In diesem Beitrag stellt Lea Bauer folgenden Aufsatz vor:
Bieling, Hans-Jürgen (2017): Aufstieg des Rechtspopulismus im heutigen Europa – Umrisse einer gesellschaftstheoretischen Erklärung: in: WSI-Mitteilungen, Heft 8, Seite 557-565 (Online-Version).
Der Text von Hans-Jürgen Bieling handelt vom Aufstieg des Rechtspopulismus im heutigen Europa. Bieling versucht, durch eine kontroverse Darstellung den „Bedeutungsgewinn rechtspopulistischer Parteien zu erklären“ (Bieling 2017, 557) und die Ursachen des Rechtspopulismus zu erforschen. Er zieht in seiner Diskussion die Erkenntnisse von Karl Polanyi und dessen Konzeption der „Doppelbewegung“ hinzu.
Zu Beginn des Textes geht Bieling auf die rechtspopulistischen Bewegungen und deren Zulauf in den letzten Jahren ein. Dieser Aufstieg vollzieht sich in mehreren Wellen. Die erste Welle Anfang der 70er Jahre richtete ihre Kritik vor allem gegen den zentralstaatlich organisierten Wohlfahrtsstaat. Die zweite Welle, ca. 1990er Jahre, war durch die Ablehnung einer multikulturellen Identität geprägt, und die meisten Parteien, welche zu dieser Zeit entstanden, wie z.B. die UKIP (Großbritannien) oder die FPÖ (Österreich), waren ethnonationalistisch und rassistisch geprägt. Die dritte Welle, Anfang der 2000er, verfolgte auch ethnonationalistische und rassistische Ziele. Außerdem wandten sie sich vermehrt sozialen Problemen und Verunsicherungen zu. Während der dritten Welle wuchs zudem der Einfluss der rechtspopulistischen Parteien auf die politischen Prozesse und sie hatten durch die Erfolge bei Wahlen die Möglichkeit, an der Regierungsbildung mitzuwirken.
Karl Polanyi hat, resultierend aus der Krise der 1930er und 1940er Jahre, die Konzeption der „Doppelbewegung“ begründet, und Bieling erläutert diese im nächsten Abschnitt und bringt sie in Verbindung mit dem Aufstieg der rechtspopulistischen Parteien. Die Überlegungen von Polanyi sollen nicht deckungsgleich auf die heutige Situation übertragen werden, sondern eher Parallelen in Bezug auf „strukturelle Zusammenhänge und Wirkungsmechanismen“ (Bieling 2017, 558) aufzeigen.
Grundsätzlich geht die Konzeption der „Doppelbewegung“ auf das Prinzip des Wirtschaftsliberalismus und das Prinzip des Schutzes der Gesellschaft zurück. Das Prinzip des Wirtschaftsliberalismus hatte das Ziel, einen selbstregulierenden Markt herzustellen und zählte auf die Unterstützung der Gewerbe. Das Prinzip des Schutzes der Gesellschaft zielte auf die Erhaltung der Arbeitskraft aller und der Natur ab. Diese Prinzipien verhielten sich nicht gleichgewichtig und dadurch wurden Krisen hervorgerufen, welche von sozialer Ungleichheit, Verarmung und Ungerechtigkeit geprägt waren. Nachdem es bei diesem Konflikt zu Spannungen kam, wurden die Machtverhältnisse im „Kampf um Teilinteressen benützt und mißbraucht“ (Bieling 2017, 559).
Im weiteren Verlauf des Textes führt Bieling im Zusammenhang mit den materiellen und kulturellen Konfliktdimensionen den Begriff der moralischen Ökonomie nach Edward P. Thompson ein. Hierunter wird eine Konzeption verstanden, welche aus Konflikten zwischen sozialen Milieus entsteht und auf Normen und Werten basiert. Hier bildet sich für rechtspopulistische Bewegungen eine Angriffsfläche. Zu dieser Konzeption tritt nun die Konzeption der „Doppelbewegung“, welche spezifische Interessenlagen miteinbeziehen kann. Die Frage von Verteilungskonflikten und sozialen Ungerechtigkeiten durch das politische Handeln wird aufgeworfen. Die Interessen der sozialen Gruppen werden meistens bei Ungerechtigkeiten missachtet und sie schließen sich trotz allem nationalistischen Parteien an.
In den Grundzügen kann man das Prinzip des Wirtschaftsliberalismus und das Prinzip des Schutzes der Gesellschaft auf die heutige Problematik der sozialen Ungerechtigkeit anwenden, jedoch haben sich hier in den letzten Jahrzehnten, laut Bieling, tiefgreifende Veränderungen vollzogen, welche beachtet werden müssen und auf die Bieling im nächsten Teil seines Artikels eingeht.
Die Doppelbewegung nach Polanyi wird in diesem Teil in den Kontext des heutigen Europas einbezogen. Bieling geht zunächst auf die Transformation der ökonomischen und sozialen Beziehungen ein. Er spricht von einer „kapitalistischen Entwicklungsdynamik“ (Bieling 2017, 560), welche durch Expansionen geprägt ist. Auch im sozialen Bereich gab es Transformationen. Hierbei unterscheidet Bieling nach Kees van der Pijl drei Konstellationen:
- Die erste Konstellation (18./19. Jahrhundert) war geprägt durch eine neue Form der Arbeit, welche viele soziale Gruppen, wie z.B. Handwerker oder Bauern, aus ihren alten Prozessen und Beziehungen herausriss und „ungewohnten Kontrollregimen unterworfen“ (Bieling 2017, 560) hatte. Hier entstand ein enormes Konfliktpotential.
