Sonntag, 14. August 2016

Brexit, Migration und Globalisierung

Ausgehend vom Brexit-Referendum und Erklärungen für dessen Ausgang versucht Alexander Betts, ein Experte für Migrationspolitik, diese Erkenntnisse in einen größeren Kontext einzuordnen. Dieser Kontext ist unmittelbar relevant für die Thematik dieses Blogs, den Populismus, dessen Ursachen und mögliche Gegenstrategien:
"We are embarrassingly unaware of how divided our societies are, and Brexit grew out of a deep, unexamined divide between those that fear globalization and those that embrace it, says social scientist Alexander Betts. How do we now address that fear as well as growing disillusionment with the political establishment, while refusing to give in to xenophobia and nationalism? Join Betts as he discusses four post-Brexit steps toward a more inclusive world."

Donnerstag, 11. August 2016

Angry White Men - Rechtspopulismus in den USA

Marc Nozell, Attendees at Trump rally Nashua 2015, CC BY 2.0
Donald Trump verstehen zu wollen, scheint mir ein aussichtsloses Unterfangen zu sein. Das gilt aber nicht für die Erklärung seines Erfolgs und die Analyse seiner Anhängerschaft, der angry white men. Über diese hat der Soziologe Michael Kimmel bereits 2013, also vor der "Ära Trump", ein beeindruckendes Psycho- und Soziogramm verfasst mit dem Titel "Angry White Men. American Masculinity at the End of an Era", das 2015 in deutscher Übersetzung erschienen (Orell Füssli Verlag) und nun auch als Lizenzausgabe bei der Bundeszentrale für politische Bildung erhältlich ist.

Der (nichtssagende) deutsche Untertitel "Die USA und ihre zornigen Männer" unterschlägt leider eine entscheidende Komponente des Buches, nämlich die Analyse der Krise (des Ideals) der Männlichkeit in den USA - einem Thema, dem der Geschlechterforscher Kimmel bereits mehrere Bücher gewidmet hat und ohne das der Zorn der weißen Männer nicht erklärt werden kann.

Insofern stellt die Tatsache, dass ausgerechnet Trump als Sprachrohr der angry white men gegen eine Frau und geradezu idealtypische Vertreterin des Establishments, Hillary Clinton, im Präsidentschaftswahlkampf antritt, die größtmögliche Zuspitzung dar. Vor diesem Hintergrund sind dann auch Trumps Andeutungen zur (Waffen-)Gewalt gegen Clinton oder Rufe der Anhänger bei Wahlkampfveranstaltungen Trumps zu sehen ("kill the bitch").

Woher kommt dieser Zorn, der sich in solchen und ähnlichen Äußerungen und Taten Bahn bricht? Das ist die entscheidende Frage, auf die das Buch sehr vielschichtige und erhellende Antworten gibt. Will man diese Antworten in einem Satz zusammenfassen, dann käme der folgende in Frage (S. 39):
"Es ist dieses Gefühl, nicht zu bekommen, was einem angeblich zusteht, das ich als 'kränkende Enteignung' bezeichne und das meiner Ansicht nach für die neue Art zorniger weißer Männer in Amerika kennzeichnend ist."
Nahezu prophetisch erscheint heute, was Kimmel über die mobilisierende Wirkung dieses Zorns schreibt (S. 42):
"Der Zorn über eine kränkende Enteignung kann politisch mobilisierend wirken. Doch diese Mobilisierung ist oft nicht zukunftsorientiert, sondern rückwärtsgewandt, weil sie das Verlorene wiederherstellen will. Dies führt unweigerlich zu einer verzerrten Sicht der Dinge und zu einem fehlgeleiteten Zorn, der oft sozial schwächere Gruppen trifft, weil diese nach Ansicht des Gekränkten bekommen, was er verdient hätte."

