Montag, 18. März 2019

Die Alternative für Deutschland und der Chamäleon-Effekt

Welche Gründe gibt es dafür, dass aus einer eurokritischen Protestpartei, die sich zu Beginn hauptsächlich mit der EU und der Eurorettungspolitik beschäftigte (vgl. Decker 2018), eine Partei wurde, die fast ausschließlich durch rechtspopulistische Äußerungen auffällt – beispielsweise zur Jagd auf die Regierung und die Kanzlerin aufruft – und sich der Behandlung der Flüchtlings- und Einwanderungsthematik verschrieben hat (vgl. Boese & Dohr 2018)?


Die Gespräche und Empörung über verschiedenste Äußerungen von AfD-Mitgliedern sind mittlerweile ein alltäglicher Bestandteil des politischen Diskurses. Die Aussage Gaulands, dass Hitler und die Nationalsozialisten nur ein Vogelschiss in der Geschichte Deutschlands seien (vgl. ARD-aktuell / tagesschau.de 2018) wird auch derzeit noch heftig diskutiert. Jedoch sind eben diese zweifelhaften Äußerungen, die von verschiedenen Mitgliedern der Partei getätigt werden, nicht mehr damit zu vergleichen, was in der Partei ursprünglich im thematischen Mittelpunkt stand. Nun gilt es also zu ergründen, inwiefern sich die Partei gewandelt hat und welche Gründe es hierfür gibt.


Darüber hinaus legitimiert sich die Partei als Vertreter des deutschen Volkes, eines homogenen Volkes und sieht die Volksgemeinschaft bedroht (vgl. Wildt 2017, S.105). Somit muss diese wohl auch Wähler generieren können, die Wünsche der Wähler wiederspiegeln und - wie es der Chamäleon-Effekt beschreibt - sich an ihre potenziellen Wähler anpassen.

Der Chamäleon-Effekt, welcher immer wieder im Diskurs um rechtspopulistische Parteien genannt wird, kann als ein zentraler Aspekt jener thematischen Wandlung verstanden werden – jedoch nicht als einziger – und soll somit im Folgenden anhand verschiedener Beispiele aus den Wahlprogrammen der vergangenen Jahre dargestellt werden und darüber hinaus als Erklärungsansatz für die thematischen Schwerpunktveränderungen dienen.

Liegt im Chamäleon-Effekt möglicherweise auch der Grund dafür, dass das Wahlprogramm aus dem Jahr 2013 nicht mehr auf der Homepage der AfD zu finden ist?

Es wird beispielsweise auf der Seite der Landeszentrale für politische Bildung Baden Württemberg auf den Kurzbericht von Focus verwiesen, da das Originalprogramm nicht mehr verfügbar ist. Sind möglicherweise Punkte in diesem Wahlprogramm, die nicht mehr zum jetzigen Selbstbild der Partei passen und deshalb unter den Teppich gekehrt werden müssen?

Der Chamäleon-Effekt – was bedeutet das eigentlich?

Der Chamäleon-Effekt wird häufig in pädagogischem und psychologischem Kontext als Erklärung für die intuitive Anpassung an beziehungsweise Nachahmung von anderen Menschen verstanden. Dies sei wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass der Mensch ein Bedürfnis nach Harmonie habe und somit Gruppenmitglieder imitiere, was besonders bei Menschen der Fall sei, die sich ausgegrenzt fühlen (vgl. Stangl 2019).

Eine derartige Darstellung von unbewusster Nachahmung findet sich auch unter dem Begriff Mimikry, wobei es sich um Tiere handelt, die sich auf verschiedenste Weise und aus verschiedensten Gründen tarnen, anpassen oder auch das Aussehen einer anderen Tierart imitieren. Dies findet jedoch normalerweise zum Erhalt der Art oder unbewusst statt. Daraus kann ein gewisser Nutzen abgeleitet werden, da durch die Imitation eine Annäherung stattfindet. Wodurch festgestellt werden kann, dass die Nachahmung und Anpassung positive Folgen hat und eine nachgeahmte Person ihr Gegenüber als sympathischer empfindet, als wenn niemand den anderen nachahmt (vgl. Genschow 2013).

Wendet man diese Gedankengänge nun auf den politischen Diskurs an und geht davon aus, dass eine derartige Anpassung beziehungsweise Imitation nicht nur unbewusst stattfinden muss, sondern auch bewusst genutzt werden kann, könnte davon ausgegangen werden, dass auch Parteien sich diesen Effekt zunutze machen, um sich an bestimmte Bevölkerungsgruppen – also an potenzielle Wähler – anzupassen. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass bestimmte Aussagen in den Medien oder auch in den Wahlprogrammen auf die aktuell diskutierten Themen wie auch auf die verschiedenen Wähler angepasst werden, um mehr Wählerstimmen generieren zu können. Eine derartige Anpassung kann auch unbewusst stattfinden.

Im Folgenden soll nun untersucht werden, inwiefern dies am Beispiel der AfD aufgezeigt werden kann und ob eine derartige Veränderung beziehungsweise Anpassung festgestellt werden kann. Diese Auseinandersetzung orientiert sich am Blogbeitrag von Franziska Meyer zur United Kingdom Independence Party in dem ebenfalls der Chamäleon-Effekt untersucht wurde.

