Sonntag, 27. März 2022

Colin Crouch: "nostalgischer Pessimismus"

Ein Beitrag von Katharina Lander

Populistische Bewegungen haben in den letzten Jahren in Europa und den USA einen rasanten Aufstieg erlebt. Sie alle werfen der Demokratie vor, von Eliten missbraucht zu werden und dem Volk entfremdet zu sein. Besonders die Bewegungen des rechten Spektrums sind davon geprägt, einer romantisierten vergangenen Zeit nachzutrauern und mit Furcht und Skepsis in die Zukunft zu blicken. Dieses Phänomen beschreibt Colin Crouch in seinem Buch „Postdemokratie revisited“ (Suhrkamp 2021) als nostalgischen Pessimismus und bringt damit eine interessante Spezifizierung in den Fachjargon ein.

Nach Crouch sind nostalgische Pessimisten davon überzeugt, dass die Welt ein kleiner werdender Raum ist, in dem ihnen ihr Platz schrittweise streitig gemacht wird. Hierbei mischen sich in ihren Köpfen Bilder einer "guten alten Zeit" mit einer sich rasant ändernden, aus ihrem Blickwinkel negativen und ungewissen Zukunft. Das Zusammenspiel dieser Phänomene schürt Ängste und weckt einen Instinkt des Beschützens des Ist-Zustands beziehungsweise darüber hinaus des Wiederherstellens vergangener Verhältnisse. Hierbei fühlen sich die nostalgischen Pessimisten politisch immer weniger repräsentiert.

„Da die Parteien des Mainstreams nostalgischen Regungen keinen Platz einräumen und lieber für stete Veränderung und das werben, was sie jeweils für Fortschritt halten, füllen die neuen konservativen Bewegungen eine Marktlücke, indem sie - historisch zumeist fragwürdige – Bilder einer goldenen Vergangenheit heraufbeschwören und vor einer drohenden Invasion warnen, die „unsere“ heile Welt zerstören werde.“ (Crouch, S. 136)

Daher fühlen sich nostalgische Pessimisten oft zu rechtspopulistischen Parteien hingezogen und nur von ihnen vertreten. Nostalgie und Pessimismus sind wichtige Merkmale von Wählerinnen und Wählern rechter Parteien, welche fremdenfeindlich für die Ausgrenzung, Abweisung und Anfeindung von Ausländern in jeglicher Hinsicht stehen. Die „Übernahme“ ihrer Kultur muss verhindert werden, damit „das echte Volk“ in einer scheinbar immer kleiner werdenden Welt genug Raum hat und nicht von anderen Ethnien verdrängt wird. Dieses Feindbild vereint mit dem Weltbild, dass die eigene Existenz aufgrund der Globalisierung bedroht ist, die als Ursache des Niedergangs der alten Industrien angesehen wird, vereint die nostalgischen Pessimisten mit den Rechtspopulisten.

Nach Ansicht nostalgischer Pessimisten müssen alle internationalen Kooperationen abgebrochen und alte Berufsbilder und Branchen bewahrt werden. Der nostalgische Pessimismus geht noch weiter. Das Industriezeitalter wird als eine Zeit glorifiziert, in der Männer die wichtige Funktion des Familienernährers innehatten und daher einen bedeutsamen gesellschaftlichen Stellenwert einnahmen, bevor die Rolle der Frauen immer wichtiger wurde. In dieser sich nun postindustriell ändernden Gegenwart empfinden nostalgische Pessimisten eine tiefe Abneigung gegenüber dem Vordringen von Frauen in die Öffentlichkeit und ins Berufsleben, vor allem in den Dienstleistungsbereichen, in die viele Arbeitsplätze der Industrie abgewandert sind.

Dieser Prozess wird unter anderem als Ursache für den Niedergang der damaligen, besseren Verhältnisse angesehen. Dem folgend werden traditionelle und konservative Geschlechterrollen und die Heteronormativität zurückgefordert, Homosexualität abgelehnt und jegliche Debatte über selbstbewusste, unabhängige, moderne Frauen, neue Geschlechterrollen und Werte, die mit Gender in Zusammenhang stehen, abgelehnt.

Moderne Frauen destabilisieren die vertrauten Verhältnisse der pessimistischen Nostalgiker. Im Extremfall führt dies bis hin zur Gewalt gegen Frauen, in früheren Stadien zeigt es sich in Frauenhass, der ebenso ein Element des nostalgischen Pessimismus ist. Besonders der immer mehr Zuspruch gewinnende Feminismus wird zum Sündenbock und Feindbild verbalisiert und für jegliche Probleme verantwortlich gemacht.

„Die Wut von Pessimisten ist nicht mit der von Menschen vergleichbar, die glauben, dass irgendjemand ihre Zukunftschancen verbaut. Sie ist notwendig defensiv, ausgrenzend, potenziell lebensverneinend und neigt daher zu gewalttätigen Ausdrucksformen.“ (Crouch, S. 144)

Nostalgische Pessimisten trauern um ihre verlorene Gemeinschaft weißer Männer und hegen in diesem Zusammenhang auch Feindseligkeiten gegenüber Immigranten und ethnischen Minderheiten. Sie sind überzeugt, dass alles Fremde die Welt schlechter macht und man dies nur verhindern kann, indem man ihm keine Macht gibt, indem man nicht mit Fremden teilt und das behält, schützt und notfalls verteidigt, was man hat. Wenn dies nicht gelingt, wird man abgehängt und kommt nicht mehr in die gute alte Zeit zurück. Interessanterweise beschreibt Crouch in seinem Buch, dass nicht nur Rechtspopulisten zum nostalgischen Pessimismus tendieren, sondern auch Islamisten.

„Sowohl die radikalen Islamisten als auch die Anführer der äußersten Rechten im Westen behaupten, dass sie Optimisten seien und auf eine Rückkehr zu den alten Werten hinarbeiteten. Aber die Zukunft , der sie entgegensehen, ist von der Sehnsucht nach der Vergangenheit geprägt, einem besseren Gestern, in das sie zurückkehren wollen.“ (Crouch, S. 145)

Dieses bessere Gestern kann mit dem Begriff heartland beschrieben werden, die zentrale Region eines Landes oder eines Kontinents, rekonstruiert aus dem Gefühl einer besseren Vergangenheit, die nicht rational begriffen, sondern emotional empfunden wird. Es verkörpert die "gute alte Zeit". Das heartland ist das Ziel und die Quelle aller Dinge, die herbeigesehnt werden. In dieses Bild passt das Misstrauen gegenüber Andersdenkenden, z.B. religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten, ferner eine starke Tendenz zum Isolationismus.

Alle Menschen auf der ganzen Welt sind aktuell von sehr realen Unsicherheiten bedrängt, nicht zuletzt als Folge der Corona-Pandemie. Probleme werden verursacht durch (angeblichen) Machtmissbrauch, verlorenes Vertrauen, durch Korruption und fehlende politische Kontrolle, durch das Nicht-mehr-mitkommen und Keine-Alternativen-haben. Menschen fühlen sich nicht mehr zugehörig, abgehängt, ungerecht behandelt und oftmals ausgeschlossen. Diese Gefühle spiegeln sich bei vielen Menschen in fast allen Demokratien auf der ganzen Welt wider, und sie können sehr leicht den Weg zum nostalgischen Pessimismus ebnen.

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