In sechs Monaten ist es soweit und Großbritannien wird aus der EU austreten. Damit wurde das Ziel der United Kingdom Independence Party (UKIP) erreicht. Gerade jetzt verlassen aber Mitglieder die Partei, da der Rechtsruck für sie nicht mehr vertretbar ist. Als sie in die Partei eingetreten sei, ging es ihr nur um den EU-Austritt, sagt Caroline Jones im Interview mit der BBC.
Doch wie hat sich die Partei und ihr Programm über die Jahre verändert? Ist auch die UKIP eine Partei, die sich dem Chamäleon-Effekt bedient, wie viele andere rechtspopulistische Parteien es auch tun? Mit dieser Frage wird sich die Arbeit beschäftigen.
Was ist der Chamäleon-Effekt?
Wie der Name schon sagt, bezieht sich dieser Effekt auf die Eigenschaft des Chamäleons, seine Farbe zu wechseln. Anders als oftmals geglaubt, ändern Chamäleons ihre Farbe nicht ausschließlich, um sich zu tarnen, sondern wechseln ihre Farbe je nach Gefühlslage, Temperatur oder Tageszeit. Fühlen sie sich kampflustig, nehmen sie eine rötliche Farbe an, werden schwarz, wenn sie einem Konflikt mit einem Rivalen aus dem Weg gehen wollen, oder besonders farbenfroh, wenn sie sich paaren wollen. Somit ist der Farbwechsel auch ein Mittel der Kommunikation für Chamäleons (vgl. GEO).
Ähnlich machen wir Menschen es auch. Wir gleichen unser Verhalten wie Gestik und Mimik unterbewusst an unseren Gesprächspartner an oder übernehmen Sprachgewohnheiten wie eine bestimmte Wortwahl unserer Mitmenschen, wenn wir viel Zeit mit ihnen verbringen. Werden wir angelächelt, lächeln wir oftmals automatisch zurück. Auch die Stimmungslage unserer Umwelt kann die eigene beeinflussen (vgl.Stangl, 2015). Studien haben gezeigt, dass solch ein Verhalten, welches auch als Mimikry bezeichnet werden kann, dazu beiträgt, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und zu verstärken und um als sympathisch wahrgenommen zu werden (vgl. Genschow, 2013).
Doch was hat das mit Politik zu tun? Auch in der Politik ist man auf Zustimmung angewiesen, sonst bleiben Wählerstimmen aus. Eine Partei und ihre inhaltlichen Schwerpunkte müssen die Interessen potenzieller Wähler ansprechen. Im Folgenden wird genauer untersucht, inwieweit sich die UKIP wie ein Chamäleon angepasst hat.
Vom Neoliberalismus zum Sozialstaatschauvinismus?
Bevor die Partei auf Basis ihrer Parteiprogramme genauer analysiert wird, soll ein kurzer Überblick zur Parteigeschichte geliefert werden.
Die United Kingdom Independence Party wurde 1993 von konservativen Euroskeptikern an der London School of Economics and Political Science gegründet und ging aus der Anti-Federalist League aus dem Jahre 1991 hervor (vgl. Goodwin, 2015). Die Gründung dieser anti-föderalistischen Liga basierte vor allem auf der Ablehnung der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht. Dieser legte den Grundstein für die Europäische Union, wie wir sie heute kennen, und regelte, wie und in welchen Bereichen zukünftig zusammengearbeitet werden soll. Außerdem wurde der Beschluss für eine gemeinsame Währung unterzeichnet.
Die ersten Jahre der Partei waren eher von geringem Erfolg geprägt. So konnten sie erst bei ihrer fünften Parlamentswahl im Jahr 2015 einen Sitz im Unterhaus besetzen, welchen sie bei den vorgezogenen Neuwahlen 2017 wieder einbüßten. Auf nationaler Ebene eher unergiebig, feierten sie ihre größten Erfolge bisher bei Europawahlen (vgl. Wahlergebnisse UKIP). Bei der Europawahl 2014 waren sie mit 27% die Partei mit den meisten Stimmen und erhielten 24 von 73 britischen Sitzen. Von nun an war ersichtlich, dass sie keine kleine Randpartei mehr waren (vgl. Treib, 2015). Ihr Erfolg wurde durch das Referendum für den Brexit zementiert, in der sie sich als einer der entscheidenden Akteure der Leave-Kampagne erwiesen.
Erklärungen für das unterschiedliche Abschneiden finden sich in den Wahlsystemen. Bei Parlamentswahlen für das Unterhaus des Königreichs wird nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt. Jeder Wahlkreis erhält einen Sitz im House of Commons und Stimmberechtigte haben eine Stimme für einen Kandidaten dieses Kreises. Es gilt das Prinzip „The winner takes it all“, somit gehen alle Stimmen der unterlegenen Parteien unter. Dies erschwert es kleineren Parteien wie UKIP, da sie keine traditionellen Wahlkreise besetzen und sich die Wählerschaft oftmals für eine „fruchtbarere“ Stimme für eine der großen Parteien, Labour oder Tories, entscheiden. Diese Berechnung entfällt bei Europawahlen, da hier nach dem Verhältniswahlsystem abgestimmt wird. Bei diesem System gehen keine Stimmen unter und Sitze werden gemäß der Anzahl der Stimmen verteilt. Die Anzahl der Plätze im Europäischen Parlament konnten sie stetig ausbauen (1999: 3 ; 2004: 12 ; 2009: 13).
Sprechen die Wahlergebnisse also dafür, dass die Partei der Wählerschaft „Anti-EU“ als einzigen Inhalt bietet? Haben die Briten mit den wachsenden Wählerzahlen bei Europawahlen nur ihrem Unmut gegenüber der Europäischen Union Ausdruck verliehen, welcher seinen Zenit mit dem Brexitergebnis erreichte? Um diese Fragen zu beantworten und vor allem der grundlegenden Fragestellung dieser Arbeit auf den Grund zu gehen, werden nun die Parteiprogramme der UKIP seit ihrer Gründung betrachtet und Veränderungen analysiert.
Um einen besseren Überblick zu schaffen, werden Kategorien gebildet, um die Fülle des Inhalts besser gliedern zu können. Des Weiteren können nicht alle Programmthemen gleichwertig in ihrer Tiefe behandelt werden, um den Rahmen dieses Blogbeitrags nicht zu sprengen.
Gliederung der Parteiprogramme
Gliederungen zeigen auf, welche politischen Schwerpunkte eine Partei setzen möchte. Die Positionierung der Inhalte kann akzentuieren, welche Gewichtung den einzelnen Aspekten verliehen wird. Beim Vergleichen der verschiedenen Programme für die General Election, also die Wahlen für das Unterhaus, das House of Commons, ist vor allem ein Wandel ab dem Jahr 2010 zu erkennen. 1997 und 2001 stehen wirtschafts- und finanzpolitische Themen an erster Stelle, gefolgt von Sozialem, Bildung und Sicherheit (vgl. Parteiprogramme 1997; 2001). Einwanderung ist einer der letzten Themenpunkte. Das Parteiprogramm von 2005 "We Want Our Country Back" rückt Einwanderung in das Mittelfeld, wohingegen "Straight Talking." von 2010 die geplante Einwanderungspolitik als zweiten Inhalt vorstellt, direkt nach der Wirtschaftspolitik (vgl. 2005; 2010). Dies wird auch 2015 im Programm "Believe in Britain" fortgeführt (vgl. 2015 ). 2017, also nach dem Brexit, rutscht die Einwanderungspolitik wieder in die Mitte des Parteiprogramms „Britain Together“ (vgl. 2017). Diese Entwicklung zeigt deutlich, dass sich über die Jahre ein Schwerpunktwandel vollzogen hat.
Wirtschaft und Finanzen
Die EU-Richtlinien und Vorgaben werden über die Jahre stetig als Argument für eine gebremste Wirtschaft angeführt. 1997 würde ein Austritt und die damit einhergehende Deregulierung mehr Arbeitsplätze schaffen, da besonders mittelständische Unternehmen unter dem hohen Aufwand der Bürokratie leiden. Kein Geld mehr an die EU zahlen zu müssen, würde Steuersenkungen ermöglichen, die Bürger hätten mehr Geld für andere Güter, was wiederum der Wirtschaft zu Gute kommen würde und somit die Beschäftigungsrate steigen ließe. Die Handelsbeziehungen mit der EU blieben weiterhin bestehen, da die EU mehr exportiert als importiert und somit Großbritannien als Markt nicht verlieren möchte. Dieser Gedankengang wird über die Jahre stringent beibehalten. Handelsbeziehungen zu anderen Partnern, wie Länder aus dem Commonwealth, seien durch die EU eingeschränkt.
2001 wird diese Argumentationslinie weiter ausgebaut. Hier heißt es, dass die EU Großbritannien am Handel auf globaler Ebene hindere, Commonwealth-Länder aufgrund der gemeinsamen Vergangenheit bessere Handelspartner seien und das Land seit dem EU-Beitritt keinerlei Entscheidungsfreiheit über den Handel habe. Kleine Unternehmen könnten den wachsenden Arbeitsaufwand durch EU-Vorschriften nicht mehr stemmen, große Firmen betrieben jedoch Lobbyarbeit in Brüssel. Des Weiteren unterdrücken die zu hohen Steuern den Unternehmergeist im Land, senken die Beschäftigung und fördern zusätzlich den Anreiz für Betrug. Eine Balance zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberrechten müsse gefunden werden. Durch den Austritt ermöglichte Deregulierung würde außerdem Gelder im öffentlichen Bereich einsparen, da der Bürokratieaufwand abfällt. Eine Reform von Erb- und Kapitalertragssteuer und die Abschaffung der Mehrwertsteuer werden auch vorgeschlagen, da letztere auf Basis von EU-Richtlinien erhoben wird.
Eine Offenheit gegenüber der Einheitssteuer ist die einzige Neuerung im Parteiprogramm von 2005.
2010 wird die Idee eingebracht, Arbeitgebern das Zahlen von Sozialversicherungsbeiträgen für fünf Jahre zu erlassen und Mindestlohnverdienende von Steuerzahlungen zu befreien. Ersteres würde erneut Arbeitsplätze schaffen und zweiteres mehr Anreize zum Arbeiten, was die Zahl der Sozialhilfeempfänger reduziere. Außerdem solle vermehrt in die britische Infrastruktur und Manufaktur investiert werden. Durch Streichungen von „non-jobs“, also indirekt gesagt überflüssigen Arbeitsplätzen, sollen staatliche Ausgaben weiterhin gesenkt werden.
5 Jahre später ist die Einstellung zur Steuer- und Finanzpolitik dieselbe. UKIP begründet die Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne mit der zu hohen Einwanderungsrate, da diese die Löhne gedrückt habe und die EU die Arbeitschancen der Briten verringere. Deswegen wolle man sich für den Mindestlohn einsetzen. Es wird auch vorgeschlagen, Firmen das Recht zu erteilen, britische Bewerber den ausländischen vorzuziehen. Des Weiteren wird betont, dass Kleinunternehmer immer noch zu sehr unter der Bürde der EU leiden, welche durch den Austritt verringert würden. Es sollen auch Maßnahmen geschaffen werden, um höhere Kreditrahmen für Kleinunternehmer zu gewähren und ihnen mehr Möglichkeiten zu bieten, um an öffentlichen Ausschreibungen teilzunehmen. Zudem soll vermehrt auf Handel anstatt auf Entwicklungshilfe in Entwicklungsländern gesetzt werden, da dies einen höheren Mehrwert für beide Parteien darstelle und vor allem ökonomischen Wohlstand in Entwicklungsländern schafft.
Das Programm für die vorgezogenen Wahlen im Jahr 2017, ist davon geprägt, wie die Zukunft nach dem Brexit gestaltet werden soll. EU-Vorschriften sollen zurückgesetzt und der Fokus vermehrt auf den Handel mit Nicht-EU-Staaten gelegt werden. Falls die Brexitverhandlungen nicht im Sinne des Vereinigten Königreichs ausfallen und der Handel mit der EU erschwert würde, will UKIP sich mit einer „Buy British“ Kampagne für einen Boykott europäischer Produkte positionieren. Unter der Überschrift „British Jobs for British Workers“ wird ein System vorgeschlagen, in dem junge, arbeitslose Briten unter 25 gegenüber qualifizierten Ausländern bevorzugt werden könnten. Steuersenkungen sollen durch die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf inländische Energieversorgung, der Erbschaftssteuer und der Rundfunkgebühr für die BBC begleitet werden.
Die sich stetig wiederfindende Argumentation, dass Probleme im Wirtschafts- und Finanzwesen durch Liberalisierung, Vereinfachungen des Steuersystems und Senkung der Steuern gelöst werden können, spricht für einen neoliberalen Charakter der Partei. Der Austritt aus der EU ist die Basis für die Forderungen der UKIP und ihrer Finanzpolitik. Durch das Wegfallen der jährlichen Zahlungen an die EU sollen nicht nur die bereits erwähnten Steuersenkungen möglich sein, sondern auch die Minderung der Staatsverschuldung und sogenanntes „Priority Spending“ für Gesundheitswesen und Verteidigung. Auffallend ist jedoch, dass trotz der Forderungen für die Liberalisierung der Vorgaben für Unternehmen in den letzten Programmen vermehrt Maßnahmen vorgeschlagen werden, um britische Arbeitnehmer und auch Kleinunternehmer stärker zu unterstützen. Dies ist ein großer Gegensatz zur anfänglichen Einstellung, staatliches Eingreifen in die Wirtschaft auf ein Mindestmaß zu begrenzen und stellt eine Abwendung vom Neoliberalismus dar, denn unterstützende Maßnahmen werden begrüßt, sofern sie den benachteiligten, britischen Bürger begünstigen.
Soziales
Arbeitslosigkeit soll durch eine Liberalisierung der Gesetze durch den EU-Austritt und niedrigere Steuern bekämpft werden, schlägt UKIP 1997 vor. Sie sind davon überzeugt, dass Arbeitsplatzbeschaffung nicht Aufgabe der Politik ist, sondern sie lediglich die Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft schaffen muss, um eine höhere Beschäftigungsrate zu erzielen. Ein Mindestmaß an Regulierungen ist nötig, dennoch wird die Verantwortung an den Arbeitgeber übertragen. Die Menge an Sozialhilfe ist zu hoch und zu teuer und bietet keinen Ansporn zum Arbeiten. Eine Liberalisierung und Kürzungen des Systems sind von Nöten, um die Kosten zu senken und den bürokratischen Aufwand zu minimieren. Leistungen müssen an Mittel und Bedürfnisse gebunden werden. Sozialhilfeempfänger müssen ermutigt werden, unabhängig vom System zu leben. Das Gesundheitswesen soll grundsätzlich so bleiben, Vorsorgeuntersuchungen sollen beibehalten werden, da diese zur Früherkennung von Krankheiten beitragen und letztlich somit große Kosten vermieden werden. Eine Aufstockung des Budgets für den National Health Service könne durch den EU-Austritt finanziert werden. Bei der Rente setzt UKIP auf eine vermehrte Privatvorsorge.
Im darauffolgenden Parteiprogramm aus dem Jahr 2001 wird trotz der vorangegangenen Kritik am Sozialhilfesystem beanstandet, dass dieses zu komplex sei. Viele Bedürftige würden sie gar nicht erst beantragen, da der Prozess zu aufwändig ist. Um Armut zu verhindern, soll eine Art Grundeinkommen anstatt Sozialhilfe eingeführt werden, welches durch Teilzeitarbeit aufgestockt werden kann. Dies soll vor allem alleinerziehenden Müttern oder Langzeitarbeitslosen zu Gute kommen, die Schwierigkeiten haben, eine Stelle zu finden. Trotzdem wird weiterhin der Standpunkt der Hilfe zur Selbsthilfe vertreten. Renten sollen erhöht werden und es wird denjenigen Unterstützung garantiert, die diese auch wirklich brauchen. Der privaten Vorsorge kommt immer noch eine große Bedeutung zu. Das an sich gute Gesundheitssystem soll beibehalten werden, jedoch müsse die Pflege durch eine bessere Bezahlung attraktiver gemacht werden. Ein EU-Austritt ermögliche es, eigene Standards für ausländische Bewerber zu setzen, um den Pflegemangel auszugleichen.
