Sonntag, 23. September 2018

Der Nationalkatholizismus und die PiS – eine Gefahr für die Demokratie in Polen?

Aufstieg der PiS – Recht und Gerechtigkeit

Eine skurrile Premiere auf politischem Terrain: Im Jahr 2001 gründen die Brüder Lech und Jaroslaw Kaczynski, zwei eineiige Zwillinge, die Partei Prawo i Sprawieliwosc kurz PiS (Recht und Gerechtigkeit) in Polen, mit der sie schon vier Jahre später die Parlamentswahlen für sich entscheiden. Mit Lech Kaczynskis Sieg bei der Präsidentschaftswahl einen Monate später ist den Brüdern ein kurioser Rekord geglückt, sie sind die ersten Zwillinge, die gemeinsam die Führung eines Landes übernehmen.

Will man verstehen, wie es dazu kommen konnte, ist ein Blick in die Vergangenheit Polens nötig. Seit dem Fall des Kommunismus 1989 ist Polen in einem dynamischen politischen und gesellschaftlichen Wandel begriffen, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beeinflusste und in den Ländern des westlichen Europas Jahrzehnte gedauert hatte. Der Schritt hin zu einem kapitalistischen Polen spaltete die Gesellschaft. Einige konnten sich bereichern, doch ein Großteil der polnischen Bevölkerung sah sich als Verlierer dieser wirtschaftlichen Entwicklung und fühlte sich ausgestoßen und allein gelassen. Das Land hatte sich in zwei Lager geteilt, die sich unversöhnlich gegenüberstanden, was den Nährboden für den Populismus im heutigen Polen bildet (vgl. Hillebrand 2017, S.70-72).

An diesem Punkt setzten die Kaczynski Brüder 2005 mit ihrer Partei PiS an und fungierten als Sammelbecken für alle Polen, die sich im Stich gelassen fühlten. Die PiS versprach den Menschen, „die zügellos wütende Demokratie zu zähmen“ (Hillebrand 2017, S.71) und die Verlierer des polnischen Kapitalismus vor der gierigen Elite zu schützen. Die Kaczynski-Partei beruft sich damals wie heute auf Verschwörungstheorien und baut ihre Ideologie darauf auf, dass die Fehlentwicklung in Polen auf Machenschaften von Verrätern zurückzuführen sei. Die Polen seien ihrer Meinung nach immer noch nicht Herren über ihr eigenes Land (vgl. Hillebrand 2017, S.73).


Nach dem Sieg bei den Parlamentswahlen und mit Lech Kaczynski als Präsidenten befand sich die Partei auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Es folgte eine zweijährige Regierungszeit, in der die PiS viele Bande zu teils extremen Partnern knüpfte. So umgaben sich die Kaczynski-Brüder immer mehr mit anderen radikalen, nationalistischen und fremdenfeindlichen Parteien innerhalb des Parlaments. Abgesehen von ihren politischen Verbündeten knüpfte die PiS auch Bande mit dem katholischen Fundamentalisten und Nationalisten Tadeusz Rydzyk, der nicht zuletzt durch seinen Radiosender Radio Maryja bis heute mehr als eine Million Zuhörer verbuchen kann.

Sowohl die PiS als auch ihre Verbündeten befürchteten durch die EU-Mitgliedschaft Polens einen Verlust der national-katholischen Werte und dadurch einen Verfall des kirchlichen Fundaments von Autorität, das aus ihrer Sicht auschlaggebend für die Identitätsfindung der Polen sei. Sie fürchteten sich außerdem vor einer Liberalisierung durch den Einfluss der EU und einer Wende hin zum Pluralismus und einer moralischen Vielfalt, die mit dem Nationalismus und Katholizismus der Partei nicht vereinbar wären. Durch einen Versuch der PiS, die radikal-populistische Samoobrona zu schlucken, zerbrach die bestehende Koalition und machte den Weg für einen Machtwechsel frei (vgl. ebd. S.73-74).

Die PiS blieb trotz allem stärkste Oppositionspartei und verankerte ihre politische Identität nun vollständig in einer national-katholischen Ideologie, die den Nationalstaat als Bewahrer von Moral und Normen sieht. Als am 10. April 2010 bei einem Flugzeugabsturz Lech Kaczynski ums Leben kommt, instrumentalisiert sein Bruder Jaroslaw diesen Unfall und behauptet, der Absturz wäre einem Anschlag der Russen, unter Beihilfe der neuen Regierung Polens, geschuldet. Dadurch verschafft er seinem Bruder die Rolle eines Märtyrers, wodurch es ihm gelingt, die PiS-Wählerschaft zu einen und die Smolensk-Bewegung aufzubauen (vgl. ebd. S.74-75).

Im Jahr 2015 gewann zuerst Andrzej Duda die Präsidentschaftswahlen, anschließend erreichte dann die PiS bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit. Wie in vielen anderen europäischen Ländern nutzte die nationalistisch-populistische PiS den Zuwachs von Flüchtlingen in Europa, um Xenophobie zu verbreiten und Angst vor Terrorismus zu sähen. Sie inszenierten sich als die einzig wahren Retter und Bewahrer der Sicherheit im Land (vgl. ebd 75).

Seit ihrem Wahlsieg hat die Partei es geschafft, die polnische Bevölkerung durch ihre umstrittenen Handlungen zu spalten. Sie erfahren von einem Großteil der Bevölkerung Zustimmung auch für ihre xenophobe Politik und haben seit ihrem Wahlsieg auch schon einige Wahlversprechen eingelöst. Trotzdem haben sie die Verfassung nun schon mehrfach verletzt, was vielen Polen aufstößt. Hillebrand schreibt hierzu, dass die PiS die Verfassung verletzt habe, „indem sie demokratische Institutionen abgebaut und die Kontrolle über die Justiz, einschließlich des Verfassungsgerichts, übernommen hat“ (Hillebrand 2017, S.77).

Weiter meint er: „Sie hat die staatlichen Medien gleichgeschaltet und begonnen, in der Kulturpolitik Zensurverordnungen zu erlassen“ (ebd.). Die PiS versucht, die Gesellschaft durch eine national-katholische Ideologie zu disziplinieren und in ihrem Sinne zu formieren und erhält dabei Unterstützung von großen Teilen der katholischen Kirche, die sich in der Pflicht sieht, als moralische Autorität zu fungieren und ihre Moralvorstellungen durchzusetzen (vgl. Hillebrand 2017, S.77-78).

Der Einfluss der katholischen Kirche auf den Staat

In keinem anderen europäischen Land hat die Kirche eine derartige Macht über die Politik wie in Polen. Über 90 Prozent der Bevölkerung gehören der katholischen Kirche an und die meisten Polen sind der Meinung, dass ihr Glaube und ihr Land eng miteinander verbunden sind. In der Zeit der kommunistischen Herrschaft Polens fungierte die römisch-katholische Kirche als Gegenstimme zum bestehenden Regime und bot den Menschen eine nationale Identität (vgl. Kellermann).

Seitdem die PiS 2015 die absolute Mehrheit im Parlament innehat, gelingt es dem national-fundamentalistischen Flügel des Klerus optimal, seine Moralvorstellungen in die politische Entscheidungsfindung einzubringen. Von dieser Verbindung profitiert sowohl die Kirche als auch die derzeitige Regierung. Die katholische Kirche nutzt vor allem in ländlichen Regionen ihre Medien, um mittels ihrer Autorität für die rechtspopulistische Partei zu werben.

Hinzu kommt, dass der Staat in Polen keinen Einfluss darauf hat, welche Inhalte im Religionsunterricht an Schulen behandelt werden. Obwohl der Religionslehrer komplett vom Staat bezahlt wird, entscheidet der katholische Lehrer, welche Themen er behandelt. Im Gegenzug dazu gewährt die PiS der katholischen Kirche, nun da sie an der Macht ist, staatliche Privilegien, auf die sie angewiesen ist, da auch sie selbst im katholisch geprägten Polen von der sinkenden Kirchenbindung betroffen ist.

Die katholische Kirche sprach schon seit der Demokratisierung vermehrt Wahlempfehlungen aus, was im Wahlkampf 2015 seinen Höhepunkt fand: Andrzey Duda, Präsidentschaftskandidat der PiS, besuchte Messen, um Wahlkampf zu betreiben, und wurde im katholischen Wochenblatt „Niedzila“ offen beworben (vgl. Hennig 2016).

Auf anderem Wege kam die PiS der Kirche schon entgegen: Die Regierung schränkte den Verkauf von Ackerland massiv ein, sodass von nun an einerseits nur noch regionale Bauern Land kaufen dürfen, andererseits die katholische Kirche aber weiterhin uneingeschränkt mit Grund handeln darf. Sie baut damit ihren Sonderstatus weiter aus, denn die Kirche ist nach dem Staat die Institution, die am zweitmeisten Immobilien in ganz Polen in ihrem Besitz hat (vgl. Kellermann).

Pater Tadeusz Rydzyk – Medienmogul und Ideologe

Ein Beispiel für den extremen Einfluss einzelner Kirchenfunktionäre ist Pater Tadeusz Rydzyk, Begründer der „Thorner Fraktion“ und Direktor der Rundfunkanstalt „Radio Maryja“ sowie der TV-Stadion „Trwam“. Er ist ein Sinnbild dafür, wie die katholische Kirche ihre reaktionär-nationalistischen Ansichten auf moralisch-politische Fragen verbreitet und durchsetzt. Er ist nicht nur ein Medienmogul, der seine Meinung über seine Rundfunkkanäle verbreitet, er leitet außerdem eine Journalistenschule, die vor allem das Interesse von jungen Polen weckt und sie in seinen Bann zieht (vgl. Hennig 2016).

Ireneusz Krzeminski sieht Pater Rydzyk in der entscheidenden Rolle des Ideologen der neuen Regierung. Als Grundlage sieht er dabei die nationaldemokratische Ideologie in der Tradition Polens, die von Rydzyk modifiziert wurde. Der nationale Diskurs steht hierbei über allen anderen Diskursen. Der gute Ruf der Nation und der Nationalstaat stehen über den individuellen Freiheiten der Bürger, die Diskussionsfreiheit kann also eingeschränkt werden, wenn die Kritik sich gegen die Nation richtet.

Ein guter Pole bejaht demnach seine Nation und übt keine interne Kritik. Minderheiten fallen dabei unter den Tisch. Volle Bürgerrechte soll nur derjenige erhalten, der sich vollständig assimiliert hat, was in Bezug auf die Nation Polen bedeutet, dass er sich zum Katholizismus bekennen muss. Aus Sicht dieser Ideologie ist der Liberalismus der Untergang der Nation. Wenn der Staat nicht regulierend in die Rechte und Freiheiten der Bürger eingreift, geht die Ordnung verloren.

Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass in Tadeusz Rydzyks modifizierter Ideologie die Notwendigkeit besteht, dass eine Nationalpartei regierungsbildend ist, die sich auf die Autorität der Kirche stützt (vgl. Krzemiński 2017).

Kein Anderer steht so für die Vermischung von Politik und Religion wie Pater Tadeusz Rydzyk. Er inszeniert sich als die Stimme der Kirche, die durch seine Dominanz in der Medienlandschaft in jedem Haus Gehör findet. Er sakralisiert die Politik und politisiert den Glauben ohne Rücksicht auf Verluste. Entweder hetzt er selbst gegen die angeblichen Feinde, die Kommunisten, Linken, die EU oder die Liberalen, welche seiner Meinung nach die polnische Identität gefährden. Oder er lässt einem Politiker der PiS den Vortritt, der dann auf Fernsehgeräten in ganz Polen die Vorgängerregierung als Verräter deklariert und Angst vor der Islamisierung des Landes und drohenden Terroranschlägen schürt (vgl. ebd.).

Fakt ist: Rydzyk hat durch seine enorme mediale Reichweite einen hohen Einfluss auf die katholischen Familien im ganzen Land und genießt hohes Ansehen bei vielen Bischöfen und konservativen Politikern. Warum also sollten die Menschen nicht glauben, er sei die Stimme der Kirche. Seinen Einfluss und seine Reichweite nutzt er ungehindert, um Propaganda für die PiS zu betreiben (Mechtenberg 2018).

Andererseits betreibt Jaroslaw Kaczynskis durch die Erhebung seines Bruders zum Märtyrer auch eine Politisierung des Sakralen, indem er am 10. eines jeden (!) Monats eine Gedenkfeier abhält, die Politik und Religion komplett ineinander verschwimmen lässt. Es wird eine Predigt abgehalten, auf die eine Prozession folgt, bei der Priester und Kreuzträger voranlaufen. Es werden Transparente durch die Städte getragen, auf denen Putin und Tusk beschuldigt werden, am Tot Lech Kaczynskis schuld zu sein. Diese regelmäßige Veranstaltung zeigt die politische Religion, die von der PiS, allen voran von Jaroslaw Kaczynski, betrieben wird (vgl. ebd.).

Schon in den 1990er Jahren versuchte die Kirche in Polen, politisch mitzumischen. Schon damals warnte Jozef Tischner, ein im Jahr 2000 verstorbener Priester, vor einer politischen Religion. Seiner Meinung nach wäre dies dort der Fall, "wo der politische Gegner mit Hilfe religiöser Inhalte definiert wird, wo man unter Berufung auf Gott glaubt, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, wo man den politischen Gegner in ihrem Namen diskriminiert und wo das Evangelium als Quelle eines politischen Kampfes benutzt wird" (Mechtenberg 2018). Dann wäre ein Dialog oder gar ein Kompromiss nicht mehr möglich, was für den gesellschaftlichen Frieden jedoch unabdingbar sei (vgl. Mechtenberg 2018).

Zuwanderungspolitik in Polen

Wie schon zuvor angesprochen, nutzte auch die PiS, wie viele andere rechtspopulistische Parteien, die Fluchtzuwanderung als Rechtfertigung ihrer fremdenfeindlichen Politik. Auch nach ihrem Wahlsieg verteidigte die PiS Polens geschlossene Grenzen, indem sie weiterhin behaupteten, die innere Sicherheit würde durch immigrierende Muslime gefährdet werden. Sie setzte mit Hilfe von populistisch vereinfachender Rhetorik Muslime mit Terroristen gleich und wehrt sich vehement gegen die Aufnahme von Geflüchteten (Hennig 2016).

Auf diese politische Entscheidung reagierte die Kirche sehr zurückhaltend, und nur einige Wenige bekannten sich klar dafür oder dagegen. Stanislaw Gadecki, Vorsitzender der Bischofskonferenz, forderte alle katholischen Gemeinden und Klöster dazu auf, Flüchtlingsfamilien aufzunehmen und nach christlicher Nächstenliebe zu handeln. Daraufhin meldeten sich auch katholisch konservative Bischöfe zu Wort, die der Meinung waren, die Kirche solle nur jenen Syrern die Tore öffnen, die dem christlichen Glauben angehören (vgl. ebd.).

Der einflussreiche Warschauer Erzbischof Henryk Hoser äußerte sogar die Befürchtung, dass mit der Aufnahme von muslimischen Geflüchteten in der EU und der geringen Geburtenrate in Europa die Christen die Minderheit werden würden und Europa eines Tages ein muslimischer Kontinent werden würde (vgl. ebd.).

Auch hier wird noch einmal deutlich, dass die PiS und die katholische Kirche eine neue Ära eingeleitet haben, in der sich die konservative Kirche und die Regierung in einem neuen Verhältnis gegenüberstehen. Sowohl die PiS als auch die Kirche haben einen polnischen Staat zum Ziel, dessen Identität von Nationalität und dem katholischen Glaube bestimmt wird. Beide sehen eine Notwendigkeit darin, dass die Kirche mit ihrer moralischen Autorität in die Politik mit eingreift (vgl. ebd.).

Istanbuler Konvention

Um die derzeitige Interaktion von Kirche und Staat in Polen besser zu verstehen, genügt es nicht, nur die derzeitige Interaktion seit dem Wahlsieg der PiS 2015 zu betrachten. Ausgangspunkt für das aktuelle Verhältnis bildet schon die Endphase der vorangegangenen Regierung unter der Bürgerplattform „Platforma Obywatelska – PO“. Zu dieser Zeit sah die katholische Kirche sich in der Pflicht, gegen Gesetzesänderungen vorzugehen, die ihrer Auffassung nach das traditionelle Verständnis von Ehe und Familie bedrohten. Sie erhielt dabei massiv Unterstützung von der - zu dieser Zeit oppositionellen - PiS und dem Medienmogul und erzkonservativen Pater Rydzyk.

Die erste Auseinandersetzung zwischen der damaligen liberalen Regierung und der katholisch-konservativen Gegenseite entflammte aufgrund der Istanbuler Konvention. Diese beinhaltete die "Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“. Auch eine mögliche Rechtfertigung von Gewalt gegen Frauen aufgrund von religiösen Ansichten wurde darin zur Sprache gebracht.

Es begannen kirchliche Kampagnen gegen den damaligen Präsidenten Bronisław Komorowski, die ihn davon abhalten sollten, die Konvention zu unterschreiben. Bischof Ignacy Dec - ein enger Vertrauter von Tadeusz Rydzyk - verfasste sogar einen offenen Brief an Komorowski, in dem er sich auf die Bibel bezog und von ihm einforderte, "Gott mehr zu gehorchen als den Menschen" (Apg 5,21). Komorowski ratifizierte die Konvention und machte der Kirche damit vorerst einen Strich durch die Rechnung (vgl. Mechtenberg 2018). 

Gender-Debatte

Was schon damals mit der Istanbuler Konvention aufflammte, war die Gender-Debatte. Sowohl die katholische Kirche als auch die PiS versuchen seither, diese Debatte niederzuschlagen. Die Konvention führt nicht nur das „soziale Geschlecht“ ein, sondern macht traditionelle Geschlechterrollen dafür mitverantwortlich, dass Gewalt gegen Frauen vorherrscht. Resultierend daraus fordert der Europarat die Aufhebung der traditionellen Geschlechterrollen - für die konservativen Bischöfe und PiS-Politiker undenkbar.

In Polen ist die Anti-Gender-Bewegung jedoch noch aus einem anderen Grund sehr stark vertreten: Alles was scheinbar linkszugehörig ist, erinnert viele an die Zeit des Kommunismus in Polen, in der sie in Verzicht und Armut leben mussten. Außerdem mischt auch hier Pater Rydzyk fleißig mit, indem er über seine medialen Kanäle Stimmung gegen die Gender-Bewegung macht (vgl. Kellermann 2017).

Doch es gibt auch Aktivisten außerhalb der Kirche, die sich gegen die „Gender-Theorie“ erheben und unglaubliche Behauptungen aufstellen, wie der Chemiker Grzegorz Strzemecki. Er ist der Meinung, dass ein biologisch eindeutiges Geschlecht und eine heterosexuelle Neigung essentiell für die Identität eines Menschen seien. In jeder Abweichung dieser Norm sieht er eine psychische Störung.

Die Regierung, ihre Wählerschaft und die Kirche sind in der Genderfrage jedoch nicht nur aus ihrem Hang zur Tradition so verbunden. Der Nationalismus in Polen trägt auch dazu bei, dass die Genderdebatte als Angriff des Westens auf Polen gesehen wird, als das Aufdrängen neuer Ansichten, die nicht zu Polen gehörten (vgl. ebd.).

Innere Spaltung der Kirche

Man darf in diesem Zusammenhang natürlich nicht darüber hinwegsehen, dass auch in Polen die Kirche ideologisch gespalten ist. Auf der einen Seite steht der konservative fundamentale Flügel der Kirche, der einen Großteil des Klerus ausmacht, doch dem entgegen stehen auch liberale und offene Bischöfe. Was die Katholiken in Polen jedoch eint, ist die Verehrung des 2005 verstorbenen Papstes Johannes Paul II. Er gilt noch heute als die höchste kirchliche Autorität in Polen (vgl. Hennig 2016).

Inwieweit sich der konservativ-geschlossene und der liberal-offene Flügel der katholischen Kirche in ihren Positionen unterscheiden oder auch ähneln, hängt sehr von den einzelnen Diskursen ab. So haben auch viele der liberalen Kirchenvertreter ein Problem mit dem offenen Umgang mit Homosexualität und der Genderfrage. Auch für ein verschärftes Abtreibungsverbot sprechen sich viele aus.

Worin sich die beiden Gruppierungen jedoch grundlegend unterscheiden, ist die Frage, inwiefern sich die Kirche in die politische Entscheidungsfindung einmischen sollte. Die konservativen Vertreter sehen die Kirche in der Pflicht, in die Politik einzugreifen und ihre moral-theologischen Grundsätze einzubringen. Viele liberale Bischöfe sehen in der Politisierung des Sakralen jedoch den Verlust der Religion (vgl. Hennig 2016).

Die Besonderheit in Polen ist, dass auf Grund der historischen Gegebenheiten ein Potenzial besteht, dass Nation und Katholizismus gemeinsam die Identität stiften, nach der die Bevölkerung sich scheinbar so sehnt. Dies ist auch der Grund, warum die nationalkatholisch-politische Ideologie gerade in Polen so aufkeimt (vgl. ebd.).

Grenzen der Zusammenarbeit von Kirche und Regierung

Trotz der Einigkeit der derzeitigen Regierung und des konservativen Flügels der katholischen Kirche stößt die Zusammenarbeit der beiden Fraktionen immer wieder an Grenzen. Wie bei dem Versuch der Kirche, die sowieso strengen Abtreibungsgesetzte noch weiter zu verschärfen. Bis dato besagte das Gesetz, dass Frauen nur in drei speziellen Fällen abtreiben dürfen: wenn eine Vergewaltigung zu einer Schwangerschaft geführt hat, wenn das Wohl der Mutter erheblich in Gefahr ist oder das Kind mit einer schweren Behinderung zur Welt kommen würde.

Eine Bürgerinitiative sammelte 450.000 Unterschriften und forderte ein striktes Abtreibungsverbot in allen Fällen. Dabei wurde sie von der katholischen Kirche maßgeblich unterstützt. Auch in diesem Fall sprach sich Jaroslaw Kaczynski für die Verschärfung aus. Er verwies darauf, dass auch er Katholik sei und daher dieselbe Meinung wie die Kirche vertrete. Aufgrund von massiven Protesten in der Bevölkerung verwarf die Regierung das Gesetzt jedoch. Das Risiko war zu hoch, einen Großteil der Polen gegen sich aufzubringen und gegebenenfalls auch Wählerstimmen zu verlieren.

Auch in Bezug auf die Istanbuler Konvention wurden Stimmen in der Regierung laut, die Übereinkunft mit dem Europarat solle aufgekündigt werden. Doch auch hier muss die PiS aufpassen, dass sie die Bevölkerung nicht durch einen Kleinkrieg mit den europäischen Institutionen gegen sich aufbringt, da laut einer Umfrage immer noch 80% der Polen froh sind, Mitglied der EU zu sein (vgl. Kellermann 2017).

