Dienstag, 29. Dezember 2020

Priester: Konservatismus und Rechtspopulismus in Deutschland

In diesem Beitrag stellt Luca Blaszczyk folgenden Aufsatz vor:

Priester, Karin (2015): »Erkenne die Lage!«. Über die rechtspopulistische Versuchung des bundesdeutschen Konservatismus; in: INDES, Zeitschrift für Politik und Gesellschaft 3/2015, S. 84-92 (Online-Version).

In dem Aufsatz »Erkenne die Lage!« schreibt Karin Priester „über die rechtspopulistische Versuchung des bundesdeutschen Konservatismus“, also wie sich der bundesdeutsche Konservatismus dem Rechtspopulismus bedient und annähert. Zuerst führt sie auf, was Konservatismus eigentlich bedeutet. Konservatismus ist nicht gleichzusetzen mit Traditionalismus. Erst wenn an Traditionen gerüttelt wird und diese bröckeln, rückt der Konservatismus ins Licht. Demnach ist der Konservatismus, wie auch der Populismus, ein Reaktionär auf den schnellen gesellschaftlichen Wandel, den Statusverlust und die Entwertung der Kultur (vgl. S. 84).

Konservatismus beruht auf den immer gültigen „vier Glaubensartikeln: Skeptizismus, menschliche Unvollkommenheit, pessimistisches Menschenbild und von Gott oder der Natur gewollte Rangunterschiede unter den Menschen“ (S. 85). Es geht dem Konservatismus nicht grundsätzlich darum, Neues zu verhindern, sondern eher die Geschwindigkeit des Wandels zu verlangsamen. Nach Alexander Gauland ist vor allem der Kampf gegen das Tempo der Veränderung wichtig (vgl. S. 85).

Klaus von Beyme unterscheidet den Konservatismus in fünf Gruppierungen: Status-quo-ante Konservative (streben Rückkehr zum monarchischen Absolutismus an), Status-quo-Konservative, radikale Konservative, christlich und christlich-soziale Konservative und Reformkonservative (vgl. S. 86). Nach 1945 galt der Konservatismus als Steigbügelhalter des Nationalsozialismus, seit den 1960er Jahren verstehen sich die Neokonservativen als liberal, so auch die CDU (vgl. S. 86).

Bis zu den 1970er Jahren waren CDU und CSU die klaren Vertreter der Konservativen. Der Modernisierungs- und Liberalisierungskurs der CDU seit der Vereinigung wurde jedoch von vielen Konservativen als Sozialdemokratisierung gesehen und endete damit, dass sie ihre Loyalität aufkündigten. Rechts neben dieser CDU stehen nun revolutionäre Jungkonservative, welche als Neue Rechte die metapolitische Gegenöffentlichkeit ohne direkte Einflussnahme auf die Parteipolitik vertreten wollen. (vgl. S. 87).

Nach dem Erfolg der AfD stehen die Neurechten vor der Entscheidung, ob sie weiterhin nicht parteipolitisch auftreten wollen oder ob sie diese Chance nutzen und ob sie sogar so weit gehen wollen, die CDU als möglichen Koalitionspartner anzusteuern (vgl. S. 87-88).

„Den konservativen Revolutionär erkennt man daran, dass er in seine Texte mindestens einmal den Imperativ »Erkenne die Lage!« einfließen lässt“ (S. 88).

Einer der namhaftesten Publizisten der Neuen Rechten ist der Historiker Karlheinz Weißmann. Dieser hat, so schreibt Priester, die Lage erkannt (vgl. S. 88). „Ohne Massenmobilisierung bleibt die Neue Rechte ein Nachtschattengewächs“ (S. 88). Viele vom rechten Rand, die bisher erfolglos waren, springen nun auf diesen Zug auf, darunter auch viele ehemalige CDU-Mitglieder. In der AfD werden rechte Stimmen, die sich in der Tradition der DNVP (Deutsch-Nationale Volkspartei) als nationalkonservativ verstehen, immer lauter. Unter diesem Deckmantel wird völkisches Gedankengut und Antimodernismus in der Familien- und Geschlechterpolitik wieder salonfähig gemacht.

Marc Jongen schrieb ein so genanntes AfD-Manifest, in dem er vier Ausprägungen des Konservatismus, den Status-quo-ante Konservatismus, den Status-quo-Konservatismus, den Reformkonservatismus und die konservative Revolution zur Anschauungsweise der AfD vereint. Dahinter stecken genaue Vorstellungen. Mit dem Status-quo-ante Konservatismus strebt Jonge die Rückkehr zu den Maastrichter Verträgen und wenn nötig zur nationalen Währung an, mit dem Status-quo-Konservatismus bezieht er sich auf die Sprach- und Familienpolitik mit dem Ziel der heterosexuellen bürgerlichen Familie und dem Erhalt der deutschen Sprache, welche durch das Englische bedroht sei.

