Donnerstag, 19. März 2020

Ist die AfD eine neue Volkspartei?

Wir werden solange durchhalten, bis wir 51 Prozent erreicht haben. Dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD.“ – Björn Höcke
Am 19. Februar 2020 erfolgte der schlimmste rechtsextremistische Anschlag seit der Wiedervereinigung. Neun Menschen mit ausländischen Wurzeln wurden in zwei Sisha-Bars in Hanau ermordet. Die Mehrheit der Deutschen sieht eine Mitverantwortung der AfD für Hanau. Doch trotzdem ist eine rechtspopulistische Partei im Bundestag vertreten und ist sogar drittstärkste Kraft. Wöchentlich erreichen uns Schlagzeilen von der AfD und es stellt sich die Frage, wie eine doch so offensichtlich rechte Partei so viel Macht erlangen konnte?

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob die AfD eine neue Volkspartei ist. Zu Beginn der Arbeit wird die Entstehung der AfD aufgezeigt sowie das Wahlverhalten der WählerInnen. Daraufhin werden die Ursachen für den Wahlerfolg der AfD betrachtet. Dies erfolgt nicht aus soziologischer, sondern aus psychologischer Perspektive. Dieses Kapitel zeigt deutlich, wie sich die AfD die Ängste und Bedürfnisse der BürgerInnen zunutzegemacht hat und ein Wahlergebnis wie bei den Landtagswahlen in Sachsen erreichen konnte.

Im darauffolgenden Kapitel werden die Kennzeichen einer Volkspartei sowie die Entwicklung von CDU/CSU und SPD analysiert. Es wird zudem gezeigt, wie sich die negative Entwicklung der Volksparteien positiv auf die AfD auswirken konnte. Anschließend wird erläutert, inwiefern die AfD eine neue Volkspartei werden könnte.

Entstehung der AfD

Der Gründungsprozess der AfD reicht bis ins Jahr 2010 zurück. Diverse Verbände und gesellschaftliche Bewegungen ermöglichten die Gründung sowie die Etablierung der AfD. Die Entwicklung der Partei ereignete sich im Kontext gesellschaftlicher Veränderungen, die vor allem durch die europäische Schuldenkrise geprägt wurden. Die Finanz- und Eurokrise stellte für die Entstehung der AfD ein wichtiges populistisches Momentum dar, wodurch die Vorurteile gegenüber der Europäischen Union und rechtspopulistische Tendenzen in der Gesellschaft vergrößert werden konnten (Vgl. Walter, Isemann 2019: 29ff.).

Dem Akt der Gründung gingen vor allem die Aktivitäten des Ökonomieprofessors Bernd Lucke voraus „[...], der mit einigen Kollegen die von der Bundesregierung mitgetragene EU-Finanz- und Rettungspolitik gegenüber Griechenland vehement kritisiert hatte.“ (Pfahl-Traughber, Armin, 2019: 4-5). Da es keine Veränderungen gab, schlossen sich diese Personen mit anderen zusammen. Diese konnten einer eher liberal- und nationalkonservativen Richtung zugeschrieben werden. Sie verstanden sich selbst als Sammelbewegung und gründeten im September 2012 unter Bernd Lucke und Konrad Adams die “Wahlalternative 2013“.

Mit dem Namen spielte die “Wahlalternative 2013“ auf die angebliche Alternativlosigkeit der kritisierten EU-Politik an. Gegründet wurde die AfD am 6. Februar 2013 von einer Gruppe aus der Wahlalternative 2013, Initiator war hierbei Bernd Lucke. Auf dem Gründungsparteitag am 14. April 2013 wurde - neben Bernd Lucke und Konrad Adam - Frauke Petry zu gleichberechtigten Parteisprechern gewählt.

Kurz nach der Entstehung konnte die Partei bereits 10.000 und am Ende des Gründungsjahres 17.000 Mitglieder verzeichnen. Grund für den Zustrom und die Entwicklung der Partei war, dass Lucke häufig Gast in Fernsehtalkshows war und dadurch die Partei und seine Positionen öffentlich breiter bekannt machen konnte. Trotzdem scheiterte die AfD bei der Bundestagswahl 2013 mit 4,7% an der Fünfprozenthürde. Doch schon im darauffolgenden Jahr zog die AfD, unter der Spitzenkandidatur von Lucke, mit 7,1% in das Europäische Parlament ein (Vgl. Pfahl-Traughber 2019: 4ff.; Brinkmann, Panreck 2019: 114).

Der erste innerparteiliche Streit erfolgte um den Jahreswechsel 2014/2015. Hierbei ging es um einen Machtkampf zwischen Lucke und Petry sowie um einen politischen Richtungsstreit. Der Parteitag im Juli 2015 wurde zur Kampfabstimmung zwischen Lucke und Petry. Daraufhin trat Lucke mit knapp 20% der Mitglieder aus der Partei aus. Petry wurde zur ersten Sprecherin gewählt und stellte von da an mit Jörg Meuthen eine Doppelspitze dar.

Petry galt als Gesicht der Partei, doch sie machte sich in der Parteiführung durch Alleingänge unbeliebt. Der ehemalige CDU-Politiker und Journalist Alexander Gauland schloss sich mit weiteren Mitgliedern gegen Petry zusammen, die nur Parteivorsitzende auf Abruf war. Im Jahr 2017 bewarb sich Petry nicht um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2017. Sie trat von all ihren Ämtern zurück und stieg aus der Partei aus.

Durch diesen Konflikt wurde deutlich „[...], dass es bei dieser Führungskrise nicht nur um ideologische Gründe, sondern ebenso um persönliche Ressentiments und strategische Unterschiede ging.“ (Pfahl-Traughber 2019:6). Da gemäßigte Funktionäre die Partei verließen, erhielt die Partei einen Rechtsruck und der rechte Flügel der Partei erhielt einen höheren Stellenwert (Vgl. Brinkmann, Panreck 2019: 114; Pfahl-Traughber 2019: 4ff.).

