„The UK Independence Party (UKIP) is the most significant new party in British politics for a generation. In recent years UKIP and their charismatic leader Nigel Farage have captivated British politics, media and voters.“ [1]Ein Zitat von Laotse besagt, dass das Leben nach Jahren gezählt und nach Taten gemessen wird [2]. Folgt man diesem Zitat, so hat die UKIP wohl ihren größten Erfolg am 23. Juni 2016 feiern dürfen. Als Teil der Leave-Fraktion war sie maßgeblich an der Brexit-Kampagne und dem bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU beteiligt.
Jedoch wird im Schatten des Brexits ihr zweitgrößter Erfolg schnell aus den Augen verloren. Im Mai 2014 gewann UKIP anstelle von Labour und den Konservativen die Europawahl 2014 und wurde die stärkste britische Kraft. In über einhundert Jahren war es keiner anderen Partei gelungen, als Sieger aus einer Wahl gegen Labour und Konservative hervorzugehen. Das erschütterte nachhaltig auch das politische System des Vereinigten Königreichs [3].
Trotz dieser zwei aufsehenerregenden Erfolge hat die Partei eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Sie erlebte immer wieder Höhen und Tiefen. Im Folgenden soll daher die Geschichte der Partei, ihr Ursprung, wichtige Personen sowie Fort- und Rückschritte näher beleuchtet werden. Zusätzlich soll die Frage geklärt werden, welche Wählergruppen die UKIP anspricht und welche Aspekte einer typisch rechtspopulistischen Partei auf die UKIP zutreffen.
Beziehung UK - EU
„Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland stellte seit seinem Beitritt zu den Europäischen Gemeinschaften [sic] im Jahr 1973 stets so etwas wie einen ,Sonderfall‘ in der Geschichte der Europäischen Integration dar. Dies wird nicht nur deutlich anhand der spezifischen britischen politischen Kultur oder […] den zahlreichen Ausnahmeregelungen, welche die Briten den restlichen EU-Mitgliedstaaten über die Jahre abverhandelten [sic], sondern auch und insbesondere durch den Umstand, dass das Vereinigte Königreich aufgrund des Ergebnisses des Referendums vom 23. Juni 2016 als erster Mitgliedstaat in der Geschichte der Europäischen Union aus dem Staatenbund austreten wird“ [4].Es ist daher nicht verwunderlich, dass es bereits im Jahre 1975, nur zwei Jahre nach dem Beitritt, zu einem ersten Referendum über den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft (EG) kam. Damals sprachen sich 67% für den Verbleib in der EG aus [6].
„Lange hatte das Vereinigte Königreich um die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft innerlich gerungen und mit den Gründungsmitgliedern für diese gekämpft. Im Laufe der Jahre, die dem Beitritt zur EG im Jahr 1973 folgten, kam es zu einer sukzessiven Europäisierung des Landes. […] Gleichwohl blieben die politischen Eliten ebenso wie die Bürger zu nicht unwesentlichen Teilen europaskeptisch, wobei diese Skepsis von der Kritik an spezifischen Politiken und der Abwägung von Integrationsschritten gegenüber der ausgeprägten Wahrung nationaler Interessen bis hin zur nicht selten anzutreffenden grundsätzlichen Ablehnung des europäischen Integrationsprojektes hinsichtlich konstitutioneller, institutioneller und politikfeldbezogener Aspekte reichte“ [5].
Die Anfänge
Die Geschichte von UKIP begann im Jahr 1991. Dr. Alan Sked, ein Historiker an der London School of Economics, gründete eine kleine Gruppe namens Anti-Federalist-League. Diese sprach sich gegen die Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht, dem Wegbereiter der Europäischen Union und der Einheitswährung Euro, aus [7]. Die Liga wollte die wachsende Integration Großbritanniens in die Europäische Union aufhalten und einen Austritt erreichen. An Wahlen zeigte sie jedoch vorerst noch wenig Interesse [8]. Erst als der innerparteiliche Druck nach mehr Öffentlichkeit größer wurde, rückten auch Wahlen in den Fokus der Liga.
Bei den britischen Unterhauswahlen 1992 trat die Anti-Föderalistische-Liga das erste Mal bei Wahlen an und erreichte in den angetretenen Wahlkreisen durchschnittlich 0,5% der Stimmen. Das Nichterreichen öffentlicher Aufmerksamkeit ließ die Stimmen nach einer Veränderung der Ausrichtung der kleinen Liga lauter werden. Viele Mitglieder wollten die Gründung einer politischen Partei mit neuem Namen und einer echten Wahlstrategie erreichen.
Diese Diskussionen führten zu einem Treffen am 3. September 1993 an der London School of Economics, bei dem die neue Partei, die UK Independence Party, gegründet wurde. Dabei wurde bewusst UK anstelle von british verwendet, um Verwechslungen mit der rechtsextremen British National Party (BNP) zu vermeiden [9].
Weniger als ein Jahr später sollte die noch junge Partei ihren ersten großen Kampf austragen. Im Juni 1994 wurden die Abgeordneten für das Europäische Parlament neu gewählt. Für eine große politische Kampagne reichte das Geld und die Manpower nicht aus. In der Hoffnung auf ihren ersten Erfolg sendete die UKIP daher ihre politische Meinung in einem Wahlwerbespot. Das Ergebnis war leider eine Enttäuschung [10]. Bei ihren ersten Europawahlen erzielte UKIP 1% der Stimmen [11].
Trotz politischem Neuanfang als Partei und trotz neuem Namen schaffte die UKIP es nicht, das Interesse der Wähler zu wecken. Außerdem wurden erhebliche Schwächen deutlich. UKIP fehlte es an politischer und organisatorischer Erfahrung. Außerdem gab es erhebliche Meinungsverschiedenheiten über die politische Ausrichtung der Partei. Das Ergebnis waren innerparteiliche Machtkämpfe. In den Medien wurde UKIP als innerlich zerstritten und als mit nur einem Thema befasst (single issue party) angesehen, dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union [12].
Ende des Jahres 1994 kamen noch weitere Probleme auf die kleine Partei zu. Der Millionär Sir James Goldsmith gründete die Referendum Party, deren Ziel ein Referendum über die Beziehungen des Vereinigten Königreiches mit Europa war. Goldsmith versprach, mindestens 10 Millionen Pfund bis zur nächsten Unterhauswahl zur Verfügung zu stellen, damit die Partei im gleichen Ausmaß wie die großen Parteien Wahlkampf betreiben konnte. Daraufhin verließen viele Unterstützer UKIP in Richtung Referendum Party [13].
Gegen einen so starken Gegner hatte die UKIP keine Chance. Mit ihren limitierten Mitteln und Unterstützern war sie machtlos gegen die Referendum Party, die ebenfalls als Single-Issue-Partei das gleiche Thema und die gleiche Zielgruppe bediente. Ohne große Wahlkampagne und Vorbereitung sah es für die UKIP bei den Unterhauswahlen 1997 schlecht aus.
In den Hintergrund gedrängt vom politischen Erdbeben, das Tony Blair und seine New Labour auslöste, als sie die 18-jährige Regentschaft der Konservativen im Königreich beendeten [14], erreichte UKIP nur 0,3% oder umgerechnet 105.000 Wählerstimmen. Die Referendum Party erhielt 2,6% der Stimmen und wurde viertstärkste Kraft. 811.000 mögliche UKIP-Wähler hatten sich für die Referendum Party entschieden [15].
Nur einen Lichtblick gab es für die UKIP. Keine der beiden Parteien konnte mit einem Wahlkreiskandidaten ins Unterhaus einziehen, aber während die Referendum Party in keinem der Wahlkreise die für einen Wahlkreiskandidaten notwendige Anzahlung von 500 Pfund zurückerhalten hatte – diese wird nur zurückgezahlt, wenn der Wahlkreiskandidat der Partei über 5% der gültigen Stimmen im Wahlkreis erreichen konnte [16] - schaffte es die UKIP in einem Wahlkreis, die Anzahlung zurückzuerhalten. Ein junger Aktivist namens Nigel Farage schaffte es, in seinem Wahlkreis 5,7% der Stimmen zu erhalten [17] - für die UKIP ein bis zu diesem Zeitpunkt unvorstellbares Ergebnis.
Die Referendum Party hatte den Kampf der Euroskeptiker gewonnen, jedoch verstarb Goldsmith drei Monate nach der Wahl und die Partei wurde aufgelöst. Dies schuf die einmalige Chance für UKIP, die euroskeptischen Bewegungen im Land unter ihrem Dach zu vereinigen und geschlossen bei der Europawahl 1999 anzutreten. In einer Art, wie sie später charakteristisch für die Partei werden sollte, verspielte die UKIP diese Chance und setzte ihre internen Streitereien fort.
Dr. Alan Sked wurde für seinen Führungsstil, seine Ansichten und etwaige Versäumnisse kritisiert. Da außerdem Gerüchte aufkamen, dass rechte Extremisten die Partei infiltriert hätten, eskalierte die Situation. Sked wurde von einer Gruppe unter der Führung von Nigel Farage und anderen jungen Aktivisten zum Rücktritt gezwungen. Michael Holmes, ein erst kürzlich zu UKIP gestoßener Millionär, wurde neuer Vorsitzender [18]. Nach diesem Führungswechsel sollten nun alle Anstrengungen in die bevorstehende Europawahl gesteckt werden.