Durch die reformkonservative-liberale Facette möchte er den echten Bürgersinn und die Meritokratie, also die Herrschaft der Besten, fördern. Seinen Schwerpunkt setzt er im Kerngedanken der konservativen Revolution, also der Wiederherstellung der sozialen Marktwirtschaft und der Souveränität des Volkes (vgl. S. 89-90). Im Ernstfall ist es die Aufgabe der Konservativen, den Lauf der Geschichte umzukehren und so die Rückkehr in ein Goldenes Zeitalter zu erreichen. Die Rückkehr in ein Goldenes Zeitalter ist auch ein Kerngedanke eines ansonsten ideologisch dürftigen Populismus. (vgl. S. 90). Die Idee ist es, wieder in eine Zeit zurückzukehren, in der „Vollbeschäftigung herrschte, Immigranten noch Gastarbeiter hießen, ein höherer Lebensstandard erreicht wurde und die europäische Idee auf ein Europa der Vaterländer begrenzt war“ (S. 90).

Jongen hat das massenmobilisierende Potenzial von populistischen Parolen erkannt. Seine Vision: Nur durch Populismus kann der Konservatismus massenkompatibel werden. Das Populistische zeigt sich vor allem in den wiederkehrenden polarisierenden Denkschemata. Ein "Wir gegen Die"-Denken innerhalb des politisch-sozialen Feldes. Freund und Feind, Souveränität des Volkes gegen den Lobbyismus, die Souveränität der Nationalstaaten gegen die Europäische Union.

Das Finanzkapital und die EU sind die größten Widersacher. Gerne werden für diese Metaphern wie Blutsauger oder Monster benutzt, um sie dem Volk anschaulich darzustellen (vgl. S. 90). Im populistischen Diskurs wird gerne in moralische Kriterien eingeteilt, um zu polarisieren. Die politische Elite wird generell als korrupt angesehen. Die bürgerliche Mittelschicht befinde sich im »Zangengriff von ausufernder Sozialindustrie unten sowie asozialen Finanzeliten oben«, so Jongens.

Dabei wird gerne außer Acht gelassen, dass vor allem die Mittelschicht vom expandierenden Wohlfahrtsstaat profitiert hat. Zwar sagt die AfD, sie sei eine Partei der kleinen Leute, heutzutage zählen zur bürgerlichen Mitte aber eher die gutverdienenden und gebildeten Leute. Wählersoziologisch gerät die AfD hier also in einen Konflikt (vgl. S. 91). Um diesem Interessenskonflikt zwischen bürgerlicher Mitte und den kleinen Leuten zu entgehen, wird der Fokus gerne auf einen gemeinsamen äußeren Feind gerichtet. Es gibt liberale Stimmen in der AfD, die diese Fokusverschiebung verhindern wollen, jedoch verdanken alle rechtspopulistischen Parteien Europas ihren Erfolg der einfachen Botschaft, dass alles Übel von außen kommt (vgl. S. 92).

Der Maß-und-Mitte-Konservatismus der CDU ist kein Alleinstellungsmerkmal mehr, und wo die gesellschaftliche Mitte liegt, ist Auslegungssache. Auch wenn diese Mitte grundsätzlich nichts von Revolution und Klassenkampf hält, lässt sie sich doch einfach mit Statusängsten und Angst vor kultureller Entwertung fluten. Links reden und rechts denken ist dabei ein erprobter Vorgang von Populisten (vgl. S. 92). In der AfD rumort es.

„Bernd Lucke und mit ihm die Liberalkonservativen haben das Schiff verlassen. Ob es deswegen aber sinkt oder nicht eher steigt, hängt von den Kräfteverhältnissen innerhalb und den Gegenkräften außerhalb des nunmehr rechteren AfD-Spektrums ab“ (S. 92).

Karin Priester zeigt auf, dass der Grat zwischen dem Konservatismus und dem Rechtspopulismus schmal verlaufen kann und dass gerade die Menschen, die eigentlich gerne alles so belassen würden, wie es ist, sehr anfällig für das populistische Abdriften des Konservatismus sind. Was bleibt einem Erzkonservativen noch, wenn selbst die Union, übertrieben gesagt, sozialdemokratisch wird! So entstand eine euroskeptische Partei aus verärgerten Konservativen, welche sich jetzt ganz und gar im rechtspopulistischen Spinnennetz verfangen hat. Es bleibt spannend, was mit der AfD passieren wird. Schafft sie es, sich von Faden zu Faden zu hangeln oder dringt sie so tief in das Netz vor, bis sie am Ende von der Spinne gefressen wird?

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