Von der Eurokritik zur Zuwanderungspolitik – die Wandlung der AfD seit ihrer Gründung

Selbstverständlich muss beleuchtet werden, wo die Anfänge der AfD liegen und welche verschiedenen Themen zu Beginn – also beispielsweise im Wahlprogramm des Jahres 2013 – angesprochen wurden, um untersuchen zu können, inwiefern eine Veränderung beziehungsweise eine Anpassung stattfand. Diesbezüglich muss also das Augenmerk auch auf die Gründung der AfD gelegt werden.
„Auf dem Berliner ‚Gründungsparteitag‘ am 13. April 2013 - gut zwei Monate nach der offiziellen Gründung am 6. Februar - wurden Bernd Lucke, Konrad Adam und Frauke Petry zu gleichberechtigten Sprechern des Parteivorstandes gewählt.“ (Decker 2018)
Bereits im Mai 2013 gab es in allen 16 Bundesländern Landesverbände, und die Partei hatte circa 10.000 Mitglieder, woraus gefolgert werden kann, dass die Partei und deren verschiedene geäußerte Kritikpunkte – im Mittelpunkt die Eurorettungspolitik – Interesse in der Bevölkerung fanden. Ebenso fanden sich in den Reihen der neuen Mitglieder viele Überläufer anderer bürgerlicher Parteien, wie beispielsweise Bernd Lucke und Alexander Gauland. Bei der Bundestagswahl 2013 verfehlte die Partei die Fünfprozenthürde knapp, hatte jedoch bei der Europawahl 2014 umso größeren Erfolg (vgl. Decker 2018).

Vom ursprünglichen Parteivorstand ist nicht mehr viel übrig, sowohl Bernd Lucke als auch Frauke Petry sind aus der Partei ausgetreten und haben eigenständige Parteien gegründet - mit größeren Auseinandersetzungen mit der AfD, wie sich am Beispiel des Streits zwischen der AfD und der von Frauke Petry gegründeten blauen Partei zeigt (vgl. ZEIT ONLINE 2019). Ebenso hat Bernd Lucke eine neue Partei gegründet – die Liberal-Konservativen Reformer –, die sich weiterhin mit dem ursprünglichen Kernthema der AfD beschäftigt, nämlich mit der EU und dem Euro. Darüber hinaus warnt Lucke mittlerweile sogar öffentlich vor der AfD und den Ansichten ihrer Mitglieder (vgl. WELT 2016).

Das Kernthema war zwar ursprünglich die Eurokrise, jedoch „formulierte sie [auch] in der Familien-, Geschlechter- und Zuwanderungspolitik konservative bzw. restriktive Positionen, wobei die von ihr abgelehnte ‚ungeordnete Zuwanderung in die Sozialsysteme‘ die ökonomischen und kulturellen Konfliktlinien miteinander verknüpfte“ (Decker 2018). Somit ist bereits zum Zeitpunkt der Gründung der Partei eine rechtskonservative Tendenz zu erkennen, die sich auch in der Auseinandersetzung mit konservativen Ansichten zu Familien- und Geschlechterpolitik wie auch in Bezug auf die Einwanderungspolitik widerspiegelt.

Demnach kann – betrachtet man die alltäglichen Debatten – nicht davon die Rede sein, dass die Partei sich plötzlich einer bestimmten Thematik zugewendet hat, die sie zuvor nicht behandelt hat. Vielmehr handelt es sich um eine Verlagerung des thematischen Zentrums der Partei.

Innerhalb der Partei fand eine Hinwendung zu bestimmten Themen statt, die auch durch die Darstellung von sieben Entwicklungsphasen begründet werden kann und in der Darstellung von Alexander Häusler (2018) in der Veränderung der Parteispitze und der Verwendung nationalistischer beziehungsweise völkischer Ausdrucksweisen mündet.

Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass es eine deutliche Diskrepanz zwischen West- und Ostdeutschland gab, wobei sich wirtschaftsliberale und nationalkonservative Themenbereiche und deren Vertreter gegenüberstanden. Diese parteiinternen Widersprüche führten zum Wechsel der Parteispitze und der Abwahl Luckes.

Die Hinwendung zu nationalkoservativen Themen und die populistischen Äußerungen zeigen sich bis zu diesem Zeitpunkt und münden in die Erneuerung der Parteispitze durch Alice Weidel und Alexander Gauland sowie den Austritt von Frauke Petry aus der Partei (vgl. Häusler 2018).

Selbstverständlich gibt es noch weitere Bereiche, die in Bezug auf die Gründung der AfD bis hin zur heute bestehenden Partei und deren Vorsitzenden und Mitglieder wichtig erscheinen, jedoch kann auf diese nicht im Detail eingegangen werden. Es lohnt sich jedoch, den erwähnten Artikel von Alexander Häusler zum Werdegang der AfD für eine genauere Betrachtung der Thematik hinzuzuziehen, der sich detailliert mit der Entwicklung der Partei beschäftigt.

Wie bereits dargestellt, hat die AfD im Jahr 2013 kurz nach ihrer Gründung die Einzugshürde für den Bundestag mit 4,7% nicht bewältigt (vgl. Der Bundeswahlleiter 2013), jedoch zog sie 2017 mit 12,6% als drittstärkste Partei erstmalig in den Bundestag ein (vgl. Der Bundeswahlleiter 2017). Dies zeigt nunmehr, dass die AfD deutlich mehr Zuspruch erhalten hat als in der vorherigen Wahlperiode. Zudem ist sie seit 2018 in allen deutschen Landtagen vertreten und hat bei den Landtagswahlen zwischen 5,5% (in Bremen) und 24,8% (in Sachsen-Anhalt) der Stimmen in den jeweiligen Ländern erhalten. In Baden-Württemberg ist sie seit 2016 im Landtag vertreten und erhielt 15,1% der Stimmen (vgl. Nier 2018).

Hier lässt sich wiederum ein Vergleich zum Blogbeitrag zur UKIP herstellen, in dem angemerkt wird, dass die Partei – anders als die AfD – in den ersten Jahren ihres Bestehens keinen so großen Erfolg hatte. Vielmehr hat die UKIP national keine derartigen Erfolge zu verzeichnen wie international – also im Europaparlament (vgl. Meyer 2018). Dies ist bei der AfD anders, da diese 2014, im Jahr nach der Parteigründung, bereits 7,1% bei den Europawahlen erhielt und somit 7 von 96 Sitzen für sich beanspruchte (vgl. Europäisches Parlament 2014) und auch bei der letzten Bundestagswahl und in den Landtagswahlen Erfolge zu verzeichnen hatte.

