Montag, 9. Mai 2022

Christentum und Rechtspopulismus in Deutschland, Frankreich und den USA

In diesem Beitrag stellt Jana Breimaier folgenden Aufsatz vor:

Cremer, Tobias (2021): A Religious Vaccination? How Christian Communities React to Right-Wing Populism in Germany, France and the US; in: Government and Opposition: An International Journal of Comparative Politics, 1-21, https://doi.org/10.1017/gov.2021.18.

Der Rechtspopulismus lässt sich mit allen Religionen und antireligiösen Positionen kombinieren (1). Immer öfter positionieren sich „westliche“ rechtspopulistische Bewegungen und Persönlichkeiten nach außen hin christlich. Der Artikel untersucht nun, wie christliche Gruppierungen auf diesen „Trend“ reagieren. Alltagsbeobachtungen dazu scheinen zunächst widersprüchlich: Erforschte Immunisierungseffekte gegen Rechtspopulismus bei christlichen Wählenden stehen gegen deren hohe Wählerzahlen und Unterstützung für diese Parteien und Kandidierende.

Um diesen Immunisierungseffekt systematisch zu untersuchen, betrachtet Cremer Frankreich, Deutschland und die USA als drei westliche Demokratien mit jüdisch-christlichen Wurzeln, in denen Rechtspopulismus stark an Einfluss gewonnen hat und gehäuft christliche Sprache und Symbolik verwendet. In allen drei Ländern scheinen christliche Gemeinschaften darauf unterschiedlich zu reagieren.

Hypothesen

  • Die Einstellungen und Soziodemographie der traditionell-religiösen Rechten divergieren immer mehr von denen einer neuen populistisch-säkularen Rechten.
  • Das Ausmaß dieser Divergenz ist abhängig von zwei Faktoren:
    1. Parteiensystem: Sehen Christen und Christinnen eine wählbare Alternative in einer anderen, starken Partei?
    2. Religiöse Führungspersönlichkeiten: Können diese die populistische Rechte sozial tabuisieren?

Methode

Für die Untersuchung werden empirische Quellen analysiert: Umfragedaten, quantitative Studien, offizielle Statements und Parteiprogramme. Außerdem wurden in den drei Ländern zwischen 2018 und 2020 39 semi-strukturierte Interviews geführt und qualitativ analysiert. Interviewt wurden rechtspopulistische Anführer*innen, „Mainstream“-Partei-Politiker*innen und Kirchenoberhäupter.

Ergebnisse

Religion kann Wähler*innen gegen rechtspopulistische Parteien „immunisieren“

In allen drei Ländern sieht man, dass die religiöse Rhetorik rechtspopulistischer Parteien weniger christlichen politischen Positionierungen entgegensteht. Welche Reaktionen das auslöst, unterscheidet sich von Land zu Land. Die Gesamtmenge der Daten zum Wahlverhalten von christlichen Wählern gegenüber Rechtspopulismus aus bereits vorhandener Forschung hat, oberflächlich betrachtet, eine starke Varianz. In Deutschland zeigt sich wenig Unterstützung für rechtspopulistische Parteien und Personen, in den USA eine sehr große und in Frankreich weist diese über die Zeit hinweg eine hohe Varianz auf.

Bezieht man Einstellungen und soziodemografischen Hintergrund mit ein, sieht man tatsächlich eine wachsende Divergenz: In allen drei Ländern zeigt sich eine Spaltung zwischen praktizierenden (hier: zur-Kirche-gehenden) Christ*innen und rechtspopulistischen Bewegungen, während „kulturelle“ Christ*innen mehr Sympathien für diese aufweisen. Dadurch können die anfangs genannten widersprüchlichen Beobachtungen erklärt werden und die große christliche Wählerschaft von Rechtspopulist*innen mit dem erforschten Immunisierungseffekt zusammengebracht werden.

Die Existenz und Stärke dieser Immunisierung ist stark von der Parteienlandschaft geprägt

In Ländern mit starken christlich-demokratischen Parteien sind christliche Wählende diesen oft stark verbunden und stehen rechtspopulistischen Parteien nicht zur Verfügung. So bietet die einflussreiche CDU in Deutschland eine „Partei-Heimat“ für christliche Wählende. Auch die SPD oder Bündnis 90/Die Grünen als Mitte-Links-Parteien sind nicht explizit säkular und stellen wählbare Alternativen für Christ*innen in Deutschland dar: Sie dienen als „Puffer“.

