„Zwischen dem industrialisierten Norden und dem agrarischen Süden herrscht seit jeher ein tiefer Graben, welcher weder durch die gemeinsame Religion noch durch die einheitliche Sprache überwunden werden konnte.“ (vgl. Goller, 2009)Im Rahmen der vorliegenden Hausarbeit soll untersucht werden, inwiefern in Italien, genauer gesagt in Norditalien, separatistische Bewegungen vorhanden sind, welche Rolle die Partei Lega (vormals Lega Nord) spielt und ob die Pläne der Lega Nord, ein eigenständiges Land mit dem Namen Padanien zu gründen, aktuell sind.
1. Einleitung
In einem ersten Abschnitt wird auf den Begriff des Separatismus eingegangen, um eine wissenschaftliche Grundlage zu schaffen, anhand derer später der konkrete Fall in Norditalien untersucht werden soll. Überprüft wird daher, wie sich die Lega Nord hinsichtlich der geografisch-politischen Schwerpunktsetzung über die Jahre positioniert hat und wie dies letztendlich zum Plan eines eigenständigen norditalienischen Landes namens Padanien führte.
Das nächste Kapitel widmet sich dem Mythos Padanien. Gibt es tatsächlich eine norditalienische Identität, die sich von einer süditalienischen Identität abgrenzt oder ist das nur eine politische Strategie der Lega, um ihre Pläne im Norden des Landes durchzusetzen (Stichwort Steuerhoheit, Föderalismus)?
Anschließend wird aufgezeigt, dass die Separationsbewegung der Lega Nord nicht lange Bestand hatte und welche Strategie sich die Lega Nord stattdessen zurechtlegte. Umberto Bossi, dem charismatischen Führer und Kopf hinter der Lega Nord sowie den Plänen nach einem eigenständigen norditalienischen Staat Padanien wird ein knappes Portrait gewidmet.
Der letzte Abschnitt soll schließlich die aktuelle Lage beurteilen. Hat die Lega ihre Pläne von einem eigenen, vom Süden unabhängigen Staat aufgegeben, um die Macht im ganzen Land zu ergreifen, mit Matteo Salvini als starkem Mann?
2. Der Begriff des Separatismus, Ursachen und Beweggründe
Der Duden definiert Separatismus als „das Streben nach Separation, besonders nach Gebietsabtrennung (zur Angliederung an einen anderen Staat oder zur politischen Verselbstständigung), um einen separaten Staat zu gründen“ (vgl. Dudenredaktion, o.J.).
Man spricht von Separatismus, wenn ein Teil der Bevölkerung eines Landes sich aus verschiedenen Gründen von diesem Staat loslösen möchte, um einen neuen, unabhängigen Staat zu gründen. In Europa kann man derzeit, beziehungsweise in den letzten drei Dekaden, immer wieder eine solche separatistische Tendenz erkennen. Das bekannteste Beispiel ist mit Sicherheit die spanische Region Katalonien, die sich vom spanischen Staat abspalten will. Aber auch im Baskenland (Spanien), in Flandern (Belgien) oder in den in dieser Hausarbeit behandelten norditalienischen Regionen spielt der Separatismus eine gewichtige Rolle.
An dieser Stelle ergibt sich die Frage nach den Ursachen und Beweggründen separatistischer Bestrebungen. Dies kann im Wesentlichen mit zwei Hauptfaktoren begründet werden: Einerseits sind es ökonomische Interessen. Reiche und wirtschaftlich erfolgreiche Regionen führen in einem Staat mehr Steuern ab als wirtschaftlich schwache Regionen. Der Staat verteilt diese Steuern wiederum zurück, und die schwachen Regionen erhalten somit mehr Finanzmittel vom Staat als die reichen Regionen. In wirtschaftlich starken Regionen wie beispielsweise Katalonien oder dem Norden Italiens führte diese Politik zu starken Protesten seitens der Bevölkerung, was wiederum von separatistischen Gruppen oder Parteien aufgegriffen wurde und in konkrete Pläne zur Abspaltung der Regionen vom Zentralstaat transformiert wurde.
Andererseits spielen regionale Gemeinsamkeiten oder sogenannte Identitäten eine sehr große Rolle. Die Regionen, die sich von ihrem Staat trennen wollen, identifizieren sich häufig über eine von den anderen Regionen abweichende Kultur, Sprache (Dialekt), Geschichte oder andere Charaktereigenschaften der ansässigen Bevölkerung. Man hält sich für etwas Besseres, für intelligenter und fleißiger, um nur einige wenige Eigenschaften aufzuzählen. Die Abspaltung von den anderen Regionen erscheint diesen Bevölkerungsteilen als einzige Lösung, um “unter sich zu bleiben“.
Ein interessanter und vor allem rechtlich spannender Punkt ist die Frage nach der Legitimation von Separation. Dabei kommt es darauf an, ob die Abspaltung friedlich und einvernehmlich abläuft oder nicht. Sollten die Trennungen einvernehmlich und friedlich ablaufen, so werden sie meistens international und auch national anerkannt, eine demokratische Abstimmung im gesamten Land sollte dem Prozess der Abspaltung jedoch vorausgegangen sein. Andernfalls wird im Regelfall die Abspaltung nicht anerkannt (vgl. Bieri, 2014). Im Folgenden wird der konkrete Fall von Norditalien untersucht.
