Dienstag, 15. Juli 2025

Der Niedergang der Volksparteien: Neue Dynamiken entstehen

Die Parteienstruktur in Deutschland hat sich seit der Gründung der Bundesrepublik stark verändert. Mit dem langsamen, aber stetigen Niedergang der Volksparteien CDU und SPD ist ein Vakuum entstanden, das heute von einer Vielzahl neuer Parteien gefüllt wird. Aktuell sind vor allem jene Parteien erfolgreich in der Wählergewinnung, die sich bewusst und deutlich von den bisher regierenden Parteien abgrenzen. Dies zeigt sich in völlig neuen Koalitionskonstellationen, einer veränderten Debattenkultur und nicht zuletzt in neuen Wahldynamiken bei Bundestags- und Landtagswahlen.

Als es noch Volksparteien gab 

Nach den schrecklichen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und einer anschließenden Phase der Unsicherheit, Armut und des Hungers begann mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland ein neues politisches Zeitalter. Man knüpfte gedanklich an Ideen aus der Weimarer Republik an, verfeinerte diese jedoch – auch unter dem Einfluss der westlichen Besatzungsmächte – zu einem föderalen Staatsaufbau. Ebenso galt die Bildung breit aufgestellter Parteien, insbesondere der CDU und SPD, als eine mögliche Lehre aus der Fragmentierung des Parteiensystems in Weimar.

Die Umstände ab 1949 begünstigten die Herausbildung dieser beiden Volksparteien. Zum einen herrschte durch die deutsche Teilung in Westdeutschland eine vergleichsweise homogene Gesellschaft, da die ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger schon vor dem Dritten Reich tendenziell eher die KPD wählten und gesellschaftlich andere Prägungen aufwiesen (vgl. Koß 2025, S. 29). Zum anderen wirkten die Erfahrungen des Nationalsozialismus und der Systemwettbewerb zwischen Ost und West politisch mäßigend (vgl. Koß 2025, S. 30).

Bis in die frühen 2000er-Jahre vereinten CDU und SPD gemeinsam deutlich über die Hälfte der Wählerstimmen auf sich. Doch ein Rückgang war bereits bis zur Wahl 2002 erkennbar: Während sie Anfang der 1970er-Jahre noch 90,7 % der Stimmen auf sich vereinten, waren es 2002 nur noch 69,4 % (vgl. Jun 2025, S. 12). Seitdem hat sich dieser Abwärtstrend beschleunigt – bei der Bundestagswahl 2025 war lange unklar, ob CDU und SPD gemeinsam überhaupt noch eine Sitzmehrheit erreichen würden. Von einer absoluten Mehrheit ist inzwischen keine Rede mehr.

Was uns hierher brachte: die Fragmentierung 

Ein wesentlicher Grund für den langsamen, aber stetigen Bedeutungsverlust der Volksparteien ist die zunehmende Fragmentierung des Parteiensystems. Immer mehr Parteien treten auf, die sich unterschiedlich, teils diffus positionieren. Gleichzeitig brechen die traditionellen Wählerinnenschaften weg. Während die CDU in der Bonner Republik vor allem in traditionsbewussten Milieus, bei Selbstständigen und Arbeitgebern ihre Stammwählerschaft hatte, sprach die SPD vor allem Arbeiterinnen und Gewerkschaftsmitglieder an (vgl. Koß 2025, S. 30).

Seit den 1980er-Jahren sind mit den Grünen, später der Linken, der AfD und dem BSW weitere relevante Parteien in den politischen Wettbewerb eingetreten. Die Folge: Die ehemals großen Volksparteien verlieren den Rückhalt in ihren Stamm-Milieus – wie zuletzt deutlich bei der SPD.

Nicht nur das: Die Zahl potenziell im Bundestag vertretener Parteien schwankte kurz vor der Wahl 2025 zwischen vier (CDU, AfD, SPD, Grüne) und sieben (inkl. Linke, BSW und FDP als Wackelkandidaten). Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Koalitionsmöglichkeiten und erschwert die Regierungsbildung. Auch die parlamentarische Arbeit selbst wird dadurch unberechenbarer.