- Die zweite Konstellation (Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts) war durch die Fokussierung auf die Arbeitsproduktivität geprägt, und die Konflikte wurden auf die Fabriken verlegt. Es entstand ein Gleichgewicht mit Schutz für die Arbeiter, welches durch Gewerkschaften etabliert werden konnte.
- Die dritte Konstellation betrifft zunehmend den europäischen Kontext. Es kam zu globalen Finanzbeziehungen und Wertschöpfungsketten und die Optimierung von familiären, arbeitsrechtlichen und sozialen Verhältnissen stand im Vordergrund. Die staatliche Regulierung von vielen Prozessen rief neue Formen des Widerstands hervor. Die soziale Aufstiegsmobilität stagnierte und die Beschäftigungsverhältnisse waren oftmals nicht transparent. Es kam zu Existenzängsten der Mittelschicht und diese fühlten sich noch viel stärker zu nationalistisch-populistischen Positionen hingezogen.
Die rechtspopulistischen Bewegungen haben nach Bieling von der vermehrten Ungerechtigkeit der sozialen Verhältnisse, den Zukunftsängsten und dem Verlust von Tradition und Perspektiven profitiert. Die kommunistischen und sozialistischen Parteien werden in der Öffentlichkeit nicht mehr so wahrgenommen wie früher, da sie durch wirtschaftsliberale Einstellungen und stagnierender Handlungsfähigkeit keinen Nährboden mehr bilden für die Bedürfnisse der benachteiligten Bevölkerung.
Diese Konflikte sind laut Bieling durch die europäische Integration indirekt gefördert worden. Verschiedene Integrationsprojekte, wie z.B. die Wirtschafts -und Währungsunion und die wirtschaftsliberale Führung, begünstigten diese Entwicklung. Diese Projekte fördern die soziale Ungerechtigkeit und beeinträchtigen die Beschäftigungsverhältnisse (Bieling 2017, 562). Eine weitere Komponente ist die neoliberale. Hier sind individuelle Rechte und ökonomische Ziele im Mittelpunkt. Jedoch gibt es hier zusätzliche Faktoren, die auch die EU berücksichtigen muss, wie z.B. kulturelle und ethnische.
Die Krise der EU, ökonomisch, sozial und kulturell gesehen, hat sich in den letzten Jahrzehnten weiter verschärft. Daraus resultieren Neuorientierungen rechtspopulistischer Parteien, auf welche Bieling in seinem letzten Abschnitt eingeht. Die populistischen Parteien thematisieren diese Missstände öffentlich und skandalisieren diese häufig. Dies ist laut Bieling nicht ungewöhnlich, jedoch wird dies zum Problem, wenn diese populistischen Bewegungen an Macht gewinnen und die etablierten politischen Verhältnisse beeinträchtigen.
Bieling geht auf zwei Konzeptionen ein, die die populistischen Parteien nutzen. Zum einen ist es die Repräsentationslücke, welche dann entsteht, wenn die etablierten Parteien zu sehr in die Mitte rücken und die „politischen Ränder“ nicht mehr vertreten sind. Hierdurch wird die Etablierung von neuen, rechtspopulistischen Parteien begünstigt und die Lücken gefüllt. Zum anderen werden gesellschaftliche Strukturveränderungen durch Cleavages begünstigt. Nach Lipset und Rokkan gibt es vier solcher Spaltungslinien: zwischen Kapital und Arbeit, Kirche und Staat, Stadt und Land und Zentrum und Peripherie. Seit den 19970er Jahren werden neue Cleavages untersucht, welche sich materiell oder kulturell darstellen lassen.
Der Aufschwung der rechtspopulistischen Parteien lässt sich nach Bieling anhand von einigen Themen festmachen. Die Ungleichheit, welche durch die Globalisierungsprozesse entsteht, wird von rechtspopulistischen Bewegungen oder Parteien aufgenommen und eine „umfassende nationalstaatliche Souveränität und Handlungsfähigkeit“ (Bieling 2017, 563) versprochen. Die Schwerpunkte dieser Parteien liegen auf einer rassistischen Weltansicht und der Verteidigung der eigenen nationalen Identität, auf einer EU-skeptischen Haltung, welche sich durch strenge Kontrollen bis zur Abwendung von bestehenden Verträgen und Abkommen erstreckt, und auf der Verknüpfung der nationalen und sozialen Frage.
Der dritte Punkt wird in vielen Ländern unterschiedlich stark diskutiert und je nach Parteityp verfolgt. Dies kann von der grundsätzlichen Beachtung der sozialen Frage (Deutschland) bis hin zu Versuchen von sozialpolitischen Profilierungen wie in Frankreich oder in Ungarn gehen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft. Die Gefahr der "Überfremdung" und des "Identitätsverlusts" sind hilfreiche propagandistische Mittel. Zudem kommt noch eine anti-muslimische Haltung, welche oftmals zusätzlich noch anti-feministisch und homophob geprägt ist.
Abschließend resümiert Bieling, dass die Konzeption der „Doppelbewegung“ „für das Verständnis von Rechtspopulismus durchaus instruktiv ist“ (Bieling 2017, 564) und grundlegend für den Rechtspopulismus hinzugezogen werden kann. Die entstandenen Dynamiken sind als besorgniserregend zu deklarieren, da Minderheiten gefährdet werden, große Teile der Bevölkerung sich diesen rechtspopulistischen Bewegungen anschließen und viele Positionen in der Öffentlichkeit überhört werden. Diese Spaltungen müssen überwunden werden - durch die Entwicklung politischer Projekte in allen politischen Bereichen, um der Bevölkerung zu demonstrieren, dass sie ernst genommen wird, oder durch das Einschränken und Ausgrenzen rechtspopulistischer Bewegungen.
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