3. Die Lega Nord und ihre geografische Schwerpunktsetzung
Um die Lega Nord und somit auch die Pläne eines unabhängigen norditalienischen Staates namens „Padanien“ besser einschätzen zu können, muss ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Partei geworfen werden, speziell auf die sich im Lauf der Zeit ständig wandelnde geografische Ausrichtung der Partei. Hinsichtlich der geografischen Ausrichtung in der Parteiideologie der Lega Nord haben sich im nachhinein betrachtet vier Phasen herauskristallisiert, die im Folgenden genauer untersucht werden sollen.
Die Lega Nord wurde 1989 von Umberto Bossi gegründet. Doch bereits in den 1980er-Jahren, insbesondere in den Jahren unmittelbar vor der Gründung der Lega Nord, feierten verschiedene „regionale Ligen“ beträchtliche Wahlerfolge in Norditalien. Diese Phase der „regionalen Ligen“ kann als erste Phase der Lega Nord bezeichnet werden. Der erste geografische Schwerpunkt, der zu dieser Zeit gesetzt wurde, war jener des Ethnoregionalismus.
In dieser ersten Wachstumsphase der (noch nicht gegründeten) Lega Nord, die von 1979 bis 1989 verlief, verzeichneten die Lega Lombarda und die Lega Veneta erste Wahlerfolge, erfreuten sich medialer Aufmerksamkeit und auch zunehmender politischer Unterstützung. Die verschiedenen regionalen Ligen setzten ihre politischen Schwerpunkte, indem sie auf die ethnoregionalen Unterschiede wie beispielsweise Dialekt, Einstellungen und Verhalten hinwiesen. Dies erreichten sie durch eine politische Rhetorik, in der sie ein Gefühl einer gemeinsamen regionalen Identität schufen.
Diese Rhetorik war bei den nationalen Wahlen im Jahr 1987 insbesondere in der Region Venetien erfolgreich, in welcher die Lega Veneta in den Provinzen Belluno, Treviso und Vincenza rund vier Prozent der Stimmen erhielt, aber auch in der Lombardei, wo die Lega Lombarda in Gebieten wie Bergamo, Como und Varese gut abschneiden konnte. Jedoch erwies sich diese regionale Rhetorik als unzulänglich, was unter anderem daran liegt, dass die lokale und auch nationale Identifikation in Norditalien viel stärker ausgeprägt ist, als es eine regionale Identifikation sein könnte (vgl. Giordano, 2001).
Da die ethnoregionale Rhetorik mit den einzelnen regionalen Ligen keinen Erfolg hatte, schlossen sich diese zwischen 1989 und 1992 zur Lega Nord zusammen. Die Lega Nord entstand aus insgesamt sechs regionalen Ligen aus den Regionen Emilia-Romagna (Lega Emilia-Romagna), Ligurien (Uniun Ligure), Lombardei (Lega Lombarda), Piemont (Piemont Autonomista), Toskana (Alleanza Toscana) und Venetien (Lega Veneta). Jede einzelne Liga behielt jedoch eine gewisse Autonomie, sowohl organisatorisch, als auch politisch (vgl. Gallmetzer, 2019).
Später expandierte die Lega Nord in die Regionen Aostatal, Friaul-Julisch Venetien, Marken, Trentino-Südtirol und Umbrien. Einhergehend mit der Gründung der Lega Nord wurde eine Verschiebung der geografischen Parteirhetorik vorangetrieben. Umberto Bossi, der vom Chef der Lega Lombarda zum Chef der Lega Nord aufstieg, initiierte diese Verschiebung. Im Jahre 1991 wandte sich die Lega Nord vom Ethnoregionalismus ab, um den Föderalismus zu stärken. Damit beginnt auch die zweite Phase der geografisch-politischen Rhetorik der Partei.
Aus der Idee von lokalen und regionalen Strukturen wurde die Idee von Italien als Bundesstaat. Dieser sollte in drei Makroregionen aufgeteilt werden: Italien Nord, Italien Mitte und Italien Süd. Die Lega Nord schuf ein Bundesprojekt, welches von einer neuen „vorläufigen Bundesverfassung“ untermauert wurde, welche aus 10 Artikeln bestand (vgl. Giordano, 2001).
Diese Präsidial- und Konföderalvereinbarungen, die detailliert ausgearbeitet waren, schlugen eine „Italienische Union“ vor, die als freie Vereinigung von drei Republiken (Norden, Mitte, Süden) fungieren sollte, wobei es mit den fünf autonomen Regionen einen separaten Zusammenschluss geben sollte. Das Aostatal, Friaul-Julisch Venetien und Trentino-Südtirol sollten dem Norden angehören, Sardinien und Sizilien dem Süden.
Die Zentralregierung bestände demnach aus einem von allen Unionsbürgern direkt gewählten Ministerpräsidenten, der darüber hinaus von einem „Direktorium“ unterstützt werden sollte, welches wiederum aus den Präsidenten der acht konstituierenden Einheiten zusammengesetzt sein sollte. Die Grundlage, die hinter diesem föderalen Projekt steht, ist für die spätere Schaffung des Projekts „Padania“ zentral: Die Lega Nord nahm an, dass Italien tatsächlich aus drei unterschiedlichen und getrennten Gesellschaften bestehe, die sich durch ihre sozioökonomischen Unterschiede definiere (vgl. Giordano, 2001).
