Mittwoch, 1. November 2023

Die AfD-Wählerschaft und die neue Partei von Sahra Wagenknecht

Kann sich die AfD zukünftig von rechtsextremen Akteur:innen und Positionen abgrenzen? Ist die Partei möglicherweise „nur“ eine CDU vor der Modernisierung? Oder ist die Partei etwas anderes? Falls ja, was genau ist sie? Das vorliegende und als Grundlage dieses Beitrags verwendete Arbeitspapier der Otto Brenner Stiftung, das im Juni 2023 erschien, formuliert zu Beginn eine Reihe relevanter Fragen und hat das Ziel, die Widersprüchlichkeiten der Partei zu rekonstruieren und die mehrfache Umgestaltung der Partei zu analysieren.

Hierfür werden mehrere Aspekte untersucht, die in verschiedene Kapitel aufgeteilt sind. Für ein tiefergehendes Verständnis und die Beantwortung der Fragen sind die einzelnen Kapitel dieses Arbeitspapiers sehr lesenswert. Neben der programmatischen und organisatorischen Entwicklung der Partei wird unter anderem die Nähe der AfD zu Russland betrachtet, was nicht zuletzt angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine relevant ist. Hier zeigt die Studie beispielsweise auf, dass russische Narrative durch die AfD auch während der Kriegszeit immer wieder verwendet werden.

Dieser Beitrag fokussiert sich jedoch auf das dritte Kapitel des Arbeitspapiers, welches die AfD-Wählerschaft, unter anderem ihre soziale Position und ihre Einstellungen, genauer betrachtet. Zusätzlich wird in diesem Kapitel die möglicherweise vorhandene Repräsentationslücke, die von den etablierten Parteien nicht abgedeckt wird, beleuchtet. Von einer solchen Repräsentationslücke sprach zuletzt auch Sahra Wagenknecht.

Das im Folgenden untersuchte Kapitel kann zu einem tiefergehenden Verständnis der AfD-Wählerschaft beitragen und ist nicht zuletzt angesichts der Entstehung einer neuen Partei rund um Sahra Wagenknecht relevant. Indirekt kann ein Augenmerk somit ebenfalls auf die Fragen gelegt werden, ob und wie es dieser neuen Partei gelingen könnte, (Protest-)Wähler:innen von der AfD abzugreifen und was dies für die AfD bedeutet.

Das „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ (BSW) wird in den Medien derzeit häufig thematisiert (Beispiel). Gesellschaftspolitisch betrachtet, vertritt das Bündnis eher konservative Positionen, wirtschaftspolitisch kann es jedoch eher links eingeordnet werden. Die soziale Gerechtigkeit soll unter anderem durch steuerliche Entlastungen für Menschen mit geringen Einkommen verbessert werden. Gleichzeitig bedient das BSW eine gewisse Anti-System-Haltung. Sollte die AfD angesichts eines drohenden Wählerverlusts Angst vor Wagenknechts neuer Partei haben oder ist diese Sorge eher unberechtigt? Im zweiten Teil dieses Beitrags wird dieser Frage nachgegangen.

Im Jahr 2013 nahm die AfD eine Anti-EU-Position ein und wurde auch überwiegend durch diese Haltung wahrgenommen. Dennoch waren bereits in dieser Zeit populistische Verhaltensweisen und typische Merkmale einer ideologisch rechten Politik zu finden. Parallel mit einem fortschreitenden Rechtsruck veränderte sich ebenso die Wahlprogrammatik in die entsprechende Richtung. Interessante Eindrücke diesbezüglich liefert die Befragung wahlberechtigter Bürger:innen: Während die AfD im Jahr 2013 nur etwas weiter rechts von der Mitte verortet wurde, war die Partei drei Jahre später der Wahrnehmung nach nur noch knapp von der extremen Haltung entfernt.

Die AfD wurde sowohl bei der Bundestagswahl 2013 als auch bei der Bundestagswahl 2017 überdurchschnittlich häufig von Männern gewählt und wird demnach häufig als eine Männerpartei bezeichnet. Während die ältesten und jüngsten Wahlberechtigten die AfD weniger wählten, erreichte die Partei 2021 einen überdurchschnittlich hohen Wähleranteil an 35- bis 69-jährigen Wähler:innen.

