Freitag, 11. Dezember 2020

Studie: PEGIDA und Jugendliche

In diesem Beitrag stellt Mareike Gründler folgenden Aufsatz vor:

Trittel, Katharina / Schenke Julian (2020): PEGIDA: Rechtspopulistischer Protest als Schlüsselthema zur Erschließung jugendlicher Mentalitäten?. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft: 23, S. 1179-1200 (https://link.springer.com/article/10.1007/s11618-020-00977-3).

In dem Aufsatz werden die Auswirkungen und Anknüpfungspunkte des Protestphänomens PEGIDA auf die (post-)adoleszenten politischen Mentalitäten in einem sich verändernden politischen Klima diskutiert. Grundlage des Artikels sind die Ergebnisse der Studie „Die Jugend im Bann von PEGIDA? Zur Erforschung einer neuen zivilgesellschaftlichen Gefahr für die Demokratie.“ Diese wurde vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend gefördert und vom Göttinger Institut für Demokratieforschung durchgeführt (vgl. S. 1179f.).

Der Publikation liegen zwei Fragestellungen zugrunde. Zum einen wird nach dem Anklang von PEGIDA in den Jahren 2016-2017 bei Jugendlichen gefragt. Zum anderen werden die identifizierten Themen von PEGIDA fokussiert, welche „unbewusst“ Anklang bei Jugendlichen finden. Es werden Themenfelder wie Demokratie, Politik und gesellschaftliches Zusammenleben in der Studie betrachtet. Von Interesse ist sowohl die diskursiv verhandelte politische Deutungskultur der Jugendlichen als auch ihre unterbewussten handlungsleitenden politischen Weltbilder und latente Selbstverständlichkeiten (vgl. S. 1181, 1184).

Gegenstand des Artikels ist daher „die Jugend“ und ob diese Spuren von politischer Polarisierung zeigt. Von Interesse sei dies, da Jugendliche als „Hoffnungsträger der Zukunft“ angesehen werden (vgl. S. 1180, 1182). Zugleich wird im Artikel Abstand von der Bezeichnung „einer Jugend“ genommen, da sie keine Einheit, sondern eine heterogene soziale Gruppierung sei, jedoch mit vergleichbaren Lebenslagen, Erfahrungsräumen und Präferenzmustern. Da die politische Urteilsbildung sich bis über das 30. Lebensjahr vollzöge, wurde unter „Jungen“ eine Altersgruppe zwischen 16 - 35 Jahren verstanden (vgl. S. 1183).

PEGIDA

Für bundesweites Aufsehen sorgte das neuartige rechtspopulistische Protestbündnis PEGIDA („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) seit dem Winter 2014/15. Von Dresden aus verbreiteten sich Ableger der Protestbewegung in einigen Städten Deutschlands. PEGIDA tat damals ihr Misstrauen gegen Zuwanderung von Flüchtlingen und vor allem von Muslimen laut kund. Gleichzeitig zeigten sie ihr fundamentales Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment und den Medien auf. Dies taten sie basierend auf dem selbsterklärten „Volkswillen“.

In der Protestbewegung wurden viele verschiedene Einzelthemen im Geiste einer rechtspopulistischen Formation zusammengefasst. Diese sind bis heute erfolgreich. Rückblickend, so argumentieren die Autoren des Artikels, sei PEGIDA Auftakt einer bundesrepublikanischen politisch-kulturellen Eruption gewesen, die zudem der AfD ab 2015 zum Aufstieg verhalf. Denn wer 2016 an den PEGIDA-Protesten teilnahm, wählte nach der Datenlage des Instituts zur Demokratieforschung überproportional oft die AfD (vgl. S. 1180ff., 1190).

PEGIDA-Aktivisten zeigen sich politikinteressiert, sind jedoch unzufrieden mit der Politik. Nach der Argumentation des Artikels hätten sie ein Demokratieverständnis, welches zumeist besser ausgeprägt sei als die politisch inaktive Mitte. PEGIDA-Aktivisten setzen die „Volksherrschaft“ und den „Willen des Volkes“ ins Zentrum ihrer Forderungen. Jedoch definieren sie „Volk“ als organische, homogene Einheit, in der sie sich selbst verorten. Alle, die nicht zu ihnen gehören, sind daher nicht dem „Volk“ zugehörig.

Unisono werde von den Gruppen, zu denen man sich selbst nicht zählt, gefordert, eine Leistung vorzuweisen bzw. einen Beitrag an die Gesellschaft zu leisten, bevor Ansprüche an die Gesellschaft gestellt werden dürften. Gleichzeitig sehen sich PEGIDA-Aktivisten als Opfer, die keine Kritik an Missständen in der (multikulturellen-) Gesellschaft üben dürften. Sie beklagen „Sprechverbote“ unter dem Deckmantel der „Toleranz“, aufgrund dessen alles in einer „multikulturellen Gesellschaft“ zu akzeptieren sei (vgl. S. 1187, 1192, 1194).

Die Studie

Das Sample der Studie, welche der Publikation zugrundeliegt, umfasste zu zwei Dritteln Jugendliche im Alter zwischen 19 und 30 Jahren. Des Weiteren handelte es sich um eine qualitativ-empirische Studie, in der Gruppendiskussionen geführt wurden. Darunter waren neun Fokusgruppen und drei Realgruppen. Des Weiteren wurden die Diskussionen durch einen Themenkatalog strukturiert, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Diskussionsgruppen zu erzielen. Die Transkripte der Diskussionen wurden mit der MAXQDA-Software deduktiv und induktiv codiert. Daraufhin wurden „Schlüsselkategorien“ gefunden, die die sozialen Deutungsmuster der Jugendlichen und jungen Erwachsenen wiedergaben.