In Frankreich dagegen fehlen solche Alternativen. Durch das Prinzip der laïcité gibt es keine explizit christlich-demokratischen Parteien, und Mitte-Links-Parteien stellen für viele dortige Christ*innen aufgrund von anti-kirchlichen Tendenzen keine wählbare Alternative dar. Rechtspopulistische Kandidierende können als das „kleinere Übel“ wahrgenommen werden.

In den USA bewirkte die enge Parteibindung an die Republikanische Partei das Gegenteil zu Deutschland und erklärt Trumps starke Wahlergebnisse unter Christ*innen 2016 (positive partisanship). Gleichzeitig stellte sich die Demokratische Partei bewusst gegen den Einbezug der Religion in den Wahlkampf von Hillary Clinton und war keine wählbare Alternative (negative partisanship). Für Biden stärkte man die Kampagnen unter der Christenschaft wieder, was seine stärkeren Ergebnisse erklärt.

Außerdem beeinflusst das Verhalten der religiösen Elite den Immunisierungseffekt

Die unterschätzte Rolle christlicher Leitender und Oberhäupter wird in der Forschung vernachlässigt. Dabei können diese aufgrund ihres Einflusses Rechtspopulismus mit seinen religiösen Bezügen legitimieren oder tabuisieren. Sie sind entscheidende Faktoren für das Verständnis der unterschiedlichen christlichen Reaktionen auf den Populismus in den drei Ländern. Z.B. kreierte die in Deutschland konsequente und unmissverständliche öffentliche Ablehnung der AfD durch die Kirchen ein starkes soziales Tabu um die Wählbarkeit der Partei.

In Frankreich gab es eine solch starke Gegenposition der katholischen Kirche bei der Präsidial-Stichwahl 2002. Hier forderten die katholischen Oberhäupter die Katholiken offiziell auf, nicht für den FN-Kandidaten Jean-Marie Le Pen zu stimmen, was Wirkung zeigte. Mit der Zeit schwächte sich dieser so errichtete cordon sanitaire ab und bei den Wahlen 2017 verwies man die Christenschaft auf ihre eigene Entscheidungsfähigkeit.

In den USA waren die Religionsoberhäupter nicht gewillt bzw. nicht fähig, Trumpism gesellschaftlich zu tabuisieren. Eine vorhandene Gegenposition der christlichen Anführenden war vorhanden, diese schlug sich wegen der dezentralen Struktur der amerikanischen Religionsgemeinschaften und der Furcht vor Positionsverlust und Marginalisierung nicht in derselben religiösen Immunität nieder wie in Deutschland oder Frankreich.

Fazit

Insgesamt stellen diese Ergebnisse die traditionelle Annahme über die Verbindung von konservativem Christentum und populistischer Rechten in Frage. Sie legen nahe, dass die neue Welle des Rechtspopulismus mit Säkularisierungsprozessen einhergeht. Es zeigt sich, dass Religiosität ein wirksamer „Impfstoff“ gegen populistische Positionen sein kann, jedoch immer unter Berücksichtigung der politischen und religiösen Eliten.

Im breiteren Kontext unterstreichen die Ergebnisse die Rolle verschiedener Faktoren auf Wahlverhalten. Nicht allein die ideologische Übereinstimmung zwischen Wählenden und Partei übt einen Einfluss darauf aus, sondern auch die Rolle des Gesamt-Parteiensystems, die Verfügbarkeit von Parteialternativen und das Verhalten anderer Elitenakteur*innen. So liefern die Ergebnisse einen Beleg dafür, dass Unterschiede in Wahlergebnissen kein Indikator für signifikante Veränderungen auf der politischen Angebots- oder Nachfrageseite sein müssen.

(1) vgl. Mudde, Cas (2021). Rechtsaußen. Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit. Bonn, bpb Bundeszentrale für politische Bildung, S. 61.

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