2005 ändert sich der Tenor gegenüber dem Sozialhilfesystem nicht. Sie halten weiterhin daran fest, dass die Anzahl an Leistungen Arbeitswillen unterdrückt. Das Ziel einer Regierung müsse es sein, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger unabhängig von Sozialleistungen zu machen. Der nun als schlecht beschriebene Zustand des National Health Service könne durch eine Dezentralisierung und mehr Entscheidungsfreiheit auf unterer Ebene erreicht werden. Auch die Einführung einer privaten Versicherung wird diskutiert, um die staatliche zu entlasten.
Das Programm von 2010 schlägt keine wirklichen Neuerungen für das Gesundheitswesen vor. Das Rentensystem solle vereinfacht werden und Steuern auf Renten gesenkt werden. Mehr Förderung von sozialem Wohnungsbau wird begrüßt, die Nachfrage müsse aber gleichzeitig durch weniger Einwanderung gesenkt werden. UKIP hält nach wie vor daran fest, dass der Sozialleistungskatalog in seiner Masse reduziert werden muss. Außerdem wird vorgeschlagen, dass Leistungen zukünftig nur noch von britischen Staatsangehörigkeiten oder Einwanderern, die mindestens 5 Jahre in das System einbezahlt haben, bezogen werden können.
Die Standpunkte werden 2015 weiter ausgebaut. Nicht nur Sozialhilfeleistungen sollen nur noch für die eben genannten Personengruppen verfügbar sein, sondern auch der Zugang zum bisher öffentlichen Gesundheitswesen, dem National Health Service. Mit diesen Begrenzungen soll dem „Sozialhilfetourismus“ ein Ende gesetzt werden. In den sozialen Wohnungsbau soll weiterhin investiert werden. Besonders Veteranen sollen hierbei berücksichtigt werden. Des Weiteren soll ehemaligen Militärs auch eine Jobgarantie für Polizei, Gefängnisse oder Grenzschutz ausgesprochen werden, sofern sich ihr Staatsdienst über mindestens 12 Jahre erstreckte.
Im Bereich der Sozialhilfe wurden 2017 keine nennenswerten Änderungen vorgenommen. Im Rentensystem soll jedoch ein flexibles Rentenalter eingeführt werden, frühere Pensionierung für weniger staatliche Rente, spätere für mehr. Besonders Frauen soll es ermöglicht werden, mit 60 in Rente zu gehen, wie es bis 2010 möglich war. Eine Neuerung für das Gesundheitssystem soll die Schaffung von mehr Studienplätzen für Medizin und Pflege sein. Außerdem soll die Kostenerstattung der Studiengebühren nach einer Mindestarbeitszeit von 10 Jahren für den NHS einen Anreiz darstellen, um vermehrt diese Berufe zu ergreifen. Dies gilt jedoch auch nur für britische Staatsbürger oder Steuer- und Sozialbeitragszahlungen von mindestens 5 Jahren. Um gegen steigende Probleme in der psychischen Gesundheit vorzugehen, soll mehr Geld in entsprechende Programme investiert werden.
UKIPs Meinung zur Sozialhilfe ändert sich grundsätzlich nicht, dennoch ist ein Wandel erkennbar. Einerseits sollen Leistungen stetig gekürzt werden, jedoch mit dem exklusiven Zugang für britische Staatsangehörige oder Einwanderer, die mindestens 5 Jahre in die Staatskassen eingezahlt haben, andererseits sollen Renten steigen, sozialer Wohnungsbau gefördert und Veteranen mit einer Jobgarantie im öffentlichen Dienst unterstützt werden. Die Ausgrenzung ‚der Anderen‘, nämlich die, die das System angeblich ausbeuten, führt nicht nur dazu, dass sich die Menge an potentiellen Beziehern reduziert, sondern lässt auch deutlicher hervortreten, was man für ‚die eigenen Leute‘ tun würde, beispielsweise Rentenerhöhung oder Veteranenförderung. Dieser Kontrast untermauert wiederum die schon erwähnte Abwendung von ursprünglichen Standpunkten der Partei und kann aber auch dazu führen, dass sich mehr Menschen von ihrem Programm angesprochen fühlen und UKIP wählen würden.
Bildung, Jugend und Familie
Bildungspolitisch wird über die Jahre stetig betont, dass wieder vermehrt auf traditionelle Lehrmethoden gesetzt werden solle, den Lehrern mehr Freiraum für die Gestaltung des Unterrichts gewährt werden muss und man den Eltern eine freie Schulwahl einräumen werde. Höhere Standards müssen eingeführt werden, nur so schaffe man eine Basis für erfolgreiche Berufsaussichten.
1997 fordert UKIP eine verstärkte Wertevermittlung in der Schule, welche in Verbindung mit den Inhalten von englischer Sprache, Literatur und britischer Geschichte die nationale Identität erhalten. „Europäisches Training“ für die Lehrkräfte gehört abgeschafft.
2001 verstärkt sich die anti-europäische Haltung. Die "Hirnwäsche" durch europäische Ideale und EU-Propaganda, denen Kinder und Jugendliche in der Schule ausgeliefert seien, müsse abgeschafft werden. Der Fokus auf eine britische Bildung wird weiterhin betont. Des Weiteren wird es als unfair betrachtet, dass Studierende aus dem EU-Ausland weniger Studiengebühren als die aus dem Commonwealth bezahlen. Die Verschwendung von Geldern für pro-EU-Forschung müsse gestoppt werden.
Finanzielle Unterstützung für den Besuch von Privatschulen wird 2005 in Betracht gezogen, welche die Bildungsstandards erhöhen sollen. Die Deregulierung durch den EU-Austritt würde des Weiteren mehr Berufschancen für junge Menschen mit sich bringen, wodurch schlechte Schüler von unnötigen Studiengängen abgehalten werden.
