In diesem Beitrag stellt Adriana Müller folgenden Aufsatz vor:
Decker, Frank (2020): Rechtspopulismus in Europa – eine Gefahr für die Demokratie?; in: Fromm Forum 24/2020, S. 90-98 (Online-Version).
In dem Aufsatz von Prof. Dr. Frank Decker wird anfangs erörtert, wie sich rechtspopulistische Parteien ausbilden und weiterentwickeln konnten. Als Grundlage des Aufsatzes dient die Leitfrage, ob der Rechtspopulismus in Europa eine Gefahr für die Demokratie darstellt.
In den 1980er Jahren bildeten sich in vielen westeuropäischen Staaten sogenannte „rechtspopulistische“ Parteien aus. Der Begriff „Populismus“ leitet sich von dem Wort „populus“ für „Volk“ ab. Mit dem Rechtspopulismus bildete sich eine neue Art der Politik und der Parteien heraus. In den Anfängen und auch noch bei den ersten Wahlerfolgen sprach man noch von „Protestparteien“, bei denen man sich sicher war, dass diese zügig wieder verschwinden würden. Es kam jedoch anders, die Parteien blieben und konnten ihren Erfolg erweitern – auch in weiteren Staaten trat nun das Phänomen „Rechtspopulismus“ auf.
In mancherlei Hinsicht ähneln sich die populistischen Parteien, beispielsweise in dem Feindbild gegenüber dem Islam oder dass sie sich sicher sind, den Willen des Volkes zu kennen. Der wissenschaftliche Begriff des Rechtspopulismus wird aber anders definiert, hier spricht man davon, dass der Rechtspopulismus das einfache Volk anspricht und Kritik an den etablierten, herrschenden Parteien und Eliten übt. Somit stehen sie in der Opposition zum Establishments. Sie definieren sich dadurch als Außenseiter, was ihre Anhänger ansprechen soll und dies auch tut. Rechtspopulistische Parteien sprechen das „nationale Volk“ an und geben ihre Ansichten als „wahren Volkswillen“ aus. Durch Rhetorik und Führungspersönlichkeiten sprechen sie das Volk direkt an und verzeichnen dadurch Erfolge.
Es gibt verschiedene Gründe für das Auftreten des Rechtspopulismus. Ein Grund wäre beispielsweise, dass die rechtspopulistischen Parteien sich als Gegenstück zu den damalig entstandenen Neuen Sozialen Bewegungen herausgebildet haben. Eine weitere Erklärung wäre, dass es sich anbietet, das Volk direkt anzusprechen und dieses abzugrenzen von den Eliten. Hierbei werden gezielt Menschen ausgeschlossen, dies wird auch durch ein sehr konservativ geprägtes Bild der Gesellschaft geschürt. Minderheiten werden ausgeschlossen. Zudem spricht der Rechtspopulismus das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen an, somit richten sich die Rechtspopulisten gegen die staatliche Bevormundung.
Die steigenden Flüchtlingszahlen seit dem Jahr 2013, der Anschlag vom 11. September 2001 und die Eurokrise nach 2007 ließen den Erfolg der rechtspopulistischen Parteien wieder aufflammen. Die Eurokrise steigerte die EU-Skepsis, die Globalisierung führte dazu, dass einige Rechtspopulisten schon sehr früh der EU die Schuld an dem vermeintlichen Wohlstandsverlust, der Überfremdung und der schwachen politischen Repräsentation gaben. Die hohen Flüchtlingszahlen sowie terroristische Anschläge ließen die Ängste der Bevölkerung vor dem Islam und somit vor dem Fremden wachsen. Durch diese Vorkommnisse und durch deren gezielte Umwandlung in politische Programme konnten die rechtspopulistischen Parteien Erfolge erzielen.
Wissenschaftler und politische Beobachter sind sich nicht einig darüber, wie der Rechtspopulismus zu bewerten ist. Einige bewerten ihn als demokratisches Mittel, um Missstände in der Politik aufzudecken und zu korrigieren, während wiederum andere ihn als Gefahr für die Demokratie sehen. In jedem politischen System, in dem Demokratie herrscht, da ist auch der Populismus vertreten. Man sollte jedoch auch bedenken, dass der Rechtspopulismus eine Ideologie vertritt, die auch eine Systemfeindlichkeit innehaben kann, weshalb es eine Gefahr für die Demokratie darstellen kann.
Es muss unterschieden werden zwischen dem, was die Rechtspopulisten fordern, und wie sie in der Politik auftreten. So kann beispielsweise eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Themen und Ideen die Demokratie voranbringen. So gesehen bedeuten populistische Parteien keine politische Instabilität oder Gefahr für die Demokratie. Es können sich auch durch Protestbewegungen gegen den Populismus neue politische Gruppierungen bilden oder es wird zumindest ein Ausgleich geschaffen.
Der Populismus kann durchaus auch positive Seiten haben, denn er kann dazu führen, dass etablierte Parteien merken, dass Neuerungen notwendig werden. Die etablierten Parteien müssen sich der Probleme, auf die die populistischen Parteien aufmerksam machen, stellen. Zudem können die „Probleme“ innerhalb der Politik bearbeitet werden und somit wird die Gefahr verringert, dass sie zu Gewalt führen. Somit argumentieren einige, dass funktionierende Demokratien von dem Phänomen des Rechtspopulismus profitieren.