Die Lega Nord zeichnete sich in dieser Phase dadurch aus, dass sie die Probleme der verschiedenen sozialen Sektoren Italiens in Norditalien hervorragend darstellte und ausnutzte. Somit war es möglich, Norditalien gegen Rom, gegen den Zentralstaat, gegen die traditionellen Parteien und vor allem gegen den Süden zu positionieren. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 1992 wurde die Lega Nord für ihre föderale Rhetorik mit über drei Millionen Stimmen und somit landesweiten 8,7% der Wählerstimmen belohnt.
In den Stammregionen Lombardei und Venetien erreichte die Partei 21%, bzw. 18%. Die Lega Nord stellte 81 Abgeordnete im Parlament und war somit auf der politischen Landkarte Italiens angekommen. Außerdem hatte sie es geschafft, Erfolge in Regionen zu erzielen, in welchen sie vormalig nicht besonders erfolgreich sein konnte, wie beispielsweise in Friaul-Julisch Venetien, in Trentino-Südtirol, in der Emilia-Romagna sowie in den Provinzen Piacenza und Parma, welche an die Lombardei und Venetien grenzen (vgl. Giordano, 2001).
Die dritte Phase lag zwischen 1993 und 1994 und demzufolge inmitten der politischen Instabilität infolge der Korruptionsskandale, die als “Tangentopoli“ (was wörtlich übersetzt soviel bedeutet wie die “Stadt der Schmiergeldzahlungen“; gemeint war Mailand) in die Geschichte Italiens eingingen. Die Korruptionsskandale führten letztendlich auch zur Auflösung der beiden wichtigsten Regierungsparteien, der EZ-Partei und der italienischen Kommunistischen Partei PCI, und somit auch zum Ende der so genannten Ersten Republik, die eben von den genannten Parteien geprägt war.
Die Lega Nord jedenfalls kann als Hauptnutznießer dieser Situation betrachtet werden. Die Rhetorik wurde wiederum geändert: Umberto Bossi zielte darauf ab, die Lega Nord zum nationalen Player zu machen. Man wollte in die Lücke stoßen, welche sich durch den Niedergang der beiden traditionellen Parteien ergeben hatte. Dies führte auch dazu, dass die Rhetorik ein weiteres Mal geändert wurde, weg von der Anti-System-Partei, hin zu einer seriös arbeitenden Partei. Die geografische Rhetorik sollte national ausgerichtet sein. An diesem konkreten Beispiel der Lega Nord kann beobachtet werden, wie selbst eine auf Regionalismus ausgerichtete Bewegung durch die Anziehungskraft der politischen Macht ihre Ideale aufgeben kann und sich in eine gesamtstaatlich politisch agierende Partei wandeln kann (vgl. Giordano, 2001).
1994 wurde die Lega Nord Teil der Mitte-Rechts-Regierungskoalition von Silvio Berlusconis Partei Forza Italia sowie der neofaschistischen Alleanza Nazionale. Gegenüber der Wahl von 1992 war die Lega Nord mit 8,4% leicht zurückgefallen, was nicht sonderlich ins Gewicht fallen sollte. Jedoch stagnierte beziehungsweise verlor die Partei in ihren Stammregionen im Norden. Auch in Mittelitalien, wo sie versuchte, ihre Basis zu vergrößern, konnte sie keine bedeutenden Erfolge verzeichnen. Letztendlich war die Lega Nord fast ausschließlich in jenen Regionen erfolgreich, in welchen die Lega Lombarda und die Lega Veneta erstmals Unterstützung fanden.
Die Zusammenarbeit mit der Forza Italia und der Alleanza Nazionale verlief nicht zufriedenstellend. Letztendlich hatte sich die Lega Nord der Macht wegen mit ihren politischen Feinden verbündet, was das Ansehen und die Identität der Partei schwächte und ihre Umfragewerte stark abnehmen lies, was wiederum bei den Europawahlen 1994 bestätigt wurde.
Ab 1995 begann für die Lega Nord die vierte Phase. Bossi entschied sich wenige Monate nach der Regierungsbildung, jene Regierung direkt wieder zu verlassen, was zum Zusammenbruch der Regierung und einer politischen Krise in Italien führte. Doch auch innerhalb von Bossis Partei brodelte es: es gab eine große Sektion in der Partei, welche mit der Forza Italia sympathisierte und sich als Flügel dieser betrachtete.
Die Partei war in ihrer größten Krise, sozusagen in einer Identitätskrise. Die nationale Wahl 1996 wurde zum Wendepunkt. Umberto Bossi entschied sich zu einer Rückbesinnung auf jene Themen, die die Bewegung ursprünglich auszeichneten und erfolgreich machten: die politische territoriale Identität sowie die Anti-System-Haltung. Die Lösung für die Probleme war die Schaffung eines Ortes namens “Padania“, auf deutsch “Padanien“.
Padanien stellt somit die letzte geografische Verschiebung in der Rhetorik der Lega Nord dar. Infolge der Padanien-Pläne, die später ausführlich beschrieben werden, änderte Bossi auch den Namen der Partei in “Lega Nord per l’indipendenza della Padania“, was soviel bedeutet wie “Lega Nord für die Unabhängigkeit Padaniens“. Ausgesprochen wichtig für Bossi war es, die Verbindung zwischen der politischen Organisation Lega Nord und ihrem Territorium wiederherzustellen, was während der Zeit des Regierens weitestgehend verloren schien (vgl. Giordano, 2001).