2010 wird eine freie Hand der Lehrer in Sachen Disziplinierung vorgeschlagen. Sie sollen in der Lage sein zu disziplinieren, ohne dass sie Angst vor Konsequenzen haben müssen. Außerdem soll der Inklusionsgedanke überdacht werden und Weiterbildungen für Arbeitslose angeboten werden, um Arbeitsmotivation zu schaffen. Die einzig neue Forderung für 2015 ist die Abschaffung der Geschlechtererziehung in der Grundschule. 2017 wird vorgeschlagen, ein duales Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild einzuführen, mehr Verbindungen zwischen Schulen und örtlichen Unternehmen herzustellen und Unterricht im Unternehmertum einzuführen.
Die Familie wird über die Jahre hinweg als eine besonders zu schützende Institution erwähnt. 1997 wird angeführt, dass der große Leistungskatalog der Sozialhilfe Familien als Ort der Erziehung und Wertevermittlung destabilisiert hat. 2001 sollen Maßnahmen ergriffen werden, um Unterhalt bei Nichtzahlung einzufordern. Der Vorschlag von 2010, Kindergeld nur für die ersten 3 Kinder zu bezahlen, wird 2015 gefolgt von der Forderung, bei Neuantrag nur noch die ersten beiden Kinder zu berücksichtigen, unter den gleichen Bedingungen wie für den Erhalt von Sozialleistungen. Immer wieder wird auch versprochen, die Kinderbetreuung zu verbessern, nicht nur finanziell, sondern auch durch eine bessere Versorgungslage, um Familien zu entlasten.
Interessant ist der bildungspolitische Kurs, welchen UKIP vorschlägt. Die immer wieder geforderte Rückkehr zu alten Lehrmethoden und der freien Hand in der Disziplinierung erinnern an einen Wunsch, die Zeit zurückzudrehen. Inhalte sollen nicht durch "EU-Propaganda" geprägt werden, sondern sich auf ursprüngliche, britische Inhalte fokussieren. Familienpolitisch sticht ins Auge, dass einerseits die Familie als zu schützende Einheit betont wird, andererseits jedoch Leistungen wie Kindergeld gekürzt werden sollen.
Sicherheit
Mit den Einsparungen durch den EU-Austritt soll mehr Geld in Verteidigung investiert werden können. Diese soll gleichzeitig unabhängig bleiben und nicht Teil einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU werden. Dieses Anliegen wird in allen Parteiprogrammen verdeutlicht.
1997 sprechen sie sich gegen eine Osterweiterung der NATO aus, um Russland nicht zu provozieren. 2005 wird der Zusammenhang hergestellt, dass die gemeinsame Verteidigungspolitik der EU Spannungen mit der NATO herbeiführt. 2015 sprechen sie sich erneut gegen eine europäische Armee aus.
Was die innere Sicherheit angeht, wurden von Beginn an geschlossene Grenzen gefordert, um gegen illegale Einwanderung, organisiertes Verbrechen und Drogenhandel besser vorgehen zu können. Die offenen Grenzen durch die EU würden dies nur fördern. Um gegen Kriminalität vorzugehen, wird 1997 vor allem darauf wertgelegt, die Ursachen wie Arbeitslosigkeit oder mangelnde Bildung zu bekämpfen. Trotzdem sollen Strafmaße ausgeweitet werden.
2005 wird erstmals der Ausdruck Law and Order verwendet und von steigender Gewalt und Kriminalität gesprochen, auch wenn die Regierung etwas anderes behauptet würde. Britische Bürgerinnen und Bürger fühlen sich vermehrt unsicher, da die Polizei erschwert zu erreichen und überlastet ist. Ihnen würde eine Entlastung durch weniger Bürokratie, das Wegfallen von Leistungszielen und weniger Political Correctness-Auflagen zu Gute kommen. Außerdem müssen vermehrt Maßnahmen gegen Terrorismus ergriffen werden.
Eine strengere Bestrafung wird auch 2010 wieder eingebracht. Die Einführung von „three strikes and you’re out“, also eine lebenslange Haftstrafe nach der dritten Verurteilung, und „boot camps“ für junge Straftäter, sollen die Sicherheitslage im Land verbessern. In den folgenden Jahren wurden keine nennenswerten Änderungen am Programm vorgenommen.
Während sich die Inhalte zur Sicherheitspolitik nicht großartig verändert haben, hat sich jedoch der Ton und die Haltung verschärft. Die gefühlte Sicherheitslage übertrumpft die tatsächliche und Political Correctness schränke die Arbeit der Polizei an. Man geht weg von der Ursachenbekämpfung der Kriminalität und fordert höhere Bestrafung, als würde dies das Problem lösen. Das Spiel mit dem Sicherheitsgefühl kann Ängste in der Bevölkerung ansprechen und auch schüren.
Einwanderung
Ähnliches kann man ihrem Programm zum Thema Einwanderung entnehmen. Die Grundhaltung über die Begrenzung von Einwanderung ändert sich über die Jahre nicht, jedoch wird sie kontinuierlich ergänzt.
1997 wird neben der begrenzten Einwanderungszahl auch gefordert, eigene Gesetze für Einwanderung und politisches Asyl zu verfassen, unabhängig von der EU.
Diese Argumentation wird 2001 noch durch den Vorschlag, ein Punktesystem zur Einwanderung einzuführen, ähnlich wie es in Australien und Kanada gehandhabt wird, ergänzt. Asylentscheidungen müssen einen schnelleren Prozess durchlaufen. Der Familiennachzug ins Land muss anders organisiert werden. Es sei ungerecht, dass dieser für EU-Bürger kein Problem darstellt und Bürger aus Commonwealth-Staaten oftmals lange darauf warten müssen.
