Sonntag, 18. August 2019

Der Versuch einer Entdiabolisierung des Front National unter Marine Le Pen

„Für viele Franzosen ist sie die Tochter des Teufels – für zahllose Rechtspopulisten und Rechtsradikale in Frankreich und Europa eine Ikone“ (Kuchenbecker 2017: S. 9). Die Rede ist von keiner anderen als Marine Le Pen, einer der wohl umstrittensten Frauen in Frankreich und Europa. Die Parteichefin des Rassemblement National, früher bekannt als Front National, erlebt mit ihrer rechtspopulistischen Partei wachsenden Zuspruch.

Damit steht sie aber nicht allein in Europa. „Frei nach Marx könnte man sagen: Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Populismus“ (Hillebrand 2017: S. 7). Immer mehr rechtspopulistische Bewegungen etablieren sich in der Wählerschicht. Die Demokratie scheint für viele Bürger nicht mehr das gewünschte Maß an Volkswillen und Repräsentativität zu bieten, die Kluft zwischen den scheinbar korrupten Eliten und dem Volk wächst. In dieser Zeit finden die Parolen rechtpopulistischer Parteien großen Zuspruch.

Neue politische und gesellschaftliche Konfliktlinien, vor allem soziokulturelle Themen, erhielten durch die zunehmende Migration nach Europa steigende Bedeutung. Das Versprechen nach Bewahrung der nationalen Souveränität und der kulturellen Identität scheint vielen Wählerinnen und Wählern neue Hoffnung zu geben. In Frankreich ist es Marine Le Pen, die den Bürgern verspricht, die verlorengegangene Ordnung wiederherzustellen (vgl. Kuchenbecker 2017: S. 132).

Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2012 der IPSOS-Logica (int. Marktforschungsunternehmen) stimmten 67% der Wähler Le Pens für sie, „weil sie sich den Sorgen ihrer Wähler annimmt“ (Camus 2014: S. 7). Nach Tanja Kuchenbecker aber ist der Erfolg von Marine Le Pen „eine Warnung – für ganz Europa“ (Kuchenbecker 2017: S. 14). Mit ihr an der Spitze sollte der Front National weiter in die politische Mitte gerückt werden.

Ihre Ziele waren klar: Sie wollte nach der Übernahme des Parteivorsitzes die Partei entdiabolisieren – sich abwenden von alten politischen Stilen und Lastern, hin zu Akzeptanz in der bürgerlichen Wählerschicht. Die Befreiung von rechtsradikalem Gedankengut, welches unter der Führung ihres Vaters Jean-Marie Le Pen verbreitet wurde. Inwieweit ihr das gelungen ist und wie sich der Rassemblement National heute von dem früheren Front National unterscheidet, soll in dieser Seminararbeit untersucht werden.

Dabei möchte ich zunächst auf die Anfänge der Partei eingehen, bevor die Modernisierung durch den Eintritt von Marine Le Pen zum Thema wird. Im weiteren Verlauf gehe ich dann auf die Operation Entdiabolisierung, die Umstrukturierung des Parteiprogramms, die Rhetorik Marine Le Pens ein und stelle die Erfolge dieser Strategie dar. Abschließend wird der Erfolg kritisch betrachtet.


Der frühere FN

Der Rassemblement National ist derzeit die erfolgreichste rechte Partei Frankreichs. Im Jahr 1972 wurde sie als Front National von Jean-Marie Le Pen im Rahmen der Bewegung des Ordre Nouveau gegründet. Jean-Marie Le Pen erkannte den Raum für eine Rechtsaußen-Partei im politischen System Frankreichs und vereinte ehemalige Nazi-Kollaborateure, Widerstandskämpfer, Veteranen aus dem Algerienkrieg und Vertreter verschiedener rechter Splittergruppen. Mit der Gründung gelang es, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs marginalisierte extreme Rechte wieder in die politische Arena zu rücken.