Die “questione meridionale“, wie das Problem des wirtschaftlichen Gegensatzes zwischen reichem Norden und armem Süden genannt wird, besteht schon seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Schon damals gab es unterschiedliche Lösungsansätze, um dieser Problematik zu entgegnen: die eine Seite forderte einen zentralistischen Staat nach französischem Vorbild, um eine Teilung Italiens in Nord und Süd zu verhindern, die andere Seite widersprach dieser Forderung heftig, da sie nicht dem italienischen Charakter entspreche, und forderte eine Konföderation von italienischen Staaten unter zentraler Führung, jedoch mit weitgehender Autonomie für die Teilstaaten. Letztendlich wurde Italien 1861 als zentralistische Monarchie gegründet (vgl. Goller, 2009).
Die wirtschaftliche Ungleichheit ist bis heute geblieben, da es den südlichen Regionen nicht gelungen ist, den Rückstand gegenüber dem Norden aufzuholen. Im Folgenden wird der Blick auf das Konstrukt Padanien geworfen.
4. Padanien
Mit dem Begriff Padanien hat die Lega Nord einen virtuellen Ort geschaffen, der historisch gesehen nie existiert hat. Padanien bezeichnet einen geografischen Teil Italiens, genauer gesagt Norditalien und Teile Mittelitaliens. Um es noch einmal anders auszudrücken: Es war der gesamte vom Fluss Po (auf lateinisch padanus) durchflossene norditalienische Bereich gemeint, von den französisch-italienischen Alpen bis hin zur Adria (vgl. Gallmetzer, 2019, S. 24).
Die Regionen, aus denen Padanien bestehen sollte sind: Die Lombardei, Venetien, das Piemont, die Toskana, die Emilia-Romagna, Ligurien, die Marken, Friaul-Julisch Venetien, Umbrien, Trentino, Südtirol sowie das Aostatal. Die Bevölkerungszahl Padaniens beträgt je nach Betrachtungszeitpunkt zwischen 31 Millionen (im Jahr 1996) und 34 Millionen (im Jahr 2009) Einwohner und somit deutlich mehr als die Hälfte der italienischen Gesamtbevölkerungszahl. Auch die Fläche wäre mit 161.020 km2 bei knapp 62% vom gesamten Land (vgl. Spiegel 38/1996). Aber was genau hatte die Lega Nord mit Padanien vor?
Je nachdem, zu welchem Zeitpunkt man die Situation um Padanien beziehungsweise Norditalien betrachtet, wird man zu unterschiedlichen Antworten auf diese Frage kommen. Die Antworten sind mehr oder weniger kongruent zu der anfangs beschriebenen geografisch-politischen Rhetorik der Partei. Dabei ist unter anderem die Forderung nach einem föderalistisch aufgebauten Italien mit besonderen Autonomiebefugnissen für Padanien, wie beispielsweise Steuerhoheit, zu nennen. Doch an dieser Stelle wird auf die Situation ab dem Jahre 1996 eingegangen: Der Forderung der Lega Nord nach einem unabhängigen, von Italien losgelösten und eigenständigen Staat namens Padanien.
Die Parteioberen um Umberto Bossi waren der Meinung, dass es sich bei den Norditalienern um rechtschaffene, ehrliche und fleißige Menschen handelt, ganz im Gegensatz zu den faulen, nichtsnutzigen Süditalienern. Der Reichtum des Nordens sei das Resultat der soziokulturellen Überlegenheit der Norditaliener gegenüber den süditalienischen Landsleuten (vgl. Gallmetzer, 2019). Die Effizienz, der Ehrgeiz, der Fleiß, die Denk- und Lebensweise, schlicht der gesamte Norditaliener sei etwas Besseres, so die Anhänger der Lega Nord.
Dieser Anti-Süditaliener-Rassismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Rhetorik der Partei und ist bis in die späten 1990er Jahre ein zentrales Element. Daher ist es für die Lega Nord auch nur logisch, dass sich Norditalien einen eigenständigen Staat verdient hat. Dass in Padanien 63% des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet wird und auch ein Großteil der Steuereinnahmen aus dem Norden kommt, ist für die Partei ein weiterer Grund für die Sezession. Der von Vetternwirtschaft, Ineffizienz und Faulheit geprägte Süden sei ein Parasit, der auf Kosten des Nordens lebt, so die Parteiideologie (vgl. Hausen, 2018).
Doch es ist nicht nur der Hass gegenüber den terroni, wie die Süditaliener von den Norditalienern verächtlich genannt werden, was soviel bedeutet wie “Erdfresser“, was wiederum auf den auf die Landwirtschaft ausgerichteten Süden zurückzuführen ist (terra bedeutet übersetzt Erde). Ein weiterer Dorn im Auge der Lega Nord ist die Hauptstadt Rom, die sinnbildlich für den Zentralstaat mit all seinem Übel steht. Der Norden werde von der roma ladrina, der “großen Diebin Rom“, ausgeplündert. Die übermäßigen Steuern, die Rom vom Norden abführe, würden in den Süden weitergeleitet, wo sie ohnehin nicht zielführend genutzt, sondern in die Taschen von Kriminellen und insbesondere der Mafia wanderten. Die Mafia bereichere sich an Großaufträgen, die sie vom italienischen Zentralstaat kämen, jedoch nicht oder nur unzureichend ausgeführt und von den Steuern der Norditaliener bezahlt würden.
