Sonntag, 22. Mai 2022

Rassismus als Ursache für Rechtspopulismus

In diesem Beitrag stellt Hannah Holocher folgenden Aufsatz vor:

Roepert, Leo (2021): Niedergang des Eigenen, Invasion der Fremden. Zum Verhältnis von Rassismus und Rechtspopulismus; in: Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (Hrsg.): Wissen schafft Demokratie. Schwerpunkt Ursachen von Ungleichwertigkeitsideologien und Rechtsextremismus, Band 10. Jena, S. 38–49.

Roepert zeigt auf, dass in der Debatte über Ursachen des Rechtspopulismus hauptsächlich ökonomische, politische und kulturelle Erklärungsansätze vorherrschen (vgl. S. 40). Rechtspopulismus sei laut den ökonomischen Ansätzen eine Folge der Globalisierung, die eine Neigung zu mehr Unsicherheit und Verfall habe. Die politischen Ansätze hingegen sähen die Ursache im Bruch von Bürger:innen und führenden Politiker:innen. Rechtspopulismus als Gegenreaktion zur weltoffenen Umgebung beschrieben kulturelle Ansätze.

Rassismus werde als Ursache von Rechtspopulismus in der Debatte kaum behandelt, obwohl die Abneigung der Rechtspopulisten besonders Minderheiten wie Migrant:innen und Muslim:innen betreffen. Wird Rassismus in der Debatte um Rechtspopulismus angesprochen, wird er anderen Ursachen und Motiven untergeordnet. Roepert hingegen sieht Rassismus als übergreifendes Strukturprinzip, welches das rechtspopulistische Denken dominiert (vgl. S. 40).

Im ersten Teil seines Aufsatzes zeigt der Autor Probleme des Rassismusbegriffes auf. Rassismus wird fälschlicherweise nur als abwertende Haltung eines Individuums gegenüber bestimmten Gruppen verstanden. Dabei wird nicht beachtet, dass rassistische Strukturen in der ganzen Gesellschaft (in Ansichten, Einstellungen, Wissen und Institutionen) fest verankert sind (vgl. S. 41).

Weiter zeigt Roepert auf, dass Rassismus nicht nur ein abwertendes Fremdbild ist. Rassismus lässt sich in zwei historische Ausprägungen unterscheiden – in den kolonialistischen/liberalen und den völkischen Rassismus. Beim liberalen Rassismus wird die eigene Lebensart als fortschrittlich und überlegen aufgefasst, während die Lebensart anderer Kulturen als unterentwickelt und minderwertig eingestuft wird. Der völkische Rassismus hat den Grundgedanken, die eigene „Rassenqualität“ zu erhalten. Die eigene „Rasse“ soll vor den ungünstigen Einflüssen fremder „Rassen“ geschützt werden (vgl. S. 41).

Als drittes Problem wird dargelegt, dass auch Zuschreibungen, die sich nicht direkt auf die biologische Natur beziehen, rassistisch seien. Der Begriff der Kultur übernimmt immer mehr die diskriminierende Funktion des Begriffes der Natur. Rassismus ist nach Roepert also ein umfassendes Weltbild, das sich vor allem mit der Beziehung von Eigenem und Fremden sowie Natur und Kultur beschäftigt. Rassismus ist fest im gesellschaftlichen Handeln und in Institutionen verankert und bildet damit eine eigenständige Herrschaftsordnung (vgl. S. 42).

Im zweiten Teil stellt Roepert am Beispiel der Alternative für Deutschland (AfD) dar, dass Rassismus der Kern der rechtspopulistischen Denkweise ist. Rechtspopulismus beinhalte dabei besonders zwei Merkmale: Einerseits die Unterscheidung zwischen homogenem Volk und feindlicher Elite sowie die Unterscheidung zwischen dem Eigenem und dem Fremden.

Rechtspopulistische Denkweisen basieren darauf, dass die diskriminierenden Fremdzuschreibungen das Gegenteil des eigenen optimalen Selbstbildes darstellen. Das Eigene wird als modern, liberal, fortschriftlich und individuell usw. wahrgenommen, während das Fremde als veraltet, fundamentalistisch, unterentwickelt und kollektivistisch usw. angesehen wird. Das Eigene und das Fremde erscheinen als unvereinbar – das Fremde kann die Normen und Werte des Eigenen nicht erfüllen (vgl. S. 43).