Allerdings dauerte es eine Weile, bis sich der Front National in der Wählerschicht und in der Gesellschaft etablieren konnte. Erst 1981, durch die Wahl des Sozialisten François Mitterand zum Präsidenten, konnte der FN aufsteigen und gedeihen. Den ersten Wahlerfolg brachte die Europawahl 1984 mit sich. Der Front National konnte erstmals in das Europaparlament einziehen und wurde schrittweise eine eigenständige Kraft im französischen Parteiensystem (vgl. Brinkmann/Panreck 2019: S. 294). Im Rahmen der Wirtschaftspolitik Mitterrands wurden neue Industrieregionen erbaut, in welchen der FN vor allem Stimmen verzeichnen konnte. Diese Regionen waren stark geprägt von Einwanderung und sozialen Spannungen (vgl. Kempin 2017). Seit dem erstmaligen Erfolg 1984 konnte der FN in weiteren Wahlen immer mehr als 10% erreichen, lediglich die Parlamentswahlen 2007 waren davon ausgenommen.



Diagramm erstellt nach: https://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-wie-der-front-national-eine-normale-partei-wurde-1.2397696

In diesem Diagramm erkennt man deutlich die anfänglichen Schwierigkeiten der Partei. Nach dem Aufschwung, begünstigt durch den Präsidenten Francois Mitterand, etablierte sich die Partei im politischen Raum und fand zunehmend Anerkennung. Doch der Parteivorsitzende Jean-Marie war nicht gerade als unbeschriebenes Blatt.

Aufgrund rassistischer und antisemitischer Äußerungen sowie der Verharmlosung von Kriegsverbrechen wird Le Pen in seiner politischen Laufbahn mehr als zwei Dutzend Male zu Geldstrafen verurteilt. Im April 2002 dann ein großer Schockmoment für viele Franzosen: Jean-Marie bekommt knapp 200.000 Stimmen mehr als der Sozialist Jospin und landet damit mit dem Konservativen Jacques Chirac in der Stichwahl um das Präsidentenamt.

Zwar gewann dieser mit mehr als 80%, der Schock aber, dass ein Rechtsextremer dem Élysée-Palast so nahe kommen konnte, traf viele Bürger. Diese Stimmen kamen zwar weniger von den eigenen Wählern als der zerstrittenen Linken, die sich gegenseitig Konkurrenz machte und ihre Wähler selbst nicht mobilisieren konnte. Im weiteren Verlauf konnte der FN zunächst nicht an den Erfolg anknüpfen. Erst die Übernahme des Parteivorsitzes durch Marine Le Pen im Jahre 2011 brachte dem FN stetig mehr Stimmen ein.  

Die Modernisierung der Partei

Im Jahre 2011 brachte ein Wechsel an der Parteispitze neues Leben in den FN. Mitte Januar 2011 konnte Marine Le Pen mit circa 68% der Stimmen den Parteivorsitz ergreifen (vgl. Peters/AFP 2011). Direkt nach diesem Sieg trieb sie einen äußerst umfangreichen und dynamischen innerparteilichen Wandlungsprozess voran. Im Rahmen dieser Neugestaltung spricht man auch von der „Entdiabolisierung“. Bereits vor dem Führungswechsel baute sich die Tochter eine Art Hausmacht auf, die auch ihren Konkurrenten, Bruno Gollnisch, aus dem Rennen warf. 

Operation Entdiabolisierung

Unter dem Titel der „Entdiabolisierung“ strebte Marine Le Pen als neue Parteichefin eine strategische Runderneuerung der Partei an. In dessen Zentrum steht die „Befreiung von besonders imageschädlichen Elementen, vor allem dem Antisemitismus, der die Partei wie eine ideologische Sperre von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung fernhielt“ (Brinkmann/Pankrek 2019: S. 302).

Im Gegensatz zu ihrem Vater Jean-Marie Le Pen strebt die neue Parteichefin an, die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung von innen heraus zu erneuern und nicht aus einer Systemopposition. In ihrer Strategie pflegt sie das Bild einer „gemäßigten, modernen Rechten mit gewöhnlichen Parteistrukturen“ (Kempin 2017), verzichtet dabei auf übermäßig provokante Äußerungen. Dabei stellt sie ihre Linie als frei von Rassismus und Antisemitismus dar und verpflichtet sich gegenüber den Werten der République Française. Diese direkte Ablehnung der Werte, die ihr Vater vertrat, setzen ein erstes Zeichen der Operation Entdiabolisierung.