Durch die im September 2015 einsetzende Flüchtlingskrise erhielt die Partei in Umfragen starken Zuspruch. In den darauffolgenden Landtagswahlen im Frühjahr und Herbst 2016 erzielte die AfD Rekordergebnisse. Ebenso konnte die Partei die Zahl ihrer WählerInnen bei der Bundestagswahl 2017 fast verdreifachen. Seither ist die AfD die drittstärkste Kraft im Bundestag und führt mit 92 Abgeordneten die Opposition an. Die aktuellen Parteivorsitzenden sind Jörg Meuthen und Tino Chrupalla. Der Ehrenvorsitzende ist Alexander Gauland.

Wahlverhalten

Grundlage der Analyse des Wahlverhaltens bildet die repräsentative Wahlstatistik, welche das Wahlverhalten nach Geschlecht und Alter ermittelt. Des Weiteren werden die auf Umfragen basierenden Wahlanalysen der Forschungsgruppe Wahlen (2017) und von infrarest dimap (2017) herangezogen.

Die AfD entzieht sich im wesentlichen wissenschaftlichen Betrachtungen. Für wissenschaftliche Interviews und Datengewinnung stehen AfD-Sympathisanten nicht zur Verfügung. Demzufolge muss auf Daten von Wahlumfragen und anderen allgemeinen Befragungen zurückgegriffen werden. Dies kann Teil der Strategie der AfD sein, um potenziell missliebige Stimmen aus der Presse und der Wissenschaft bereits im Vorfeld zu blockieren und die eigene Berichterstattung unter Kontrolle zu behalten (Vgl. Brinkmann, Panreck 2019: 108).

Anhand der Stimmabgabe der Männer und Frauen ist aus der Bundestagswahl 2017 im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 abzuleiten, dass die AfD eine Männerpartei (16,3%) ist. Lediglich 9,2% der Wählerinnen stimmten für die AfD. Dies resultiert womöglich daraus, dass die AfD spezifische Frauenthemen vernachlässigt und als radikaler wahrgenommen wird als andere Parteien. Eine mögliche Hypothese, die daraus hervorgeht, ist: Männer sympathisieren durchschnittlich mehr als Frauen mit Parteien, die radikal auftreten.

Bei den ganz jungen WählerInnen (18-24 Jahre) und bei den WählerInnen ab 70 Jahren schneidet die AfD mit 8% vergleichsweise schlecht ab. Im Gegensatz dazu erzielt die AfD bei den Berufstätigen und bei den 35-bis 59-Jährigen mit über 15% ein überaus gutes Ergebnis. Die Unterrepräsentation der jüngsten und der ältesten Altersgruppe war 2013 noch nicht gegeben. Eine Hypothese dafür wäre, dass die Zukunftsangst zur verstärkten Wahl der AfD führt (Vgl. Brinkmann, Panreck 2019: 107ff.).

Als nächstes werden die Extremwerte nach Region, Alter und Geschlecht aufgeführt. In Ostdeutschland stimmten 32,9% der Männer im Alter von 45 bis 59 Jahre für die AfD. Hingegen votierten nur 16,4% der westdeutschen Männer im Alter von 45 bis 59 Jahre für die Partei. Die Differenz zwischen Ost- und Westdeutschland nahm von 2013 zu 2017 zu.

In Ostdeutschland stimmten 2017 27,6% der männlichen Wähler für die AfD. Dies ist ein Unterschied von 20,5 Prozentpunkten gegenüber der Bundestagswahl 2013. Des Weiteren hat sich die AfD bei den männlichen Ostwählern im Alter von 45 bis 59-Jahren um 24,8 Prozent gesteigert, hingegen bei den männlichen Westwählern nur um 10,3 Prozent. Daraus lässt sich schließen, dass die Parteiidentifikation im Osten größer ist als im Westen.

Die AfD erreicht überdurchschnittlich gute Wahlergebnisse bei den Arbeitenden und Arbeitslosen. Wodurch wiederrum die These bestärkt wird, dass die Unzufriedenheit mit den Arbeits- und Lebensbedingungen in der Mitte der Gesellschaft steigt. Dies zeigt sich in den wachsenden Sympathien für die AfD (Vgl. Brinkmann, Panreck 2019: 109ff.).

Zusammenfassend wird deutlich, dass die AfD eher einen Querschnitt der Bevölkerung abbildet, mit einem leichten Übermaß der unteren Einkommensmitte. Allerdings kommt die Wahlforschung wegen der eher heterogenen Daten schwer zu generalisierbaren Ergebnissen. Daher ist anzunehmen, dass sich der Wahlerfolg eher aus kulturellen und historischen Unterschieden zwischen den jeweiligen Regionen bestimmten lässt, statt aus den wirtschaftlichen Kennzahlen (Vgl.ebd.).

Ursachen für den Wahlerfolg der AfD

Der Wahlerfolg der AfD ist bemerkenswert, wenn dies an den bislang eher objektiv geringen politischen Einflussmöglichkeiten und der eher widersprüchlichen und unausgereiften Programmatik gemessen wird. Der Wahlerfolg wird im Folgenden nicht aus soziologischer, sondern aus psychologischer Perspektive betrachtet (Vgl. Walter, Isemann 2019: 2).

Dass eine Ursache für den Wahlerfolg der AfD die Migrationsbewegung sowie die Flüchtlingskrise vom Herbst 2015 ist, ist bekannt. Der verbreitete Unmut über das Flüchtlingsthema kam der AfD zugute, da dies die Bürger verunsicherte. Zudem wurde es durch folgende Tatsache unterstützt:
„Die etablierten Kräfte verzichteten im Wahlkampf darauf, ihre restriktive Flüchtlingspolitik offensiv zu begründen. Die Diskrepanz zwischen Darstellungs- und Entscheidungspolitik nutzte der AfD, die mehr oder weniger unwidersprochen den Eindruck erwecken konnte, als habe sich nichts geändert.“ (Brinkmann, Panreck, 2019: 111).
Doch stellt sich die Frage, wie die AfD Themen wie die Flüchtlingskrise für sich nutzt und inwiefern dies zum Wahlerfolg beiträgt? Die Motivationspsychologie differenziert mehrere Bedürfnisse, die alle Menschen haben und deren Zufriedenstellung handlungsleitend ist. Diese Bedürfnisse werden als Pyramide (Vgl. Maslow) dargestellt.