Die AfD äußert sich entsprechend: Der Islam als „Träger von nicht integrierbaren kulturellen Traditionen“ könne nicht zu Deutschland gehören. Roepert sieht im Diskurs der AfD ein Muster, das er als den Gegensatz der eigenen Gesellschaft zur fremden Gemeinschaft beschreibt. Dieses Muster erkennt er als liberalen Rassismus an (vgl. S. 43).

Es wird in vielen Themenfeldern behandelt – beispielsweise sieht die AfD sich als Teil des Rechtsstaates, während Migrant:innen diesen durch Gewalt und Kriminalität gefährden würden. Weiter beschreibt die AfD Deutschlands Wirtschaft als sehr leistungsfähig. Die Fremden dagegen seien unproduktive Personen, die eine Belastung für das Sozialsystem darstellten. Zudem stelle die Neigung der Fremden, viele Kinder zu bekommen, ein Problem hinsichtlich der Verdrängung des Eigenen dar (vgl. S. 44).

Diese Äußerungen beruhen auf der rassistischen Grundlage, dass das Fremde niemals Teil des Eigenen werden kann und die Zunahme des Fremden zu einer Abnahme des Eigenen führt. Roepert beschreibt, dass auch das rechtspopulistische Selbstbild rassistisch ist. Das Eigene beinhaltet kollektiv geteilte und zeitlich stabile Eigenschaften. Es wird als Einheit und Gemeinschaft wahrgenommen, die sich im Niedergang befindet und wiederhergestellt werden muss.

Dieses Prinzip von Niedergang und Wiederherstellung wertet Roepert als völkischen Rassismus. Die AfD sieht die Globalisierung, den Feminismus, übersteigerten Individualismus sowie Migration und Multikulturalismus als Ursache für den Niedergang des Eigenen in Form geringer Souveränität, wirtschaftlicher Schwächung sowie der Bedrohung der Familie und der nationalen Identität der Deutschen. Der Niedergang des Eigenen ist aus Sicht der Rechtpopulisten vor allem auf das Wirken einer weltoffenen Gruppe von Eliten aus Politik, Wirtschaft und Medien zurückzuführen. Deren Einfluss müsse begrenzt werden, um das Eigene erhalten zu können (vgl. S. 45).

Im dritten Teil des Aufsatzes erläutert Roepert, wie der liberale und völkische Rassismus aus seiner Sicht zusammengehören. Sie erscheinen nämlich gegensätzlich. Im liberalen Rassismus wird das überlegene Eigene als Gesellschaft charakterisiert, der die Fremden als Gemeinschaft unterlegen sind. Im völkischen Rassismus wird das Eigene hingegen als Gemeinschaft angesehen, die vom Niedergang betroffen ist. Dieser wird durch die Eliten ausgelöst.

Liberaler und völkischer Rassismus hängen insofern zusammen, als beide Formen der Krisenbewältigung sind. Als Krise führt Roepert die Wirtschaftskrise ab 2007 auf. Liberale Rassisten identifizieren sich stark mit den Normen einer liberalen und kapitalistischen Gesellschaft. Bestandteile des Selbst, die nicht zu den Normen passen, werden beiseitegeschoben und auf die Fremden übertragen. Verunsicherungen durch die Krise werden durch die Stärkung des eigenen Selbstbildes ausgeräumt und die Exklusion der Fremden wird gerechtfertigt.

Im völkischen Rassismus wird die Wirtschaftskrise nicht als Problemsituation der Gesellschaft, sondern als Verfall der Gemeinschaft angesehen. Der Verfall wird durch die moderne Lebensform ausgelöst, die im liberalen Rassismus noch als überlegen angesehen wurde. Im völkischen Rassismus gelten nun die Fremden als überlegen. Im liberalen Rassismus waren sie die Untergeordneten. Die Stärke der Fremden im völkischen Rassismus bedroht das schwache Eigene (vgl. S. 46). Die Denkart der Elite lässt dabei das Erstarken der Fremden zu und stellt damit eine große Gefahr dar.

Liberaler und völkischer Rassismus formen trotz ihrer Gegensätzlichkeit ein einheitliches Ganzes. Sie sind Formen der Krisenverarbeitung. Im liberalen Rassismus wird das Eigene idealisiert und Schwächen und Krisen des Eigenen werden verharmlost oder geleugnet. Der völkische Rassismus nimmt die Krise als Verfallsbedrohung wahr. Ursache für diese Krise sind die Eliten. Um die Krise abzuwenden, müssen sie ausgebremst werden (vgl. S. 46).

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