Der erste Erfolg
In einer seiner ersten Amtshandlungen beauftragte Holmes Farage damit, ehemalige Kandidaten der Referendum Party für UKIP zu gewinnen, um so ein Zeichen für die bislang gespaltene euroskeptische Szene zu setzen. Farage gelang es, etwa 160 ehemalige Kandidaten zu überzeugen und so politisch erfahrenere Leute ins Boot für die bevorstehende Europawahl zu holen. Die Europawahl 1999 war gleichzeitig die erste nationale Wahl im Königreich, in dem das Verhältniswahlrecht angewendet wurde [19].
Kleinere Parteien hatten in England immer unter dem first-past-the-post System (Mehrheitswahlsystem) gelitten. Es gewinnt der Kandidat mit den meisten Stimmen in jedem Wahlkreis und wird zum Abgeordneten für den Wahlkreis. Die Wählerstimmen für die anderen Kandidaten gehen damit verloren [20]. Das bedeutet, kleinere Parteien ohne Stammwahlkreise haben es besonders schwer, sich mit ihrem Kandidaten gegen alle Kontrahenten durchzusetzen und einen Sitz im Parlament zu gewinnen.
Die Europawahl im Juni 1999 sorgte im Vergleich mit den Unterhauswahlen dafür, dass sich auch die UKIP erstmals berechtigte Hoffnungen auf Sitze in einem Parlament machen konnte. Die politische Stimmung war zu dieser Zeit in Großbritannien zusätzlich sehr europaskeptisch und etwa 40% aller Wähler sahen die Beziehungen mit Europa äußerst skeptisch. Daher versuchte die UKIP abermals mit einer typischen Single-Issue-Kampagne über den Austritt aus der EU die europaskeptischen Ansichten der Wähler zu verstärken und sie mit anderen politischen Versprechungen zu verbinden.
So wollten sie einen Fond gründen, der englische Menschen unterstützt, die von Brüssel verfolgt wurden. Zwar hatten die Konservativen ebenfalls eine euroskeptische Wahlkampagne erarbeitet, um mögliche UKIP-Wähler abzuwerben [21], UKIP profitierte jedoch erheblich vom Verhältniswahlrecht. Mit fast 700.000 Stimmen, also einem 7%-Stimmenanteil, wurde UKIP viertstärkste britische Kraft und erhielt drei Sitze im Europäischen Parlament. Besetzt wurden diese von Jeffrey Titford, Michael Holmes und Nigel Farage. Letzterer erklärte in einem Interview mit The Guardian:
„It was a delicious double irony. […] For a parliament I want no part of, under a system I despise, I found myself blinking into the cameras at one in the morning saying how proud I was.” [22]Nach diesem unglaublichen Erfolg schaffte es die UKIP nicht, auf der Welle der Euphorie weiter zu reiten. Die Partei versank schnell wieder in Streitigkeiten, denn Holmes autoritäres Auftreten, seine Angst vor potentiellen Konkurrenten und positive Worte über die EU hatten seinen Führungsstil infragegestellt. Auch Farage kehrte ihm den Rücken, und die Partei war kurz vor einem massiven Zusammenbruch.
Holmes wurde zum Rücktritt aufgefordert und Jeffrey Titford, nun MdEP (Mitglied des Europäischen Parlaments), im Januar 2000 zu seinem Nachfolger gewählt [23]. Nur ein halbes Jahr nach ihrem bis dato größten Erfolg schaffte es UKIP, sich an den Rand der Auflösung zu streiten und einen weiteren Vorsitzenden zum Rücktritt zu zwingen. Anstatt gestärkt in die anstehenden Unterhauswahlen 2001 zu starten, lag die Partei erneut am Boden.
Die „extreme Rechte”?
Nach dem Führungswechsel kehrte langsam wieder Ruhe in das Parteileben ein, die nächsten Probleme waren aber schon vorprogrammiert. Seit ihrer Gründung wurde der UKIP immer wieder eine Verbindung mit der rechten Szene im Vereinigten Königreich nachgesagt. Immer wieder wurde über eine Infiltration durch die offen rassistische British National Party (BNP) berichtet. Nun behauptete der Gründer Alan Sked, dass seine ehemalige Partei inzwischen eindeutig mit der extremen Rechten verstrickt sei.
Ein weiterer Faktor, der das Vertrauen der Wählerschaft in die UKIP in Frage stellte, waren aufgetauchte Bilder, die Farage in Gesprächen mit BNP-Anhängern zeigte. Farage wies diese Anschuldigungen zwar zurück und erklärte, er wollte den BNP-Anhängern mitteilen, dass sie in der UKIP unerwünscht seien. Schlagzeilen wie „Ukip and the fascists“ [24] waren jedoch sicher nicht im Interesse der Partei. Die bewusste Abgrenzung von der rechtsextremen BNP, angefangen mit der Namenswahl von UKIP, war in den Medien nicht mehr präsent und geriet somit auch beim Wähler in Vergessenheit.
Westminster ist nicht Straßburg
Daneben gab es drei weitere Gründe, die den Wahlkampf für die Unterhauswahlen 2001 erschwerten. Die Probleme im Land hatten sich verändert und Europa stand nicht mehr an erster Stelle. Bildung und das Gesundheitssystem waren in den Fokus der Wähler gerückt, und UKIP verstand es noch nicht, sich den veränderten Interessen anzupassen. Aufgrund dessen blieb sie weiter die Single-Issue Partei mit einem reinen EU-Tunnelblick.
Außerdem bedienten sich die oppositionellen Konservativen populistischer Phrasen, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten und obendrein potenzielle UKIP-Wähler für sich zu gewinnen. Hinzu kam, dass die UKIP-Kampagne wie bei den vorherigen Wahlen sehr unorganisiert, mit unzureichenden Mitteln ausgestattet und nicht auf das first-past-the-post System ausgerichtet war.
Dagegen waren die UKIP-Aktivisten selbst überzeugt, dieses Mal nicht nur den Fokus auf euroskeptische Tories (Konservative) gelegt zu haben, sondern auch auf einfache Arbeiter (sogenannte blue-collar), die unzufrieden mit New Labour waren und auf die Protestwähler, die traditionell die Liberaldemokraten gewählt hatten [25].
Bei den britischen Unterhauswahlen 2001 erreichte UKIP schlussendlich 1,5% (390.000 Stimmen). Nur sechs Wahlkreiskandidaten erreichten die 5% und erhielten ihre Anzahlung zurück [26]. Damit gewannen sie nur halb so viele Stimmen wie die Referendum Party bei den Unterhauswahlen 1997. Im Sinne einer organisierten Partei sollte es erstrebenswert sein, Gebiete mit Wahlkreisen zu finden, in denen möglichst viel potenzielle Unterstützer leben. Dort wird dann eine Basis an Stammwählern aufgebaut, die im Zeitraum mehrerer Wahlperioden treu zu einer Partei stehen.
Diese Strategie hatte UKIP bislang außer Acht gelassen. Die Aktivisten waren nicht daran interessiert, wahlkreisspezifische Kampagnen zu starten, um lokale Stammwahlkreise zu erhalten. Genau diese hätten aber die Partei für zukünftige Unterhauswahlen stärken können. Dagegen wollte die Mehrzahl der Aktivisten eine nationale Debatte über das zentrale UKIP-Thema: EU. Einziger Lichtblick dieser Wahl war der Umstand, dass sich die UKIP als viertstärkste Kraft im Königreich etablieren und einen immer größeren Teil der Gesellschaft ansprechen konnte [27].
Frischer Wind
Zum wiederholten Mal war nach gescheiterten Wahlen in der UKIP der Punkt erreicht, an dem ein neuer Vorsitzender gewählt werden musste. Jeffrey Titford hatte alles versucht, das sinkende Schiff über Wasser zu halten und alte Wunden zu heilen. Dies und seine Arbeit als MdEP hatten ihm vieles abverlangt und er machte den Weg für einen neuen Vorsitzenden frei.
2002 wurde Roger Knapman, ein früherer konservativer Abgeordneter, der 2000 in die UKIP eingetreten war, der erste UKIP-Vorsitzende mit echter politischer Erfahrung. In seiner zehnjährigen Zeit als konservativer Abgeordneter gehörte er zu den am meisten widerspenstigen Abgeordneten und dem euroskeptischen Teil der Partei.
Sein Ziel war es, UKIP aus der Enttäuschung zu führen und darüber hinaus in schottischen und walisischen Wahlkreisen zu etablieren. Denn bisher war die Partei nur in Wahlkreisen in England angetreten. Zusammen mit Nigel Farage und weiteren führenden Köpfen sollte die Transformation der UKIP in eine professionelle und moderne politische Partei mit Interesse an Wahlkreiskampagnen und Stammwahlkreisen nun endlich gelingen [28].