Auf der untersten Stufe stehen die Bedürfnisse nach materieller Absicherung und Versorgung, diese werden auch Grund- oder Existenzbedürfnisse genannt. Dazu zählt Essen, Trinken, Kleidung, Wohnung und medizinische Versorgung. Werden diese Bedürfnisse nicht befriedigt oder als gefährdet wahrgenommen, wird dies als existenzielle Bedrohung aufgefasst.

Diese Bedrohung hat einen direkten Effekt auf das subjektive Empfinden des Menschen. Folglich kann die Bedrohung der eigenen Existenz instrumentell für politische Ziele verwendet werden. Eben das macht die AfD. Nach der Terror-Management-Theorie von Greenberg zeigt eine Betonung und Verteidigung kultureller Werte einen erfolgreichen Schutz gegen existenzielle Bedrohungen auf.
Denn „die Verteidigung des kulturellen Weltbilds dient der Schaffung einer symbolischen Unsterblichkeit, denn die Kultur besteht über das Leben und Sterben des Einzelnen hinaus.“ (Walther, Isemann 2019: 3).
Daraus folgt, je größer die subjektiv erlebte existenzielle Bedrohung ist, desto größer ist das Bedürfnis nach ordnungs- und bedeutungsvermittelnden kulturellen Werten und Normen und damit einhergehend deren Verteidigung. Folglich treten negative Reaktionen denjenigen gegenüber auf, die die eigene Weltansicht bedrohen, und positive, die die eigene kulturelle Weltansicht stützen. Die Bedrohung um die eigene Existenz führt tendenziell zu einer konservativen Haltung und zu einer Verteidigung des Gewohnten (Vgl. Walther, Isemann 2019: 3).

Auf der zweiten Stufe der Bedürfnishierarchie steht das Sicherheits- und Kontrollbedürfnis. Personen korrigieren und überprüfen Aussagen, Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen durch einen sozialen Vergleich mit Anderen bezüglich der eigenen Realität. Treten neue oder fremde Situationen auf, entsteht bei den Menschen große Unsicherheit in Bezug auf adäquates Verhalten. Denn durch den Vergleich mit dem Verhalten der Anderen wird festgestellt, was normal und somit akzeptabel ist.

Wie soll beispielsweise damit umgegangen werden, dass eine Partei wie die AfD in den Bundestag gewählt wurde? Ist abwarten, demonstrieren oder sich informieren die richtige Vorgehensweise? Es ist abhängig davon, welche Personen die nähere Umgebung (Ingroup) bilden. Daher sieht die durch den Vergleich mit anderen erschlossene angemessene Reaktion unterschiedlich aus. Vor allem durch die Betonung der Kriminalität durch Flüchtlinge und die damit einhergehende Gefährdung der inneren Sicherheit schürt die AfD Unsicherheit. Um dann das Bedürfnis nach Sicherheit anbieten zu können, fordert die AfD zum Beispiel die Abschiebung von Flüchtlingen (Vgl. Walther, Isemann 2019: 3ff.).

Auf der dritten Stufe befindet sich der Selbstwert und die Bedeutung. Es handelt sich hierbei um Bedürfnisse, die mit dem eigenen Selbst verbunden sind. Der Selbstwert ergibt sich zum einen aus der Wertschätzung der Anderen und zum anderen aus der Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Ingroups. Nach der sozialen Identitätstheorie segmentieren Menschen ihre soziale Umwelt über soziale Merkmale. Dieser Prozess wird soziale Kategorisierung genannt.

Durch die soziale Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird das Selbstkonzept und die Identität einer Person bestimmt. Anhand des sozialen Vergleichs wird die eigene Identität immer wieder neu bewertet. Da der eigene Selbstwert aus der Zugehörigkeit zu den Ingroups entsteht, haben Menschen das Interesse, die eigene Gruppe möglichst positiv zu bewerten. Es gibt daher eine Tendenz, sich gegenüber Outgroups aufzuwerten und die eigene Gruppe zu favorisieren.

Wird jedoch einer ganzen Gruppe die gesellschaftliche Wertschätzung entzogen, suchen sich die Betroffenen neue Gruppen, die ihnen eine positive Wertschätzung bieten. Durch einen Mangel an Wertschätzung und Bedeutung kann ein Bedeutungshunger entstehen. Dieser entsteht durch vielfältige soziale Erfahrungen und Ausgrenzungen sowie zum Beispiel das Gefühl, weniger zu bekommen als andere Menschen. Sogenannte bedeutungsdeprivierte Personen schließen sich dann Gruppen wie zum Beispiel der AfD an. Diese helfen ihnen, den Mangel an Bedeutung auszugleichen (Vgl. Walther, Isemann 2019: 4ff.).

Die folgenden Konfliktlinien beziehen sich auf die eben aufgezeigten grundlegenden menschlichen Bedürfnisse. Durch die aktuelle gesellschaftliche Situation werden diese nicht oder eben nicht mehr zufriedengestellt. Nur die AfD kann wie keine andere Partei eine scheinbare Antwort bieten.
„Gesellschaftliche Grundlage der ökonomischen Konfliktlinie ist die Globalisierung, eine neoliberal geprägte Wirtschaft und die damit einhergehende wachsende soziale Ungleichheit und Unsicherheit.“ (Walther, Isemann 2019: 9).
Durch diese Entwicklung werden vor allem die grundlegenden Bedürfnisse nach Existenzsicherheit und die Versorgung mit materiellen Gütern verletzt. Diesen Bedürfnissen wird vom Staat subjektiv nicht mehr zureichend nachgekommen. Zudem nehmen durch den Prozess der Globalisierung klassenspezifische Ungleichheiten zu. Forschungen weisen auf, dass die psychologischen Folgen einer solchen Bedrohung in einer Hinwendung zu eher konservativen kulturellen Werten sowie in einer Verteidigung der eigenen Weltansicht resultieren.