Die Einwanderung wird 2005 als außer Kontrolle geraten bezeichnet. Man hätte zwar weniger Asylbewerber, aber dafür deutlich mehr legale Einwanderung durch die Osterweiterung der EU. UKIP fordert auch, dass Großbritannien selber bestimmen kann, welche Kriterien maßgeblich für einen Flüchtlingsstatus sind, und Gesundheitschecks für Einwanderer, die die Intention haben, im Land zu bleiben. Da dies nicht in Übereinstimmung mit den britischen Bürgerrechten sei, würde UKIP Änderungen an ihnen vornehmen und die Genfer Flüchtlingskonvention neu interpretieren, um ihre Forderungen zu legitimieren. Diese definiert verbindlich, wem ein Flüchtlingsstatus zusteht, welche Rechten und Pflichten er besitzt und welche Leistungen das Aufenthaltsland aufbringen muss.
Der Ton radikalisiert sich, indem 2010 ein 5-Jahres-Bann für permanente Einwanderung vorgeschlagen wird, um wieder die Kontrolle über die Grenzen und die „massenhafte, unkontrollierte Einwanderung“ zu erhalten. EU-Bürger, die nach dem 1.Januar 2004 ins Land kamen, sollen wie alle anderen Nationalitäten behandelt und ihre Ein- und Ausreise überwacht werden. Asylbewerber sollen bis zu ihrem Asylentscheid in vorgesehenen Unterkünften festgehalten werden, um ein Verschwinden zu verhindern. Außerdem sollen Abschiebungen von gefährlichen Imamen, Terrorverdächtigen und Kriminellen vereinfacht werden. UKIP begrüßt die Überprüfung von Scheinehen. In den folgenden Jahren halten sie an den bisherigen Inhalten fest. 2015 wird vorgeschlagen, Zugang zum Gesundheitssystem erst nach 5 Jahren Steuer- und Versicherungszahlungen zu schaffen und das Visasystem umzustrukturieren.
Unter dem Titel „Fair, Balanced Migration“ bleiben ihre Ansichten 2017 ähnlich. Es wird wiederholt betont, dass ein Punktesystem wie in Australien eine Möglichkeit ist, um eine faire Einwanderungspolitik für beide Seiten zu gestalten. UKIP revidiert jedoch seine Meinung zur Genfer Flüchtlingskonvention und verspricht, den dadurch festgelegten Pflichten auch nachzukommen.
Die Haltung gegenüber Einwanderung wird stetig strenger und richtet sich zunehmend, aber indirekt gegen osteuropäische Einwanderer. Ähnlich wie auch in der Sicherheitsfrage werden Ängste geschürt und durch die Wortwahl bewusst Bilder gezeichnet, die bedrohlich und gefährlich wirken. Wurde das Thema Einwanderung in der Partei immer wichtiger, weil man erkannte, dass man mit Stimmung gegen Einwanderer Stimmen sammeln kann? Hat man sich deshalb wie ein Chamäleon dem vermehrt aufkommenden Klima in der Gesellschaft angepasst? Die zu erkennende zunehmende Kompromisslosigkeit lässt diese Fragen mit Ja beantworten.
Britishness und die Gesellschaft
Britishness und die nationale Identität spielen für UKIP eine übergeordnete Rolle. Von ihren Forderungen der Wertevermittlung und „Britenbildung“ in der Schule über das stetige Betonen, was Großbritannien ausmache, bis hin zur Einschränkung der Sozialleistungen für bestimmte Personengruppen spricht viel für einen wachsenden Nationalismus in der Partei.
1997 wird deutlich betont, dass der Beitrag von ethnischen Minderheiten zu Kultur und Wirtschaft wertgeschätzt wird. Affirmative Action (Positive Diskriminierung) und Political Correctness, um Missstände auszugleichen, werden aber abgelehnt, da es sich um umgekehrten Rassismus handele und nicht immer hilfreich für die Minderheiten sei.
Ländliche Gebiete müssen geschützt und unterstützt werden, da sie Teil des britischen Nationalerbes wären, heißt es 2001. Außerdem wird die Einführung von Volksabstimmungen gefordert, um die Beziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Politik wiederherzustellen.
Werte wie Vertrauen, Respekt, Initiative und Verantwortung, die die Gesellschaft zusammenhalten, werden durch immer mehr Richtlinien, die zum Schutze der Gesellschaft von der EU und der Regierung aufgestellt würden, und Rechten, die dem Einzelnen eingeräumt werden, gespalten, so das Parteiprogramm von 2005. Laut UKIP muss eine Rückbesinnung stattfinden, die diesem Regelkult ein Ende setzt. Nur durch den Austritt aus der EU kann sich dieser Wandel durchsetzen, um wieder mehr Möglichkeiten in Wirtschaft und Sozialwesen zu nutzen.
2010 verschreibt sich UKIP einem zivilen Nationalismus, der offen für alle ist, die sich mit Großbritannien identifizieren wollen, egal welchem Hintergrund sie entstammen. Sie grenzen sich klar von der Blut und Boden-Mentalität ab. Sie sprechen sich jedoch gegen Multikulturalismus und Political Correctness aus und setzen sich für eine britische Einheitskultur ein, die alle Menschen und Religionen eint. Ein Tragen von Burka und Niqab soll verboten werden. UKIP würde die Gefahren für die britische Identität und Kultur erkennen, die britischen Werte wiederherstellen, Quotenregelungen und Political Correctness abschaffen und zu leistungsorientierten Prinzipien zurückkehren. Außerdem wird die Einführung eines „Commonwealth Day“ vorgeschlagen, und Schulen soll vorgeschrieben werden, den Beitrag Großbritanniens zur Welt zu unterrichten.
