Freitag, 21. Dezember 2018

Rezension zu Everhard Holtmann: Völkische Feindbilder

Holtmann, Everhard (2018), Völkische Feindbilder. Ursprünge und Erscheinungsformen des Rechtspopulismus in Deutschland, bpb Bonn (Online-Version).

Rezension

Autorin: Tina Kieber

Das Buch beschäftigt sich mit drei zentralen Fragen:
  1. Welche geistigen Vorläufer hat der Rechtspopulismus in Deutschland?
  2. Wie erklärt es sich, dass Rechtspopulismus ein Teil des parlamentarischen Systems von Deutschland werden konnte?
  3. Was sind gesellschaftliche Ursachen für den Aufstieg des Rechtspopulismus in Deutschland?
Bevor Holtmann diesen Fragen nachgeht, definiert er den Begriff „Rechtspopulismus“, indem er wichtige Merkmale des Rechtspopulismus aufzählt. Als wichtigstes Merkmal des Rechtspopulismus nennt Everhard Holtmann die Spaltung eines Landes in Eliten und einfaches Volk, wobei Rechtspopulisten der Meinung sind, dass sie das „wahre Volk“ vertreten, somit also antipluralistisch sind und eine Alternative zum „Versagen der herrschenden Politik“ anbieten. Laut Holtmann begreifen Rechtspopulisten Politik also als „Freund-Feind-Verhältnis“ (S. 10).

Laut Holtmann sorgt Rechtspopulismus für Abgrenzung. Als Beispiel hierfür nennt er die Abschottung eines Landes von anderen Kulturen. Rechtspopulisten werden von Holtmann außerdem als sozialchauvinistisch bezeichnet, da für sie das eigene Volk an erster Stelle steht. Für Holtmann ist Rechtspopulismus „antimodern und ökonomisch rückwärtsgewandt“ (S. 10).

Als letztes Merkmal des Rechtspopulismus wird das sogenannte „Opferpathos“ (S. 13) genannt: Rechtspopulisten stellen sich immer als Opfer dar, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Sie arbeiten mit Emotionalisierung und Bedrohungen.

Am Ende seiner Definition von Rechtspopulismus betont der Autor nochmals die für ihn wichtigsten Merkmale:
  1. Eine homogene Vorstellung vom Volk
  2. Eine Rückbesinnung auf den Vorrang des „eigenen Volkes“
  3. Eine Vorliebe für plebiszitäre politische Partizipation
  4. Eine politische Kriegserklärung an die etablierten Machteliten (vgl. S. 14)
Im Folgenden erörtert Everhard Holtmann die Herkunft des Rechtspopulismus in Deutschland, wobei er sich auf einige historische Beispiele konzentriert. Er beginnt mit dem deutschen Kaiserreich. Im Zuge der Reichsgründung im Januar 1871, die einen hohen symbolischen Wert hatte, kam es im Kaiserreich zu nationaler Identifikation, völkisches Denken wurde verstärkt. Allerdings fehlte dem völkischen Denken im Kaiserreich ein wichtiges Merkmal: Damals war niemand anti-elitär. Dieses Merkmal bildete sich in der Weimarer Republik heraus. Die Mittelschicht fühlte sich zur Weimarer Zeit bedroht, da sie keinen hohen ökonomischen oder finanziellen Status hatte, während die alten Eliten finanziell sehr stark waren. Daraufhin kam es in den bürgerlichen Schichten zur Opposition gegen das Weimarer System und seine Politiker. Die Weimarer Republik war geprägt vom Freund-Feind-Schema.

Dies machte die Bürger sehr viel empfänglicher für die Ideologie des Nationalsozialismus. Hitler profitierte von der aufgeheizten Stimmung und nutzte ein weiteres Merkmal des Rechtspopulismus, die Emotionalisierung, geschickt für sich und seine Partei. Seine Volksgemeinschafts-Ideologie schaffte ein deutsch-völkisches Nationalbewusstsein, man wendete sich aggressiv gegen „Volksfeinde“ und andere Bedrohungen. Das hier zustande gekommene Krisen-Reaktions-Muster (die Zuwendung der Bevölkerung zum Nationalsozialismus wegen sozialen und ökonomischen Bedrohungen) hatte, wie allgemein bekannt ist, verheerende Folgen und endete in einer Katastrophe.

Ab 1945, nach dem Ende des Nationalsozialismus, wurde Rechtspopulismus im Zuge der Aufarbeitung komplett unbedeutend. Nationalistisch-völkisches Denken wurde ersetzt durch Demokratieverständnis. In den 1960er-Jahren kam es aufgrund von ökonomischen Bedrohungen zu einem kurzen erneuten Aufleben der Rechtspopulisten: Die rechtsextreme Partei NPD hatte Wahlerfolge, wieder zeigte sich das aus der Vergangenheit bekannte Krisen-Reaktions-Muster.