In vielen Industriestaaten ist ein soziales Versprechen verbreitet, dass es den Kindern später besser oder nicht schlechter als einem selbst gehen soll. Jedoch wird die Nachfrage nach sozialem Aufstieg für Kinder aus ärmeren Schichten kaum erfüllt und der soziale Abstieg wird als soziale Niederlage empfunden. Eben dann fühlen sich viele Menschen von der Politik vernachlässigt, und Parteien wie die AfD können bei den Menschen punkten, die noch etwas zu verlieren haben.
„Besonders bei den Wendeverlierern ist die Fallhöhe schmerzhaft, wenn die Renten im Osten immer noch geringer ausfallen als im Westen. Die AfD erreicht durch ihre harte Linie und ihre extrem restriktiven Vorschläge zur Einwanderungspolitik diejenigen Menschen, die sich – berechtigt oder nicht – materiell bedroht fühlen. Wenn keiner mehr ins Land kommt, bekommt man auch nichts mehr weggenommen. Es entsteht eine neue exklusive, dishumane Solidarität.“ (Walter, Isemann 2019: 11).
Dies spiegelt sich auch im Wahlverhalten der WählerInnen wider und erklärt, warum mehr Männer als Frauen die AfD wählen. Grund dafür ist, dass Frauen nach der Wende deutlich besser zurechtgekommen sind als Männer, da diese sich neu orientiert haben. Gerade durch Slogans wie `Sozial ohne rot zu werden` oder `Wohlstandslohn statt Mindestlohn` schafft die AfD es, unter anderem auch WählerInnen von der Partei Die Linke abzuwerben (Vgl. Walter, Isemann 2019: 9ff.).

Die Identitätskonfliktlinie bezieht sich auf das Bedürfnis, Wertschätzung und Bedeutung zu erlangen. „Der Konflikt dieser Identitätslinie entsteht durch Gefühle der Abwertung und des Statusverlustes im Kontext der Moderne und der Liberalisierung der Gesellschaft.“ (Walther, Isemann 2019: 12). Der Status des deutschen weißen Mannes scheint durch Themen wie Ehe für Alle oder die Frauenquote gefährdet zu sein.

Es gibt jedoch einen zentralen Unterschied zwischen linksliberalen Parteien und Parteien wie der AfD. Parteien wie Die Linke wollen die Zukunft retten. Hingegen ist die AfD nicht konservativ, sondern restaurativ, denn sie wollen das Vorhandene nicht bestehen lassen, sondern die Vergangenheit aktiv wiederherstellen.

Der Prozess der Globalisierung und Liberalisierung der Gesellschaft sowie die Akzeptanz verschiedener Lebensformen und Geschlechter führt zu einer Abnahme der Anerkennung althergebrachter Lebensformen. Wie im Wahlprogramm von 2017 beschrieben, fordert die AfD die Rückkehr zur Polarität der Geschlechter und dem damit einhergehendem traditionellen Familienbild von Vater, Mutter und Kind. Die AfD bedient sich den Wünschen der WählerInnen nach einer vergangenen und überschaubaren Gesellschafts- und Geschlechterordnung.

Zudem haben die Anhänger der AfD höher ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsmerkmale als WählerInnen anderer Parteien. Eine wichtige Eigenschaft narzisstischer Persönlichkeiten ist, dass sie das Gefühl haben, ein angeborenes Recht oder einen Anspruch auf eine bestimmte Sache zu haben. Wird dieser Anspruch nicht erfüllt, kann es zu Wut und Aggressionen denjenigen gegenüber kommen, die ihnen angeblich den Anspruch auf zum Beispiel Wohnraum rauben.

Dem hinzuzufügen ist, dass sich die Menschen in ihrer eigenen Identität und in der Wertschätzung bedroht fühlen. Dies zeigt sich zum einen im Osten, da die Menschen dort das Gefühl haben, dass die Lebensleistung nicht mehr anerkannt wird. Zum anderen wird dies auch im Westen deutlich, da dort die Menschen durch zum Beispiel Hartz IV-Sanktionen Demütigungen erfahren.

Eben diese Demütigung ist eine schmerzliche Variante von Dissonanz, da der Mensch nach einem positiven Selbstwert strebt. Wird das Bedürfnis nach einem positiven Selbstwert nicht erfüllt oder untergraben, entsteht ein Bedeutungshunger. Gerade die AfD hat sich diesen zum Vorteil gemacht. Auf der einen Seite vertiefen sie die empfundene Demütigung der Deutschen durch zum Beispiel Bilder von RentnerInnen, die Müll sammeln, und auf der anderen Seite werten sie zum Beispiel Flüchtlinge ab und werten sich selbst durch Nationalstolz auf.

Des Weiteren fördert die AfD Tendenzen der Sündenbockideologie sowie Darstellung von Masseneinwanderung und Islamisierung durch zum Beispiel patriotische Plattformen. Durch die Abschottungspolitik der AfD gegen ganze Einwanderungsgruppen schafft sie es, den gekränkten Selbstwert der Menschen zu stabilisieren und zu restaurieren.

Durch den völkischen Nationalismus und die Betonung des Deutschen stellt die AfD ein Identitätsangebot dar, welches den Volksparteien anscheinend nicht mehr gelingt. Denn die AfD betreibt Politik, die speziell für Deutsche ist, wie zum Beispiel das Landeserziehungsgeld. Dies vermittelt den Menschen Wertschätzung, vor allem denen, die dies in den Volksparteien und Institutionen vermissen (Vgl. Walther, Isemann 2019: 12 ff.).

