Samstag, 6. August 2016

Warum Populisten die "Lügenpresse" brauchen

Opposition24.de, Pegida Banner, Lügenpresse Banner, CC BY 2.0
Kurz gesagt benötigen Populisten den Vorwurf von der "Lügenpresse" (oder auch "Systempresse") sowie verwandte Verschwörungstheorien ("schweigende Mehrheit" etc.) aus logischen Gründen. Beispielhaft sei auf die Argumentation von Jan-Werner Müller hingewiesen, der in seinem an dieser Stelle bereits mehrfach hervorgehobenen Essay "Was ist Populismus?" (Suhrkamp & bpb) schreibt:
"Meine These lautet, dass Kritik an Eliten ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für die Bestimmung von Populismus ist. Mit anderen Worten: 'Anti-Establishment-Attitüde' greift zu kurz. Zum Anti-Elitären muss noch das Anti-Pluralistische hinzukommen. Was ich als den Kernanspruch aller Populisten bezeichnen möchte, lautet stets ungefähr so: 'Wir - und nur wir - repräsentieren das wahre Volk'." (S. 26)
Und damit kommen wir zum zentralen Problem der "inneren Logik" des Populismus: Wie lässt sich erklären, dass man zwar den "einheitlichen Volkswillen" repräsentiert, aber bei Wahlen nicht nur keine Mehrheit bekommt, sondern sich mit beschämenden Bruchteilen zufriedengeben muss!? Hier kommt nun neben anderen Verschwörungstheorien die "Lügenpresse" als Lösungsversuch ins Spiel. Die Rolle von Wahlen wird nicht anerkannt, neben dem empirischen gibt es für Populisten ein "moralisches" Wahlergebnis. Dazu wieder Müller:
"In der Demokratie darf prinzipiell jeder für sich reklamieren, eine bestimmte Gruppe zu repräsentieren (beispielsweise indem er eine Partei gründet), dafür muss sich aber auch jeder dem einzigen 'Volksurteil' beugen, das sich wirklich empirisch nachweisen lässt: dem Wahlausgang." (S. 63)
Genau das tut der Populist nicht. So hat beispielsweise Viktor Orbán nach einer Wahlschlappe gesagt, die Nation könne nicht in der Opposition sein. Noch einmal Müller:
"Die Stimmanteile entscheiden darüber, wer die Bürger repräsentiert (...). Das mag wie eine Banalität klingen, ist aber von entscheidender Bedeutung in Auseinandersetzungen mit Populisten, die behaupten, den Willen des Volkes zu repräsentieren und zu vollstrecken - in Wirklichkeit jedoch eine symbolische Repräsentation des angeblich 'wahren Volkes' instrumentalisieren, um demokratische Institutionen, die dummerweise nicht von Populisten dominiert werden, zu diskreditieren." (S. 19)
Dass die "Lügenpresse" in dieser Argumentation nicht einen Faktor unter mehreren bildet, sondern eine zentrale Rolle spielt, darauf macht John David Seidler in dem kürzlich erschienenen und äußerst lesenswerten Aufsatz "LÜGENPRESSE! Medien als Gegenstand von Verschwörungstheorien" (APuZ 30-32/2016, S. 41-46) aufmerksam:
"Die kritische Rede über Medien impliziert somit ein großes Versprechen: Deutungshoheit. Und zwar nicht bloß über die Medien, sondern über alle Gegenstände, über die Medien berichten. Entsprechend sind "die Medien" für die Rekrutierung und Mobilisierung von Protestbewegungen ein ausgesprochen naheliegender und in einzigartiger Weise universeller Deutungsgegenstand. Er ist (...) für breite Bevölkerungsgruppen anschlussfähig. Welches Problem auch immer beklagt wird – die Rolle der Medien ist dabei immer von Interesse, sofern sie aus Perspektive der Bewegungsakteure typischerweise "falsch" oder zumindest unzureichend über das Problem informieren. (...) Angesichts der Universalität des Deutungsgegenstands Medien, der als Quelle unseres Wissens ja praktisch alle anderen Deutungsgegenstände fundamental betrifft, hat er eine übergeordnete Funktion, die ihn von allen anderen Gegenständen unterscheidet. In diesem Sinne lässt sich pauschale Medienkritik, die "Manipulation" und "Täuschung" eines "betrogenen Volkes" unterstellt, als master frame zur Rekrutierung und Mobilisierung politischer Protestbewegungen bis hin zur Bildung politischer Parteien begreifen. Die radikalste Form dieses Deutungsrahmens, die "Medienverschwörungstheorie", kann deshalb für politische Bewegungen und Organisationen bereits das eigentliche Kernthema ihrer öffentlichen Kommunikation bilden, mit dem sie erfolgreich ihre Anhängerschaft rekrutieren und mobilisieren." (S. 42)

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