Donnerstag, 23. Januar 2020

Rezension zu Ernst-Dieter Lantermann: Die radikalisierte Gesellschaft

Lantermann, Ernst-Dieter (2016), Die radikalisierte Gesellschaft. Von der Logik des Fanatismus, Blessing.

Rezension

Autorin: Sarah Daigler

Ob Fitnessfanatiker, Fremdenhasser oder fanatischer Veganer, sie alle werden in dem Buch "Die radikalisierte Gesellschaft" des Sozialpsychologen Ernst-Dieter Lantermann als Beispiele für die Entwicklung zu einer radikalen Gesellschaft aufgeführt. Wer sich nun fragt, inwiefern Fanatismus auch Auswirkungen auf die vegane oder sportliche Lebensführung eines Menschen haben kann, wird in diesem Buch auf knapp 300 Seiten auf mögliche Ursachen und Handlungsmotive der Bürger aufmerksam gemacht.

Die unterschiedlichen Auswirkungen des Fanatismus lassen sich laut Lantermann alle auf die rasante Dynamik von gesellschaftlichen Veränderungen zurückführen, die in der Bevölkerung für Ungewissheit und Unsicherheit im alltäglichen Leben sorgen. Die einst gewohnte Sicht auf sich selbst und die Welt wird gestört und das Sicherheitsgefühl der Menschen geht verloren. Während nun einige Personen in dieser Unsicherheit eine Herausforderung sehen, die aus eigener Kraft bewältigt werden kann, und dadurch ihre Selbstachtung und ihr Selbstwertgefühl gesteigert wird, erleben andere diesen Umbruch als Gefährdung ihrer eigenen Bedürfnisse sowie als Angriff auf ihr Selbstwertgefühl.


In einem Kapitel des Buches werden auch Ressourcen angesprochen, die es einem Menschen ermöglichen, sich auch in unsicheren und belastenden Situationen als souverän und selbstsicher erleben zu können. Hierzu gehören laut Lantermann sowohl verschiedene innere Selbstregulationskompetenzen als auch externe Ressourcen, wie beispielsweise ein gesichertes Einkommen und soziale Beziehungen.

Als Folge von persönlichen und sozialen Unsicherheiten, die zu einer Orientierungslosigkeit und einem Identitätsverlust in dieser schnelllebigen Gesellschaft führen, wird die Feindseligkeit und der Hass gegenüber Fremden immer größer, wodurch eine Radikalisierung in der Bevölkerung stattfindet. Dabei kann unterschieden werden zwischen den „verhärteten Selbstgerechten“, den „Beleidigten“, den „Verbitterten“ und der „grollenden Elite“. Sie alle gewinnen durch die Fremdenfeindlichkeit ihre Sicherheit und ihr Selbstwertgefühl zurück und fühlen sich in ihrer Gruppe als vollwertige und verstandene Mitglieder. Der fanatische Fremdenhasser ist sogar durchdrungen von Hass, der ihm und seinem Leben einen tieferen Sinn und eine klare Orientierung bietet.

Diese Orientierung im Leben und die Kontrolle über das eigene Leben werden auch als Gründe für die fanatischen Züge der Fitnesstracker von Lantermann genannt. Gemeint sind hierbei Menschen, die ihre Körper- und Lebensdaten radikal für ihre persönliche Fitnessoptimierung und Selbstvermessung nutzen, um eine Kontrollmaximierung zu erreichen. Auch hier wird die Welt um sie herum komplett ausgeblendet und der Fokus liegt nur noch auf der fanatischen Selbstoptimierung.

Auch fanatische Veganer kennzeichnet ihr starkes Verlangen nach Selbstsicherheit und Selbstwirksamkeit, wodurch nach Lantermann keine anderen Weltbilder akzeptiert werden und der Veganismus auch für ihre Mitmenschen beansprucht wird. Ihre moralische Überlegenheit wird in zahlreichen Situationen zur Schau gestellt und gilt für sie als einzig vertretbare Haltung. Lantermann zeigt an diesem Beispiel auf, dass auch durch ein eigentlich belangloses Thema eine Radikalisierung in der Gesellschaft stattfindet.

Zuletzt zählt Lantermann noch einige Signaturen des Fanatismus auf, die vor allem den fanatischen Fremdenhass betreffen. Hierzu zählt er beispielsweise die Diskurverweigerung und das geschlossene Glaubens- und Überzeugungssystem, was sich in den Kommentaren der sozialen Medien durchaus bemerkbar macht. Der Anstieg der Angriffe auf die Flüchtlingsheime und die immer größer werdende Gewaltbereitschaft sind für ihn zudem Anzeichen für eine rücksichtslose Enthemmung, die sich bei den fremdenfeindlichen Fanatikern ausbreitet. Trotz aller genannten Probleme beendet Lantermann sein Buch mit einer positiven Beurteilung der Zivilgesellschaft, die sich auch für das Wohl anderer einsetzt und dadurch dem Fanatismus entgegenwirken kann.

Zusammenfassend eignet sich dieses Buch für Leser, die sich intensiv mit den psychologischen Ursachen des Fanatismus und den Handlungsmotiven der gefährdeten Personen beschäftigen möchten, da sie durch die unterschiedlichen Beispiele einen sehr guten Einblick in die Logik des Fanatismus erhalten.

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