Seit der Übernahme des Parteivorsitzes behauptet sie sich immer wieder. Bereits ein Jahr nach ihrem Amtsantritt, im Jahre 2012, erkämpfte sie mit 17% das beste Ergebnis des FN. Und auch 2014 ging sie als klarer Sieger der Europawahlen hervor. Mit gut 25% erreichte die Partei ihren Zenit und übertraf die Ergebnisse der übrigen Parteien. 

Parteiprogramm im neuen Gewand

Fragwürdig ist, inwieweit die Chefin der Partei das Programm der einst rechtsextremen Partei wirklich grundlegend verändert hat, oder ob sich dies nicht in einer harmloseren Wortwahl erschöpft. Festzustellen ist, dass die ideologischen Richtungskämpfe deutlich an Schärfe verloren haben. Bruno Gollnisch galt als historischer Rivale von Jean-Marie Le Pen. Dieser hält zwar weiterhin 40 Verbündete im Zentralkomitee der Partei inne, jedoch kann er nicht mehr wie vor Marine Le Pen den rechtsextremen Nationalismus vertreten. Auch Neofaschisten wurden zu Beginn der Operation Entdiabolisierung aus der Partei ausgeschlossen. Traditionstreue Katholiken sowie revolutionäre Nationalisten, welche sich für die Schaffung eines antikapitalistischen europäischen Reichs einsetzen, sind nur noch von Einzelkämpfern im Front National vertreten (vgl. Camus 2014, S. 4). 

Die Rhetorik Le Pens

Marine Le Pen legt in ihrem neuen Gewand sehr viel Wert auf ihre Wortwahl. „Durch die richtige Terminologie sollen Themen salonfähig gemacht werden, die dem politischen Konsens zuwiderlaufen, ohne dass der FN dabei als rechtsextrem eingestuft wird“ (Camus 2014, S. 6). So wurde beispielsweise aus der „préférence nationale“ (nationale Bevorzugung) die „priorité nationale“ (nationale Priorität).

Die Umkehrung der Migration, die einst „l’inversion des flux migratoires“ war, änderte sie ab zu einer Reduktion der Zahl der in Frankreich zugelassenen Einwanderer, „la réduction du nombre d’étrangers admis en France“ (vgl. Camus 2014, S. 6). Während ihr Vater noch einen Zuzug von Migranten stoppen wollte („pas de migration“), führte die Tochter 2015 den Begriff des „solde migratoire“ ein. Dieser sieht eine Begrenzung auf 10.000 Personen pro Jahr vor. Die Zahl der eingewanderten Personen abzüglich der Abgewanderten darf diesen Wert nicht übersteigen (vgl. Brinkmann/ Panreck 2019: S. 305f).

Nach außen hin scheint sie also explizit rechtsextremes Ideengut zu verbannen. Anstelle von Rasse und Kultur spricht Le Pen von Souveränität und Identität. „Wer aber das heutige Programm der Partei mit dem zu Zeiten ihres Vaters Jean-Marie Le Pen vergleicht, erkennt: Die Änderungen sind höchstens oberflächlich“ (Al-Serori 2017).

Auch in der Islam-Immigrations-Debatte zeigt sich Marine Le Pen äußerst wortgewandt. In ihren Reden betreibt sie häufig name dropping, beruft sich beispielsweise auf Hannah Arendt. Allein das „Vaterland“ biete Schutz vor der Globalisierung und allein der FN besitze die Lösung für die Rettung Frankreichs und den Folgen der Immigration (vgl. Brinkmann/ Panreck 2019: S. 304f).