2003 traf Knapman einen früheren Berater von Bill Clinton. Angetan von UKIP wurde der Berater beauftragt, die Kampagne für die Europawahl 2004 zu entwickeln. Die Aussage von UKIP sollte unkompliziert und leicht verständlich sein. So wurde das Wort Nein Kernaussage der ganzen Kampagne: Nein zum Euro, Nein zur EU, Nein zu einer europäischen Verfassung, Nein zu Asylsuchenden und Wirtschaftsflüchtlingen. Außerdem brachte dies zum Ausdruck, dass die Partei nicht rassistisch sei, sondern nur eine harte Linie in der Einwanderungspolitik pflegte [29]. Die Kampagne brachte UKIP viel Aufmerksamkeit, doch die eigentliche Bombe sollte noch platzen.
„Der TV-Moderator und frühere Labour Abgeordnete Robert Kilroy-Silk tritt UKIP bei und unterstützt sie bei ihrer Kampagne“ [30].Diese Nachricht und die darauffolgende Berichterstattung war beste Publicity für die Partei. Eine große Kampagne mit Kilroy-Silk als UKIP-Kandidat sollte die Welle der Berichterstattung am Laufen halten und auch in Regionen die Wähler überzeugen, in denen das UKIP bisher noch nicht gelungen war. Hier sorgte Kilroy-Silk für einen sofortigen Zuwachs an Stimmen in den Umfragen, und er wurde ein zentraler Bestandteil der Berichterstattung über die UKIP und ihre Kampagne [31].
War die Kampagne durch die Wahlslogans schon populistisch angehaucht, so war es Kilroy-Silk, der die Partei noch weiter in eine populistische Richtung bewegte. Er verlor in der Vergangenheit seinen Job bei der BBC, weil er sich abfällig über Araber geäußert hatte [32] und wurde nicht müde, die etablierten Parteien zu kritisieren:
„I like to think I was in touch with public opinion. I knew there was great disenchantment with politicians. […] They are fed up with being lied to. They are fed up with being patronised by the metropolitan political elite.” [33]Kilroy-Silk diktierte auch die TV-Kampagne der Partei, die ebenfalls sehr leicht verständliche und populistische Aussagen enthielt: Es befänden sich 73 Millionen Migranten aus Zentral- und Osteuropa auf dem Weg ins Königreich, Krankenhauswartelisten seien zu lang, die Schulen zu voll, Rentner würden in Armut leben und britische, nationale Entscheidungen würden von nicht gewählten Eurokraten in Brüssel beschlossen. Als Ergebnis stiegen die Umfragen immer weiter.
Jedoch sorgte Kilroy-Silk nicht nur für Euphorie in der Partei. Seine Aussagen waren vielen Aktivisten und Mitgliedern zu extrem und für sie nahm die Aufmerksamkeit um seine Person den Fokus von der eigentlichen Kernaussage der Partei, der Ablehnung der EU. Denn Kilroy-Silk wollte nicht nur Kandidat für die bevorstehende Wahl werden, sondern ließ in den Medien durchblicken, dass er auch Bestrebungen auf den Parteivorsitz hatte [34]. Dies war den Mitgliedern ein Dorn im Auge, war er doch erst im Wahlkampf zur Partei gestoßen und hatte sie in kurzer Zeit in eine neue populistischere Richtung gelenkt.
Nachdem alle Stimmen ausgezählt waren, hatte UKIP das beste Ergebnis in der kurzen, wechselhaften Geschichte erzielt. Über 2,6 Millionen Wähler hatten sich bei der Europawahl 2004 für UKIP entschieden. Damit lag die Partei vor den Liberaldemokraten auf Platz 3. 16% der Wählerstimmen bedeutete ein mehr als verdoppeltes Ergebnis im Vergleich zu 1999.
UKIP lag nur 6% hinter Labour und konnte die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament auf zwölf erhöhen. Selbst Farage musste eingestehen, dass ohne Kilroy-Silk dieses Ergebnis nicht möglich gewesen wäre. Die Euphorie war jedoch schnell verflogen. UKIP hatte aus der Vergangenheit nichts gelernt und es kamen neue Skandale und interne Führungsstreitigkeiten ans Tageslicht.
Mittelpunkt der Diskussion war Kilroy-Silk, der nun offiziell bekanntgab, den Vorsitz übernehmen zu wollen. Gleichzeitig war das Geld der Partei und die Energie der Aktivisten aufgebraucht. Dies ermutigte Kilroy-Silk umso mehr, sich als neuen Vorsitzenden mit frischer Energie zu präsentieren und Kritik am Vorsitzenden Knapman zu üben und seinen Rücktritt zu fordern [35].
Déjà-vu?
Kilroy-Silk hatte jedoch die Partei und seine Unterstützung falsch eingeschätzt. Statt sich hinter ihn zu positionieren, stärkte die Mehrheit Knapman und Farage den Rücken, der auf Seiten von Knapman stand. Daher blieb Kilroy-Silk nichts anderes übrig, als die Partei zu verlassen. Mit ihm gingen einige seiner Unterstützer und nicht wenige Wählerstimmen, die UKIP nur seinetwegen gewählt hatten. Dem Europäischen Parlament wollte er aber als unabhängiger Abgeordneter weiter angehören [36] und keine zwei Wochen später gründete er eine neue Partei namens Veritas [37].
Erneut folgte auf eine erfolgreiche Wahl innere Zerstörung innerhalb der Partei. Die nächste Unterhauswahl im Jahre 2005 stand bevor und die Partei hatte es wieder nicht geschafft, an einem Strang zu ziehen und das Momentum zu behalten. Die Partei wirkte wie ein politisches Phänomen, das nur alle fünf Jahre für die Europawahlen auftaucht. Nur dort schien das Thema Europa präsent und wichtig sowie das Wahlsystem für die Partei passend zu sein. Außerdem waren nur dort die Wähler bereit, den alten Parteien einen Denkzettel zu verpassen und sich auf politische Experimente einzulassen, da die Folgen auf nationaler Ebene nicht zu spüren waren.
Nach der Europawahl kamen nationale Probleme wie das Gesundheitssystem, Kriminalität, Verteidigung und die Wirtschaft wieder in den Fokus der Wähler. UKIP hatte zu all diesen Themen wenig zu sagen und wenig Lösungsmöglichkeiten zu bieten. Besonders das Thema Migration wurde zu dieser Zeit immer wichtiger. Jedoch meinten viele alte Aktivisten, das Thema würde nur vom Hauptthema der Partei, dem Austritt aus der EU, ablenken. Außerdem war die Angst groß, wieder in eine Schublade mit der BNP gesteckt zu werden [38].
Bei den Unterhauswahlen im Mai 2005 bekam UKIP 606.000 Stimmen oder 2,2%, im Vergleich zu den 1,5% im Jahre 2001. Damit belegten sie hinter den großen Parteien den vierten Platz und 38 der 496 Kandidaten konnten ihre Anzahlung zurückerhalten. Kilroy-Silks Veritas dagegen brachte es nur auf 0,1% der Stimmen [39]. UKIP hatte es wieder nicht geschafft, bei nationalen Wahlen zu überzeugen, und war nicht ansatzweise in die Nähe ihres Ergebnisses der Europawahl elf Monate zuvor gekommen.
Die echte Alternative
Nach den Unterhauswahlen 2005 sollte jedoch alles anders werden. UKIP machte sich daran, ein Programm zu entwickeln, das sich auch mit den Themen Bildung, Handel, Immigration und Steuern beschäftigte. Außerdem wurde Ende des Jahres 2005 deutlich, dass einige Konservative den Ruck in die politische Mitte, ausgelöst durch den neuen Parteivorsitzenden David Cameron, nicht mittragen würden. Themen wie Klimawandel und gleichgeschlechtliche Ehen waren für konservative Hardliner nicht relevant und so schauten sich viele Wähler nach politischen Alternativen um.
Gleichzeitig wurde in der Öffentlichkeit ein Bild von UKIP präsentiert, dass die Partei als unabhängige Alternative zur etablierten politischen Klasse in Brüssel und Westminster zeigte. Für diesen Wandel musste jedoch ein frisches Gesicht an die Spitze der Partei und nur eine Person schien für diese Aufgabe in Frage zu kommen: Nigel Farage löste 2006 Roger Knapman als Vorsitzenden ab. Er war bereit, UKIP in eine vollwertige politische Partei zu verwandeln und Wähler von den anderen Parteien zu gewinnen. Unter seiner Führung wurden verstärkt auch andere Ziele wie Reduzierung von Immigration, Steuersenkungen und die Ablehnung der Klimaziele Camerons propagiert und nicht nur der Hauptfokus auf Europa gelegt. [40]
Ein Dorn im Auge war ihm dabei die immer stärker werdende BNP. Artikel wie „One in five Britons could vote for the far right” sorgten dafür, dass beide Parteien wieder in einem Atemzug genannt wurden. Außerdem sah sich Farage internem Druck ausgesetzt, doch gemeinsame Sache mit der BNP zu machen. Dieser Idee erteilte er aber eine Abfuhr und sorgte dafür, dass viele Sympathisanten dieser Idee die Partei verlassen mussten [41]. Dies stabilisierte die Partei weiter und sorgte dafür, dass UKIP sich medienwirksam von der BNP abgrenzte. Die UKIP konnte sich nun als die einzige demokratische politische Alternative darstellen. Mit dieser Positionierung startete die Partei den Wahlkampf für die Europawahl 2009.