In Ost- und Westdeutschland schnitt die Partei unterschiedlich ab. Während der AfD-Anteil bei der Bundestagswahl 2021 in ostdeutschen Bundesländern bei über 20 Prozent lag, befand sich dieser in westdeutschen Bundesländern bei unter zehn Prozent. Bei der Bundestagswahl 2021 erreichte die AfD in allen ostdeutschen Bundesländern über 20 Prozent, in Sachsen und Thüringen die stärksten Ergebnisse mit 24,6 und 24 Prozent. In den westdeutschen Bundesländern erhielt die AfD Stimmanteile von zehn Prozent und weniger. Dementsprechend konnte die AfD ihre Direktmandate für den Bundestag im Jahr 2021 im Vergleich zur Bundestagwahl 2017 um 13 weitere und auf somit insgesamt 16 Direktmandate steigern, wobei dieser Zugewinn durch den Wahlerfolg in den ostdeutschen Bundesländern zustande kam. In relativen (nicht jedoch in absoluten) Zahlen ist die AfD eine Partei des Ostens.

Umfragedaten erlauben es, weitere relevante Informationen bezüglich der Wählerschaft hervorzuheben. So schneidet die AfD leicht überdurchschnittlich unter Bürger:innen mit einfacher Bildung ab, während hoch gebildete Menschen innerhalb der AfD-Wählerschaft stark unterdurchschnittlich vertreten sind. Arbeiter:innen und Arbeitslose sind sehr häufig bzw. stark überdurchschnittlich innerhalb der AfD-Wählerschaft zu finden. Dies kann ein erster Indikator für eine erhöhte Wahlbereitschaft einer Wagenknecht-Partei innerhalb der bisherigen AfD-Wählerschaft sein, da sich gerade Menschen mit niedrigem Einkommen von dem Bündnis angesprochen fühlen könnten.

Die Untersuchung der beruflichen Qualifikation von Wähler:innen der AfD zeigt, dass Menschen mit handwerklichen Abschlüssen überdurchschnittlich häufig innerhalb der AfD-Wählerschaft zu finden sind. Wähler:innen der AfD haben häufig eine sozial schwächere Stellung. Um dies aufzuzeigen, untersucht das Arbeitspapier die soziale Teilhabe und Integration der AfD-Wählerschaft innerhalb der deutschen Zivilgesellschaft. Es zeigt sich, dass Wähler:innen der AfD deutlich seltener als die Wähler:innen anderer Parteien Mitgliedschaften in Vereinen, Organisationen oder Verbänden innehaben. Eine Ausnahme bildet hierbei die Mitgliedschaft in Gewerkschaften und in der „Querdenker“-Bewegung. In Umweltschutzgruppen befinden sich beispielsweise nur 0,6 Prozent der AfD-Wähler:innen, während 7,8 Prozent der Wähler:innen anderer Parteien dort Mitgliedschaften innehaben.

Wie steht es um die Einstellung und Orientierung der AfD-Wählerschaft? Zentrales Augenmerk liegt auf der Frage, ob Protestwählende eine entscheidende Größe unter AfD-Wähler:innen sind. Die nun folgenden Informationen aus dem Arbeitspapier der Otto Brenner Stiftung können dabei helfen, zu einer Einschätzung zu gelangen, ob die AfD hinsichtlich der Gründung einer neuen Partei rund um Sahra Wagenknecht einen Verlust an Wähler:innen zu befürchten hat.

Vereinfacht dargestellt ist davon auszugehen, dass ein hoher Anteil an möglichen Protestwählenden unter der AfD-Wählerschaft in Verbindung mit bestimmten Merkmalen, wie beispielsweise einer Anti-System-Haltung oder Politikverdrossenheit, mit einer höheren Wahlbereitschaft der Wagenknecht-Partei innerhalb der AfD gleichgesetzt werden kann. Inhaltliche politische Zielsetzungen können dabei wiederum keine primäre Rolle spielen.