Kernthemen der Partei im Wandel – von der Gründung 2013 bis heute

Es ist nun notwendig, einzelne Aspekte aus dem Wahlprogramm und aus verschiedenen Diskursen zu entnehmen, um vergleichen zu können, ob eine Anpassung beziehungsweise Veränderung vorgenommen wurde und inwiefern diese dem Chamäleon-Effekt zugesprochen werden kann oder nicht.

Sinnvoll ist es in diesem Zusammenhang, die verschiedenen Wahlprogramme zur Hand zu nehmen und anhand derer die jeweiligen behandelten Themen darzustellen. Jedoch ergibt sich hierbei – wie bereits dargestellt – die Problematik, dass das Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 nicht mehr im Original vorhanden ist und nur auf sekundäre Literatur verwiesen werden kann, wie beispielsweise eine Zusammenfassungen, des Focus oder auch ein Dokument von Abgeordnetenwatch zum Wahlprogramm 2013. Da es sich aber nicht um das Originaldokument handelt, muss darauf verwiesen werden, dass kein Anspruch auf Vollständigkeit beziehungsweise absolute Richtigkeit erhoben werden kann.

Bei Abgeordnetenwatch handelt es sich um eine NGO, die sich für Transparenz in der Politik und für Dialoge zwischen Bürgern und Politikern einsetzt. Sie erhebt also für sich den Anspruch, transparent darzustellen, was Politiker und Parteien aussagen, und will diese Aussagen auch über einen längeren Zeitraum festhalten, was für Verbindlichkeit sorgen soll. Demnach scheint es sinnvoll, dass hier eine Zusammenfassung beziehungsweise Abschrift des Wahlprogramms der AfD zur Bundestagswahl 2013 zu finden ist (vgl. Abgeordnetenwatch o.J.). Diese Fassung erscheint auch deshalb verlässlich und wird hier verwendet, da die Inhalte auch der Zusammenfassung des Focus entsprechen.

In jenem Dokument finden sich acht übergeordnete Punkte, die auf verschiedene Aspekte des politischen Diskurses abzielen. Währungs- und Europapolitik werden als erste genannt, was auch auf die Fokussierung der Partei auf diese Thematik hinweist. Darüber hinaus findet sich ein Absatz zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, einer zu Staatsfinanzen und Steuern, ein Absatz zur Energiepolitik. Ebenso wird auf Alterssicherung und Familie, Bildung und die Integrationspolitik eingegangen. Jedoch sind diese Abschnitte im Vergleich zu den ersten genannten Themen deutlich kürzer. Außerdem wird hier von Integrationspolitik gesprochen (vgl. Abgeordnetenwatch o.J. (a)).

Vergleicht man dies vorerst nur mit dem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017, finden sich nicht mehr 8, sondern 15 Themenbereiche. Hierbei erscheinen neue Themen, wie beispielsweise ein mehrseitiger Abschnitt zum Islam und auch ein Abschnitt zu Umwelt-, Natur- und Tierschutz, wie auch zum Gesundheitssystem. Darüber hinaus ist der Abschnitt zur Währungspolitik deutlich kürzer als das Kapitel zu Zuwanderung und Asyl (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 3-5).

Im Wahlprogramm zur Europawahl 2019 finden sich 11 verschiedene Themenbereiche und darüber hinaus eine Präambel, in der nochmals Kernthemen dargestellt werden und in der angedeutet wird, dass das Wahlprogramm unmittelbar mit dem Erhalt der deutschen Zukunft zusammenhänge (vgl. Alternative für Deutschland 2019 S. 7-8).

Vergleicht man nun nur äußerlich, welche Unterschiede sich zeigen, so handelt es sich offensichtlich um eine Abwandlung der Kernthemen. Jener Abschnitt, der 2013 als Integrationspolitik bezeichnet wurde, wird nun unter dem Titel „Asyl braucht Grenzen: Zuwanderung und Asyl“ (Alternative für Deutschland 2017, S. 27) geführt. Außerdem finden sich auch in anderen Teilbereichen verschiedene Hinwendungen zu den Themen Zuwanderung und auch zum Islam.

Eine Auseinandersetzung mit dem Wandel innerhalb der AfD findet sich unter anderem auch in einem Aufsatz von David Hörmann, in der die Hinwendung zu rechtspopulistischen Themen kritisch verhandelt und dargestellt wird. Darüber hinaus findet sich in dieser Abhandlung, wie auch in anderen Darstellungen eine Analyse dessen, inwiefern die AfD in der Zwischenzeit als populistische beziehungsweise rechtspopulistische Partei bezeichnet werden kann (vgl. Hülskötter 2018), weshalb diese Einschätzung hier nicht näher ausgeführt wird.

Vielmehr soll festgestellt werden, wie sich eine derartige Wandlung und die Hinwendung zum Rechtspopulismus auch im Wahlprogramm widerspiegelt und ob dadurch der Chamäleon-Effekt nachgewiesen werden kann.

Im Folgenden soll nun, anhand verschiedener Kernthemen, die sich sowohl im ersten Wahlprogramm zur Bundestagswahl wie auch in weiteren Wahlprogrammen finden lassen, versucht werden, einen Vergleich zu erstellen, anhand dessen eine Verbindung zum Chamäleon-Effekt nachgewiesen werden kann. Es scheint sinnvoll, in diesem Kontext vor allem die Wahlprogramme zur Bundestagswahl aus den Jahren 2013 und 2017 zu vergleichen. Hinzugezogen wird darüber hinaus an bestimmten Stellen das Wahlprogramm zur Europawahl 2019.