Die Lega Nord zeichnete sich jedoch auch durch klassische populistische Elemente aus, wie beispielsweise die Abneigung gegenüber den Medien. Hier traf es insbesondere das italienische Staatsfernsehen RAI: Bossi forderte seine Unterstützer tatsächlich auf, die Sendemasten des Rundfunksenders RAI in die Luft zu sprengen. Die RAI hätten schließlich schlecht über die Lega Nord berichtet und steckten ohnehin mit der Mitte-Links-Regierung Prodis unter einer Decke. Dies wiederum rief den damaligen Innenminister Giorgio Napolitano auf den Plan, Bossi zu drohen, dessen illegale Aktionen konsequent zu bekämpfen (vgl. Borngässer, 1996). Hier könnten noch weit mehr derartige Vorhaben und Anstöße Bossis genannt werden.
Im Folgenden wird ein Blick auf die Gründung Padaniens im September 1996 geworfen, die eng mit dem Namen Umberto Bossi zusammenhängt. Am Freitag, den 13. September 1996, um 17:20 Uhr schöpfte Bossi an der Quelle des Po in Pian del Re im Piemont frisches Quellwasser in eine Ampulle und hob eine Handvoll Erde vom Boden auf. Mit dem Wasser und der Erde sollte die Taufe Padaniens am darauffolgenden Sonntag in Venedig vollzogen werden.
Die Veranstaltung an der Quelle des 652 km langen Po sollte der Auftakt der Unabhängigkeitserklärung Padaniens werden. In diesen drei Tagen des Septemberwochenendes tat Umberto Bossi so, als ob es den Staat Padanien wirklich gebe (vgl. Oschwald, 1996). Bossis Reise durch Padanien startete am Samstag, den 14. September 1996, in Piacenza, wo Bossi eine Kundgebung vor über 30.000 fanatischen Lega-Anhängern gab.
Am selben Tag fand in Mantua, der angeblichen Padanien-Hauptstadt, das Unabhängigkeitsfest mit feierlicher Fahnenweihe statt. Am Sonntag, den 15. September 1996, demonstrierten Süditaliener in Pontida für den Erhalt der Einheit Italiens. Bossi dagegen feierte in Venedig den Abschluss der Unabhängigkeitserklärung Padaniens, die jedoch unwirksam war (vgl. Oschwald, 1996). Dieses Volksfest, das am Ufer des Po an diesem Wochenende stattfand, sollte in den nächsten Jahren alljährlich wiederholt werden. Die italienischen Zeitungen schätzten dieses Wochenende als die größte Theatervorführung ein, die das Land je gesehen hat. Jedoch wurden Bossi, die Lega Nord und die separatistischen Pläne um Padanien von der politischen Konkurrenz mehr als ernst genommen und von der Bevölkerung mit einem wachsamen Auge verfolgt (vgl. Spiegel 21/1996).
Im Jahre 1997 wurde ein padanisches Parlament gegründet, welches aus den von der Lega Nord organisierten Wahlen hervorging. Der Sitz des Parlamentes war in Mantua, der Hauptstadt des neuen Staates und es umfasste 350 Parlamentarier. Es wurde eine padanische Regierung gebildet sowie eine vorläufige padanische Verfassung verabschiedet. Sowohl das Parlament als auch die Unabhängigkeit des padanischen Staates wurde von keiner anderen Regierung akzeptiert und blieb somit für alle unwirksam, bis auf die Anhänger der Lega Nord.
Die italienische Nationalflagge hatte selbstredend ausgedient, die neue Flagge sollte fortan “il sole delle alpe“ (die Sonne der Alpen) sein. Auch eine neue Nationalhymne wählte die Lega Nord aus: “Va pensiero“ von Giuseppe Verdi. Das Lied wird bei sämtlichen Veranstaltungen der Partei gespielt. Darüber hinaus wurden einige padanische Organisationen geschaffen: eine padanische Polizei namens Guardia nazionale padana und eine padanische Gewerkschaft mit der Bezeichnung Sindaco Sin. Pa. Um die Propaganda nach außen zu tragen, mussten natürlich auch entsprechende Medien gegründet werden. Dies war zum einen ein padanischer Fernsehsender (“Tele Padania“), ein padanischer Radiosender (“Radio Padana Libera“) sowie die Tageszeitung “La Padania“ (vgl. Goller, 2009).
Entscheidend ist, dass es sich bei Padanien um eine von der Lega Nord konstruierte Identität, ein Konstrukt handelt, das tatsächlich als solches nicht existiert (vgl. Goller, 2009). Das Parlament fungierte letztendlich als internes Organ der Lega Nord, in der Öffentlichkeit verschwand es ziemlich schnell wieder in der Bedeutungslosigkeit. Eine interessante Randnotiz: Matteo Salvini, heutiger Chef der Lega, war der Kandidat der Kommunistischen Partei Padaniens und zog in das padanische Parlament ein (vgl. Wikipedia, 2019).