2015 wird klar verdeutlicht, dass Patriotismus keine Schande ist und sie sich weiterhin für eine britische Einheitskultur einsetzen werden, da "Mulitkultipolitik" dazu geführt habe, dass gesellschaftliche Unterschiede verdeutlicht wurden und die Gesellschaft nicht geeint sei. Einige Ansätze für die Gestaltung dieser Einheitskultur sind die Streichung von Fördermitteln für Projekte, die sich für Multikulturalismus einsetzen oder das Verfassen von offiziellen Dokumenten nur noch in englischer Sprache.
„Ein Gesetz für alle“ ist ein Titel im Programm von 2017. Es darf sich keine Parallelgesellschaft herausbilden, welche einem anderen Recht folgt. Multikulturalismus hindere Menschen daran, sich zu integrieren, da zu viele kulturelle Praktiken akzeptiert werden. Gegen zu radikale Positionen solle man vorgehen, um das gesellschaftliche Miteinander nicht zu spalten. Dazu gehören unter anderem ein Niqab- und Burkaverbot, die Verbannung von Scharia-Räten und ein strengeres Vorgehen gehen Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung und ein Vorgehen gegen radikalen Islamismus.
Die Angst vor dem Wandel der britischen Kultur, wenn es überhaupt die eine gibt, ist spürbar. Es muss in Schulen besonders betont werden, welchen Einsatz die Briten für die restliche Welt erbracht haben und eine Rückbesinnung zum Commonwealth scheint darauf hinzudeuten, dass man sich vor allem an die "gute, alte Zeit" erinnern will, als im britischen Weltreich niemals die Sonne unterging. Ihrem zivilen Patriotismus dürfen sich alle angehörig fühlen, die sich mit Großbritannien identifizieren. Doch was ist mit denen, die es nicht tun oder diese Verbindung vielleicht auch noch mit ihrem Ursprungsland haben? Werden sie dann aus der angestrebten Einheitskultur ausgeschlossen? Wieso ist man gegen Political Correctness und positive Diskriminierung? Ist dies der Versuch, veraltete Strukturen wie zu Zeiten des britischen Empires erwachen zu lassen, indem man bisher diskriminierten Personengruppen weiterhin Chancengleichheit verwehrt, um den Status des weißen Mannes zu zementieren? Ist Multikulti deswegen schlecht, weil die britische Kultur dadurch nicht mehr das Maß aller Dinge ist?
EU-Skepsis
In den ersten Jahren der Partei wurde der Fokus vor allem auf die (angeblichen) wirtschaftlichen und finanziellen Aspekte gelegt, die ein EU-Austritt mit sich bringen würde: weniger Arbeitslosigkeit, Steuersenkungen, mehr Freiheit im Handel, Belebung des Unternehmergeists, Liberalisierung von Vorschriften, mehr Gelder für Bildung, Gesundheitswesen und Rente. Auch die durch den Vertrag von Maastricht beschlossene Einführung der gemeinsamen Währung wird 1997 abgelehnt, da sie nicht vor Inflation schützt und die Macht über die eigenen Staatsfinanzen abgegeben werde. Die EU-Gesetzgebung würde außerdem der Gesetzgebungskultur in Großbritannien wiedersprechen (1997), dann kommen Richtlinien aus Brüssel, denen sich London nur anpassen kann (2001).
Die Argumentationslinie radikalisiert sich. Andere Parteien würden nicht die Wahrheit über die EU sagen (2001), Schulen würden Gehirnwäsche mit europäischen Idealen und Propaganda für die EU betreiben (2010) oder EU-Positionen reflektieren nur noch die Interessen von Deutschland und Frankreich (2010). 2005 war die Überfischung vor der britischen Küste noch ein Resultat der europäischen Vision von gemeinsamen natürlichen Ressourcen, 2015 ist die gemeinsame Fischereipolitik von der EU schon immer geplant, um britischen Fisch zu stehlen. Auch der Klimawandel sei real, jedoch wird bezweifelt, ob dieser tatsächlich menschengemacht ist. Die Menge an manipulierten wissenschaftlichen Befunden sei enorm. Diese Skepsis teilen sie mit vielen Briten (2010). 2017 ist kaum EU-Skepsis zu finden, es wird eher die Zeit nach dem Brexit behandelt und wie man mit bisherigen EU-Richtlinien umgeht.
Auch hier lässt sich der Chamäleon-Effekt erkennen. Die Partei wechselt die Farbe, um Inhalte besser zu tarnen. Man ergänzte die Haltung „die EU mischt sich zu sehr ein, ist zu teuer und reguliert zu viel“ durch Ansätze von Verschwörungstheorien, einer Nichtkompatibilität mit dem eigenen System und einer reißerischen Wortwahl. Sie tritt nicht mehr allein auf, sondern wird mit Inhalten und vor allem Problemen gepaart, die entweder durch die Mitgliedschaft in der EU entstanden seien oder durch einen Austritt schnell gelöst werden können.