Auch ein Gesetzesentwurf zur In-vitro-Fertilisation in bestimmten Fällen, zur „Heilung von Unfruchtbarkeit“, wurde von der Kirche vehement bekämpft. In diesem Fall wurde die Kirche selbst aktiv und drohte sogar damit, alle Unterstützer dieses Gesetzes vom Empfang der Kommunion auszuschließen (vgl. Mechtenberg 2018).

Im letzten Jahr haben Teile der Kirche begonnen, sich in bestimmten Punkten gegen die PiS und ihr Verhalten auszusprechen. Als erstes in Bezug auf die nationalistische Grundeinstellung der derzeitigen Regierung, die seit 2015 aktiv dazu beigetragen hat, dass rechte Gewalt und offene Ausländerfeindlichkeit in Polen stark zugenommen haben.

Die Kirche hat hierzu im April 2017 einen Text veröffentlich, in dem sie sich klar zum Patriotismus bekennt, Nationalismus jedoch von sich weist. Diese Stellungnahme war zwar gut gemeint, die Aussagen darin sind jedoch zu unklar. Die Kirche spricht von gastfreundlichem Patriotismus und befürwortet damit höchstwahrscheinlich die Aufnahme von Flüchtlingen. Die PiS und andere nationale Gruppen fühlten sich davon jedoch keineswegs angesprochen oder in ihren Handlungen kritisiert. Die Unbestimmtheit der Aussage machte das ganze Dokument wirkungslos. Einige nationalistischen Vereinigungen fühlten sich von der Stellungnahme der Kirche sogar bestätigt und reagierten prompt mit einem gemeinsamen Schreiben, in welchem sie sich dafür bedanken, dass das Episkopat deutlich gemacht habe, wie wichtig Patriotismus sei (vgl. ebd.).

Ähnlich ist es bei der deutsch-polnischen Versöhnung, welche das polnische Episkopat 1965 den deutschen Bischöfen anbot. Die PiS und andere Nationalisten laufen im Moment Gefahr, durch provokante Äußerungen und verbale Angriffe die Versöhnung aufs Spiel zu setzen. Das würde nicht nur die damaligen Bemühungen der Kirche zunichtemachen, sondern beinhaltet auch den Vorwurf an die Kirche, sie sei mitverantwortlich an der - in den Augen der Nationalisten - schädlichen Versöhnungspolitik.

Das Episkopat erhob auch hier Einspruch und teilte in einem erneuten Schreiben mit, dass die Versöhnung von Polen und Deutschland essentiell sei und nicht durch leichtfertiges Reden zerstört werden solle. Doch wie auch zuvor wird die PiS nicht direkt auf ihre versöhnungsfeindliche Rhetorik angesprochen und die Kritik seitens der Kirche verläuft im Sande (vgl. ebd.).

Resumee

Um auf meine Titelfrage zurückzukommen, schätze ich die PiS nach dieser Betrachtung, durchaus auch durch ihre Kooperation mit der katholischen Kirche, als eine Gefahr für die Demokratie in Polen ein. Besonders erschütternd für die demokratische Ordnung war sicherlich die Übernahme der Justiz und damit die Auflösung der Gewaltenteilung durch die PiS-Regierung. Sie hat das Verfassungsgericht übernommen und somit die Judikative an sich gerissen.

Die katholische Kirche agiert nun endgültig als moralische Autorität in Polen, und das nicht mehr nur für die gläubigen Bürger im einzelnen, sondern auch in Hinblick auf die politische Entscheidungsfindung. Die rechtskonservative Regierung und das erzkatholische Episkopat teilen sich nun die Macht über das Land, betreiben politische Religion und handeln im vermeintlich christlichen Sinne.