Auf und Ab
Trotz der beginnenden Eurokrise, die besonders Parteien am rechten Rand Zulauf bescherte, profitierte UKIP nur wenig von ihr. Mitte 2009 stagnierten die Umfragen bei ungefähr 7% [42]. Jedoch kann ein einziges Ereignis die politische Landschaft massiv verändern. The Daily Telegraph deckte nur einen Monat vor der Wahl einen Spesenskandal vieler Abgeordneten des Unterhauses auf, verteilt über alle drei großen Parteien [43].
Der Skandal entwickelte sich sofort zu einem nationalen Thema, und die Europawahl wurde zu einer Möglichkeit der Wähler, ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen. UKIP als viertgrößte Partei war nicht im Parlament vertreten und profitierte so immens von dem Skandal. Die Hoffnung auf den Durchbruch war bei den Aktivisten wieder gestiegen und mit einem Mix aus euroskeptischen und populistischen Wahlkampfslogans sowie einem harten Kurs gegen Immigration sollte dies gelingen: Die EU-Mitgliedschaft koste das Königreich 40 Millionen Pfund am Tag, die Kontrolle über die Grenzen sei nicht mehr vorhanden, das Land habe seine nationale Identität verloren, Nein zu den korrupten Politikern in Brüssel und Westminster und die Immigration sei außer Kontrolle, waren nur einige der Aussagen [44].
Die UKIP, ursprünglich mit nur einem Ziel gegründet, hatte sich in eine vollwertige rechtspopulistische Partei verwandelt und wusste nun, wie sie den Wähler mit seinen Ängsten und Sorgen auf ihre Seite ziehen konnte. Nigel Farage als politisches Gesicht der Partei war sich dieser Rolle bewusst und inszenierte sich selbst als Mann des Volkes („man in the pub“ [45]), der kein Blatt vor den Mund nahm.
Bei der Europawahl erhielt UKIP 2.498.000 Stimmen oder 16,5%. Dies bedeutete zwar nur ein Anstieg von 0,3% im Vergleich zu 2004, jedoch waren die Aussichten kurz vor der Wahl noch viel schlechter gewesen. Zusätzlich konnte die Partei einen weiteren Sitz für sich beanspruchen und wurde durch große Verluste von Labour zur zweitstärksten Kraft. Außerdem schafften es UKIP, die BNP auf Abstand zu halten [46]. Das Wahlergebnis war ein großer Erfolg in jeder Hinsicht. Weiter war eine große Veränderung in der Wählerschaft festzustellen. So waren es weniger die Akademiker und erfolgreichen Menschen, die UKIP wählten, sondern eher die Arbeiterklasse, Menschen mit wenig Bildung und geringem Einkommen, die UKIP ihre Stimme gaben.
UKIP wollte aus ihren Fehlern lernen und sofort mit dem Wahlkampf für die Unterhauswahlen 2010 beginnen, um das Momentum der Europawahl mitzunehmen. Aber auch nach dieser Wahl stand wieder eine Veränderung bevor. Niemand rechnete damit, dass Farage drei Monate nach der Europawahl seinen Rücktritt vom Parteivorsitz bekanntgab. Er wollte sich vollkommen auf seinen Wahlkreis konzentrieren, um 2010 als Abgeordneter ins Unterhaus gewählt zu werden.
Mit dem first-past-the-post-System wusste er, dass er seine Zeit im Wahlkreis verbringen musste und nicht neben seinem Amt als MdEP noch den Parteivorsitz innehaben konnte. Im November 2009 wurde Lord Malcolm Pearson zum neuen Vorsitzenden gewählt. Unter seiner Führung wurde der Fokus weiter auf radikal rechte Themen ausgeweitet und die Ablehnung von Einwanderung und Islam verstärkt. Damit reagierte man auf die Sorgen der Wähler, bei denen das Thema Immigration verstärkt in den Fokus rückte. Hatte man früher noch Bedenken, mit solchen Themen Parallelen zur BNP aufzuweisen, sah man das nun nicht mehr als Problem an [47].
Lord Pearson hatte jedoch keinen guten Start als Vorsitzender. Er unterbreitete David Cameron das Angebot, nicht gegen die Konservativen anzutreten, wenn dieser einem Referendum über den Verbleib in der EU zustimmen würde [48]. Diese Aussage stieß auf viel Gegenwind in der Partei, denn man wollte sich als politische Alternative und Anti-Establishment präsentieren. Außerdem verschreckte er so potenzielle Wähler, die keine Zusammenarbeit mit den politischen Eliten in Westminster wünschten.
Um die Unterstützung der Wähler wieder zurückzugewinnen, förderte Lord Pearson eine noch stärkere Anti-Islam-Ausrichtung der Partei. Dies sorgte aber auch dafür, dass weitere Aktivisten der Partei den Rücken kehrten, hatten sie doch jahrelang an einem nicht-extremen und nicht-rassistischen Image der Partei gearbeitet, um sich von der extremen Rechten abzuheben. Selbst die BNP behauptete nämlich inzwischen, die UKIP würde sich ihrer politischen Aussagen bedienen.
Im Vorfeld der Unterhauswahl 2010 hatte die Partei das erste Mal in ihrer Geschichte ein ausgereiftes Wahlprogramm mit Innenpolitik, Außenpolitik, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zielen ausgearbeitet. Jedoch waren diese Ziele regional unterschiedlich ausgeprägt und führten zu Streitigkeiten über die richtige Ausführung. Weiter hatte die Partei wieder einmal das first-past-the-post-System außer Acht gelassen und sich hauptsächlich auf den nationalen Wahlkampf beschränkt, anstatt regionale Stärke aufzubauen [49].
Der Morgen der Unterhauswahl im Mai 2010 begann bereits sehr schlecht für UKIP. Nigel Farage war mit einem kleinen Flugzeug unterwegs, an dessen Ende ein UKIP Banner gespannt war. Dieses verfing sich im Leitwerk und das Flugzeug stürzte ab. Farage überlebte das Unglück mit schwersten Verletzungen. Im Krankenhaus musste er miterleben, wie er selbst in seinem Wahlkreis und seine Partei erneut versagte.
Schlussendlich erzielte UKIP nur 3,1% der Wählerstimmen [50]. Nur 919.000 Wähler hatten der Partei ihre Stimme gegeben. Dies bedeutete nur ein Anstieg von 0,9% im Vergleich zur Wahl 2005, und das mit einer Kampagne, die sehr viel mehr auf die Interessen der Wähler ausgerichtet war [51]. Wieder einmal erlebte UKIP eine Enttäuschung, waren es doch gleichzeitig die Konservativen, die in einer Koalition mit den Liberaldemokraten endlich ihre Macht zurückerobern konnten. Von dieser Entwicklung hatte UKIP jedoch überhaupt nicht profitieren können. Zumindest noch nicht.
Der ernsthafte Konkurrent
Sich seiner Unpopularität bewusst, trat Lord Pearson im August 2010 als Vorsitzender zurück. Nigel Farage wurde wieder zum Vorsitzenden gewählt, und ihm war bewusst, dass eine neue politische Zeit im Vereinigten Königreich angebrochen war. David Cameron war als konservativer Vorsitzender und Premierminister bei vielen Wählern und Mitgliedern des rechten Flügels der Konservativen unbeliebt. Gleichzeitig führte er eine Koalition mit den Liberaldemokraten, die bisher als politische Alternative zu Labour und Tories wahrgenommen wurden.
Außerdem hatte sich die Labour Partei von ihrer ursprünglichen Zielgruppe, den blue-collar workers entfernt. Zeitgleich war die BNP auf dem absteigenden Ast. Es konnte also für UKIP nur nach oben gehen. Farage steckte auch schnell das neue Ziel der Partei ab. Bis 2015 wollte man drittstärkste Kraft im Königreich werden. Die Zeit zwischen 2010 und 2014 lief erfolgsversprechend. Die Umfragen stiegen immer weiter und auch die politische Landschaft entwickelte sich wie erwartet. Ereignisse wie die Eurokriese, unpopuläre Entscheidungen der Regierung, öffentliche Sorgen über Migranten aus Osteuropa, usw. sorgten langsam aber sicher für einen Aufstieg der UKIP in den Umfragen.
Auch bei regionalen Wahlen konnte die Partei zu dieser Zeit rekordverdächtige Ergebnisse erzielen. Die Tage, als UKIP nur bei Europawahlen erfolgreich war und nur über ein Problem redete, schienen gezählt. UKIPs Wählerschaft reichte von ehemaligen Unterstützern der Konservativen über nicht mehr repräsentierte Labour-Anhänger bis hin zu Wählern, welche die regierenden Liberaldemokraten nicht mehr als Alternative sahen. Die UKIP, die früher ignoriert, belächelt oder verspottet wurde, entwickelte sich zu einem ernsthaften Konkurrenten [52].