Sprache
1997 äußert die Partei Kritik an den etablierten Parteien und der EU, verwendet jedoch einen eher sachlichen Sprachstil. Dies ändert sich schon 2001, als von einer „tyrannischen EU“ gesprochen wird (vgl. Free Trade & Globalisation), einer „zerstörenden Flut an Richtlinien“ oder über das „Lagerfeuer“, welches sie aus den EU-Richtlinien nach einem Austritt machen werden (vgl. Regulatory Reform). Die EU ist voll von „Propagandisten“ (vgl. Transport), die Judikative stehe "unter Angriff" und Europol ist eine „zwielichtige Organisation“ (vgl. The Judicial System).
Die Wortwahl ist radikaler, appelliert mehr an Gefühle und wirkt bedrohlicher. 2005 wird erstmals von „Law and Order“ gesprochen. Die Inhalte werden extremer und die Regierung wird öffentlich angezweifelt, sogar als "nanny-state" bezeichnet. Die Regierung nimmt ihrer Bürgerschaft zu viele Entscheidungen ab, die sie gerne selbst treffen würden, und macht sie damit abhängiger vom Staat. Der Austritt würde Großbritannien selber entscheiden lassen, welche Zukunftsvisionen sie verfolgen möchten und würde sie aus der „Zwangsjacke der EU“ befreien, heißt es 2010 (vgl. Introduction“). Aus „Propagandisten“ werden „europhile Propagandisten“, die Lügen verbreiten. Ist solch eine Wortwahl bewusst gewählt, um negative Assoziationen hervorzurufen? „Unkontrollierte Masseneinwanderung“ und „Sozialhilfetourismus“ müssen beendet werden (2015). Solch reißerische Wortwahl schürt Ängste und Hass.
Die immer extremer werdende Sprache, die mit Ängsten spielt, die übertreibt, die angreift, wird bewusst eingesetzt, um ihrer Meinung nach Klartext zu reden. Sie fordern die Abschaffung der Political Correctness und gehen selbst als Paradebeispiel voran. Einerseits verschiebt sich so langsam die Grenze, was gesagt werden darf, andererseits wird durch eine Wortwahl wie „Sozialhilfetourismus“ ein Sachverhalt geschaffen, welcher so nicht existiert, aber gleichzeitig so negativ dargestellt wird, dass radikale Gegenmaßnahmen legitimiert werden. Interessant ist jedoch zu sehen, dass trotz gleichbleibender Inhalte die Wortwahl im Parteiprogramm 2017 weniger aggressiv ist. Sehen sie nun keine Notwendigkeit mehr, so radikal aufzutreten, da sie ihr Ziel, den Brexit, erreicht haben?
Fazit und Ausblick
Änderten sich die Inhalte nun von einem neoliberalen zu einem sozialstaatschauvinistischen Schwerpunkt? Verkörpert UKIP den Chamäleon-Effekt? Der Vergleich und die Analyse der Parteiprogramme lassen diese Fragen mit Ja beantworten.
Möglichst wenig Regulierungen für die Wirtschaft, das behindert das Wachstum und erstickt den Unternehmergeist, und auch keine Sozialhilfe, sondern Hilfe zur Selbsthilfe leisten, denn Sozialhilfeleistungen mindern den Anreiz zu arbeiten. Das waren ursprüngliche Standpunkte von UKIP, die traditionell eher einer neoliberalen Weltanschauung zugeordnet werden und in den ersten Parteiprogrammen vertreten werden. Rund 15 Jahre später werden Maßnahmen für Unternehmen vorgeschlagen, die es ihnen ermöglichen, Briten bei der Auswahl für offene Stellen gegenüber ausländischen Bewerbern zu bevorzugen. Sozialhilfe soll zwar abgebaut werden, aber für „die, die es wirklich brauchen“ erhalten bleiben. „Die, die es wirklich brauchen“ sind in diesem Fall britische Staatsangehörige und Einwanderer, die seit mindestens 5 Jahren in das System einbezahlen, also nicht die, die mit der „massenhaften, unkontrollierten Einwanderung“ ins Land kamen. Diese Argumentation ist für mich Sozialstaatschauvinismus par excellence: Sozialstaat ja, aber nur für die eigenen Leute.
Auch eine Abkehr vom Kerninhalt der Partei konnte festgestellt werden. Das Alleinstellungsmerkmal der EU-Skepsis wurde immer weniger allein vertreten, sondern vielmehr unter massentauglichen Inhalten wie Einwanderung, der Erhaltung der britischen Kultur oder der Sicherheitspolitik getarnt, um populäre Stimmungen innerhalb der Gesellschaft aufzugreifen - ein Farbwandel, wie es ein Chamäleon nicht besser hinkriegen würde.
Die Zukunft der Partei ist unsicher. Der Rückhalt in der Wählerschaft schwindet. Bei den letzten Parlamentswahlen im Sommer 2017 konnten sie gerade einmal 1,8% aller Wählerstimmen für sich gewinnen, fast 10% weniger als noch 2015 (vgl. BBC 2017; The Guardian 2015). Haben sie ihren Zenit durch das Referendum erreicht, da das Hauptziel, der EU-Austritt, erreicht wurde und die Partei somit für die britische Bevölkerung nicht mehr interessant ist? Mitglieder verlassen die Partei, da sie einen für sie nicht vertretbaren Rechtsruck erleben. Aktuell liegt die Zustimmungsrate in der Bevölkerung bei 6% (vgl. The Guardian 2018). Es bleibt spannend zu sehen, was die nächsten Jahre bringen.
Literatur
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Treib, Oliver: Die Europawahl 2014 in Großbritannien – gegen Brüssel und gegen das Establishment; in: Kaeding, Michael & Switek, Niko (Hg.): Die Europawahl 2014. Spitzenkandidaten, Protestparteien, Nichtwähler. Wiesbaden, 2015
Internetquellen
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