Da es sich bei den verschiedenen Bereichen um sehr viele Kategorien handelt und diese nicht alle behandelt werden können, wird zum einen reduziert, zum anderen werden verschiedene Themen, die sich thematisch aneinander annähern, zusammen behandelt. Selbstverständlich soll dadurch nicht anderen Themen die Wichtigkeit aberkannt werden. Vielmehr findet eine Auswahl statt, die sowohl das anfängliche Kernthema, also die Europa- und Währungspolitik darstellen soll, wie auch den jetzigen scheinbaren Schwerpunkt, also die Asylthematik. Darüber hinaus scheint es - besonders im Kontext eines Lehramtsstudiums - sinnvoll, auch die Bildungspolitik in Augenschein zu nehmen, da diese besonders in der politischen Bildung eine enorme Rolle für die Arbeit von Lehrern wie auch für Lernende spielt und deshalb Beachtung verdient.

Währungs- und Europapolitik

Bereits 2013 forderte die AfD die Auflösung des Währungsgebietes und die Wiedereinführung einer nationalen Währung (vgl. Abgeordnetenwatch o.J. (a), S. 1). Ebenso „spricht sich [die AfD] für ein Europa souveräner Staaten mit einem gemeinsamen Binnenmarkt aus“ (Focus 2013). Darüber hinaus solle die EU reformiert werden, um Bürokratie abzubauen (vgl. Abgeordnetenwatch o.J. (a) S. 2).

Ein ähnlicher Wortlaut findet sich im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017, wo eine Aufkündigung der Transferunion und das Verlassen des Euroraums gefordert wird (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 14). Jedoch wird hier in weitaus umfangreicherem Maße auch auf die damit verbundenen Themen eingegangen. Beispielsweise wird von einer Enteignung von Sparern und Rentnern durch die Europäische Zentralbank gesprochen und es wird ein Zusammenhang zwischen fehlenden Geldern für die Altersvorsorge und der suprastaatlichen Rettungspolitik hergestellt, wobei behauptet wird, dass seit dem Amtsantritt von EZB-Chef Draghi 500 Millionen Euro fehlten, die für die Altersvorsorge von Deutschen bestimmt gewesen seien (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 14).

Jene Theorie wird jedoch beispielsweise durch den Kolumnisten Mark Schieritz (2018) als Mythos bezeichnet und dieser merkt an, dass die Deutschen nicht ärmer geworden sind, sondern dass sich das gesamte private Vermögen der Deutschen in den letzten Jahren deutlich erhöht hat und auch die Renten steigen. Darüber hinaus sei das Zinsniveau nicht ausschlaggebend, sondern die Höhe der Rente. Er entkräftet also die Aussagen der AfD und gibt darüber hinaus an, die Geldpolitik der EU fördere eher die Möglichkeit zur Erhöhung der Renten, als dass sie diese senke. Darüber hinaus weist er darauf hin, der „Mythos vom Raub an den Deutschen“ sei nicht mit der Realität vereinbar. Vielmehr solle dieser Mythos Feindseligkeit gegen die EZB und damit verbunden gegen die EU und den Euro entfachen (vgl. Schieritz 2018).

Auch im Europawahlprogramm für das Jahr 2019 findet sich erneut die Forderung nach einem Europa der Nationen und der Reform der EU, wobei darauf eingegangen wird, dass der Wunsch nach einem europäischen Staat nicht mit den einzelnen Völkern vereinbar sei, da es kein europäisches Volk gebe und die einzelnen nationalen und kulturellen Identitäten eine Errungenschaft vieler Jahrhunderte seien, die somit zerstört würden (vgl. Alternative für Deutschland 2019).

Hier ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die EU anstrebt, den Menschen ihre Identität zu entziehen oder ihnen ihre Kultur wegzunehmen, was sicherlich nicht im Sinne einer multikulturellen Gemeinschaft wäre. Vielmehr scheint es hier, als spiele die AfD gerade in diesem Wahlprogramm mit der Angst von Bürgern vor einem nationalen und transnationalen Identitätsverlust und der Angst vor dem Verlust einer deutschen Kultur und versuche, diese Angst von Wahlprogramm zu Wahlprogramm zu schüren. Legitimiert sie sich doch als Vertreter des deutschen Volkes und stellt dieses als homogene Gruppe dar (vgl. Wildt 2017, S. 105).

Wobei jedoch besonders in diesem Zusammenhang angemerkt werden muss, dass man keinesfalls von der einen deutschen Kultur sprechen kann, da sich die verschiedenen Regionen des heutigen Staatsgebiets nicht bereits vor hunderten von Jahren zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen haben, sondern – historisch betrachtet – vor nicht allzu langer Zeit, und somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass jeder in Deutschland dasselbe unter Kultur und nationaler Identität versteht.

Betrachtet man beispielsweise die verschiedenen Dialekte in Deutschland, so verbindet uns zwar eine gemeinsame Amtssprache, aber nicht eine überall gleichermaßen gebräuchliche Alltagssprache. Ebenso verhält es sich mit den alltäglichen Dingen, wie beispielsweise Kartoffelsalat, der je nach Machart oder Region eher Diskussionen hervorrufen würde, als zu einer nationalen Einigung beizutragen. Deshalb kann weder behauptet werden, dass die EU einen Identitätsraub und eine damit verbundene Vereinheitlichung aller Kulturen anstrebt, noch kann von einer vorhandenen kulturellen Identität gesprochen werden, da jedes Bundesland und jeder Landesteil durch unterschiedliche Kulturen beeinflusst und geprägt ist und es keine ultimative Lösung dafür geben kann, was die deutsche Kultur oder Identität ist.

Kultur beschreibt beispielsweise die „Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung“ (Dudenredaktion o.J.), wobei es sich selbstverständlich um die Gemeinschaft der Bundesrepublik handeln kann, jedoch nicht muss. Es kann ebenso eine kleinere Gemeinschaft, wie ein Bundesland oder auch eine kleinere Region sein. Und somit kann nicht von einer homogenen Gesellschaft ausgegangen werden, die gleich denkt, gleich wählt und sich vor allem durch die AfD vertreten fühlt. Das Volk der AfD schließt also nicht alle Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit unterschiedlichen Ansichten, Sexualitäten und Religionen mit ein, sondern ist kulturell begrenzt (vgl. Wildt 2017, S. 109).