In Prozessen zeigt sich Marine Le Pen häufig als sehr schlagfertig, vor allem wenn sie sich angegriffen fühlt. Sie versucht, ihre Gegner einzuschüchtern und gibt Drohungen von sich (vgl. Kuchenbecker 2017, S. 123f). So auch im März 2011 gegen den konservativen Politiker Jean-François Copé. Im Nachrichtensender LCI (la chaîne info – französischer Nachrichtensender) machte sich Copé über die Kandidaten des FN für die Kommunalwahlen lustig, welche ihm wenig repräsentativ schienen. Diese wurden von ihm als anonyme politische Laien wie Rentner aus dem Altenheim bezeichnet. Le Pen hatte sichtlich Schwierigkeiten, ihre Aufregung zu kontrollieren und fällt Copé direkt ins Wort. Sie entgegnete direkt: Welche Verachtung! Welche Arroganz Monsieur Copé, wird dafür sorgen, dass Sie morgen aus dem politischen Leben geworfen werden! Im Folgenden macht sie sich weiterhin lustig über die Politik Copés und ahmt ihn nach. Siehe Video 1:


In dem Programm des scheinbar entdiabolisierten FN gelten vor allem Muslime als Gefahrenherd. Seit der Übernahme durch Marine Le Pen erscheinen die Muslime als zentrale Problemgruppe. Dabei war die Kritik an der Immigration nicht von Anfang an Hauptthema des FN. Vielmehr fokussierte sich der FN auf die illegale Einwanderung, wenn sie die Gesundheit der Franzosen gefährde. Die Hauptelemente der Immigration wurden erst Mitte der 1980er Jahre relevant und die Kritik blieb jahrelang zunächst dieselbe: France d’abord (Frankreich zuerst) war dabei das Herzstück. Jedoch findet sich eine einstige Warnung vor einer Mischung von Menschen verschiedener ethnischer Gruppen nicht im neuen Programm des FN (vgl. Brinkmann/ Panreck 2019, S. 300f).

Der Kampf gegen die Immigration erweist sich auch gleichzeitig als ein Kampf gegen die „Islamisierung“ (vgl. Brinkmann/ Pankreck 2019, S. 303). Während die Änderung der „préférence nationale“ zur „priorité nationale“ eher milde war, präsentiert sich die Parteichefin deutlich härter in der verbalen Republikanisierung der Islam-Immigrationsabwehr. In ihrer Kritik verweist sie deutlich auf die allgemeingültigen Werte der Republik und interpretiert diese in ihrer spezifischen Weise, beruft sich dabei offensiv auf die in Frankreich geltende Laizität. Ständig betont sie die Wichtigkeit der in der Republik geltenden Werte. Doch lebt sie diese auch in Wirklichkeit?

Folgendes Video zeigt die Parteichefin im Oktober 2015 vor Gericht. Im Dezember 2010 hatte Le Pen die Straßengebete von Muslimen mit der Besatzung Frankreichs durch die Deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg verglichen und ist daher wegen Volksverhetzung angeklagt. Hier ist sie kurz vor der Verhandlung zu sehen, während sie nochmals das Beten von Muslimen auf den Straßen missbilligt und dieses Verhalten als illegal bezeichnet.


Völlig widersprüchlich aber verteidigt sie gleichzeitig die öffentliche Verwendung christlicher Symbole als Werte einer „christlich-abendländischen Kultur“ (vgl. Brinkmann/ Panreck 2019, S. 303). Beispielweise veröffentlichte Le Pen im November 2015 einen Tweet, in welchem sie die Krippe als Symbol und als eine Tradition bezeichnet und als kulturelles Erbe Frankreichs ansieht.

https://twitter.com/MLP_officiel/status/670496620874702848 („Die Krippe ist mehr als ein Symbol, es ist eine Tradition, die Teil des kulturellen Erbes Frankreichs ist.“)

Im Gegensatz zu ihrem Vater verbannt sie auch das Wort „Rasse“ aus ihrem Vokabular und greift stattdessen auf Begriffe wie „kulturelle Unterschiede“ zurück. Damit präsentiert sie sich als Teil einer neuen Generation und entspricht dabei dem „Ethnopluralismus“, welchen viele der neuen Rechten propagieren (vgl. Kuchenbecker 2017, S. 135). Charakteristisch für den Ethnopluralismus ist die Vermeidung biologischer Argumente. Kulturelle Identitäten sollen vor fremdem Einfluss geschützt und Kulturen voneinander getrennt bleiben. Dabei sollte keine Kultur besser oder schlechter gestellt werden.