Die dritte Konfliktlinie ist eine Folge aus der ersten und zweiten Konfliktlinie und bezieht sich auf Vertrauen und Kontrolle. Die hierbei verletzten Bedürfnisse sind Vorhersagbarkeit und Vertrauen, die dadurch suggeriert werden, dass die Menschen vor allem durch die Medien nicht mehr das Gefühl haben, in der Politik mitwirken zu können. Das damit einhergehende Gefühl, nicht mehr die Kontrolle zu haben, spricht insbesondere NichtwählerInnen und Enttäuschte an.

Durch ein Legitimationsdefizit und mangelnde Transparenz in der Politik ist diese Konfliktlinie entstanden. Deutlich wird dies zum Beispiel durch das EU-Parlament, welches gewählt wird, jedoch im Gegensatz zum EU-Rat und zur EU-Kommission, welche nicht gewählt werden, weniger Einfluss hat. Zudem nehmen die Menschen einen gewissen Mangel in der Politik wahr. Denn trotz der immer wachsenden Wirtschaft gibt es wenig Verbesserung und die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, ganz unabhängig davon, welche Partei regiert.

Die AfD ist eine Minderheit, welche nur begrenzt politischen Einfluss hat, im Gegensatz zur Majorität der Volksparteien. Jedoch erhält die AfD als Minorität dann Einfluss, wenn sich ein gesellschaftliches Problem auftut, bei dem die anderen Parteien kein oder nur ein begrenztes Angebot aufzeigen. Die AfD im Gegenteil liefert eine scheinbare Antwort. Was jedoch nicht ganz so offensichtlich ist, ist, dass die AfD nur scheinbare Antworten liefert auf die von ihr selbst dramatisierte Flüchtlingsproblematik.
„Dadurch, dass die AfD alle anderen Themen von dieser Thematik her betrachtet, schafft sie sich ihre eigene Legitimation, während die anderen Parteien an Vertrauen verlieren [...]“ (Walther, Isemann 2019: 17).
Eine in den USA veröffentlichte Studie zeigt auf, dass WählerInnen, die Migration als ein Sicherheitsproblem wahrnehmen, eher Trump wählen würden. Psychologisch betrachtet ist das wohl das „[...] wirksamste[n] Instrument des Populismus, dass Versprechungen gemacht werden, die sich bei genauerem Hinsehen zwar als unhaltbar erweisen, aber die tiefen Wünsche der Menschen bedienen. Populismus wird getragen von einer Polarisierung zwischen dem reinen Volk, das die Partei vertritt, und der korrupten Elite, die bekämpft werden soll und zu der die Partei nicht gehört.“ (Walther, Isemann 2019: 17).

Die AfD schafft es, dass die Normverschiebung nach rechts nicht als radikal wahrgenommen wird. Dies ist ein Erklärungsgrund, warum die AfD am stärksten von den bisherigen NichtwählerInnen profitiert und gegenüber allen Parteien ein positives Saldo zu verzeichnen hat. Es kamen 980.000 Stimmen von der Union, 470.000 von der SPD, 400.000 von der Partei Die Linke und jeweils 40.000 Stimmen von den Liberalen und Grünen.

Ebenso sind die Medien eine Ursache für den Wahlerfolg der AfD, da diese beschuldigt werden, eine zu wenig eigenständige und unabhängige Berichterstattung zu betreiben. Dieser Entzug der Glaubwürdigkeit von Journalisten hat einen wichtigen instrumentellen Wert für die AfD „[...], denn so kann die AfD in dem Bestreben nach kultureller Hegemonie das Informationsbedürfnis der Menschen mit eigenen Publikationsorganen, vor allem in den sozialen Medien bedienen.“ (Walther, Isemann 2019: 18). Somit wird der Hass auf die Eliten und die Medien ausgeweitet und instrumentalisiert (Vgl. Walther, Isemann 2019: 16-19; Brinkman, Panreck 2019: 112).

Im Gegensatz zu den Volksparteien vermittelt die AfD Zuverlässigkeit, Kontrollierbarkeit und schafft ein Identitätsangebot für ein Problem, welches sie selbst dramatisiert haben. Die AfD bringt es zustande, Unsicherheit zu reduzieren und Vertrauen zu schaffen. Durch vermeintlich radikale und einfache Lösungen bewirkt die AfD ein Gefühl von Kontrolle, das heißt selbst etwas bewegen zu können sowie idealerweiser es selbst zu kontrollieren.

Den WählerInnen wird suggeriert, dass wenn die AfD in der Regierung vertreten wäre, deren Forderungen und Wünsche erfüllt werden können und dies ohne leidige Abstimmungsprozesse und ohne Kompromisse. Daraus resultiert jedoch ein politisches Wunschdenken, welches ein Missverständnis der Demokratie darstellt.

Zudem verfolgt die AfD eine psychologische Selbstinszenierung. Sie stellt sich selbst, aber auch das Volk als Opfer dar, denen Unrecht widerfahren ist. Sie legitimieren Aussagen und Handlungen wie Eskalationen und Gewaltausbrüche in Chemnitz 2018 dadurch, dass es gerechtfertigt ist, sich zu wehren, wenn einem selbst Unrecht getan wird (Vgl. Walther, Isemann 2019: 7-8).

Die drei genannten Konfliktlinien Ökonomie, Identität und Vertrauen/Kontrolle erklären aus psychologischer Perspektive den Wahlerfolg der AfD. Zusammenfassend wird bei der ökonomischen Konfliktlinie das Bedürfnis nach materieller Sicherheit durch die Globalisierung, Ungleichheit und Finanzkrise verletzt. Punkten kann die AfD bei abstiegsängstlichen BürgerInnen sowie BürgerInnen aus sozialschwachen Schichten. Die AfD bietet dafür exklusive Sozialleistungen nur für Deutsche.

Bei der identitätsbezogenen Konfliktlinie wird der Selbstwert der Menschen durch die Moderne und durch die Liberalisierung verletzt. Die AfD spricht hierbei vor allem konservative WählerInnen an und bietet ihnen eine „Selbstwertanhebung durch Nationalismus, Fremdgruppenabwertung und Restauration von Maskulinität durch Heldennarrative“ (Walther, Isemann 2019: 20 Tab. 1).