Betrachtet man nun, welche verschiedenen Debatten hinter einer Thematik wie der Europa- und Währungspolitik stehen, zeigt sich zum einen, dass jene Themen von der AfD sowohl im Jahr 2013 wie auch 2017 und 2019 noch verfolgt und proklamiert werden, jedoch sind die Themen, die in diesem Zusammenhang angesprochen werden, bedeutend weitläufiger. So verbirgt sich hinter den Aussagen aus dem Jahr 2019 nicht nur der Wunsch nach einer wirtschaftlichen Veränderung, sondern gleichermaßen die Debatte um den Verlust einer nationalen und kulturellen Identität. Ebenso wird 2017 deutlich mit den Ängsten der Bürgerinnen und Bürger vor dem Verlust finanzieller Mittel gespielt, was sich in der Kurzfassung zur Bundestagswahl 2013 in dieser Form nicht erkennen lässt.

Es scheint so, als sei die AfD auf die Ängste der Bürger eingegangen und passe sich jenen Ängsten an. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Verbesserung der Zustimmungswerte bei der Annäherung an bestimmte Bevölkerungsgruppen beabsichtigt ist und deshalb bestimmte Ängste geschürt werden, um sich an potenzielle Wähler anzunähern. Es kann jedoch nicht festgelegt werden, ob es sich hierbei ausschließlich um eine Nachahmung beziehungsweise Anpassung, wie beim Chamäleon-Effekt, handelt oder ob auch noch andere thematische Aspekte oder Strategien im Hintergrund stehen, die eine derartige thematische Veränderung beziehungsweise Vertiefung beeinflussen.

Bildungs- und Familienpolitik

Die Debatte zur föderalen Lösung der Bildungspolitik ist bereits seit vielen Jahren Thema und wurde nicht nur durch die AfD angestoßen, sondern wird konstant diskutiert. Nicht zuletzt das Abschneiden bei der PISA-Studie 2000 mit unterdurchschnittlichen Ergebnissen führt immer wieder zu Diskussionen, obwohl sich Deutschland im Vergleich zu der ersten durchgeführten Studie konstant verbessert hat und mittlerweile über dem Ergebnisdurchschnitt liegt. Aus dem Abschneiden beim ersten PISA-Test ergaben sich verschiedene Unterrichtsreformen, die nun ebenfalls in der Kritik stehen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2013).

So forderte die AfD 2013 beispielsweise ein bundesweit einheitliches Bildungssystem, also die Abwendung von einem föderalen System wie es derzeit besteht. Darüber hinaus proklamierte die AfD, nichts sei wichtiger für die Zukunft als die Bildung der Kinder. Deshalb solle auch Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder durch staatliche Einrichtungen geholfen werden (vgl. Abgeordnetenwatch o.J. (a), S. 3).

Auch wenn es sich bei der vorhandenen Version um eine Abschrift beziehungsweise Zusammenfassung handelt, ist ein Unterschied zum Wahlprogramm von 2017 zu erkennen, wo bereits in der Einleitung des Themenbereiches steht: „Wir fordern die Abkehr von geschwätziger Kompetenzorientierung und die Rückkehr zur Vermittlung des Fachwissens als zentrales Anliegen der Schule" (Alternative für Deutschland 2017, S. 43).

Des weiteren wird darauf hingewiesen, die neue Lernkultur führe zu einer immer weiter fortschreitenden Absenkung des Bildungsniveaus, und dies wird in direkten Zusammenhang zur PISA-Studie wie auch zum selbstgesteuerten und kompetenzorientierten Lernen gesetzt (vgl. Alternative für Deutschland 2017 S. 43). Diese Darstellung kann jedoch durch die bereits dargestellten PISA-Ergebnisse widerlegt werden. Es ist bis jetzt zumindest nicht ersichtlich, dass es in irgendeiner Form zu einer Absenkung des Bildungsniveaus kommt.

Es gibt selbstverständlich auch außerhalb der AfD kritische Stimmen zur Kompetenzorientierung, jedoch finden sich auch positive Aspekte, nämlich beispielsweise die Förderung von Strategien, die in verschiedenen Kontexten angewendet werden können. Zwar ließe sich kein unmittelbarer Bezug zwischen Einführung der Kompetenzorientierung und den Ergebnissen bei der PISA-Studie herstellen, jedoch fördere die Kompetenzorientierung, dass Lernende nachdenken und nicht nur reproduzieren, was ihnen beigebracht wurde (vgl. Burchard 2014).

Betrachtet man darüber hinaus die jeweiligen Aussagen zur Hochschulbildung, haben diese sich, wenn man einen Vergleich zwischen 2013 (vgl. Abgeordnetenwatch o.J. (a), S. 3) und 2017 (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 43) herstellt, nicht wirklich verändert. In beiden Wahlprogrammen wird darauf verwiesen, dass das Universitätssystem zu Diplomstudiengängen und Staatsexamens- beziehungsweise Magisterstudiengängen zurückkehren soll. Es findet also erneut eine Abwendung von der internationalen Zusammenarbeit und von einer Vereinheitlichung in der EU statt. Ähnliche Forderungen finden sich so auch im Wahlprogramm zur Europawahl 2019, in dem die Autonomie der Hochschulen gefordert wird - worin wiederum ebenfalls die Rückbesinnung auf "bewährte" Studiengänge enthalten sein soll. Überdies wird die Forderung nach der Stärkung von dualen Ausbildungen und Studiengängen laut (vgl. Alternative für Deutschland 2019, S. 71-72).