Um diesem Trend doch noch entgegenzuwirken, brachte Premierminister Cameron Anfang 2013 ein Referendum ins Spiel. Er versprach, ein Referendum über die Zukunft des Königreichs in der EU bis spätestens 2017 abhalten zu wollen, sollten er und die Konservativen 2015 bei den Unterhauswahlen wiedergewählt werden [53]. Dies sorgte aber für keine großen Veränderungen in den Umfragen vor der Europawahl 2014.
Das Erdbeben
Mit mehr als 4 Millionen Stimmen und einem Ergebnis von fast 27% gewann UKIP die Europawahl 2014. Es war das beste Ergebnis in der Parteigeschichte [54]. Die UKIP blieb 2% vor Labour und fast 4% vor den Konservativen und konnte 24 der 76 britischen Sitze im Europäischen Parlament für sich beanspruchen. Die Versprechungen über das Referendum hatten ihre Wirkung nicht erzielt, denn die Wähler entschieden sich mehrheitlich für UKIP und nicht für die Konservativen. Diesem historischen Sieg war eine laute und populistische Kampagne, komplett auf Farage fokussiert, vorausgegangen und hatte ihre Wirkung nicht verfehlt [55].
Der Sturm auf Westminster
Die Europawahl zeigte, dass die UKIP ihre Zustimmung aus vielen verschiedenen Teilen der Gesellschaft erhalten hatte. Diese Zustimmung musste nun aber gehalten werden [56]. Ein großer Teil der Wähler plante, bei den Unterhauswahlen 2015 wieder einer der etablierten Parteien die Stimme zu geben. Besonders enttäuschte Konservative sahen die Europawahlen als Chance, der eigenen Partei einen Denkzettel zu verpassen und eine Richtungsänderung zu erzwingen. Auf nationaler Ebene wollten sie aber loyal wieder die eigene Partei wählen [57].
Sitze in Straßburg unter dem Verhältniswahlrecht zu gewinnen ist eine Sache; Sitze in Westminster unter dem first-past-the-post System zu gewinnen, eine ungleich schwerere Aufgabe. Zweimal war UKIP bereits nach erfolgreichen Europawahlen daran gescheitert. Um diesmal auch bei den Unterhauswahlen erfolgreich zu sein, musste ein Kurswechsel stattfinden.
UKIP hatte es geschafft, national Aufmerksamkeit für ihre Sache zu erhalten, jedoch fehlten ihr grundsätzliche Waffen, um auch in regionalen Kampagnen erfolgreich zu sein. Es gab kein Computersystem, das die Informationen über Wähler, potenzielle Wähler und unentschlossene speicherte. Auch konnten so keine besonders attraktiven Wahlkreise ausgemacht werden. Gleichzeitig hatten viele Aktivisten von regionalen Kampagnen keine Ahnung und machten noch viele Fehler. Dies sollte sich alles ändern [58].
Im Hinterzimmer bereitete UKIP die erste Bombe Richtung Westminster vor. Als diese ausgelöst wurde, traf sie alle mit Überraschung. Am 28. September 2014 kündigte der konservative Abgeordnete Douglas Carswell an, seine Partei zu verlassen und sich UKIP anzuschließen. Gleichzeitig provozierte er die Nachwahl in seinem Wahlkreis. Die politische Welt im Königreich stand unter Schock. Dieser Schritt war auch nicht mit dem Premierminister und Vorsitzenden der Konservativen David Cameron abgestimmt. Dieser äußerte sich wie folgt:
„It’s obviously deeply regrettable when things happen like this, when people behave in this way. But it’s also, in my view, counterproductive. If you want a referendum on Britain’s future in the EU – whether we should stay or go – the only way to get that is to have a Conservative government after the next election.” [59]Klar war außerdem, dass ein politisch erfahrener Abgeordneter einen Wahlkampf betreiben würde, der sich erheblich von dem unterschied, wie es UKIP bisher gehandhabt hatte [60]. Nur einen Monat später sollte außerdem die zweite Bombe platzen. Auf einem Parteitag der UKIP wurde ein Gastredner von Farage vorgestellt. Dieser war der konservative Abgeordnete Mark Reckless. Er betrat die Bühne und begann mit den Worten: „Today I am leaving the Conservative Party and joining UKIP“. Auch er erzwang die Nachwahl in seinem Wahlkreis [61].
Zwischen den beiden Ankündigungen starb außerdem ein Labour-Abgeordneter auf einer Auslandsreise und auch in seinem Wahlkreis wurde eine Nachwahl nötig [62]. Diese drei Nachwahlen waren eine gute Möglichkeit, vor der Unterhauswahl 2015 gezielten Wahlkampf in bestimmten Wahlkreisen zu betreiben und jeweils eine eigne Kampagne zu entwickeln. Sie sollten UKIPs Fortschritte im Wahlkampf beleuchten und für die ersten UKIP-Abgeordneten, gewählt nach dem first-past-the-post-System, im Unterhaus sorgen.
Jeder Wahlkreis war einzigartig, die Wahlprogramme unterschiedlich aufgebaut und es gab verschiedene Voraussetzungen und Kandidaten. Nichtsdestotrotz schaffte es die UKIP mit viel Anstrengung und effektiven Kampagnen zwei der drei Wahlkreise zu gewinnen und im Dritten den zweiten Platz, nur 2,2% hinter Labour, zu erreichen. Carswell wurde mit 59,7% erster UKIP-Abgeordneter im britischen Unterhaus. Reckless gewann seinen Wahlkreis mit 42,1% und wurde UKIPs zweiter Abgeordneter.
Alle Ergebnisse waren auf ihre Weise besonders und bildeten die weitere Grundlage für die Unterhauswahlen 2015. UKIP hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um in diesen drei Wahlkreisen zu gewinnen. Die erschöpften Aktivisten hatten die Schlacht gewonnen. Der Krieg war aber noch nicht beendet und in wenigen Monaten sollte die Partei an allen Fronten, in Hunderten von Wahlkreisen die gleiche Arbeit leisten. [63].
Eine schier unmögliche Aufgabe für die kleine Partei. Sollte bei der bevorstehenden Wahl auch nur ein Sitz gewonnen werden, war eine professionelle Ausrichtung der Kampagne von Nöten. Nur eine kleine Anzahl an Regionen sollte den Hauptfokus und die nötigen Mittel erhalten, um den gleichen Wahlkampf wie in den Nachwahlen zu betreiben. Dies sollten Regionen sein, in denen UKIP bereits viel Unterstützung hatte und auf eine breite Basis an Zustimmung stieß. Mit diesem System wurden 30 Wahlkreise ermittelt, auf die UKIP ihren Fokus gelegt hatte. Über die Zeit des Wahlkampfes wurden aus den 30 Wahlkreisen nur 10 Wahlkreise ausgesucht, die auch in der finalen Phase die komplette Unterstützung erhalten sollten [64].
Die größte Niederlage
In der finalen Phase des Wahlkampfes warb UKIP neben den regionalen Themen mit fünf allgemeinen Aussagen: Nein zur EU; Mehr Kontrolle an den Grenzen; 3 Billionen Pfund extra für das Gesundheitssystem; Kürzung der Entwicklungshilfe und eine Steuerbefreiung für Mindestlohnempfänger [65]. Farage selbst trat in einem für ihn hoffnungsvollen Wahlkreis an. Dieser entwickelte sich im Laufe der Kampagne zum Epizentrum der Partei.
Dort sollten die führenden Aktivisten auch den erfolgreichen Wahltag erleben, aber die Nachrichten, die dort eingingen, waren sehr schlecht. Die Wähler hatten Angst vor einer neuen Labour-Regierung und gaben den konservativen Kandidaten ihre Stimme. Am Morgen des 8. Mai 2015 stand schlussendlich das Ergebnis fest [66]. UKIP erhielt 3.881.000 Stimmen oder 12,6%. Es reichte aber nur für einen Sitz im Unterhaus. Die Konservativen und Premierminister Cameron gewannen die Mehrheit und konnten die Regierung ohne Koalitionspartner weiterführen. Zwar hatte UKIP die Liberaldemokraten verdrängt und den dritten Platz gesichert, jedoch konnte dieser Erfolg nicht in Sitze umgewandelt werden [67].
Das Ergebnis war für die UKIP eine Enttäuschung, waren ihr doch vor der Wahl so große Chancen eingeräumt worden. Dagegen überraschte der klare Sieg Camerons viele Experten und war nur durch den massiven Verlust der Liberaldemokraten möglich. Da auch Labour einige Verluste erleiden musste, war der Weg für eine rein konservative Regierung frei. Nur Douglas Carswell schaffte es, seinen Wahlkreis für UKIP zu gewinnen. Mark Reckless scheiterte, genauso wie sein Vorsitzender Farage. Dieser kam in seinem Wahlkreis nur auf Platz 2 hinter dem konservativen Kandidaten.