Die Konfliktlinie Vertrauen/Kontrolle entwickelt sich aus den anderen beiden Konfliktlinien sowie aus der Distanz zwischen Politik und Bürger. Hierbei werden Kontrollbedürfnis und Selbstwirksamkeit gekränkt. Die AfD gewinnt hierbei Zuspruch von den NichtwählerInnen und Enttäuschten, da ihnen die AfD suggeriert, dass sie Themen wie Flüchtlingskrise beherrscht und den Eliten die Meinung sagt (Vgl. Walther, Isemann 2019: 20).

Untergang der Volksparteien?

In der deutschen Politikwissenschaft werden Volksparteien als Parteien bezeichnet, „[...] die programmatisch nicht nur nach bestimmten Kriterien definierte Bevölkerungsgruppen (soziale Klassen oder Milieus) oder Personen mit spezifischen Interessen, sondern breite Wählerschichten ansprechen und deshalb anstreben, ihre Mitglieder, Anhänger und Wähler aus allen Bevölkerungsschichten zu rekrutieren. Allgemein bezeichnet man eine Partei nur dann als Volkspartei, wenn es ihr dauerhaft gelingt, einen größeren Anteil an Wählerstimmen zu gewinnen.“ (Vgl. Deutscher Bundestag).

In Deutschland sind die zwei großen Volksparteien die CDU und die SPD. Die Schwierigkeit im deutschen Politikspektrum, aber auch über die Grenzen hinaus ist, dass die Volksparteien an Wählern, Mitgliedern und Vertrauen in den letzten Jahren verloren haben. Neue Parteien wie die AfD erhalten Zuspruch, da sie eine Nische besetzen, die durch das Regierungshandeln und den programmatischen Kurs der zwei bürgerlichen Parteien entstanden ist (Vgl. Rödder, 2019: 16; Decker, 2018: 131 ff.).

Der Abwärtstrend der europäischen Mitte-Links-Volksparteien entstand, nachdem sie am Anfang der 1970er Jahre ihren Höhepunkt erreicht haben. Seit Ende der 90er Jahre beschleunigt sich der Abwärtstrend. Bei den Mitte-Rechts-Parteien verlief die eben angesprochenen Entwicklung langsamer und kontinuierlicher. Ihren Höhepunkt hatten sie Anfang der 1960er Jahre auf europäischer Ebene und in Deutschland in den 1950er und 1980er Jahren.

CDU/CSU haben zum Beispiel zwei Drittel der Wähleranteile im Vergleich 1983 zu 2017 verloren. Nicht nur ein Wählerrückgang ist bei beiden Parteien zu verzeichnen, sondern ebenso ein starker Mitgliederrückgang. Die SPD hat zwischen 1990 und 2012 49,4% der Mitglieder verloren, gleichermaßen ist auch der Mitgliederrückgang der CDU im zweistelligen Bereich. Die CDU hatte am Ende des Jahres 414.905 Mitglieder und die SPD 437.754.

Vor allem der Rückgang der Mitgliederzahlen ist ein sich selbst verstärkender Prozess. Auf der einen Seite lassen sich die BürgerInnen schwieriger für eine Mitgliedschaft und eine aktive Mitarbeit in den Parteien gewinnen und auf der anderen Seite haben die Mitglieder weniger Nutzen für die Parteien. Daraus folgt, dass die Volksparteien einen geringeren Anreiz verspüren, neue Mitglieder zu gewinnen. Ein weiteres Problem ist, dass das Durchschnittalter in der CDU und SPD bei 60 Jahren liegt und sie somit von allen Parteien die älteste Mitgliederschaft verzeichnen. Durch Todesfälle und auf Basis der Altersstruktur erleiden die Volksparteien bis 2040 einen Rückgang von bis zu 60% (Vgl. Rödder, 2019: 16; Vielhaber, 2015: 29; Decker, 2018: 271ff.).

Die Gründe für den Niedergang der Volksparteien sind vor allem strukturelle. Die vergleichsweise geschlossenen sozialkulturellen Milieus, die traditionell die Wählerbasis der zwei großen Parteien waren, haben sich aufgelöst. In Bezug auf die Sozialdemokraten war es das Milieu der Arbeiterschaft und bei den Unionsparteien das katholische Milieu.

Denn mit zum Beispiel „[...] dem Rückgang von Bergbau und Schwerindustrie, mit der gleichzeitigen Automatisierung und Technisierung der Arbeitswelt sowie einer allgemeinen Erhöhung des Bildungsniveaus geht eine Reduzierung der klassischen Industriearbeiterschaft einher [...]“, welche die Mitglieder und Wählerschaft der Sozialdemokraten darstellte (Vielhaber, 2015: 17).

Bei den Unionsparteien führte der Bedeutungsverlust der Kirche zu einem Rückgang der Mitglieder- und Stammwählerschaft. Die Großparteien haben sich von einer milieugebundenen Partei hin zu einer allerweltsorientierten Partei gewandelt. Die Veränderung in der Gesellschaft führte zu einem Wandel der Milieus und resultierte schließlich in einer Abkehr von den traditionellen Großparteien (Vgl. Vielhaber, 2015: 17 ff.; Rödder, 2019: 16 ff.).

Ende September 2015, zur Mitte der damaligen Legislaturperiode, ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen für die Sonntagsfrage und errechnete dabei die Stimmenzuwächse der im Vergleich zur Bundestagswahl verbesserten Parteien zusammen. Daraus ergab sich ein Volatilitätswert von 2,6 Punkten. In der Bundesrepublik Deutschland wurde noch nie über einen so langen Zeitraum eine so erstarkte politische Situation wahrgenommen.