5.) Das schnelle Ende Padaniens
1998 wurde die Sezessions-Strategie schon wieder aufgegeben. Die neue Strategie lautete fortan “Devolution“. Der Begriff Devolution stammt aus Großbritannien und bezieht sich auf eine Staatsreform, welche Schottland, Wales und Nordirland Kompetenzen gegenüber der Zentralregierung einräumen soll. Die Lega Nord setzte sich auf legale Art und Weise mittels einer verfassungsgebenden Versammlung für die Gründung eines norditalienischen Parlaments wie auch eines süditalienischen Parlaments ein. Beide sollten dabei mit bedeutenden Kompetenzen ausgestattet werden. Die neue Strategie, die von Umberto Bossi initiiert wurde, führte zu heftigen parteiinternen Streitigkeiten und zu einigen Parteiaustritten (vgl. Goller, 2009).
Bei den Wahlen zum Europaparlament 1999 erlitt die Lega Nord eine empfindliche Niederlage (4,5% der Stimmen), woraufhin Umberto Bossi seinen Rücktritt anbot, jedoch später als Parteivorsitzender bestätigt wurde, nachdem er versprochen hatte, einen radikalen Umbruch einzuleiten. Die Partei präsentierte sich fortan weniger als Anti-System-Partei, sagte sich von der Anti-Süditalien-Rhetorik los und präsentierte sich in den folgenden Jahren als Partei, die von 2001 bis 2006 der Regierung unter Silvio Berlusconi angehörte und durch ihre Abneigung gegenüber Migranten auffiel. Im nächsten Abschnitt wird Umberto Bossi, der Chef der Lega Nord, portraitiert.
6. Umberto Bossi – der charismatische Führer der Lega Nord und Kopf hinter “La Padania“
Als die Lega Nord 1991 aus den sechs regionalen Ligen gegründet wurde, machte sie Umberto Bossi zum Vorsitzenden der Partei. Und das blieb er über 20 Jahre lang. Zum Zeitpunkt seiner Ernennung zeichnete ihn vor allem sein Charisma aus. Gepaart mit seinen populistischen Reden, um nicht zu sagen Wutreden, war das die richtige Mischung, um unangefochtener Chef der Partei zu werden.
Umberto Bossi wurde 1941 in Varese in der Lombardei geboren. Nachdem er seine Schulzeit abgeschlossen hatte, arbeitete Bossi als Automechaniker und Radiotechniker. Daraufhin begann er ein Medizinstudium, welches er jedoch nach relativ kurzer Zeit wieder abbrach. Das Jahr 1979 sollte für Umberto Bossi zu einem entscheidenden Jahr werden, was mit seiner Begegnung mit Bruno Salvadori zu tun hatte.
Salvadori ist der Gründer der autonomistischen Partei der Region Val d’Aosta. Salvadori gelang es, Bossi davon zu überzeugen, dass Italien insbesondere unter dem Zentralismus leide und machte ihm klar, dass ein Italien der Regionen die Ideallösung sei. Die einzelnen Regionen, die historisch gewachsen seien, müssten autonom sein. Nach Bruno Salvadoris Tod gründete Bossi die Lega Lombarda, aus der später die Lega Nord hervorgehen sollte.
Zu dieser Zeit waren es vor allem Kleinbürger - Handwerker, Kaufleute, Angestellte oder unzufriedene Mittelständler -, die die Lega Lombarda trugen. Wie bereits erwähnt, wurden damals weitere regionale Ligen gegründet, alle unterstützt von unzufriedenen norditalienischen Bürgern. Um die Abgrenzung vom Norden zum Süden, von Norditalienern zu Süditalienern klar zu definieren, waren für Bossi folgende Charakteristika von großer Bedeutung: der eigene Dialekt, die engere Heimat und gemeinsame Ressentiments (vgl. Borngässer, 1996).
Untersucht man jedoch die nord- beziehungsweise mittelitalienischen Dialekte, so kann man feststellen, dass diese sehr unterschiedlich sind und nicht als das eine, verbindende Element angesehen werden können. Ähnliches trifft auf den enger gefassten Heimatbegriff zu. Was die gemeinsamen Ressentiments betrifft, so kann erfasst werden, dass bestimmte Gruppierungen innerhalb Norditaliens sicherlich eine Abneigung gegenüber den Süditalienern haben, doch handelt es sich hier mitnichten um ein einheitliches, norditalienisches Gedankengut.
Um auf Umberto Bossi zurückzukommen: nachdem sich die regionalen Ligen 1989 zur Lega Nord zusammengeschlossen hatten, stieg Bossi zum charismatischen Chef der Partei auf. Das Mittel der Provokation hatte Bossi stets verinnerlicht. Hier einige Beispiele: Nachdem Bossi und die Lega Nord 1994 der ersten Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi beigetreten waren, jedoch aus dieser schon Ende des Jahres wieder austraten und diese somit zum Scheitern brachten, wurde Berlusconi von Bossi in den folgenden Jahren nur noch als “Berluscaz“ bezeichnet (von cazzo = “Schwanz“). Dieser Vulgarität blieb sich Bossi zeit seiner gesamten politischen Karriere treu.
Angesprochen auf die Lega-Dissidentin Irene Pivetti sagte er: „Zum Teufel mit der Pivetti. Wir werden ihre Leiche, im Tiber treibend, dem Vatikan zurückschicken.“ (vgl. Oschwald, 1996). Den Padanien-Gegnern entgegnete er: „Verrückten wird das Recht auf Wasser und Salz aberkannt.“ (vgl. Oschwald, 1996). Seine Aussage, er werde der italienische Ghandi sein, spricht von einem sehr ausgeprägten Selbstbewusstsein, um nicht von Größenwahn zu sprechen.