Brandbeschleuniger: Polarisierung 

Zunehmend offensichtlich ist auch: Die politische Kultur verändert sich durch eine wachsende Polarisierung. Politische Unterschiede werden emotional aufgeladen und stark betont – meist mit dem Ziel, sich vom etablierten politischen „Establishment“ abzugrenzen (vgl. Jun 2025, S. 14). Die AfD scheint diese Strategie besonders wirkungsvoll zu nutzen, doch auch die Linke gewinnt in dieser Hinsicht an Boden.

Eine zentrale Rolle spielen dabei Soziale Medien: Als kostengünstige Möglichkeit zur direkten Ansprache von Wählerinnen und Wählern fördern sie durch kurze, emotionalisierte Inhalte die Verbreitung populistischer Botschaften. Um im Algorithmus sichtbar zu bleiben, werden Debatten oft stark vereinfacht – mit gravierenden Folgen für die politische Auseinandersetzung (vgl. Jun 2025, S. 14).

Wir erleben diesen Wandel auch an uns selbst: Lange, differenzierte Erklärungen langweilen schnell. Bereits nach zwanzig Sekunden erwarten viele Nutzer*innen einen Unterhaltungs- oder Skandaleffekt – bleibt dieser aus, gerät der Inhalt rasch in Vergessenheit. Für die politische Kultur ist das verheerend.

Was an die Stelle tritt: neue Parteien...

Es dominieren zunehmend populistische Inhalte, vereinfachte Sprache und ein scharfes Freund-Feind-Schema. Parteien wie die AfD, aber auch das BSW, setzen bewusst auf Abgrenzung von den politischen Eliten. Herausforderer-Parteien wachsen daher derzeit besonders schnell (vgl. Jun 2025, S. 15f.).

Zehn Jahre nach ihrer Gründung ist die AfD zweitstärkste Kraft im Bund und in Thüringen sogar mit Abstand stärkste Partei. Das BSW verfehlte zwar auf Bundesebene die Fünf-Prozent-Hürde, erzielte jedoch beachtliche Erfolge: In zwei Bundesländern übernahm es Regierungsverantwortung und spielt besonders in Ostdeutschland eine wachsende Rolle. Gleichzeitig werden SPD, Grüne und FDP dort zunehmend marginalisiert – Letztere sind mancherorts gar nicht mehr in Landesparlamenten vertreten

...und institutionelle Experimente

Neben neuen Parteien entstehen auch neue Beteiligungsformen, um der zunehmenden Polarisierung und dem Gefühl politischer Entfremdung entgegenzuwirken. Bürger*innenräte finden dabei wachsende Beachtung. Ihr Ziel ist es, mehr Partizipation zu ermöglichen und Repräsentationsdefizite zu verringern (vgl. Müller 2025, S. 7).

Allerdings gibt es Herausforderungen: Bürger*innenräte leiden unter einem Legitimitätsdefizit, da sie nicht gewählt, sondern aus einem repräsentativen Querschnitt berufen werden (vgl. Müller 2025, S. 7). Die angestrebte Repräsentativität wird damit teuer erkauft. Zudem fällt es den Ratsmitgliedern oft schwer, verbindliche Forderungen zu formulieren – sei es aus Unsicherheit oder wegen ihres lediglich beratenden Charakters. Die Politik kann sich dadurch relativ leicht über ihre Empfehlungen hinwegsetzen (vgl. Müller 2025, S. 7f.)

Literaturverzeichnis 

  • Jun, Uwe (2025): Das Parteiensystem zwischen Fragmentierung und Polarisierung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Parteiendemokratie, Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung 75 (27-28), S. 10 – 17.
  • Koß, Michael (2025): Abschied von den Allerweltsparteien? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Parteiendemokratie, Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung 75 (27-28), S. 26 – 31.
  • Müller, Jan-Werner (2025): Ende der Parteiendemokratie? In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Parteiendemokratie, Zeitschrift der Bundeszentrale für politische Bildung 75 (27-28), S. 4 – 9.

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