Dies änderte sich jedoch rapide mit der einsetzenden Flüchtlingskrise 2015. SPD und CDU verloren deutlich an Zustimmung und die AfD erhielt Zuspruch bei den Umfragen. Deutlich wird dies an dem Volatilitätswert vom September 2016, denn dieser hat sich auf 14,5 Prozentpunkte erhöht. Union und SPD sind die Hauptverlierer und Parteien wie die Grünen oder die AfD, die an den Rändern liegen, konnten ihre Zustimmungswerte verdoppeln. Das Vertrauen in die Problemlösungskonzepte der Volksparteien hat seit der Flüchtlingskrise bedeutenden Schaden erlitten (Vgl.Wagner, 2013: 27; Decker, 2018: 127ff.).
„Der SPD ist es aufgrund eines fehlenden strategiebasierten Konzepts nicht gelungen, im deutschen Parteienwettbewerb in eine stärke Position zu kommen [...]“ (Saalfeld, Zohlnhöfer, 2019: 57 ff.). „Sie konnte [...] nur dann große Erfolge erzielen, wenn sie sowohl sozialstaatsaffine Traditionswähler als auch Wechselwähler mit gemäßigten Werten und Vorstellungen für sich gewinnen konnte und sich personell wie programmatisch auf die Mitte der Wettbewerbsdimensionen zubewegte.“ (ebd.).
Das bedeutet, dass die SPD nur dann mehrheitsfähig im Parteienwettbewerb sein kann, wenn es ihr gelingt, Kompetenzwerte in den Bereichen Wirtschaft, Arbeit und soziale Gerechtigkeit zu erlangen. Zudem fehlt es an einer deutlichen Abgrenzung zu den anderen Parteien und daran, kommunikativ überzeugend zu wirken sowie die Interessen der potenziellen WählerInnen und Mitglieder zu berücksichtigen.

Die Legislaturperiode der CDU startete mit einem großen Wahlsieg und endete mit einem deutlichen Stimmenverlust. Durch den Aufstieg der AfD musste die CDU ihre strategische Position verändern. Das hat zur Folge, dass eine klare Zweiparteienkoalition mit der FDP zur Seltenheit wird und es entweder eine mehr oder weniger große Koalitionen mit der SPD geben muss oder eine bunte Koalition mit den Grünen oder mit beiden Mitte-Links-Parteien. Durch den Zusammenschluss mit einem Koalitionspartner ist die CDU an Zugeständnisse gebunden, wodurch innerhalb der Partei Probleme auftreten können. Regiert die CDU jedoch mit einem für sie untypischen Koalitionspartner, wird eine Kurskorrektur der Partei unglaubwürdig wirken. Infolgedessen wendet sich die Wählerschaft ab, hin zur AfD.

Fazit

Zu Beginn der Arbeit wurde auf die aktuelle Problematik in Deutschland aufmerksam gemacht und betont, weshalb es wichtig ist, sich die Frage zu stellen, ob die AfD eine neue Volkspartei ist. Die AfD ist im Vergleich zur SPD und CDU eine junge Partei und hat es trotzdem geschafft, innerhalb von weniger als sieben Jahren die drittstärkste Partei im Bundestag zu werden.

Obwohl es immer wieder zu Diskrepanzen innerhalb der Partei kommt, verzeichnet die AfD einen enormen Zuwachs an Wählerstimmen. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 konnte die AfD diese fast verdreifachen. Im Gegensatz zu den Volksparteien verzeichnet die AfD einen stetigen Zuwachs an Mitgliedern und konnte diese im Vergleich von 2017 zu 2018 um 21,3% steigern. Der elektorale Aufstieg der AfD wäre ohne die beginnende Flüchtlingskrise 2015 wahrscheinlich nicht erfolgt.

Als nächstes wurde das Wahlverhalten analysiert. Hierbei stellte sich heraus, dass mehr Männer (16,3%) als Frauen (9,2%) die AfD bei der Bundestagswahl 2017 gewählt haben. Herzuleiten ist die Unterrepräsentation der weiblichen WählerInnen daher, dass spezifische Frauenthemen vernachlässigt werden.

Im Vergleich zur AfD erzielten CDU/CSU und SPD das beste Ergebnis bei den über 70-Jährigen. Aufgrund der Altersstruktur der Wählerschaft werden die Volksparteien in den kommenden Jahren wahrscheinlich einen weiteren Rückgang erleiden. Dies könnte sich positiv auf den Wähleranteil der AfD auswirken, insofern die CDU/CSU und SPD es nicht schaffen, neue WählerInnen zu gewinnen. Erfolgversprechend für die AfD ist auch, dass sie es geschafft hat, von jedem politischen Spektrum WählerInnen zu gewinnen. Angesichts der momentanen Ereignisse in Deutschland ist nicht zu erwarten, dass sich dies revidieren lässt.

Im nächsten Kapitel wurden die Ursachen des Wahlerfolgs der AfD aus psychologischer Perspektive analysiert. Grundlage dafür ist die Bedürfnispyramide nach Maslow. Aus diesen Bedürfnissen ergeben sich drei Konfliktlinien. Zuerst die ökonomische, wobei das Bedürfnis nach materieller Sicherheit durch den Prozess der Globalisierung und Ungleichheit verletzt wird. Die AfD bietet hierfür exklusive Sozialleistungen, jedoch nur für Deutsche.

Als zweites folgt die Identitätskonfliktlinie, bei der der Selbstwert der BürgerInnen durch die Liberalisierung und die Moderne verletzt wird. Durch Anhebung des Selbstwerts, Fremdgruppenabwertung, Nationalismus und die Widerherstellung der Maskulinität schafft die AfD es, vor allem konservative BürgerInnen für sich zu gewinnen.

Die letzte Konfliktlinie - Vertrauen und Kontrolle - ergibt sich aus den ersten zwei Konfliktlinien sowie aus der Distanz zwischen BürgerInnen und Politik. Das hat sich die AfD auch zunutze gemacht. Auf der einen Seite suggeriert sie, dass sie Themen wie die Flüchtlingskrise beherrscht und auf der anderen Seite baut die AfD Vertrauen zu den BürgerInnen auf, indem sie sich als jemand aus dem Volk ausgibt. Zudem durchbricht sie die Distanz zwischen BürgerInnen und Politik und schafft es, anscheinend Politik für jedermann zu machen.