Der im Zuge der Wiedervereinigung oft geäußerte Spruch „Wir sind das Volk“ hatte keinen völkischen Kern. Vielmehr führte die Wiedervereinigung laut Holtmann zu einem positiven Nationalbewusstsein. Erste Anzeichen eines erneuten Krisen-Reaktions-Musters zeigten sich in den 1990er-Jahren, als sich trotz Wiedervereinigung die Lebenssituation in Ostdeutschland nicht verbesserte.

Im folgenden Teil des Werkes nimmt Holtmann Stellung zur „Neuen Rechten“, zum Rechtspopulismus im heutigen Deutschland. Heutzutage gibt es laut Holtmann einen „rechtspopulistischen Dreibund“ (S. 66). Dieser Dreibund besteht aus der Neuen Rechten - den intellektuellen Vordenkern des Rechtspopulismus - sowie der AfD als Protestpartei und Pegida als Empörung der Straße. Der gemeinsame Nenner dieses Dreibundes ist das Volk.

Heutige Ursachen des Erstarkens des Rechtspopulismus sind vor allem die Sorge vor den Folgen ungebremster Zuwanderung, eine durch Terroranschläge zunehmende Islamophobie, der Vertrauensverlust in etablierte Parteien und Politiker sowie Zukunftspessimismus. Diese zunehmende Verunsicherung, das Gefühl von politischer Machtlosigkeit und das Krisenbewusstsein führen erneut zum rechtspopulistischen Krisen-Reaktions-Muster. Es kommt zur „schleichenden Demontage des Demokratiebewusstseins“ (S. 75), die Menschen finden zunehmend Gefallen am Rechtspopulismus. Davon profitieren vor allem Parteien wie die AfD.

Als nächstes beschäftigt sich der Autor mit der Ideologie und Programmatik der heutigen Vertreter des Rechtspopulismus. Hierbei beginnt er mit der AfD, fährt fort mit der Identitären Bewegung und beendet seine Zusammenfassung über die Ideologie des heutigen Rechtspopulismus mit Pegida.

Laut Holtmann ist die AfD „der parteiförmige Kristallisationskern des gegenwärtigen Rechtspopulismus in Deutschland“ (S. 80). Die „Alternative für Deutschland“ wurde 2013 von marktwirtschaftlichen Ökonomen als Anti-Euro-Partei gegründet, hatte aber von Anfang an auch eine nationalkonservative und populistische Strömung. 2015 setzte sich beim Richtungsstreit der rechte Flügel um die ostdeutschen Landesverbände durch und somit wandelte sich die AfD von einer rationalen zu einer rechtspopulistischen Protestpartei. Die Themen „Zuwanderung“ und „Flüchtlinge“ wurden zum neuen Markenkern der Partei.

Laut Holtmann ist das Unsicherheitsgefühl, das die AfD verbreitet, der psychologische Hintergrund für den Parteiaufstieg. Im Parteiprogramm der AfD werden nämlich zahlreiche Bedrohungen aufgelistet. Außerdem ist die AfD radikal antiliberalistisch mit völkisch-nationalem Grundton (vgl. S. 84). Sie wendet sich gegen die herrschende politische Elite, bevorzugt direkte Demokratie, legt großen Wert auf Selbsterhaltung und deutsche Interessen und ruft generell zur Gefahrenabwehr auf. Holtmann zeigt außerdem auf, dass die AfD immer weiter rechts(extrem) wird.

Als nächstes nimmt der Autor die Identitäre Bewegung genauer unter die Lupe. Die IB existiert seit 2012 und ist eine rechtsextreme Organisation, die sich offen gegen Multikulturalismus und Migration ausspricht. Anfangs gab es die Identitäre Bewegung nur im Internet, schon bald erregte sie öffentliche Aufmerksamkeit. Sie fordert, dass Kulturen untereinander bleiben sollen und nutzt Einwanderer als „Schreckensbild“ (S. 94).

Die letzte rechtspopulistische Bewegung, zu der Holtmann Stellung bezieht, ist Pegida. Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) entstand im Oktober 2014 und mobilisierte in kürzester Zeit Tausende Menschen. Als Ursache für die große Aufmerksamkeit, die Pegida erregte, nennt Holtmann die Tatsache, dass „politisch völlig ungeübte und unbekannte Personen mit kleinbürgerlichem Hintergrund kometenhaft zu Volkstribunen eines empörten Volksempfindens aufstiegen“ (S. 97). Pegida ist also eine rechtspopulistische Empörungsbewegung, die sich immer weiter nach rechts entwickelt.