Eine Untersuchung vor 2015 ergibt, dass die Protestwahl zu Beginn nicht als entscheidendes Merkmal betrachtet werden kann. Damals standen substanzielle Beweggründe im Vordergrund. Dennoch war ein gewisser Anteil an Protestwählenden immer schon vorhanden. Eine neuere Analyse zeigt, dass ein hoher Anteil an AfD-Wählenden sich im eigenen Wahlkreis nicht fair repräsentiert fühlt (41,4 Prozent) und der Meinung ist, dass die Bundestagswahl 2021 nicht korrekt und nicht fair verlief (24,1 Prozent). Gerade im Vergleich zu Wähler:innen anderer Parteien wird der Unterschied deutlich, da sich hier lediglich 9,1 bzw. 3,9 Prozent gleich geäußert haben. Das Briefwahlverfahren wird von 31,7 Prozent der AfD-Wählerinnen als eher nicht bzw. überhaupt nicht sicher gesehen, während diese Meinung nur 4,8 Prozent der Wähler:innen anderer Parteien vertreten.

Was das Funktionieren der Demokratie betrifft, zeigt sich bei AfD-Wähler:innen eine hohe Unzufriedenheit (55,7 Prozent). Diese fällt bei Wähler:innen anderer Parteien deutlich geringer aus (9 Prozent). Auf einer Skala von Null (geringster Wert) bis Zehn (höchster Wert) liegt das Vertrauen der AfD-Wähler:innen in die Bundesregierung, den Bundestag, die Parteien und Politiker:innen im Durchschnitt bei 3,35 Punkten, während der Durchschnitt bei Wähler:innen anderer Parteien hier bei 6,03 Punkten liegt. Für sich liefern diese Ergebnisse wertvolle Aufschlüsse über die Einstellung und Orientierung der AfD-Wählerschaft. Ebenso kann vermutet werden, dass AfD-Wähler:innen eine Repräsentationslücke wahrnehmen.

Es stellt sich jedoch, vor allem bei Betrachtung der anstehenden Wagenknecht-Partei und der Einschätzung eines diesbezüglichen für die AfD negativen Wahlverhaltens von bisherigen AfD-Wähler:innen, die Frage, ob dies genügend Hinweise dafür sind, dass es sich bei Wählenden der AfD um Protestwähler:innen handelt. Das Arbeitspapier der Otto Brenner Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei AfD-Wähler:innen im Kern trotz aller Vermutungen nicht überwiegend um Protestwähler:innen handelt. Inhaltliche Zielsetzungen spielen bei AfD-Wähler:innen durchaus eine wichtige Rolle. Beispiele hierfür sind die unter AfD-Wähler:innen stark ablehnende Haltung gegenüber einer allgemeinen Impflicht und gegenüber der Einführung einer Frauenquote. Abgesehen von diesen Politikzielen wird festgestellt, dass es vor allem der Populismus ist, der AfD-Wähler:innen ausmacht. Die typischen Merkmale des Populismus, unter anderem die ablehnende Haltung gegenüber den „Eliten“, kommt deutlich zum Vorschein.

Diese Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass die Gründung einer Wagenknecht-Partei nicht zwingend dazu führt, dass bisherige AfD-Wähler:innen ihre Stimme im großen Stil an diese neue Partei abgeben werden. Vor allem der Faktor der Protestwahl kann nicht als entscheidender Faktor hierfür betrachtet werden, sollte jedoch auch nicht vollständig vernachlässigt werden. In ihrem Interview mit der Tagesschau vom 23.10.2023 spricht Sahra Wagenknecht selbst davon, dass sie nicht nur Protestwählende erreichen will. Im Kern sollen Konzepte stehen, wobei vor allem die soziale Gerechtigkeit betont wird. Insofern bleibt abzuwarten, wie genau diese Konzepte ausgestaltet werden.

Da AfD-Wähler:innen durchaus auf bestimmte substanzielle Zielsetzungen Wert liegen, müsste dies zu gegebenem Zeitpunkt neu bewertet werden. Ebenso stellt sich die Frage, wie viel Populismus die Wagenknecht-Partei beinhaltet und welche Züge dies annimmt. Somit bleibt abzuwarten, wie viele AfD-Wähler:innen die neue Partei anspricht. Auch wenn die Ergebnisse nicht darauf schließen lassen, dass massenhaft Wähler:innen der AfD zukünftig die neue Partei wählen werden, kann die AfD sich nicht in Sicherheit wiegen. Mit Blick auf die Zukunft stellt sich ebenso die Frage, was die Entwicklungen für die anderen Parteien, vor allem für die politische Mitte, bedeuten.

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