Wie auch bereits ihr Vater fordert Marine Le Pen ein Einwanderungsmoratorium, verschärft durch strenge Einreise- und Aufenthaltsbedingungen. Ihre Politik der Abgrenzung durch nationale Präferenz in Bezug auf Sozialleistungen und ein Verbot des Familiennachzugs ist identisch mit den Interessen des Vaters. Weiterhin soll Einwanderung streng limitiert werden (vgl. Le Pen 2014). Damit ist ihre ideologische Verankerung in der traditionellen Familienpartei unverkennbar. „Ganz nach dem Vorbild ihres Vaters bedient auch die Tochter latente Ängste und Feindbilder, die einen klaren Bezug zum FN-Stammthema der Gefährdung „nationaler Identität durch Immigration, Islamisierung und Globalisierung aufweisen“ (Köhler et al 2011, S. 12).

Woher speist sich der Zuspruch für Marine Le Pen? Viele Franzosen sehen sich von der Politik nicht ernst genommen, einzig Marine Le Pen bietet ihnen Volksnähe und eine Politik für jedermann. Dies erkennt man auch in folgendem Video. Es zeigt die Parteichefin zu Besuch im „Dschungel von Calais“. Auch wenn die Situation angespannt ist, erweist sich die Reaktion auf Marine Le Pen positiv. Viele wirken bestärkt durch ihren Besuch und sagen, dass Marine Le Pen sich auch um die Vergessenen kümmert und die Wahrheit sagt. Einige beklagen die unerträgliche Situation im Flüchtlings-Dschungel und wünschen sich Le Pen an der Spitze, damit sich grundlegende Dinge verändern.



Nach Tanja Kuchenbecker hat Marine Le Pen zwei Gesichter, „je nachdem, ob sie in den etablierten Medien auftritt oder auf Wahlveranstaltungen oder anderen öffentlichen Kundgebungen“ (Kuchenbecker 2017, S. 135). In den Medien erscheint sie oft als verantwortungsvolle Politikerin, die in Menschen eine Hoffnung auf Verbesserung weckt. Bei Wahlveranstaltungen aber fallen häufig Wörter geprägt von Hass und Abwertung wie die „Invasion der Barbaren“ (vgl. Kuchenbecker 2017, S. 135f). 

Ein Wechsel der Generation

Heute zeigt sich der FN soziologisch stärker durchmischt als noch unter Jean-Marie Le Pen. Die Partei erscheint moderner, viele Spitzenpositionen sind mit jungen Mitgliedern des eigenen Nachwuchses besetzt. Erreicht werden soll damit eins: Akzeptanz in den kommenden Generationen, Volksnähe zeigen und junge Bürger aktivieren. Doch der Erfolg des Generationenwechsels bleibt fragwürdig. Nach Jean-Yves Camus bringt die Strategie nicht den gewünschten Aufschwung mit sich. Diese „Verjüngung und Modernisierung der Partei sorgt für Erfolge auf regionaler und nationaler Ebene, kommt dabei aber nicht wirklich in der Mitte der Gesellschaft an“ (Camus 2014, S. 1).

Wie Le Pen bereits kurze Zeit nach der Übernahme des Parteivorsitzes bekannt gab, dass sie die Thesen ihres Vaters nicht unterstütze, bahnte sich zu dieser Zeit bereits ein Konflikt an. Zunächst blieb ihr Vater Jean-Marie Le Pen weiterhin in der Partei aktiv, wurde zum Ehrenmitglied ernannt. Jedoch spitzte sich der Vater-Tochter-Konflikt weiterhin zu. Durch wiederholte Verharmlosungen bezüglich der Gaskammern der NS-Konzentrationslager, die Jean-Marie als „Detail der Geschichte“ bezeichnete, gipfelte der Streit im Parteiausschluss des Vaters (vgl. Kuchenbecker 2017, S. 79).