Vor den Wahlen zum nationalen Parlament 2001 verbündete sich Bossi erneut mit Silvio Berlusconi, die sich beide geschworen hatten, nie wieder gemeinsame Sache zu machen. Das Mitte-rechts-Bündnis Casa delle Liberta gewann schließlich auch die Wahl und Bossi übernahm den Posten des Ministers für institutionelle Reformen.
Am 11. März 2004 erlitt Umberto Bossi im Alter von 62 Jahren einen schweren Schlaganfall, der ihn für einige Monate außer Gefecht setzte. Seinen Posten als Reformminister im Kabinett von Silvio Berlusconi gab Bossi auf, um dafür einen Sitz im Europaparlament anzunehmen (vgl. FAZ, 2004).
Zwischen 2008 und 2010 verschwanden 49 Millionen Euro aus den Kassen der Lega Nord. Wie sich 2012 herausstellen sollte, bereicherte sich unter anderem Umberto Bossi, der jahrelang Rom und die Süditaliener als Diebe und Parasiten beschimpft hatte, an diesen staatlichen Parteizuschüssen. Bei einer polizeilichen Durchsuchung der Parteizentrale der Lega Nord wurde ein schwarzes Buch mit der Aufschrift “The Family“ sichergestellt. In diesem Buch waren die Ausgaben der Familie Bossi niedergeschrieben. Bossi ließ die eigene Villa renovieren, Autos und Restauranteinladungen wurden ebenfalls von der Parteikasse gezahlt. Die schwarze Kasse finanzierte auch den Kauf eines Studienabschlusses von Bossis Sohn Renzo in Albanien.
Vor Gericht konnten sich die Bossis an all dies nicht mehr erinnern. Bossi wurde von den Gerichten zu einer Haftstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt, der er sich bis heute jedoch aufgrund seiner parlamentarischen Immunität und seines fortgeschrittenen Alters entziehen konnte. Die Macht in der Partei verlor Bossi nach diesem Skandal. 2018 wurde Bossi wieder für die Lega in den Senat gewählt, wo er sich nicht mehr großartig einbringt und keine Ambitionen mehr hegt. Umberto Bossi ist mittlerweile Italiens Parlamentarier mit der zweitlängsten Amtszeit, seit 28 Jahren hat er ein Mandat inne (vgl. Neinhaus, 2019). Im letzten Abschnitt wird nun ein Blick auf die aktuelle Lage hinsichtlich der norditalienischen Separationsbewegung geworfen.
7.) Aktuelle Perspektive auf die Lega Nord und die Separationsbewegung
Der Südländer-Rassismus hatte Anfang des neuen Jahrtausends ausgedient und wurde abgelöst durch einen Hass auf Migranten, welche zu großen Teilen einen muslimischen Hintergrund haben. Der Islam als klassisches Feindbild gegenüber dem katholischen Christentum. Die Lega Nord, die nie einen Bezug zur Kirche hatte, stellte diesen nun gerne her. Während zu Zeiten des Faschismus noch das Judentum zum Feind erklärt wurde, ist dies im neuen Jahrtausend der Islam. Die „sich im Land breit machenden“ Muslime würden sich als Kriminelle an den rechtschaffenden und gesetzestreuen Italienern vergreifen, so die Anhänger der Lega Nord. Diese Pauschalisierung ist ein weiteres populistisches Merkmal, eine Differenzierung findet nicht statt und wäre kontraproduktiv für die Ziele der Lega.
Demzufolge war ein Padanien, welches sich vom Süden Italiens abgrenzt, nicht mehr im Sinne der Lega Nord, die sich nun auch Wählerstimmen aus dem Süden sichern wollte, was bis vor kurzem jedoch unmöglich war.
Im März 2014 schaffte es ein Online-Referendum über die Unabhängigkeit Venetiens in die Schlagzeilen. Laut den Initiatoren beteiligten sich mehr als eine Million Menschen. Dies kann jedoch nicht überprüft werden, da von den durchführenden Organen keine Zahlen veröffentlicht wurden. Einer der Initiatoren ist Gianluca Busato, ein Unternehmer aus Treviso. Dieser habe mit 5.000 freiwilligen Helfern insgesamt 3 Millionen Online-Codes, die für die Teilnahme an diesem Online-Referendum berechtigen, ausgegeben (vgl. Reinbold, 2014). Das Interessante an dieser Geschichte ist letztendlich, dass die Separatistenbewegung im Norden des Stiefellandes auch Jahre nach den Padanien-Plänen immer noch am Leben ist.
Ein weiterer Beleg für den Autonomiewunsch der Norditaliener lässt sich in Südtirol finden, wo seit 2019 die Lega von Matteo Salvini mit der christdemokratischen Südtiroler Volkspartei (SVP) koaliert. Salvini unterstützt dort ausdrücklich die Stärkung der Regionen. Es sollen mehr Steuergelder in den historisch „autonomistischen“ Norden Italiens abgeführt werden (vgl. Rüb, 2019).