Die Fokusgruppendiskussionen fanden in den Städten Dresden und Leipzig im Sommer 2016 statt. Zu Vergleichszwecken wurde eine zweite Erhebung von Daten im Frühsommer 2017 in Nürnberg und Duisburg durchgeführt. Neben den Diskussionsrunden wurden auch soziodemografische Daten mithilfe eines Fragebogens abgefragt (vgl. S. 1183ff.). Potenzielle Teilnehmer an der Studie sollten sich anfangs zu der These positionieren: „Ich habe Angst vor einer Ausbreitung des Islams in Deutschland und Europa“ (S. 1185).

Ergebnisse der Studie

Eine relevante Tatsache ist, dass keiner der Befragten aus der Studie angab, an den Demonstrationen von PEGIDA teilgenommen zu haben. Die Rituale, Symbole und Selbstvergewisserungspraktiken von PEGIDA wirkten also nicht über deren Horizont hinaus. Die kollektive Identität von PEGIDA scheint zudem wenig reizvoll für Jugendliche zu sein. Jedoch sei dies nicht auf die Themen bezogen. Die klare Abgrenzung des Samples von den PEGIDA-Märschen sei nicht als eine generelle Ablehnung von PEGIDA zu verstehen.

Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sahen vielmehr Proteste im öffentlichen Raum (Demonstrationen) als Störung des öffentlichen Ablaufs an. Protestierende würden, nach der Argumentation der jungen Menschen, den öffentlichen Raum primär zur Störung und zur Gewalt nutzen, weshalb Steuergelder für Sicherheitsmaßnahmen verschwendet werden müssen. Zudem werde der Protest, wie er auf Demonstrationen zum Ausdruck gebracht wird, nicht als wirksames Mittel angesehen, weshalb sich die Befragten auch von „No-PEGIDA-Aktivisten“ unterscheiden.

Durch Auswertung der Codings der Studie konnten acht Gruppen aus dem Sample herausgearbeitet werden, die je aus einer Beschreibung bzw. Bündelung an Auffälligkeiten bestand. Jedoch unterschieden sich die Gruppen, bezogen auf die ihnen gestellten Fragen, kaum signifikant voneinander. Die Autoren geben daher einige allgemeine Beschreibungen der Gruppe wieder, z.B. dass die jungen Erwachsenen überwiegend „konventionalistisch, konformistisch und kompatibilitätsorientiert“ (S. 1188) seien. Werden die Gruppencharakteristika betrachtet, so ergeben sich mögliche Anschlussstellen an die Themen von PEGIDA. An dieser Stelle zählen die Autoren auf:

„das Leitbild der traditionellen Familie, die ambivalente Verhandlung der Werte Vielfalt und Toleranz, der hohe Stellenwert von Recht und Ordnung als Ausdruck von Konformität und dem Bedürfnis nach Sicherheit (in der Abwehr von „Fremdem“), die Frage nach kollektiver Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe im Kontrast zu einem Konzept gesellschaftlicher Solidarität (…)“ (S. 1189f.).

Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass im Leben des Großteils der jungen Menschen aus dem Sample Politik keine wesentliche Rolle spielt. Politik werde erst dann relevant, wenn die Alltagsrealität der Jugendlichen und jungen Erwachsenen tangiert werde. Erst dann werde ein Sinn im „aktiv Werden“ gesehen (vgl. S. 1187 - 1190). Auffällig sei zudem, dass zwei Drittel der Befragten Parteien, Politiker und politische Inhalte nicht explizit ansprachen. In den Diskussionen mit den jungen Erwachsenen taten sich Meinungen und Positionen auf, die in der Publikation unter dem Begriff des „unsichtbaren Politikprogramms“ (S. 1190) laufen.

Politik werde zudem mit dem Staat gleichgesetzt und ein funktionierendes System als „gegeben“ und z.T. als „unverrückbar“ angesehen, weshalb sie sich selbst von der Verantwortung entbinden, sich zu beteiligen. Die Autoren sehen in dieser Politikdistanz den eigentlichen Grund der Polarisierungsresistenz der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Es werde eine pragmatisch-konsumierende Haltung erkannt, die z.T. eigene Bedürfnisse mit dem Allgemeinwohl gleichsetzen und kaum eine Vorstellung von Legitimität aufweisen (vgl. S. 1191f.).

Die Autoren der Publikation sehen hierin einen wesentlichen Unterschied zur Shell Jugendstudie von 2019. Ein weiterer Unterschied zu genannter Studie war das Ergebnis, dass das positive Bild einer pluralen Zivilgesellschaft bei jungen Menschen noch nicht gefestigt sei. Junge Menschen, die sich selbst als tolerant und weltoffen bezeichneten, verfielen in Erzählungen über alltägliche Begebenheiten in rassistisch eingefärbte Deutungsmuster. Es konnten Vorurteile und teilweise verfestigte Ressentiments und in Einzelfällen auch rassistische Einstellungsmuster erkannt werden (vgl. S. 1192, 1195).

Schlussfolgerung

PEGIDA hat die jungen Menschen der Studie nicht bewusst beeinflussen können, aber ein Gefühl aufgegriffen, das auch die Ängste, Sorgen und Vorurteile jener Gruppe aufgreift, und dieses Gefühl in den Medien verbreitet. Die Autoren der Publikation prognostizieren daher eine politische Diskussion, die die Bundesrepublik noch jahre- wenn nicht jahrzehntelang prägen wird (vgl. S. 1196f.).

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