Samstag, 6. August 2022

Populismus und Popkultur

In diesem Beitrag stellt Clara Hirn folgenden Aufsatz vor:

Klingmann, Heinrich (2022): POPulismus, POPkultur und Pop-Didaktik; in: Beate Flath u.a. (Hg.): Druckwellen, Eskalationskulturen und Kultureskalationen in Pop, Gesellschaft und Politik, S. 57-74.

Heinrich Klingmann thematisiert in dem Kapitel seines Buches den Hintergrund und die Beweggründe für die Rede Campinos nach der Echo-Preisverleihung 2018, welche die Hip-Hop-Künstler Kollegah und Farid Bang gewannen. Außerdem behandelt der Autor die Unterschiede zwischen Populismus, Popkultur und Pop-Didaktik in der heutigen Kultur und die Einflüsse des (Rechts-)Populismus auf die zwei anderen Begriffe Popkultur und Pop-Didaktik.

Campino vertritt in seinem Statement zwei unterschiedliche Blickwinkel mit je anderen Aspekten. Zum einen geht es um die „Debatte um den ´Geist´“ (S. 66), wobei (neu-)rechte Aktivitäten, Interventionen und Attacken im öffentlichen Raum im Zentrum der Betrachtung stehen. Zum anderen geht es um die „Grenzen der Toleranz“ (S. 66), wobei weniger gesellschaftliche Umgangsformen als vielmehr musikalische und musikbezogene Umgangsformen aus einer popkulturellen Perspektive in den Blick genommen werden. Hierbei stellt sich die Frage: Inwiefern haben zwei so unterschiedliche kulturelle Manifestationen wie Populismus und Popkultur eine Schnittmenge bzw. Gemeinsamkeiten?

Totalitäre Systeme entstehen nicht einfach so, sie entwickeln sich stetig. Diese autoritäre Machtausübung äußert sich vor allem in Suspendierungen und Sanktionen der öffentlichen Debatte, indem sie zunehmend durch gewaltförmige „Gleichschaltung [und eine] nahezu alle und alles ergreifende soziale Kontrolle “ (S. 67) ergänzt wird. Ein Ansatzpunkt zum Erlangen einer solchen Kontrolle ist ein erzieherischer Übergriff auf die Gesinnung des Individuums.

In der Musikpädagogik beispielsweise steht hierfür eine an einem musischen Menschenbild orientierte musische Erziehung, wobei sich diese grundlegende Orientierung zur Instrumentalisierung für die Zwecke der nationalsozialistischen Diktatur eignete. Wie auch in der ganzen nationalsozialistischen Zeit war eine einzelne Person nichts mehr wert, der Mensch allein war entmündigt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte in der Musikpädagogik in Deutschland eine neumusische Phase. Theodor W. Adorno kritisiert diese sogenannte „Erziehung durch Musik zur Gemeinschaft“ (S. 68) folgendermaßen: „Der Kultus der Gemeinschaft als Selbstzweck gehört den Nationalsozialisten und Volksdemokraten russischen Stils an. Er ist wesentlich totalitär: stets schwingt in ihm die Tendenz zur Unterdrückung des Einzelnen mit. Eine wirkliche Gemeinschaft aber wäre eine von freien Menschen.“ (Adorno 1973, zit. nach S. 68).

Laut Umberto Eco ist das „Volksganze“ (S. 68) ein hermetisch geschlossenes Ganzes, das den Volkswillen mit spezifischer Qualität repräsentiert, bei welchem sich Personen gegen das Volk stellen, indem sie gegen solche Interpretationen opponieren und somit als Volksfeind*in gelten. Die Konstruktion des Volksganzes braucht klare Grenzbeziehungen, die Grenzen der (Mit-)Menschlichkeit mit sich bringen. In diesem Zusammenhang steht auch die Populismus-Definition Jan-Werner Müllers.

Vertreter des Populismus sind auch die metapolitischen Faschisten. Die Mitglieder der Identitären Bewegung in Deutschland instrumentalisieren linke Theoriebezüge und geben vor, von diesen Theorien gelernt zu haben. Sie verfolgen das Ziel der Volkskonstruktion auf zwei Weisen. Zum einen wird eine durch kulturelle Praktiken hergestellte Veränderung des gesellschaftlichen „Geistes“ im Sinne einer Normalisierung und Legitimation von Ausgrenzungen auf Grundlage rassistisch ethnischer Zuschreibungen betrieben, zum anderen nicht auf unmittelbare politische Erfolge zielende ethnische Zuschreibungen (vgl. S. 72).

Der Effekt dieser Strategie ist folgender; Man versucht, die für die pluralistischen Gesellschaften konstruktive Konsensfähigkeit unter Berufung auf die Meinungsfreiheit gleichsam zu überdehnen. Die daraus entstehende „metapolitische Botschaft“, deren „suggestiver Charakter nicht klar als solcher [erkannt wird]“, zielt damit im Kern darauf, „den allgemeinen Konsens zu zerstören“ (Benoist, zit. nach S.73).

Mit dem ´Pop` kam in den 1950er Jahren ein neues Spiel in die Welt, welches eine Initialzündung für die produktions- und rezeptionsbezogene Aneignung schwarzer Musik durch Weiße im Kontext des Rock´n´Rolls war (vgl. S. 74). Der Rock´n`Roll dient in diesem Zusammenhang als Mittel der allgemein verständlichen Benennung eines entstandenen Stilmixes, wodurch man deuten kann, dass man Pop nicht klar definieren kann. Es ist ein nicht abschließbares Projekt (vgl. S. 75).

In der musikalischen Praktik des Pop geht es nicht darum, eine in einem Werk als „embodied meaning“ enthaltende Bedeutung interpretierend darzustellen. Im Gegenteil: Es geht darum, „engendered feelings“ herzustellen, welche sich in Form von bedeutsamen Gefühlen, Interaktions- und Kooperationsprozessen äußern und die von der gemeinsamen Gestaltung des Musizierprozesses abhängt (S. 75). Vor diesem Hintergrund kann das Spiel der Neuen Rechten mit Bedeutungszu- und -umschreibungen als eine Umwidmung popkultureller Praktiken gelesen werden: Es gilt, die individuelle Freiheit abzuschaffen, das Pop-Spiel mit Un-Eindeutigkeiten zu beenden.

„Kulturkämpfe“ entfalten sich im Kontext einer Entwicklung, die dazu geführt hat, dass die Orientierung am Allgemeinen zunehmend durch eine Singularisierung abgelöst wird. Eine Singularisierung ist eine zunehmend sämtliche Lebensbereiche umfassende Kultur der Bewertung. Bei dieser Kulturalisierung wird der gegenwärtige Populismus als eine Folge aus der sich ergebenden Desintegration und des Verlusts an Gemeinsamkeiten identifiziert. Dies stellt ein Symptom der Krise des Liberalismus dar (S. 77).

In der deutschen Musikpädagogik wiederum war der Unterricht an der „Sache“ orientiert. Das bedeutet, dass die musikalische und musikbezogene „Gebrauchspraxis“ zunehmend berücksichtigt wurde. Das Statement Campinos zur Echo-Preisverleihung ist also ein Ausweis musikalischer Bildung sowie ein Ausruf der Bedrohung der musikalischen Bildung. Die Pop-Didaktik eröffnet die Möglichkeit, sich in musikalischen und musikbezogenen Tätigkeiten in einem von Heterogenität und Grenzüberschreitungen geprägten kulturellen Feld mit popkulturellen Artefakten über subjektive Ansichten zu streiten (S. 78).

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