Samstag, 6. August 2016

Warum Populisten die "Lügenpresse" brauchen

Opposition24.de, Pegida Banner, Lügenpresse Banner, CC BY 2.0
Kurz gesagt benötigen Populisten den Vorwurf von der "Lügenpresse" (oder auch "Systempresse") sowie verwandte Verschwörungstheorien ("schweigende Mehrheit" etc.) aus logischen Gründen. Beispielhaft sei auf die Argumentation von Jan-Werner Müller hingewiesen, der in seinem an dieser Stelle bereits mehrfach hervorgehobenen Essay "Was ist Populismus?" (Suhrkamp & bpb) schreibt:
"Meine These lautet, dass Kritik an Eliten ein notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für die Bestimmung von Populismus ist. Mit anderen Worten: 'Anti-Establishment-Attitüde' greift zu kurz. Zum Anti-Elitären muss noch das Anti-Pluralistische hinzukommen. Was ich als den Kernanspruch aller Populisten bezeichnen möchte, lautet stets ungefähr so: 'Wir - und nur wir - repräsentieren das wahre Volk'." (S. 26)
Und damit kommen wir zum zentralen Problem der "inneren Logik" des Populismus: Wie lässt sich erklären, dass man zwar den "einheitlichen Volkswillen" repräsentiert, aber bei Wahlen nicht nur keine Mehrheit bekommt, sondern sich mit beschämenden Bruchteilen zufriedengeben muss!? Hier kommt nun neben anderen Verschwörungstheorien die "Lügenpresse" als Lösungsversuch ins Spiel. Die Rolle von Wahlen wird nicht anerkannt, neben dem empirischen gibt es für Populisten ein "moralisches" Wahlergebnis. Dazu wieder Müller:
"In der Demokratie darf prinzipiell jeder für sich reklamieren, eine bestimmte Gruppe zu repräsentieren (beispielsweise indem er eine Partei gründet), dafür muss sich aber auch jeder dem einzigen 'Volksurteil' beugen, das sich wirklich empirisch nachweisen lässt: dem Wahlausgang." (S. 63)
Genau das tut der Populist nicht. So hat beispielsweise Viktor Orbán nach einer Wahlschlappe gesagt, die Nation könne nicht in der Opposition sein. Noch einmal Müller:
"Die Stimmanteile entscheiden darüber, wer die Bürger repräsentiert (...). Das mag wie eine Banalität klingen, ist aber von entscheidender Bedeutung in Auseinandersetzungen mit Populisten, die behaupten, den Willen des Volkes zu repräsentieren und zu vollstrecken - in Wirklichkeit jedoch eine symbolische Repräsentation des angeblich 'wahren Volkes' instrumentalisieren, um demokratische Institutionen, die dummerweise nicht von Populisten dominiert werden, zu diskreditieren." (S. 19)
Dass die "Lügenpresse" in dieser Argumentation nicht einen Faktor unter mehreren bildet, sondern eine zentrale Rolle spielt, darauf macht John David Seidler in dem kürzlich erschienenen und äußerst lesenswerten Aufsatz "LÜGENPRESSE! Medien als Gegenstand von Verschwörungstheorien" (APuZ 30-32/2016, S. 41-46) aufmerksam:
"Die kritische Rede über Medien impliziert somit ein großes Versprechen: Deutungshoheit. Und zwar nicht bloß über die Medien, sondern über alle Gegenstände, über die Medien berichten. Entsprechend sind "die Medien" für die Rekrutierung und Mobilisierung von Protestbewegungen ein ausgesprochen naheliegender und in einzigartiger Weise universeller Deutungsgegenstand. Er ist (...) für breite Bevölkerungsgruppen anschlussfähig. Welches Problem auch immer beklagt wird – die Rolle der Medien ist dabei immer von Interesse, sofern sie aus Perspektive der Bewegungsakteure typischerweise "falsch" oder zumindest unzureichend über das Problem informieren. (...) Angesichts der Universalität des Deutungsgegenstands Medien, der als Quelle unseres Wissens ja praktisch alle anderen Deutungsgegenstände fundamental betrifft, hat er eine übergeordnete Funktion, die ihn von allen anderen Gegenständen unterscheidet. In diesem Sinne lässt sich pauschale Medienkritik, die "Manipulation" und "Täuschung" eines "betrogenen Volkes" unterstellt, als master frame zur Rekrutierung und Mobilisierung politischer Protestbewegungen bis hin zur Bildung politischer Parteien begreifen. Die radikalste Form dieses Deutungsrahmens, die "Medienverschwörungstheorie", kann deshalb für politische Bewegungen und Organisationen bereits das eigentliche Kernthema ihrer öffentlichen Kommunikation bilden, mit dem sie erfolgreich ihre Anhängerschaft rekrutieren und mobilisieren." (S. 42)

Mittwoch, 3. August 2016

Jan-Werner Müllers Essay "Was ist Populismus?" bei der bpb

Den an dieser Stelle schon mehrfach erwähnten und empfohlenen Essay "Was ist Populismus?" von Jan-Werner Müller kann (und sollte) man sich ab sofort bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellen (Kosten: 4,50 €): http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/politische-grundfragen/231263/was-ist-populismus