Die AfD vermittelt Zuverlässigkeit, Kontrollierbarkeit und schafft ein Identitätsangebot, welches die Volksparteien schon lange nicht mehr erreichen. Obwohl sie Unsicherheit reduzieren und Vertrauen schaffen, ist es anscheinend nicht offensichtlich, dass die AfD eine psychologische Selbstinszenierung verfolgt. Sie stellen sich selbst und das Volk als Opfer dar, dem Unrecht widerfahren ist. Dabei bedient sich die Partei an einem oft genutzten populistischen Werkzeug: Dem Kampf gegen die Eliten.

Solange den BürgerInnen nicht bewusst wird, dass die AfD durch ihre politische Führung ein politisches Wunschdenken erzeugt und die Volksparteien nicht auf die Ängste, Sorgen und Bedürfnisse der BürgerInnen eingehen werden, wird es problematisch, ein positiveres Wahlergebnis für CDU/CSU und SPD bei der nächsten Bundestagswahl zu erzielen.

Als drittes wurde der Abwärtstrend der Volksparteien dargestellt. Die zwei wichtigsten Aspekte, warum die CDU/CDU und SPD einen Rückgang bei ihren WählerInnen und Mitgliedern verzeichnen, ist zum einen die Veränderung der Gesellschaft. Der zweite Grund ist die Flüchtlingskrise von 2015, denn das Vertrauen hat seitdem erheblichen Schaden genommen (Vgl. Brinkmann, Panreck 2019: 107; Wagner 2013: 27; Decker 2018: 273; Walther, Isemann 2019: 3ff.; Vielhaber 2015: 17ff.; Rödder 2019: 16ff.; Decker 2018: 127ff).

Dass die AfD eine rechtspopulistische Partei ist, ist offensichtlich. Doch ist die AfD eine neue Volkspartei? Der Begriff Volkspartei ist dehnbar, subjektiv und nicht an genaue Zahlen oder Größe gebunden. Laut der Definition müssen Volksparteien für WählerInnen und Mitglieder aller gesellschaftlicher Schichten, Generationen und unterschiedlicher Weltanschauungen offen sein sowie eine bestimmte Anzahl an WählerInnen dauerhaft gewinnen.

Dass selbst die traditionellen Volksparteien in Deutschland nicht jeden einzelnen Aspekt voll erfüllen können, ist offensichtlich. Ein Blick auf die AfD zeigt jedoch, dass sie es schaffen, Menschen aus unterschiedlichen Schichten und Generationen für sich zu gewinnen. Dass die AfD nicht offen für verschiedene Weltanschauungen ist, stellt sie selbst immer wieder unter Beweis.

Auch an der Anzahl der Mitglieder der AfD ist noch nicht zu erkennen, dass sie sich denen von CDU/CSU und SPD nähern. Um sich als eine neue Volkspartei zu etablieren, muss die AfD es schaffen, auf Dauer eine hohe Anzahl an WählerInnen und Mitglieder für sich zu begeistern. Jedoch ist der stetige Zuwachs an Mitgliedern bei der AfD und der Verlust bei den Volksparteien nicht zu unterschätzen und ernst zu nehmen.

Ein wichtiges Merkmal von Volksparteien ist, dass sie die Zukunft retten wollen. Die AfD hat zwar den Anschein, dass sie dies auch ermöglichen will, jedoch ist sie eher restaurativ und möchte die Vergangenheit wiederherstellen. Der wohl wichtigste Aspekt, warum die AfD keine neue Volkspartei wird, ist, dass der rechtsnationale Flügel vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird.

Vor allem Björn Höcke (AfD-Fraktionschef in Thüringen) und Andreas Kalbitz (Fraktionsvorsitzender in Brandenburg) sind nach Aussage vom Geheimdienstchef Rechtsextremisten. Der rechtsnationale Flügel richtet sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die im Grundgesetz verankerte Menschenwürde. Neue Möglichkeiten ergeben sich aber dadurch, dass es völlig unklar ist, wo der Flügel beginnt und aufhört.

Die AfD ist schon längst keine Protestpartei mehr und wenn sie weiter ignoriert und nicht ernst genommen wird, fördert dies die Selbstmobilisierung der AfD und auch ihren Aufstieg zu einer Volkspartei. Die Großparteien sollten beginnen, politische Probleme zu thematisieren und eine offene Konfrontation mit den Rechtspopulisten suchen sowie die Sorgen und Ängste der WählerInnen ernst nehmen.

Literaturverzeichnis
  • Brinkmann, Heinz-Ulrich/Panreck, Isabelle-Christine: Rechtspopulismus in Einwanderungsgesellschaften: Die politische Auseinandersetzung um Migration und Integration, Wiesbaden 2019.
  • Decker, Frank: Parteiendemokratie im Wandel, Baden Baden 2018.
  • Pfahl-Traughber, Armin: Die AfD und der Rechtsextremismus: Eine Analyse aus politikwissenschaftlicher Perspektive, Wiesbaden 2018.
  • Pfahl-Traughber, Armin: Rechtsextremismus in Deutschland: Eine kritische Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2019.
  • Rödder, Andreas: Konservativ 21.0: Eine Agenda für Deutschland, Bonn 2019.
  • Vielhaber, Barbara: Mitgliederpartei oder Professionelle Wählerpartei: Abgeordnetenbefragung zum Parteiwandel im CDU und SPD, Wiesbaden 2015.
  • Wagner, Andreas: Wandel und Fortschritt in den Christdemokratien Europas: Christdemokratische Elegien angesichts fragiler volksparteilicher Symmetrien, Wiesbaden 2014.
  • Walther, Eva/Isemann, Simon D. (Hrsg.): Die AfD - psychologisch betrachtet, Wiesbaden 2019.
  • Zohlnhöfer, Reimut/Saalfeld, Thomas (Hrsg.): Zwischen Stillstand, Politikwandel und Krisenmanagement: Eine Bilanz der Regierung Merkel 2013-2017, Wiesbaden 2019.

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