oder in diesem Bereich tätig ist. Es finden sich viele praxisnahe Anregungen zur direkten Umsetzung darin. Außerdem wird dem Leser ein Überblick über alle europäischen Populismussituationen gegeben.

Der 2. Teil des Buches beschäftigt sich mit Gleichheit und Differenz und basiert daher mehr auf theoretisch-orientierten Aspekten. So auch bei Hufer, welcher über Stammtischparolen, deren Herkunft, Verbreitung und Bekämpfung spricht. Er erreicht den Leser mehr über eine emotionale Ebene. Die hält er auch für notwendig, um Populismus- und Stammtischparolenresitenz zu entwickeln.

Über die Methode der Inclusive Citizenship Education schreiben Lange und Kleinschmidt ein für den unerfahrenen Leser anspruchsvolles Kapitel. Sehr tiefgründig werden Konzepte von Migration und Bildung beschrieben, Studien erläutert und neue Forschungsperspektiven vorgestellt. Ein sehr schwieriges Kapitel, das für den Leser aufgrund vieler Fachwörter und auch der Länge des Artikels nicht leicht zu lesen ist.

Auch Gürses Kapitel zum Thema differenzierter Gleichheit ist ein sehr langes Kapitel, das viele Theorien und politische Ansätze behandelt. Das Thema Differenz und Gleichheit im Spannungsfeld wird in seinem Artikel sehr ausgiebig erläutert und mit vielen Definitionen erklärt. Allerdings hat es auch einen praxisorientierteren Teil mit vielen Perspektiven zum Thema Umgang mit Differenzen.

Im letzten Kapitel des 2. Teils schreibt Binder über Differenz im Klassenzimmer. Dieses Kapitel ist sehr gut verständlich, da es anhand eines Fallbeispiels, welches sich wie ein roter Faden durch den Beitrag zieht, aufgezogen ist. Sie beschreibt sehr praxisnah, welche Herausforderungen in der politischen Bildung liegen. Sollte der Leser im Bereich der politischen Bildung tätig sein, wird er sich möglicherweise in der einen oder anderen Situation wiedererkennen und dort auch Tipps finden können.

Zum Schluss kann man sagen, dass das Buch „Populismus – Gleichheit – Differenz“ ein sehr anschauliches Buch ist, welches einen guten Überblick gibt. Durch die breite Fächerung regt es den Leser zur weiteren Lektüre in einzelnen Bereichen an. Aufgrund der Abwechslung von theoretischen und praxisorientierten Beiträgen im Buch fällt es dem Leser leichter, sich das Wissen anzueignen und auch zu behalten. Vor allem Akteure im Bereich der politischen Bildung finden viele Anregungen, wie sie mit bestimmten Situationen und Schwierigkeiten im Bezug auf Populismus und Differenz umgehen können. Auch die präventive Arbeit, um genau diese Probleme zu vermeiden, wird angesprochen. Für alle, die sich auch sonst gerne mit Populismus oder der politischen Bildung beschäftigen, ist es ein gelungenes Buch, das ich weiterempfehlen kann.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen