Mittwoch, 18. Juni 2025

Rechtspopulismus in Ungarn - Transnationale rechte Netze in Budapest

Budapest Calling - Das neue Zentrum des Autoritarismus? 

Was sich im Februar und Mai 2025 in Budapest zutrug, ist mehr als eine diplomatische Randnotiz am Rande eines Wahljahres. Es ist ein tektonisches Signal: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán empfängt AfD-Co-Chefin Alice Weidel wie eine Staatsfrau. Ein Schulterschluss, orchestriert auf der CPAC Hungary, jenem rechtskonservativen Gipfel der Wohlfühl-Reaktionäre, der mittlerweile wie eine globalisierte Echokammer des Populismus funktioniert. Orbán bezeichnete sie dabei öffentlich als „die Zukunft Deutschlands“ (Reuters, 2025). Was auf der Bühne als „Verteidigung der westlichen Zivilisation“ verkauft wird, ist in Wahrheit ein konzertierter Angriff auf das Fundament der liberalen Demokratien Europas.

Orbáns Ungarn hat sich über ein Jahrzehnt hinweg zur Blaupause der illiberalen Demokratie (ein Begriff, den Orbán selbst mit perfider Offenheit geprägt hat) transformiert – systematisch, strategisch und mit populistischer Raffinesse. Schritt für Schritt wurden Justiz, Medien, Universitäten und NGOs entmachtet oder gleichgeschaltet, demokratische Strukturen formal erhalten, aber funktional entkernt (bpb, 2024). Die EU verhandelt seit Jahren unter Artikel 7 wegen Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit – doch Orbán nutzt genau das zur Selbstinszenierung als „Freiheitskämpfer gegen Brüssel“ (Zeit, 2024).

Dass nun eine deutsche Oppositionspolitikerin – ihres Zeichens Teil einer Partei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird – demonstrativ den illiberalen Despoten hofiert, markiert eine neue Eskalationsstufe in der Normalisierung antidemokratischer Ideologien. Weidels Besuch bei Orbán ist keine Laune des Wahlkampfs, sondern Ausdruck eines ideologischen Schulterschlusses zwischen zwei politischen Projekten: jenem des identitär gewendeten Nationalstaats und jenem des ressentimentgeladenen Postliberalismus. Beide eint ein elitenfeindlicher Diskurs, der sich wahlweise gegen „Brüssel“, „Gender-Ideologen“, „Migranten“ oder „transatlantische NGO-Netzwerke“ richtet. In dieser paranoiden Ideologiearchitektur ist kein Platz für Komplexität, Ambiguitätstoleranz oder deliberative Willensbildung. Stattdessen: Mythen. Ersatzreligion. Nationalpathos (bpb, 2024).

Der Populismus fungiert hier nicht als Korrektiv, sondern als Destabilisierungsformel für liberale Ordnungen. Weidels explizites Lob für Orbáns Regierung – deren Erfolge angeblich in der „Verteidigung traditioneller Werte“ und „Souveränität“ bestehen – verschleiert die zentralen Realitäten: die systematische Aushöhlung demokratischer Kontrolle, die Umverteilung öffentlicher Güter an oligarchische Netzwerke (crony capitalism), die Ausschaltung freier Medien und der Umbau des Bildungswesens zu einem Werkzeug ideologischer Indoktrination. Dass Weidel in diesem System ein „Leuchtfeuer der Freiheit“ erkennt, ist nichts weniger als eine Pervertierung des freiheitlichen Begriffs (bpb, 2024).

Was in Budapest inszeniert wird, ist nicht bloß ein Treffen zweier Gleichgesinnter, sondern ein Knotenpunkt in einem transnationalen Netz rechter Gegenmoderne. CPAC fungiert dabei als institutionalisierte Plattform zur Koordinierung autoritärer Narrative: USA, Ungarn, Italien, Frankreich, Österreich, Deutschland. Die Teilnehmer sprechen unterschiedliche Sprachen, doch sie träumen denselben Traum: die Rückkehr zur imaginierten Homogenität, zur ethnisch-kulturellen Geschlossenheit, zur patriarchal-nationalen Reinform der Gesellschaft. Das ist keine konservative Politik mehr – das ist Reaktionismus mit globaler Agenda (Tagesschau, 2025).

Aus demokratietheoretischer Perspektive stellt diese Allianz eine Delegitimierungswelle dar: der politische Mainstream wird pathologisiert, das Vertrauen in Institutionen systematisch untergraben, Fakten werden durch affektive Erzählungen ersetzt – ein „epistemischer Staatsstreich“ (Chantal Mouffe). In dieser Gemengelage fungiert Orbán nicht mehr als ungarischer Ministerpräsident, sondern als Avantgardist eines autoritären Internationalismus. Und Weidel? Als deutsche Agentin dieses Projekts, das die parlamentarische Demokratie nicht mehr reformieren, sondern überwinden will.

Die Folgen für die politische Kultur in Deutschland sind dramatisch. Der Besuch Weidels in Ungarn entlarvt endgültig die rhetorischen Nebelkerzen vom „bürgerlichen Flügel“ der AfD. Es geht nicht mehr um Protest, sondern um politische Macht durch Systemverachtung. Wer Orbán hofiert, hofiert ein Modell, das Pressefreiheit, Pluralismus und Minderheitenschutz als „liberale Dekadenz“ verunglimpft. Was hier auf dem Spiel steht, ist die Integrität der offenen Gesellschaft. Liberal-demokratische Akteure müssen diesen geopolitischen Kulturkampf als das erkennen, was er ist: ein Angriff auf das demokratische Projekt Europas von innen. Es braucht keine Panikmache, sondern eine strategische Antwort: politische Bildung, normativer Selbstbehauptungswille, institutionelle Resilienz. Der naive Glaube, Rechtspopulismus werde sich von allein entzaubern, ist der größte Verbündete seiner Machtübernahme.

Ungarn ist nicht fern. Es ist das Versuchslabor dessen, was auch Deutschland blühen könnte, wenn das demokratische Immunsystem weiterhin schläfrig bleibt. Orbán empfängt Weidel nicht trotz ihrer AfD-Mitgliedschaft, sondern gerade deshalb. Er sieht in ihr eine Verbündete im Projekt der postliberalen Revanche. Und wenn die Lehre der Geschichte eines zeigt, dann dies: Demokratie stirbt nicht mit einem Knall, sondern mit einem Applaus – bei der CPAC, zwischen Selbstinszenierung und Messianismus.

Literatur

  • Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). (2024). Make Hungary Great Again? https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/553473/make-hungary-great-again/
  • Zeit Online. (2024). Europäische Union: Ungarn – Demokratieabbau unter Viktor Orbán, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/europaeische-union-ungarn-demokratie-viktor-orban-komplettansicht
  • AP News. (2025). Hungary’s Orbán meets head of far-right German party AfD, calling her “the future of Germany”, https://apnews.com/article/4ef8646f5fcf11bb0f8a12d9fcb09461
  • Reuters. (2025). Hungary’s Orbán says ascendant far-right is Germany’s future, https://www.reuters.com/world/europe/hungarys-orban-says-us-funding-ngos-media-must-be-revealed-2025-02-07/
  • Tagesschau.de. (2025). CPAC in Ungarn: Die internationale Vernetzung der Rechten, https://www.tagesschau.de/ausland/europa/afd-cpac-ungarn-100.html

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