Ferner finden sich im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 mehrere Themen, die zuvor nicht angesprochen wurden. Vor allem in Bezug auf den Islam und Asylbewerber wurden verschiedene Punkte hinzugefügt, die 2013 nicht auftauchen. Dies mag unter anderem daran liegen, dass die „Flüchtlingskrise“ ab 2015 einen neuen Diskurs zum Umgang mit Asylbewerbern nötig machte und dass der Großteil der Geflüchteten aus muslimisch geprägten Ländern stammt. Zwar gab es auch vor 2015 viele Muslime in Deutschland, im Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2013 findet sich aber kein derartiger Verweis. Der Anteil von Muslimen an der Gesamtbevölkerung hat sich somit von ungefähr 4% im Jahr 2011 auf circa 5,5% im Jahr 2015 erhöht (vgl. Röther 2017). Die Flüchtlingskrise, die augenscheinlich zur Steigerung des Anteils der Muslime in Deutschland beigetragen hat, ist ein ausschlaggebender Grund für die Hinwendung zur Thematik durch die AfD.

Es wird davon gesprochen, dass Asylbewerber, die infolge der „Massenmigration“ nach Deutschland gekommen sind, auf die Rückkehr in ihre Heimatländer vorbereitet und einheimische Schülerinnen und Schüler nicht beim Lernen behindert werden sollten. Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass kein bekenntnisgebundener islamischer Religionsunterricht stattfinden soll und keine Sonderrechte für muslimische Lernende – wie die Befreiung von Schwimm- oder Sportunterricht – genehmigt werden sollen (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 44-45).

Überdies wird gefordert, dass Schülerinnen und Schüler nicht politisch indoktriniert werden sollten, sondern Neutralität gewahrt werden soll (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 45). Dies entspricht auch dem Beutelsbacher Konsens, der zentralen Grundlage der politischen Bildung. Wie diese Indoktrination zu verstehen ist und auf welchen Aspekt der Bildung hier eingegangen werden soll, ist nicht sofort ersichtlich. Jene Debatte führt die AfD jedoch unter anderem damit weiter, dass es seit einigen Monaten eine Plattform der Fraktion Hamburg gibt, auf der Lehrerinnen und Lehrer wegen bestimmten Verhaltens gemeldet werden können. Mit den Widersprüchen zu dieser Plattform rechtfertigt die AfD ihr Erscheinen und führt weiterhin aus, dass ein solcher Widerspruch darauf hinweise, dass es Ziel von Lehrerinnen und Lehrern sei, die Lernenden zu indoktrinieren (vgl. AfD Kompakt 2018). Eine derartige Darstellung findet sich ebenso 2019 im Zuge des Europawahlprogrammes, worin die Ausführungen aus dem Jahre 2017 ergänzt werden, so heißt es dort, fast gleich wie im Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl:
"Bildungseinrichtungen dürfen kein Ort der politischen Indoktrination sein. An deutschen Schulen und Universitäten wird oft nicht die Bildung einer eigenen Meinung gefördert, sondern die unkritische Übernahme ideologischer Vorgaben. Leitbild der Bildung muss jedoch der selbstständig denkende Bürger sein." (Alternative für Deutschland 2019, S. 73)
Einzig die Hinwendung zur Hochschule als ebenso relevante Bildungseinrichtung unterscheidet diese Darstellung von jener aus dem Jahre 2017 (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 45). Hier gibt es jedoch keine genauere Ausführung, woran festgestellt werden kann, dass eine derartige Indoktrination an Schulen und Hochschulen stattfindet.

Wie bereits erwähnt, ist der Beutelsbacher Konsens zentraler Bestandteil der politischen Bildung. Es werden in diesem Zusammenhang zwar Kontroversität und ein Überwältigungsverbot gefordert, jedoch sei es - gerade in der außerschulischen Bildung - notwendig und nicht vermeidbar, dass eine Parteilichkeit und Vielfältigkeit vorhanden sei, die auch zur Mündigkeit von Lernenden beitrage. Hier sei es also sogar sinnvoll und zielgerichtet, eine Meinung offenkundig zu vertreten. Selbstverständlich ist hier die Rede von außerschulischer Bildung, die meist freiwillig stattfindet, jedoch ist es ebenso offensichtlich auch notwendig, Lernende zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen und mit unterschiedlichen Meinungen zu konfrontieren (vgl. Ahlheim 2019, S. 15-16).

Es stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch die Frage, ob es in dieser Diskussion wirklich um die Einhaltung des Beutelsbacher Konsenses oder ob es den Kritikern der AfD darum geht, dass ihre Aussagen für Furore sorgen oder Lehrer abschrecken sollen, die Partei zu kritisieren. Eine Festlegung auf eine bestimmte Annahme wäre jedoch nur Spekulation. Es kann aber aufgegriffen werden, dass in einem offenen Brief an die AfD sogar von Missbrauch des Beutelsbacher Konsenses gesprochen wird (vgl. Ahlheim 2019, S. 10-11). Demnach scheint es nicht fern, davon auszugehen, dass hier nicht nur der Wunsch nach Einhaltung politikdidaktischer Grundprinzipien im Vordergrund steht.

In Bezug auf ein häufiger debattiertes Thema, das Gender-Mainstreaming, wird im Wahlprogramm zur Europawahl 2019 angemerkt, das dieses Kinder in ihrer sexuellen Identität verunsichere und wissenschaftlichen Erkenntnissen aus Psychologie und Biologie widerspreche, weshalb dies abgeschafft werden solle. Darüber hinaus wird darauf verwiesen, dass ein "staatliche[r] Zwang zur Verwendung einer politisch korrekten Sprache" (Alternative für Deutschland 2019, S. 74) nicht mit einem freien Europa vereinbar sei (vgl. Alternative für Deutschland 2019, S. 73-74). So wird auch in den Wahlprogrammen nicht gegendert. Es ist nicht die Rede von Schülerinnen und Schülern, sondern es wird nur die männliche Form verwendet (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 45).