8.) Zusammenfassung
Im Rahmen dieser Hausarbeit sollte die norditalienische Separationsbewegung untersucht werden, die von der Partei Lega Nord ins Leben gerufen wurde und das Projekt “Padanien“ als eigenständigen Staat zum Ziel hatte. Eine Separationsbewegung hat meistens zwei Kernthemen, die aus der Unzufriedenheit in der Bevölkerung einer Region stammen, was wiederum Parteien und Bewegungen auf den Plan ruft, eine solche Separationsbewegung zu starten.
Diese beiden Themen sind: ökonomische Interessen und regionale Gemeinsamkeiten. Die Bevölkerung einer zumeist reichen Region fühlt sich benachteiligt und ist nicht bereit, den ärmeren Regionen finanziell auszuhelfen. Außerdem erkennt sie eine eigene Identität, die sich von jener der anderen Regionen hinsichtlich Geschichte, Kultur, Sprache (Dialekt) und Charaktereigenschaften unterscheidet.
In einem ersten Abschnitt wurde aufgezeigt, dass die Lega Nord, eine norditalienische Partei, die aus verschiedenen regionalen Kleinparteien entstand, in insgesamt 4 Phasen unterschiedliche, immer geografisch ausgerichtete Ansichten vertrat, wie der italienische Staat aufgebaut sein sollte. In einer ersten Phase wurde auf Ethnoregionalität gesetzt, gefolgt von dem Plan eines italienischen Bundesstaates mit drei Makroregionen Italien Nord, Italien Mitte und Italien Süd in Phase 2. In Phase 3, in der man an der nationalen Macht interessiert war, wurde eine auf den gesamten Staat ausgerichtete Rhetorik angewandt. Nachdem man kurzzeitig erfolglos an einer Regierung um Silvio Berlusconi beteiligt war, wurde der Fokus in der vierten und letzten Phase wieder auf die Stammwählerschaft im Norden Italiens gerichtet. Der Plan war nun die Abspaltung der nördlichen und einiger mittelitalienischen Regionen vom Süden des Landes. Dieser norditalienische Staat sollte den Namen Padanien tragen.
Im Jahr 1997 erschuf die Lega Nord das Konstrukt Padanien, das weder vom italienischen Zentralstaat noch von anderen Regierungen anerkannt wurde. Padanien hatte ein eigenes Parlament mit 350 Abgeordneten in der Hauptstadt Mantua, eine Regierung um den Lega-Chef Umberto Bossi und eigene mediale Kanäle (TV-Sender, Radioprogramm und Tageszeitung), über welche die Propaganda verteilt wurde. Padanien wurde gegründet, weil die Norditaliener nach Ansicht der Anhänger der Lega Nord sowohl vor den kriminellen, faulen, ehrlosen und korrupten Süditalienern geschützt werden sollten, als auch vom italienischen Zentralstaat in Form der roma ladrina, der räuberischen Hauptstadt Rom, befreit werden müssten.
Die Identität der Norditaliener sei einfach nicht vereinbar mit jener der Süditaliener. Diese beiden Elemente, Hass gegenüber den Süditalienern und der Hauptstadt Rom, die der hart arbeitenden Bevölkerung des Nordens ihr Vermögen streitig mache, zogen sich durch die Rhetorik der Partei. Diese beiden Elemente sind auch die anfangs beschriebenen Kernthemen, die zu einer Separationsbewegung führen können.
Lange wurde nicht an Padanien festgehalten. Das Parlament fungierte ab 1998 als internes Organ der Partei, nachdem die Sezessionsbestrebungen wieder aufgegeben wurden. Die Lega Nord reagierte letztendlich immer auf Wahlergebnisse, wenn sie die geografisch-politischen Strategien überarbeitete und veränderte. Zwischen dem Ende der 90er Jahre und Anfang des neuen Jahrtausends verabschiedete man sich auch von der Anti-Süditalien-Rhetorik und konzentrierte sich auf die Abneigung gegenüber den Ausländern. Diese Taktik ist auch heute unter Matteo Salvini, dem neuen starken Mann der inzwischen in Lega umbenannten Partei, aktuell.
Die Lega Nord wurde über zwei Jahrzehnte von Umberto Bossi geführt, dem charismatischen Führer, wie er oft in populistischen Parteien vorkommt. Bossi liebte die Provokation, gerne auch unter der Gürtellinie, und er stand immer für die Bedürfnisse der Norditaliener ein. Er zog sich nach 2004 krankheitsbedingt zurück. Die Affäre um veruntreute Steuergelder, die er unter anderem für private Zwecke entfremdete, kostete ihn am Ende den Parteivorsitz.
Eine Möglichkeit, den separatistischen Bestrebungen des Nordens in Zukunft einen Riegel vorzuschieben, wäre es, den in der italienischen Verfassung angestrebten föderalen Staat umzusetzen und sich vom italienischen Zentralstaat zu verabschieden. Die Studie der internationalen Separationsbewegungen hat gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Sezessionsbewegung sinkt, wenn der Staat föderal aufgebaut ist, wie beispielsweise in Deutschland oder den USA. In Zentralstaaten wie Spanien, Frankreich oder Italien hingegen ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von abspalterischen Tendenzen höher.
Der eigenständige padanische Staat hatte in Italien nie eine reelle Chance, doch separatistische Tendenzen sind in der Bevölkerung Norditaliens immer noch vorhanden. Es bleibt abzuwarten was passiert, sollte Matteo Salvini bei der nächsten nationalen Wahl die Macht ergreifen.
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