Das erste Mal in ihrer Geschichte hatte die UKIP nach den Regeln des first-past-the-post-Systems gespielt und den Wahlkampf auf gezielte Regionen gelenkt. Aber sie hatte es trotzdem nicht geschafft, in den entsprechenden Wahlkreisen zu gewinnen. In ihren Augen hatten die Menschen zu viel Angst vor einer Labour-Regierung. Dies spülte die Wähler in die Arme von Cameron und den Konservativen und fügte der UKIP ihre größte Niederlage zu [68].
Nachdem Farage im Wahlkampf schon erklärte, im Falle einer Wahlniederlage in seinem Wahlkreis seinen Rücktritt zu erklären, trat er am Morgen nach dem Wahltag als Vorsitzender zurück. Nur wenige Tage später überraschte er die Öffentlichkeit und seine Partei aber mit der Ankündigung, dass eine überwältigende Mehrheit der Mitglieder ihn gebeten habe, nicht zurückzutreten. So erklärte er, für den bevorstehenden Kampf um das Referendum weiter als Vorsitzender bereit zu stehen [69].
Die Stimmen für die Tories und die Wahl der konservativen Regierung hatte das Abhalten des Referendums über die EU-Mitgliedschaft möglich gemacht. Das eine Ziel, für das Nigel Farage mehr als 20 Jahre gearbeitet hatte, stand bevor [70]. Nach seiner größten Niederlage machte er sich daran, seine Partei wieder nach oben zu führen und auf Stimmenfang zu gehen. Die Kampagne für den Brexit stand in den Startlöchern und UKIP war bereit, wieder auf der Überholspur durchzustarten.
Die Brexit-Kampagne
Farages Rücktritt vom Rücktritt sorgte für Spannungen innerhalb der Partei und zwischen den Aktivisten, die ihn als Vorsitzenden haben wollten, und denen, die nach der Wahlniederlage einen Neuanfang suchten. Schlussendlich setzten sich aber die Vertreter Farages durch und die Energien der kompletten Partei konnte in Richtung Brexit gelenkt werden [71].
Zu diesem Zeitpunkt waren die Brexit-Befürworter in den Umfragen weit hinter denen, die in der EU bleiben wollten [72]. Jedoch machte sich zum ersten Mal die Flüchtlingskrise bemerkbar. Noch vor Ende des Jahres 2015 erreichten die Flüchtlingszahlen immer neue Höchststände. Dies fachte die vorhandenen anti-europäischen Ressentiments weiter an und ließ teils offen-rassistische Vorbehalte aufkommen. [73]
Dies nahm die UKIP zusammen mit der ihr nahestehenden Leave.EU-Initiative [74] zum Anlass, ausländerfeindliche und teilweise sogar menschenverachtende Plakate und Slogans zu veröffentlichen. Diese bewusst fremdenfeindlichen Elemente stachelten die Gegner und Befürworter nur noch stärker gegenseitig auf und kippten noch mehr Öl in das Feuer [75]. Weitere prominente Aussagen wie die 350 Millionen Pfund, die Großbritannien jede Woche an die EU zahlen müsse und dieses Geld viel besser im Gesundheitssystem angelegt wäre, folgten [76].
Schon früher hatte sich UKIP solcher Rechenspiele bedient und diese kamen den Brexit-Befürwortern gerade recht, um die Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Trauriger Höhepunkt der Kampagne war jedoch der 16. Juni 2016. Eine Woche vor dem Referendum ermordete ein Mann mit Verbindung zu den britischen Nationalisten und zur Neonazi-Szene die Abgeordnete und Brexit-Gegnerin Jo Cox. Während des Mordes soll er mehrfach „Death to traitors, freedom for Britain“ gerufen haben. Dieses Beispiel zeigt, welches Gift und welche Brutalität die Debatte um den Brexit erzeugt hatte [77].
„Wie andere radikale rechtspopulistische Parteien Europas ist auch die UKIP Ausdruck einer tiefen Kluft [bzw. Spaltung] in der Gesellschaft - einer Kluft, die in Großbritannien über Jahrzehnte entstanden ist und die 2016 in der Entscheidung für den Brexit ihren drastischsten Ausdruck fand.“ [78]Die UKIP gehörte zwar nicht zu den größten und populärsten Akteuren des Brexits, spielte beim Referendum jedoch eine Schlüsselrolle und sorgte mit dafür, dass die Entscheidung schlussendlich für den Austritt aus der EU ausfiel [79].
So war es Farage, der, am Tag nach dem Referendum bereits in den frühen Morgenstunden als erster den Brexit mit einer emotionalen Rede feierte, noch bevor das sensationelle Ergebnis bekannt gegeben wurde [80]. 51,9% hatten Leave gewählt, 48,1% Remain [81]. Wenige Wochen nach dem Referendum trat Farage als Vorsitzender von UKIP zurück. Er habe seine politischen Ambitionen erfüllt und nach dem erfolgreich gelaufenen Brexit-Referendum sei es nun Zeit, kürzer zu treten [82]. Damit verlor die Partei ihr schillerndes, charismatisches Gesicht, das sie über Höhen und Tiefen bis zum ursprünglichen Gründungsziel getragen hatte.
Nigel Farage
Die Geschichte von UKIP ist untrennbar mit der von Nigel Farage verbunden. Er gehörte der Partei seit ihrer Gründung an und erlebte ihren steinigen Weg mit. Die inhaltlichen Veränderungen, die seine Partei über die Zeit mitmachte, hinterließen auch an ihm Spuren oder er war sogar derjenige, der die Veränderungen einleitete. „Die UKIP profitierte [..] lange von ihrer charismatischen Führerfigur […].“ [83] Auf dem Höhepunkt seiner Popularität als Parteivorsitzender zwischen 2010 und 2016 kann man ihn daher dementsprechend als populistischen Führer der Partei bezeichnen.
Jedoch wird laut Jan-Werner Müller inzwischen jeder als Populist bezeichnet, der sich gegen Brüssel und EU-Verträge stellt. Für Marine Le Pen, Vorsitzende des Rassemblement National, ist das Etikett Populistin inzwischen eine Art demokratisches Ehrenabzeichen geworden: „Denn Populismus heiße, so Le Pen, das Volk oder insbesondere ,die Vergessenen‘ gegen die Eliten zu verteidigen.“ [84] Populistische Politiker sind große Vereinfacher. Den Wählern werden einfache Lösungen angeboten, simple Versprechungen gemacht, um ihre Ängste und Sorgen zu beseitigen [85].
„Es ist (…) irreführend, Populismus automatisch mit charismatischem Füherertum (sic) zu verbinden. (…) Zweifelsohne hilft es populistischen Parteien, wenn eine eindrucksvolle, Enthusiasmus weckende, den Alltag vergessen machende Person an ihrer Spitze steht – aber das gilt für andere politische Verbände auch.“ [86]Für UKIP war diese Person unbestreitbar Nigel Farage. Im Brexit-Wahlkampf spielte er jedoch nur noch eine eher untergeordnete Rolle, obwohl er für nichts weniger als sein Lebenswerk kämpfte. Boris Johnson und die Vote Leave-Initiative waren der Bekanntheit und der Aufmerksamkeit nach viel bedeutsamer [87].
Auch der Vergleich mit anderen populistischen Führern in Europa und der Welt passt nicht ganz. Nigel Farage war die schillerndste Person in UKIPs Geschichte, jedoch gab es weitere aufsehenerregende Persönlichkeiten. Auch sein Führungsanspruch war lang nicht so groß wie der von Geert Wilders oder Victor Orban. Als Vorbereitung auf die Unterhauswahl 2010 trat er als Vorsitzender zurück und auch nach der Unterhauswahl 2015 wollte er persönliche Konsequenzen ziehen.
Für Michael Bröcker, er studierte Volkswirtschaft und Politik und ist seit 2014 Chefredakteur der Rheinischen Post, war sein Rücktritt nach dem Brexit dann aber genau eine typische Handlung eines populistischen Führers: „Reden schwingen und gegen faule Politiker wettern. Und dann wegducken, wenn es ernst wird.“ [88]
Die Wählergruppe
UKIPs Erfolg erschütterte und veränderte nachhaltig das politische System im Vereinigten Königreich, weil die Partei die Menschen wieder in den Fokus rückte, die aus der politischen Debatte verschwunden waren und sich gegen die traditionellen Mainstream-Parteien wendeten. Über die Jahre hatte sich eine alte, weniger qualifizierte und schlechter ausgebildete Arbeiterklasse herausgebildet. Diese Gruppe wird auch als die left behind im modernen Großbritannien bezeichnet. Durch den Zuwachs einer hochgebildeten Mittelklasse hatte sich der Fokus der großen Parteien zu Gunsten dieser Wähler gewandelt. UKIP sorgte dafür, dass die left behind wieder Gehör fanden und sie mit ihren Sorgen nicht alleinstanden, da sie sich vom Establishment nicht mehr vertreten sahen [89].
Zuerst wendete sich Tony Blair und seine New Labour von der ursprünglichen Stammwählerschaft, den blue-collar ab und konzentrierte sich auf eine wachsende Mittelschicht und das politische Zentrum. Die Konservativen versuchten unter David Cameron, die gleiche Zielgruppe zu bedienen, und begaben sich eher in die politische Mitte. Themen wie gleichgeschlechtliche Ehe und Klimaschutz rückten in das politische Sichtfeld.