Eine weitaus radikalere Darstellung findet sich im Bundestagswahlprogramm aus dem Jahre 2017 in den Überschriften "Gender-Ideologie raus aus den Schulen - Frühsexualisierung stoppen" (Alternative für Deutschland 2017, S. 41) und "Steuerverschwendung durch 'Gender-Forschung' beenden" (ebd.). Hier wird sogar von Umerziehungsprogrammen gesprochen, die das bewährte und traditionelle Familienbild beseitigen sollen. Darüber hinaus ist die Rede von einer einseitigen Hervorhebung von Transsexualität und Homosexualität (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 41).

Auch hier zeichnet sich eine Veränderung beziehungsweise Radikalisierung in der Ausdrucksweise wie auch in den Ansichten ab, da eine derartige Thematik sich in keiner der Darstellungen zum Wahlprogramm von 2013 finden lässt. Auch die populistische Aussage, Kinder würden durch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen sexuellen Neigungen einer Frühsexualisierung ausgesetzt, erscheint haltlos, trifft jedoch offensichtlich den Nerv der Zeit, wenn man den Zuspruch der Bevölkerung zu dieser Thematik verfolgt. Dies äußert sich beispielsweise durch verschiedenste Blogeinträge auf der Homepage der "Demo für Alle".

Es findet also eine thematische Neuorientierung statt, die zu den ursprünglich bereits genannten Themen hinzukommt. Darüber hinaus ist auch eine unterschiedliche Argumentation in den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl und zur Europawahl zu erkennen, bei der ebenfalls davon ausgegangen werden könnte, dass es sich hier um eine Anpassung an potenzielle Wähler bei den unterschiedlichen Wahlen handelt. Daraus ergibt sich wiederum auch eine thematische Annäherung an die Themenbereiche Zuwanderung und Asyl, auf die im folgenden nochmals näher eingegangen wird. 

Von der Integrationspolitik zu den Problemen von Asyl und Zuwanderung

Im Wahlprogramm von 2013 (vgl. Abgeordnetenwatch o.J. (a), S.4) findet sich ein Abschnitt zur "Integrationspolitik", der im Vergleich zu anderen Themenbereichen, wie der Währungs- oder Europapolitik, relativ kurz gehalten ist. Im Programm von 2017 ist jedoch nicht mehr von Integration die Rede, sondern der entsprechende Abschnitt ist benannt als „Asyl braucht Grenzen: Zuwanderung und Asyl“ (Alternative für Deutschland 2017, S. 27). Es findet also schon im Titel eine Abwendung von der Integration und eine Hinwendung zur Ausgrenzung statt.

2013 wird eine Reform des Einwanderungsrechts gefordert und es wird darauf verwiesen, dass keine ungeordnete Zuwanderung in das deutsche Sozialsystem gewünscht sei, sondern die Einwanderung von integrationswilligen und qualifizierten Migranten. Außerdem wird angemerkt, dass ernsthaft Verfolgte das Recht auf Asyl in Deutschland hätten und hier auch arbeiten können sollten (vgl. Abgeordnetenwatch o.J. (a), S. 4). Dies zielt wiederum auf eine Reform des Einwanderungsrechts ab.

Die Ausführungen im Wahlprogramm 2017 (vgl. Alternative für Deutschland 2017 S.27-32) gestalten sich sowohl ausführlicher als auch weniger positiv formuliert. Begonnen wird hier beispielsweise mit der Auseinandersetzung mit den „demografischen Problemen Europas und Afrikas“ (Alternative für Deutschland 2017, S. 28). In diesem Kontext wird formuliert, wie sich die Bevölkerungsstrukturen bis 2050 auf den beiden Kontinenten ändern könnten und wie dies zu einer unkontrollierten Zuwanderung wie auch einer Destabilisierung Europas führen könnte. Des Weiteren wird von Selbsterhaltung statt Selbstzerstörung von Staat und Volk gesprochen, wobei ebenso impliziert wird, jene Einwanderung sei verbunden mit dem Verlust nationaler Identität (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 28). Jene Äußerungen deuten erneut auf die Unwilligkeit zur Integration von Migranten und somit auf eine Abwendung vom Wahlprogramm von 2013 hin.

Ebenso wird auf eine neue Regelung von Einwanderung eingegangen, die auch schon 2013 angesprochen wurde, jedoch ist dieser Punkt näher formuliert und es wird gefordert: „Wir wollen selbst entscheiden, wer zu uns kommt, und ausschließlich qualifizierten Zuzug nach Bedarf zulassen (Alternative für Deutschland 2017, S. 29).“ Ebenso sollen Flüchtlinge aus Kriegsgebieten in den Regionen um ihre Heimat Asyl erhalten, und auch in diesem Zusammenhang wird gefordert, dass der deutsche Staat eine alleinige Entscheidungsgewalt über Zuwanderung erhält, was auch einer europäischen Asylpolitik widerspricht (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 30).

Des Weiteren wird gefordert, dass verschiedene Sozialleistungen nur noch dann genehmigt werden, wenn ein EU-Bürger bereits mindestens vier Jahre in Deutschland beschäftigt war. Für Asylbewerber wird hier angemerkt, dass diese nur die nötigsten Leistungen erhalten sollten, um keine Anreize zur Einwanderung zu bieten (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 29-30).

Zusätzlich äußert die AfD, dass der Familiennachzug sowie das Recht auf Staatsbürgerschaft durch Geburt in Deutschland abgeschafft wird und der Erhalt einer Staatsbürgerschaft an die dauerhaft erfolgreiche Loyalität und Assimilation in der neuen Heimat geknüpft werden soll. Hier soll aber wiederum keine Anpassung der schulischen und beruflichen Voraussetzungen stattfinden, sondern es wird gefordert, dass die Einwanderer sich in das Land integrieren und sich an dieses anpassen (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 31-32).

Es wird nicht mehr wie 2013 von Integration gesprochen, sondern von Assimilation. Also nicht mehr von der gemeinsamen Eingliederung in ein großes Ganzes (vgl. Dudenredaktion o.J.), die sehr wohl beidseitig sein kann, sondern von der Angleichung oder auch Anpassung (vgl. Dudenredaktion o.J.) einer Minderheit an eine größere Gruppe. Somit wird die Aufgabe der ursprünglichen Kultur und die Anpassung an die deutsche Kultur gefordert.