Auch gegen diese Sichtweise gibt es Einwände. Zum einen ist diese Sichtweise geprägt von der Vorstellung, dass der Rechtspopulismus und dessen Erfolg wieder abflacht. Allerdings ist in den letzten Jahren genau dies nicht passiert. Manche Staaten müssen gegenwärtig, um regierungsfähig zu bleiben, eine Koalition mit rechtspopulistischen Parteien in Erwägung ziehen oder bereits umsetzen.
Ein weiterer Einwand zeigt auf, dass die Demokratie, wie wir sie kennen, auf Volkssouveränität und Verfassungsstaatlichkeit (= Herrschaftsmacht wird begrenzt, da sich die Staatsgewalt an vorgeschriebene Rechtsschranken halten muss) beruht. Die Machtausübung wird begrenzt und kontrolliert. Auch die Volkssouveränität hat ihre Grenzen, denn dieser Begriff bedeutet nicht, dass das Volk regiert, sondern dass es Repräsentanten wählt und entscheiden lässt. Die Populisten sehen die Volkssouveränität jedoch nicht in der Repräsentation, sie wollen einen unmittelbaren Einfluss des Volkes auf die politischen Entscheidungen. Sie bewerten diese Art der Volkssouveränität als sinnvoller, da so eine höhere Übereinstimmung zwischen den Politikern und dem Volk gelingen würde. Rechtspopulisten befürworten mehrheitsdemokratische Entscheidungen, bei der Minderheiten ausgeschlossen werden sollen. Damit wird die liberale Demokratie gefährdet. Der Rechtspopulismus weist also antipluralistische Ideologien auf, sie wollen das Volk als homogene Einheit.
Jedoch können auch antipluralistische Parteien dazu beitragen, dass die Demokratie gefördert wird, denn die Parteienlandschaft wird durch sie ausgeweitet. Auch die Ansichten sowie Programme der rechtspopulistischen Parteien variieren. Als Beispiel eignen sich die beiden rechtspopulistischen Parteien, die deutsche AfD und die niederländische PVV. Der Parteivorsitzende der PVV, Geert Wilders, spricht sich nicht gegen die Gleichstellung von Homosexuellen und Frauen aus, während die AfD für ein sehr konservatives Frauenbild und auch Familienbild plädiert.
Auch die Ursachen für den Rechtspopulismus sind sehr umstritten. Diskutiert werden kulturelle und ökonomische Ursachen. Für die kulturellen Ursachen spricht, dass diese Fragen meist moralisch aufgeladen sind. Es kann hierfür nur wenig Kompromisse geben, vor allem, wenn sie mit religiösen Argumenten untermauert werden. Was auf viele rechtspopulistische Parteien zutrifft.
In Europa sind die meisten rechtspopulistischen Parteien nicht dem Rechtsextremismus zuzuordnen. Es ist nicht leicht zu bestimmen, ab wann der Rechtspopulismus in einen Rechtsextremismus übergeht, und auch die Frage, ab wann und wie viele extremistische Positionen den Extremismus ausmachen, ist nicht leicht zu beantworten. Die deutsche NPD weist keine populistischen Züge auf. Im Gegensatz dazu weist die AfD hauptsächlich rechtspopulistische Züge auf, welche auch in ihrem Parteiprogramm zu finden sind, allerdings wird dieses Programm auch durch einige rechtsextremistische Ansichten ergänzt. Ein Drittel der Parteimitglieder der AfD werden dem Extremismus zugeordnet.
Die AfD weist also demokratiefeindliche Ansichten auf. Ist sie nun als demokratiefeindliche Partei zu werten? Eine klare Antwort gibt es nicht, aber es gibt Faktoren, die die Antwort beeinflussen. Ein Faktor ist beispielsweise die Auswirkung der Partei auf politische Prozesse und die politischen Kräfte, die der AfD gegenüberstehen.
Bei europäischen Staaten, die das Verhältniswahlrecht haben, erreichen rechtspopulistische Parteien inzwischen bis zu 25 Prozent der Stimmen. Die AfD erreicht diesen Wert nicht in der gesamten Bundesrepublik, aber im Osten kann die AfD so hohe Stimmanteile für sich beanspruchen.
Inzwischen sind sich viele Wissenschaftler sicher, dass der Rechtspopulismus nicht bloß ein Phänomen ist, das nur vorrübergehend auftritt. Gerade in Deutschland wird die Flüchtlingskrise und die Entscheidungen, die die Politik mit Blick auf diese getroffen hat, noch einige Zeit einen Nährboden für die AfD bieten.
Die AfD profitiert wie viele Populisten von den Sozialen Medien, deren Einfluss immer stärker wird und immer mehr Menschen erreicht. Deren Nutzung bietet den Vorteil, dass sie direkt mit dem Volk in Verbindung treten können. Vor allem die herkömmlichen Medien müssen nicht mehr genutzt werden, welche die AfD ohnehin als Teil des Establishments sieht, gegen das sich bekanntlich aufgelehnt wird.
Dadurch, dass die AfD sich als Teil des Parlaments etablieren konnte, gelangte sie an Ressourcen (z.B. staatliche Parteifinanzierung). Dadurch kann sie sich weiter finanzieren und ihre Wettbewerbschancen ausbauen. Sie nutzen also die Vorzüge des demokratischen Systems, würden jedoch nicht zögern, das System abzuändern, wenn sie die Chance und die Kontrolle darüber hätten. In Ungarn und Polen ist genau dies aufgetreten, wodurch diese Annahme eine berechtigte Position einnimmt. Dieses Problem und Phänomen kann auf alle europäischen Staaten zutreffen und sollte nicht als Problem einzelner Staaten angesehen werden.
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