Mit diesen Themen konnten die left behind am rechten Rand nichts anfangen. Nach den Unterhauswahlen 2010 bildeten außerdem die Liberaldemokraten eine Koalition mit den Konservativen und wurden Teil des großen Ganzen. Immer mehr Wähler konnten keine Unterschiede zwischen den großen Parteien feststellen [90]. Durch das Bewegen in die politische Mitte machten die Konservativen außerdem Platz für UKIP als echte politische Alternative am rechten Rand.
Gleichzeitig war die UKIP nicht in Westminster vertreten und konnte sich nun als alleinige politische Alternative darstellen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie nicht nur Stimmen von ehemaligen konservativen Wählern erhielt, sondern genauso von enttäuschten ehemaligen Labour-Wählern und liberaldemokratischen Protestwählern, die sich nicht mehr durch die Liberaldemokraten repräsentiert sahen.
Für die left behind stellen die Themen EU und Immigration die wichtigsten Gefahren und Probleme für das Vereinigte Königreich seit dem Zweiten Weltkrieg dar. Die etablierten Parteien schaffen es in ihren Augen nicht, diese Probleme zu lösen [91]. Nachdem UKIP verstanden hatte, sich nicht nur auf das Thema Europa zu beschränken, sondern Themen wie Immigration, Kriminalität, Arbeitslosigkeit mit Euroskepsis zu verbinden, bediente sie dann genau diese Wählergruppe.
Ein weiterer Vorteil war, dass die UKIP, ähnlich wie die Fidesz in Ungarn, sich als Alternative gegen die extreme Rechte, die BNP, präsentieren konnte. So wurden in den Medien zwar öfter beide Parteien im selben Atemzug genannt und auch UKIP teilweise als rechtsextreme Partei dargestellt, trotzdem hatte die BNP ein erheblich geringeres Ansehen in den Medien und beim Wähler. Selbst in den Hochzeiten der BNP waren Zeitungsschlagzeilen wie „Bloody Nasty People“ keine Seltenheit [92].
UKIP verstand es, simple Messages in lauten Kampagnen an den Wähler zu bringen und die Zielgruppe, die Arbeiter- und untere Mittelklasse, zu bedienen. Aussagen, wie „Take Back Control“ waren leicht verständlich und hatten eine starke Aussagekraft [93]. Und wie viele andere rechtspopulistische Parteien schaffte es die UKIP ebenfalls, mit ihren Aussagen reichlich Aufmerksamkeit in den Medien zu erlangen [94].
Vergleicht man die Stimmenanteile der UKIP bei der Europawahl 2014 [95], bei den Unterhauswahlen 2015 [96] und die der Leave-Wähler beim Brexit [97] anhand ihrer Verteilung in den einzelnen Regionen, so zeigen die Diagramme eine deutliche Übereinstimmung in bestimmten Regionen. In diesen Regionen leben besonders viele Arbeiter, blue-collar und left behind. Das sind für die UKIP die wahren Briten und ihre Stammwähler.
Das bedeutet, die abgehängten älteren, männlichen, einheimischen Wähler aus der Arbeiterklasse, „denen die Qualifikationen für die Teilhabe an der modernen postindustriellen Wirtschaft fehlen, […] spielen nicht nur eine zentrale Rolle in der Geschichte der UKIP, sondern votierten 2016 auch in großer Zahl für den Brexit.“ [98]
„Und ebenso bildeten beim Referendum 2016 die über 65-Jährigen dasjenige Alterssegment, in dem die Wahlbeteiligung und das Votum für den Brexit am höchsten waren. […] Jüngere Generationen stehen der Einwanderung und der EU bei Weitem nicht so ablehnend gegenüber und haben seltener etwas gegen die wachsende Diversität einzuwenden. Deshalb waren die ,Millennials‘ 2016 auch diejenige Alterskohorte, die am wenigsten für den Brexit stimmte.“ [99] Außerdem erhielt UKIP von diesem Teil der Gesellschaft mit am wenigsten Zustimmung.
Ersichtlich ist, dass UKIPs Wählerschaft ein deutliches soziales Profil aufweist, mehr als jede andere Partei im Vereinigten Königreich [100]. Außerdem repräsentiert die UKIP die 3 zentralen Aussagen der left behind: Nein zu den Eurokraten in Brüssel und Straßburg; Nein zur Immigration und Nein zu den politischen Eliten in Westminster [101].
Aspekte einer rechtspopulistischen Partei
- „Über den Populismus wurde schon oft gesagt, es handele sich um ein ,Chamäleon‘: Was politische Inhalte und begriffliche Einrahmungen anbelangt, scheint praktisch alles möglich zu sein – anything goes.“ [102] Auch UKIP hatte es nach einigen Jahren verstanden, den Hauptfokus auf die Probleme und Sorgen der Wähler zu lenken. So schaffte man es, die Euroskepsis mit anderen, für den Wähler wichtigen Themen zu verbinden, obwohl diese bei der ursprünglichen Gründung nicht relevant waren. Die Partei hatte sich gewandelt und den neuen Anforderungen angepasst.
- Die Kritik an den Eliten in Westminster, Brüssel und Straßburg begleitete die Partei seit ihrer Gründung. „The elite only cares about themselves and are not interested in the concerns of the (real) people.” [103] Daher kämpft die UKIP gegen das Establishment, gegen die da oben und repräsentiert die wahren Briten.
- Weiter setzt UKIP auf eine starke Vereinfachung. Damit wird die Zielgruppe der left behind bedient und mit teils grenzwertigen Aussagen Aufmerksamkeit erzeugt.
- Ein Gegenteil von Populismus ist Pluralismus [104]. UKIP glaubt an ihren Alleinvertretungsanspruch für die left behind, da die Parteien in Westminster ihrer Meinung nach diese Menschen ja nicht mehr repräsentieren. Folglich ist UKIP auch anti-pluralistisch.
- Die Anti-Islam-Ausrichtung der Partei ist ebenfalls nicht zu übersehen. Denn trotz muslimischer Kandidaten und Aktivisten lehnt die Partei Verschleierung, Scharia und islamische Einwanderung grundlegend ab.
- Besonders im europäischen Kontext, wird Populismus häufig in Verbindung mit Anti-Immigration gebracht [105]. UKIP stellt hier keine Ausnahme dar. Das Thema Immigration wird gezielt eingesetzt, um Ängste zu schüren und neben den Eliten in Westminster ein weiteres Feindbild zu schaffen.
- Für UKIP gibt es auch das sogenannte heartland. In diesen Gegenden wohnen die wahren Briten und dort geht alles noch seinen geregelten Weg. Gleichzeitig werden die Metropolen mit hohem Migrantenanteil und Menschen mit einer weltoffenen Einstellung verachtet.
- Nationalismus ist für UKIP ebenfalls besonders wichtig. Denn wahre Briten suchen die Distanz zur EU und Europa, lehnen die gemeinsame Währung ab und wollen keine Bevormundung aus Brüssel akzeptieren und eigene britische Entscheidungen treffen.
- Die UKIP war nie eine Partei, die sich komplett auf eine einzige Führerfigur ausrichtete. Eine klassische Personalisierung, wie die eines Hugo Chavez in Venezuela, gab es nicht. Trotzdem übten die Parteivorsitzenden und nicht zuletzt Nigel Farage eine Tribunenfunktion aus. So präsentierte Farage sich als: „British ,common man‘ who is in tune with the ideas and interests of ,the people’.” [106] Als Sprachrohr der Vergessenen (left behind) konnte er es sich erlauben, Tabubrüche zu begehen und durchgehend die Eliten in Westminster zu kritisieren, da er nur die Sorgen und Nöte der wahren Briten verkündete.
- Nach dem Eintreten der Liberaldemokraten in die Koalitionsregierung 2010 übernahm die UKIP die Protestwähler, die sich durch die Liberaldemokraten nicht mehr repräsentiert sahen und eine politische Alternative suchten.
- Anders als andere populistische Parteien in Europa erhielt UKIP teilweise sogar Unterstützung von Seiten der Presse. So unterstützte beispielsweise der Daily Express öffentlich die UKIP [107] und sein Verleger war einer der Großspender der Partei.
- Die Anti-EU-Haltung der UKIP muss nicht weiter erläutert werden, da die Partei ursprünglich nur für diesen Zweck gegründet wurde und zu jeder Zeit den Austritt aus der Union forcierte.
Zusammenfassung und Ausblick
Durch den Drift zur Mitte der Konservativen wurde im Vereinigten Königreich Platz für eine neue aufstrebende Partei am rechten Rand geschaffen. Als die UKIP es schaffte, die Themen Immigration, Euroskepsis und Elitenfeindlichkeit zu verbinden, wurden sie für einen großen Teil der Gesellschaft attraktiv, da die Wähler sich durch die politischen Parteien in Westminster nicht mehr vertreten sahen. Alte, weniger qualifizierte und schlechter ausgebildete Arbeiter (left behind) aus der Unter- und unteren Mittelschicht sahen die UKIP als politische Alternative und nicht nur als Partei am rechten Rand.