Auch hier ist eine deutliche Veränderung der jeweiligen Wahlprogramme erkennbar. Bereits die Titel der einzelnen Punkte spiegeln wider, inwiefern sich die Kernthemen der Partei seit 2013 verändert haben. Auch der Umfang lässt erkennen, als wie wichtig die Thematik erachtet wird. Es findet sich auch in der Formulierung der jeweiligen Aussagen eine radikalere Ausdrucksweise.

Dies kann auch dadurch erkannt werden, dass es ein eigenes Kapitel gibt, das sich mit dem Islam und dessen „Konflikt mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ (vgl. Alternative für Deutschland 2017, S. 34-35) beschäftigt, auf das hier nicht näher eingegangen werden soll. Es ist deutlich zu erkennen, dass eine Veränderung stattgefunden hat, die sich auch bereits in den zuvor beleuchteten Themenbereichen zeigt. Fraglich ist nur, ob die Parteimitglieder bereits 2013 derartige Ansichten und Forderungen hatten und diese nur nicht so offen formulierten oder ob sie sich an die Ansichten und Forderungen einer bestimmten Wählergruppe - bewusst oder unbewusst - angepasst haben.

Fazit

Zuallererst muss nochmals angemerkt werden, dass es sich hierbei keinesfalls um eine vollständige Auseinandersetzung handeln kann. Vielmehr wurden hier bestimmte Themen ausgewählt, die sich für eine Auseinandersetzung angeboten haben.

Darüber hinaus bestand kein derart großer Fundus an Wahlprogrammen wie beispielsweise bei der UKIP, weshalb bei der AfD auch weiterhin beobachtet werden sollte, inwiefern sich deren Programme auch in den folgenden Jahren verändern und ob sich eine derartige Anpassung des Wahlprogramms an ein bestimmtes Thema erneut erkennen lässt oder ob sich diese Anpassung noch verstärkt.

Es konnte festgestellt werden, dass sich die Partei in verschiedenen Themenbereichen auf ein bestimmtes Thema festlegt – also immer wieder auf die Themen um Asyl und den Islam zurückkehrt – und auch die Aussagen radikaler werden. Wohingegen von anderen Themen Abstand genommen wird. Man kann in diesem Zusammenhang also durchaus vom Chamäleon-Effekt sprechen. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass eine derartige Anpassung nicht allein am Chamäleon-Effekt liegt. Ebenso wäre möglich, dass es durch die verschiedenen parteiinternen Veränderungen zu einer thematischen Verlagerung gekommen ist, die auch eine Anpassung an andere Bevölkerungsgruppen zur Folge haben kann.

Trotzdem muss wiederholt werden, dass der Chamäleon-Effekt – selbstverständlich unter Berücksichtigung anderer Faktoren – klar erkennbar ist. Die Partei passte ihre Inhalte somit vermutlich an die Flüchtlingsdebatte und die damit verbundenen Ängste verschiedener Bevölkerungsgruppen an und generierte somit weitere Wähler.

Die Europa- und Eurokritik steht längst nicht mehr im Mittelpunkt. Vielmehr wurde in vielen Themenbereich des Wahlprogramms auf die Themen Asyl und Islam eingegangen und auch die Aussagen sind weitaus radikaler.

Außerdem vermitteln verschiedene Behauptungen – sowohl im Wahlprogramm als auch im Bundestag, in den sozialen Medien oder in Interviews – den Eindruck, als seien sie schlichtweg erfunden. Beispielsweise die Darstellung, deutsche Lernende könnten unter der Bildung von Asylbewerbern leiden, scheint sehr unglaubwürdig. Besonders wenn man persönliche Erfahrungen einbringt, dass meist zuerst der Unterricht für Deutsch als Zweitsprache entfällt, bevor ein anderes Schulfach entfallen muss. Diese Anmerkung ist zwar nicht allgemeingültig und nur eine persönliche Erfahrung, es muss jedoch trotzdem angemerkt werden, dass sich hier ein anderes Bild zeigt, als jenes, das von der AfD gezeichnet wird. Darüber hinaus ist die Problematik des ausfallenden Unterrichts und des Lehrermangels eine andere und sollte nicht – wie auch alles andere, womit sich die AfD auseinandersetzt – grundsätzlich mit Migranten in Verbindung gebracht werden.

Besonders in Bezug auf die Thematik um Flüchtlinge kann der Chamäleon-Effekt sicherlich nicht geleugnet werden, da sich dieses Thema in derart vielen Teilen des Wahlprogramms wie auch in Debatten immer wieder findet und sich die Partei komplett nach diesem Thema auszurichten scheint, es in so viele andere Themen wie möglich einbaut und somit ihren thematischen Schwerpunkt seit der Gründung komplett verlagert hat.

Wie sich die Partei weiterhin entwickelt und ob es erneut zu einer Anpassung an ein bestimmtes Themengebiet kommt, bleibt abzuwarten. Es scheint jedoch so, als sei die chamäleonartige Anpassung an die Ängste und Ansichten einer bestimmten Wählergruppe von Erfolg gekrönt. Dies lässt die Annahme zu, dass die Partei, zumindest in Bezug auf die Auseinandersetzung mit Asyl, Asylbewerbern wie auch dem Islam, auf jenem Kurs bleibt, den sie eingeschlagen hat, und sich womöglich in anderen Punkten an die Meinung potenzieller Wähler anpasst, um ein breiteres Spektrum an Wählern ansprechen zu können.

Es bleibt spannend und ist durchaus sinnvoll, die folgenden Wahlprogramme im Blick zu behalten, um feststellen zu können, ob erneut derartige Veränderungen feststellbar sind, wie im Vergleich der bisherigen Wahlprogramme.

Literatur und Internetquellen

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