Mit Hilfe des Klerus versucht die PiS, die polnische Bevölkerung zu disziplinieren und - unter Berufung auf den katholischen Glauben als Identität - zu alles bejahenden Nationalisten zu erziehen. Dabei spielt auch Pater Tadeusz Rydzyk eine entscheidende Rolle. Über die vielen Kanäle seines Medienimperiums verbreitet er im ganzen Land - als selbst ernannte Stimme der Kirche - die Propaganda der PiS.

Trotz alledem sollte man Polen keinesfalls abschreiben oder als unbelehrbar abstempeln. Nicht nur, dass sich immer mehr polnische Bischöfe und ganze Ordensgemeinschaften der katholischen Kirche der Regierung und ihrer Glaubensbrüder entgegenstellen; es erheben sich auch immer mehr polnische Bürger gegen die PiS und ihre Weltansichten. Schon mehrfach musste die PiS nun schon ihre umstrittenen Vorhaben und Gesetzesvorlagen verwerfen, obwohl sie die absolute Mehrheit im Parlament besitzen, weil sich enorme Demonstrationen und Bürgerinitiativen gebildet haben und sie somit unter Druck gerieten.

Die Bevölkerung spaltet sich immer mehr. Einerseits werden die Gegenstimmen durch die provokanten und teils radikalen Entscheidungen und Aussagen der Partei immer lauter, andererseits muss gesagt werden, dass ein Großteil der Polen nach wie vor mit der Regierungsarbeit der PiS zufrieden ist. Die nächsten 12 Monate werden zeigen, ob die PiS versöhnlicher wird oder sich endgültig ins Abseits befördert, doch im Moment sieht die Zukunft Polens - meines Erachtens - sehr düster aus. 

Weitere Blogbeiträge zu Polen:

Literaturverzeichnis 

Hillebrand, Ernst (2017): Rechtspopulismus in Europa – Gefahr für die Demokratie? Bonn: Dietz Verlag.

Krzemiński, I. (2017). Der Nationalkatholizismus und die Demokratie. Darmstadt: Deutsches Polen-Institut/ Bremen: Forschungsstelle Osteuropa. Veröffentlicht von der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb: http://www.bpb.de/240972/analyse-der-nationalkatholizismus-und-die-demokratie letzter Zugriff 18.09.2018 15:40

Kellermann, Florian (2016): Polen - Die Macht der Kirche über den Staat. Veröffentlich auf Deutschlandfunk.de: https://www.deutschlandfunk.de/polen-die-macht-der-kirche-ueber-den-staat.724.de.html?dram:article_id=361164 letzter Zugriff 18.09.2018 15:46

Anja Hennig (2016): Analyse: Hofiert und ideologisch gespalten. Die katholische Kirche und die PiS-Regierung. Darmstadt: Deutsches Polen-Institut/ Bremen: Forschungsstelle Osteuropa. Veröffentlicht von der bpb: http://www.bpb.de/235700/analyse-hofiert-und-ideologisch-gespalten-die-katholische-kirche-und-die-pis-regierung (letzter Zugriff 18.09.2018 15:53)

Mechtenberg, Theo (2018): Analyse. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat unter der PiS-Regierung. Darmstadt: Deutsches Polen-Institut/ Bremen: Forschungsstelle Osteuropa. Veröffentlicht von der bpb: http://www.bpb.de/internationales/europa/polen/265024/analyse-das-verhaeltnis-zwischen-kirche-und-staat-unter-der-pis-regierung (letzter Zugriff 18.09.2018 15:55)

Kellermann, Florian (2017): Wie Pech und Schwefel. In: Die Zeit, Ausgabe 06/2017. (online einsehbar auf : https://www.zeit.de/2017/06/polen-kirche-politik-nationalkonservativ-fremdenfeindlich/komplettansicht)

Polens Priester und die Politik - Fokus Europa (2016), veröffentlicht auf Youtube von DW Deutsch. https://www.youtube.com/watch?v=gu4tB4szkHY (letzter Zugriff 18.09.2018 18:03)

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