UKIP konnte viele kleine Erfolge feiern, musste auf ihrem steinigen Weg aber kontinuierlich Rückschläge hinnehmen, bis sie sich in den 2010ern als feste politische Kraft im Vereinigten Königreich positionieren konnte. Bei der Europawahl 2014 gelang ihr der größte Wahlerfolg, als sie als stärkste Kraft die meisten britischen Abgeordneten ins Europäische Parlament nach Straßburg schicken konnte.
2015 zerplatzen dann ihre Träume, als es ihr nicht gelang, trotz guter Umfragen mit vielen Abgeordneten ins britische Unterhaus einzuziehen und sich im britischen first-past-the-post-Wahlsystem (Mehrheitswahlsystem) durchzusetzen. Angetrieben von ihrem charismatischen Vorsitzenden Nigel Farage schaffte sie es dann aber, ihr eigentliches Gründungsziel zu erreichen und in einem Referendum 2016 den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, den Brexit, zu erzwingen. Nigel Farage trat daraufhin als Parteivorsitzender zurück.
Nach einem langen und steinigen Weg hatte UKIP ihren größten Erfolg erzielt und war auf dem politischen Höhepunkt angekommen. Bei der Unterhauswahl 2017 verlor UKIP allerdings ihren letzten und einzigen Abgeordneten im britischen Unterhaus und erhielt nur noch 2,1% der Stimmen [108]. Um Mitternacht am 29. März 2019 werden außerdem 73 Sessel im EU-Parlament frei [109]. 24 davon gehören UKIP und einer davon Nigel Farage selbst. Ab diesem Tag wird die Partei keinen Vertreter mehr auf nationaler oder europäischer Ebene haben.
Das macht den Wahlkampf für das britische Unterhaus 2022 umso komplexer, denn die United Kingdom Independence Party muss beweisen, dass sie auch weiterhin für das Vereinigte Königreich und dessen politische Landschaft bedeutungsvoll ist und nicht durch den Brexit ihre Daseinsberechtigung ohne weitere Aussicht auf Erfolg verspielt hat. Zukunft ungewiss…
Fußnoten
- Ford & Goodwin, 2014, Vorwort ohne Paginierung
- Vgl. URL: https://www.zitate.eu/author/laotse/zitate/187544
- Vgl. URL: http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/242060/die-ukip-in-grossbritannien
- Niedermeier & Ridder, 2017, S. 1
- Ebd. S. 3
- Vgl. URL: http://www.spiegel.de/einestages/brexit-wie-grossbritannien-1975-ueber-europa-abstimmte-a-1097542.html
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 21
- Vgl. Goodwin, in: Hillebrand (Hg.), 2015, S. 37
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 22-24
- Vgl. ebd. S.24
- Vgl. URL: http://www.election.demon.co.uk/sum1994.html
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 24-26
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S 26 f.
- Vgl. URL: https://www.theguardian.com/politics/1997/may/02/electionspast.comment
- Vgl. URL: http://www.election.demon.co.uk/ge1997.html
- Vgl. URL: http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/electoral_commission_pdf_file/0007/79540/UKPGE-nominations-factsheet-FINAL.pdf
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 30
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 32 f.
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 33
- Vgl. URL: https://www.telegraph.co.uk/politics/0/first-past-post-voting-system/
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 33 f.
- URL: https://www.theguardian.com/politics/2001/feb/26/otherparties.uk
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 35
- Vgl. URL: https://www.theguardian.com/politics/2001/feb/26/otherparties.uk
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 37-39
- Vgl. URL: http://www.election.demon.co.uk/ge2001.html
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 40 f.
- Vgl. ebd. S. 42
- Vgl. ebd. S. 43 f.
- URL: https://www.telegraph.co.uk/news/politics/nigel-farage/11151996/Ukips-journey-to-breakthrough.html
- Vgl. URL: https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/1462956/Kilroy-Silk-turns-on-the-charm-for-voters.html
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 34
- URL: https://www.telegraph.co.uk/news/uknews/1461685/Voters-fed-up-with-lying-elite-says-Kilroy-Silk.html
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 46
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 48-53
- Vgl. URL: https://www.telegraph.co.uk/education/3347088/Kilroy-Silk-leaves-UKIP-in-turmoil.html
- Vgl. URL: http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/politics/4227921.stm
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 61-64
- Vgl. URL: http://researchbriefings.files.parliament.uk/documents/RP05-33/RP05-33.pdf
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 70-72
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 66-67, 72-75
- Vgl. URL: https://www.populus.co.uk/wp-content/uploads/2015/12/download_pdf-280509-The-Times-The-Times-Poll-May-2009.pdf
- Vgl. URL: http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/politics/8115998.stm
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 76
- URL: https://www.bbc.com/news/uk-politics-36701855
- Vgl. URL: http://news.bbc.co.uk/2/shared/bsp/hi/elections/euro/09/html/ukregion_999999.stm
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 77-80
- Vgl. URL: https://www.telegraph.co.uk/news/newstopics/eureferendum/6674458/New-Ukip-leader-offered-to-disband-party-if-David-Cameron-agreed-to-EU-referendum.html
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 82-86
- Vgl. URL: https://www.bbc.com/news/uk-politics-36701855
- Vgl. URL: http://news.bbc.co.uk/2/shared/election2010/results/
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 89-96
- Vgl. URL: https://www.bbc.com/news/uk-politics-21013771
- Vgl. Goodwin, in: Hillebrand (Hg.), 2015, S. 31
- Vgl. Goodwin & Milazzo, 2015, S. 42-49, 52-55
- Vgl. ebd. S. 79
- Vgl. ebd. S. 101 f.
- Vgl. ebd. S. 104 ff.
- URL: https://www.bbc.com/news/uk-politics-28967904
- Vgl. Goodwin & Milazzo, 2015, S. 129
- URL: https://www.bbc.com/news/uk-politics-29394697
- Vgl. URL: https://www.telegraph.co.uk/news/obituaries/11087914/Jim-Dobbin-obituary.html
- Vgl. Goodwin & Milazzo, 2015, S. 174-176
- Vgl. ebd. S. 182 f.
- Vgl. ebd. S. 238
- Vgl. ebd. S. 262-264
- Vgl. URL: https://www.bbc.com/news/election/2015/results
- Vgl. Goodwin & Milazzo, 2015, S. 264-272
- Vgl. URL: https://www.bbc.com/news/uk-politics-36701855
- Vgl. Goodwin & Milazzo, 2015, S. 292
- Vgl. ebd. S. 294-298
- Vgl. ebd. S. 302
- Vgl. Niedermeier & Ridder, 2017, S. 17 f.
- Vgl. ebd. S. 25
- Vgl. ebd. S. 28
- Vgl. ebd. S. 26
- Vgl. ebd. S. 32
- Goodwin, in: Hillebrand (Hg.), 2015, S. 32
- Vgl. ebd. S. 31
- Vgl. URL: https://www.bbc.com/news/uk-politics-36701855
- Vgl. URL: https://www.bbc.com/news/politics/eu_referendum/results
- Vgl. URL: https://www.theguardian.com/politics/2016/jul/04/nigel-farage-resigns-as-ukip-leader
- URL: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/242060/die-ukip-in-grossbritannien
- Müller, 2016, S. 12
- Vgl. ebd. S. 30
- Ebd. S. 48 f.
- Vgl. Niedermeier & Ridder, 2017, S. 25
- URL: https://rp-online.de/politik/ausland/nigel-farage-wirft-nach-dem-brexit-hin-typisch-populist_aid-9631921
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 10
- Vgl. ebd. 163-165, 128-137
- Vgl. ebd. S. 183
- Vgl. ebd. S. 199
- Vgl. Goodwin & Milazzo, 2015, S. 36 f.
- Vgl. Goodwin, in: Hillebrand (Hg.), 2015, S. 31
- Vgl. Goodwin & Milazzo, 2015 S. 60
- Vgl. ebd. S. 275
- Vgl. URL: https://www.businessinsider.de/united-kingdom-referedum-map-divide-2016-6?r=UK&IR=T
- Goodwin, in: Hillebrand (Hg.), 2015, S. 32
- Ebd. S. 35
- Vgl. Ford & Goodwin, 2014, S. 159
- Vgl. ebd. S. 272
- Müller, 2016, S. 17
- Mudde & Kaltwasser, 2017, S. 101
- Vgl. ebd. S. 7
- Vgl. ebd. S. 2
- Ebd. S. 36
- Vgl. ebd. S. 114
- Vgl. URL: https://www.bbc.com/news/election/2017/results/england
- Vgl. URL: https://www.tagesschau.de/ausland/sessel-parlament-101.html
Literatur
Ford, Robert & Goodwin, Matthew (2014): Revolt On The Right. Explaining Support For The Radical Right In Britain. London/New York: Routlegde.
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Goodwin, Matthew & Milazzo, Caitlin (2015): UKIP. inside the campaign to redraw the map of british politics. Oxford: Oxford University Press.
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