Nach der Beschäftigung mit der Ideologie und Programmatik des heutigen Rechtspopulismus vergleicht der Autor die NSDAP mit der AfD, um Parallelen und Unterschiede aufzuzeigen. Anders als die NSDAP zeigt sich die AfD zwar rechtspopulistisch, grenzt sich aber offiziell vom Rechtsextremismus ab. Trotzdem gibt es erschreckende Parallelen zwischen den Parteien: Wie damals schon die NSDAP konzentriert sich auch die AfD auf die deutsche Wirtschaft und setzt hierbei auf Abschottung. Auch haben beide Parteien ähnliche gesellschaftspolitische Positionen, was Themen wie Ehe, Familie und Abtreibung anbelangt. Weitere Gemeinsamkeiten sieht Holtmann im Wahlverhalten. Beide Parteien mobilisieren Nichtwähler und haben großen Zuspruch bei „sich ausgeliefert fühlenden Durchschnittsverdienern“ (S. 106).

Das Krisen-Reaktions-Muster, das sich damals bei der NSDAP zeigte, ist auch heutzutage bei der AfD erkennbar. Für beide Parteien gilt: Wer existentielle Angst und Bedrohung verspürt, neigt zur Protestwahl.

Holtmann schließt sein Buch mit einem Zukunftsausblick ab. Er stellt sich die Frage, ob Rechtspopulismus in Deutschland eine Erscheinung von Dauer sein wird. Diese Frage versucht er zu beantworten, indem er die Langlebigkeit der AfD erörtert.

Die AfD hat aufgrund des Ost-West-Gefälles mehr Zuspruch im Osten, doch auch im Westen wächst der AfD-Zuspruch aufgrund des Krisen-Reaktions-Musters. Die AfD ist aktuell erfolgreich, da sie mit dem Thema „Flüchtlinge“ ein „Angst- bzw. Empörungsthema“ (S. 110) gefunden hat, welches die Bürger mobilisiert und auf das sie emotional reagieren. Solange die von der AfD behandelten Themen und Bedrohungen als relevant angesehen werden, wird die Partei laut Holtmann wohl weiterhin über der Fünf-Prozent-Schwelle bleiben. Außerdem wirkt sich die größer werdende Differenz zwischen aktuell herrschender Politik und der Bevölkerung positiv auf den Erfolg der AfD aus.

Ob die Partei dauerhaft überleben kann, hängt laut dem Autor aber auch davon ab, ob sie sich von einer Protestpartei zu einer Partei mit seriöser parlamentarischer Arbeit wandeln kann. Dass die AfD permanent für schlechte Schlagzeilen sorgt und sich immer weniger von der extremen Rechten abgrenzt, wirkt sich laut Holtmann negativ auf die Attraktivität bei den WählerInnen aus.

Außerdem fehlen der AfD konkrete innenpolitische Lösungsvorschläge und -pläne. Holtmann ist der Meinung, dass die Konzentration auf Protestthemen auf lange Sicht nicht reichen wird, um die Partei dauerhaft zu etablieren. Denn aktuell wird die AfD nicht aufgrund ihrer Lösungskompetenz gewählt, sondern meistens aus Protest. Abschließend schreibt Holtmann:
„Erfolgreich wird im demokratischen Wettbewerb künftig derjenige Anbieter sein, der neben dem klaren Eintreten für den Erhalt der Demokratie auch ein klares Profil in der Sicherheits- und Beschäftigungspolitik aufweist“ (S. 116).
„Völkische Feindbilder“ ist ein sehr informatives und anschauliches Buch. Mir hat sehr gut gefallen, dass Holtmann nicht nur die aktuelle Situation beschreibt, sondern auch auf die Geschichte des Rechtspopulismus eingeht und einen Zukunftsausblick gibt. Das Buch eignet sich sehr gut als Einstiegslektüre in das Thema des Rechtspopulismus, da sämtliche Merkmale und Erscheinungsformen des Rechtspopulismus definiert und aufgegriffen werden. Holtmann verwendet außerdem Schaubilder und Tabellen, was das Geschriebene veranschaulicht.

Everhard Holtmann verwendet außerdem relativ leicht verständliche Sprache, was bewirkt, dass sich das Buch flüssig lesen lässt. Es gelingt Holtmann, auf nur 116 Seiten das Thema Rechtspopulismus in verständlicher Sprache von verschiedenen Seiten zu beleuchten und sowohl seine eigene Meinung als auch aktuelle Erkenntnisse zum Thema zu nennen. Da das Buch außerdem erst dieses Jahr erschienen ist, ist es sicherlich eines der aktuellsten Werke zum Thema Rechtspopulismus.

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