Mittwoch, 4. August 2021

Rechtspopulismus und Sprache: Von Unworten zu Untaten

In diesem Beitrag stellt Yutian Leiyang folgenden Aufsatz vor:

Bade, J. Klaus (2018): Von Unworten zu Untaten: Kulturängste, Populismus und politische Feindbilder in der deutschen Migrations- und Asyldiskussion zwischen „Gastarbeiterfrage“ und „Flüchtlingskrise“, Historische Sozialforschung, Supplement, No.30, Historische Migrationsforschung. Eine autobiografische Perspektive (2018), S. 338-350, online unter: https://www.jstor.org/stable/26419105.

Laut Bade existiert eine superdiverse Migrations- und Einwanderungsgesellschaft mit vielen Kultur- und Sozialprozessen. Hierbei unterscheidet er zwischen den Kulturpragmatikern/Kulturoptimisten und Kulturpessimisten/Kulturrassisten. Erstere sehen kulturelle Vielfalt als Implikation von Zu- und Einwanderung und halten dies für eine Selbstverständlichkeit.

Die andere Gruppe bezeichnet Bade als „[...] die schrumpfende, aber umso lauter protestierende Gruppe der Kulturpessimisten oder doch MultiKulti-Phobiker“ (Bade 2018, S. 339). Hierbei handelt es sich meist um ältere, aufrichtig besorgte Menschen, oder kulturalistisch argumentierende Angst- und Wutbürger. Ebenso findet man am „[...] rechten Rand auch eine Minderheit von meist jüngeren xenophoben und kulturrassistischen Radikalen und Extremisten“ (ebd. S. 339).

Deren Fehlvorstellung bezieht sich auf eine kulturell homogene Gesellschaft, die sie zum kollektiven Leitbild machen. Jedoch existiert dies nie und stellt somit nur eine vermeintliche fiktive Erinnerung dar. Dieses Missverständnis wird durch diverse Medien, Islamkritik und „selbsternannte Islamexperten“ verstärkt. Bade spricht hier von einer Kulturangst, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

Die „Islamkritik“ wurde durch die Medien verstärkt, welche die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ - Pegida zu einer „[...] mächtig aufgeblasenen Bewegung“ geschaffen hatte (ebd. S. 340). Die Pegida-Bewegung wiederum verselbständigte sich, da sie weniger inhaltliche Argumente bot und sich nun eher zu einem „[...] mentales Bindemittel für diffuse Protesthaltungen“ (ebd. S. 340) wandelte.

Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han kam zum Urteil, dass die Entstehung der Pegida ein Versagen der Politik ist, verursacht durch die mangelnde Transparenz und Bürgernähe von Politik sowie die mangelhafte Vermittlung der Grundfragen und Richtungsentscheidungen. Ebenso die fehlende Selbstreflexion, dass viele selbst oder deren Vorfahren eine Migrations- und Einwanderungsgeschichte durch Kriege erlebt haben.

Solange die bestehenden Fragen bzgl. der Migrations- und Einwanderungsgesellschaft in einem zerstreuten Konsens nicht geklärt sind, „[...] können politisch Furcht und Schrecken einflößende Gespenster wie Pegida“ (ebd. S. 342) immer wieder aufs Neue hervortreten und gefährlicher werden. Hierbei sollte das Ziel sein, den Bürgerkontakt zu intensivieren mittels politischem Diskurs, damit die „entgleitenden Themenfelder“ Gehör finden. Dadurch kann anderen Akteuren der Raum genommen werden.

Im April 2015 fand die Veranstaltung „Gut leben in Deutschland – was uns wichtig ist“ in Berlin-Schöneberg statt. Hier konnten Bürger*innen in Dialog mit der Bundesregierung treten. Ziel war es , den verlorenen Kontakt zu den Bürger*innen wieder herzustellen. Die Ergebnisse wurden von einem wissenschaftlichen Beirat zusammengefasst, ausgewertet und dann in einen „Aktionsplan“ umgewandelt. Solche Bürgerdialoge sind nur zielführend, wenn den Worten Taten folgen. Eine gesellschaftspolitische, strukturelle und perspektivenstarke Ausrichtung lässt der „[...] defensiven und mutlos-rechts-positivistischen Kleinwuselei„ (ebd. S.343) kaum Spielraum.

Themen wie Zuwanderung, Flucht und Asyl spielten den xenophoben Kulturpessimisten und kulturalistischen Extremisten in die Karten. Diese Themen wurden zu Wahlkampfzeiten verstärkt: Ein Beispiel dafür ist die Anti-Asyl-Bewegung 1991. CDU-Generalsekretär Volker Rühe stachelte diese Bewegung regelrecht an. Dabei zielte er auf die SPD, welche eine Lockerung des Asylrechts anstrebte. Seine populistischen Aussagen emotionalisierten die Asyl-Thematik, bis diese sogar in blanken Fremdenhass endete. Brandanschläge auf Asylheime waren die Folge. Einige Beispiele zur Wortwahl:

  • Wörter mit negativer Konnotation: Masseninvasion oder Dammbruch
  • „Ausländerschwemme“, „Überflutung des Arbeitsmarktes“, oder „unkontrollierte Zuwanderung“. Dies betraf auch die vergeblich umworbenen Hochqualifizierten für die IT-Branche in den 2000er Jahren. Jürgen Rüttgers (CDU) nutzte dabei den Spruch „Kinder statt Inder“.
  • „Ausländische Sozialschmarotzer, Armutswanderer, Wirtschafts­flücht­linge“ waren Anspielungen auf das vermeintliche soziale Paradies in Mitteleuropa. Horst Seehofer (CSU) benannte Deutschland als „Sozialamt der Welt“. 
  • Roland Koch (CDU) betitelte in der Landtagswahl 2010 in Hessen die „Ausländerkriminalität mit angeblich insbesondere türkischem Hintergrund“ (Bade 2018, S. 347). Diese Aussage wurde von der Wählerschaft am Wahltag gestraft.
  • „Eine Außenstelle des Balkans und Nordafrikas“ – AfD.

Bade kritisiert diese „populistische Empörungssemantik“, da diese in den Köpfen der Bürger*innen zurückbleibt, selbst nachdem die Parteien ihren Wahlkampf beendet haben und wieder in den Normalbetrieb zurückkehren.

„All das waren ebenso giftige wie fahrlässige politische Saatbeete für schmalwüchsige und nachhaltige Fremdenfeindlichkeit, die von den Sensations- und Skandalmedien eifrig weiter gedüngt wurden. [...] Diejenigen unter ihnen aber, die in Wahlkämpfen fahrlässig mit rhetorischen bzw. semantischen Brandbeschleunigern gezündelt hatten, wurden und werden damit indirekt mitverantwortlich für den Weg von brandstiftenden Unworten zu brandstiftenden Untaten – in den frühen 1990er Jahren ebenso wie in der Gegenwart“ (Bade 2018, S. 348).

Bade betont in seinem Text, dass es auch wichtig ist, die Gegenbewegungen zu nennen. Gemeint ist hier eine Bürgerschaft, die stärker ist, als die durch die Medien überbewerteten „Spaziergänger von Pegida“. Sie treten vor Ort den rechtspopulistischen Bewegungen entgegen.

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