Jedoch war der Vater weiterhin am Hintergrundgeschehen des FN beteiligt. Für die Partei ist er großzügiger Geldgeber, unterstützte den Präsidentschaftswahlkampf seiner Tochter 2017 mit sechs Millionen Euro. Allerdings war der sogenannte „Vatermord“ ganz klar auch eine strategische Entscheidung. Marine Le Pen wurde quasi von allen Seiten bedrängt, sich von den Aussagen des Vaters zu distanzieren. Um nun endgültig auch zu beweisen, dass sie den FN modernisierte und der neue Front National nur noch wenig mit dem früheren gemein habe, musste ein Bruch zwischen ihr und ihrem Vater her (vgl. Al-Seroni 2017).

Trotz aller persönlichen Skrupel war diese Entscheidung taktisch klug. Mit den Altlasten des rechtsextremen Vaters hätte es ihr wohl kaum gelingen können, jemals an die Macht zu kommen, weil dieser zu extrem war und sich auch so gab. Durch die Ablehnung von Antisemitismus und die gezielte Betonung der Themen Migration und innere Sicherheit eröffnete sie dem FN Möglichkeiten und realistische Ziele einer möglichen Regierung. 

Umbenennung des FN

Ein weiterer Schritt der Operation Entdiabolisierung stellt die Umbenennung des Front National dar. Anfang Juni 2018 präsentierte die Parteivorsitzende die Partei im neuen Gewand: Rassemblement National, nationale Zusammenkunft wie wir im Deutschen wohl sagen würden. „Hommage au Front national, vive le Rassemblement National“ so lautete ihre Parole. („Würdigung des Front National, es lebe der Rassemblement National“).

Weiterhin trägt das Logo der Partei die Farben der Trikolore (blau, weiß, rot) vereint in 3 Flammen, umrandet von einem offenen Kreis. Die Umbenennung der Partei stand auch im Zeichen einer Neugründung. Auch hier tritt die Modernisierung, die Befreiung von Altlasten, hin zu einer Akzeptanz in den Vordergrund. Folgendes Video zeigt die Bekanntgabe des neuen Parteinamen und erste positive Reaktionen selbst von Golbert Collard, Politiker der Partei, welcher sich zunächst gegen eine Änderung des Namens aussprach (vgl. ZEIT ONLINE 2018).


Erfolge der Entdiabolisierung

Rechtspopulismus und Rechtsextremismus spielen in Frankreich schon lange eine bedeutende Rolle. In der „Grande Nation mit globalem Führungsanspruch hat rechtsextremes Gedankengut eine lange Tradition“ (Kuchenbecker 2017: S. 11). Er hat seinen Ursprung bereits in der Zeit, in welcher die Atom- und Kolonialmacht ihre Weltmachtstellung verlor. Vater Jean-Marie Le Pen machte sich diese Rhetorik der Kränkung zunutze und sah Chancen in der Neugründung der rechtsextremen Partei.

Der Wechsel an der Parteispitze gab dem Front National deutlichen Aufschwung und sorgte für Aufsehen in der breiten Bevölkerung. Die Erfolge des beabsichtigten Strategiewechsels spiegeln sich auch in den Zahlen wider. Der Front National verzeichnete einen hohen Mitgliederzuwachs, wobei mittlerweile jedes dritte Mitglied unter 30 Jahren ist. Zudem finden sich immer mehr junge Politiker in Führungspositionen wieder.

Unterdessen schrumpfen die Volksparteien Frankreichs (vgl. Kuchenbecker 2017, S. 141). Dem Front National scheint es also gelungen zu sein, unter anderem die Ablehnung Europas und der bestehenden Verhältnisse zu verkörpern. Eine Reformstarre in Frankreich stärkt Probleme und liefert Munition für potentielle Wähler. „Wo wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Pessimismus vorherrschen und nach Schuldigen gesucht wird, kanalisiert der FN diese Angst vor der (welt-)offenen Gesellschaft, indem er Sündenböcke präsentiert“ (Köhler et al. 2011, S. 2).

Jedoch sind diese Erfolge der Umstrukturierung der Partei auch kritisch zu betrachten. „Zwei Wochen vor dem ersten Wahlgang hat die Rechtspopulistin Marine Le Pen die Masken fallen lassen […]“ (Meister 2017), stellt die Frankreich-Korrespondentin der Welt, Marina Meister, fest. Im folgenden Video, kurz vor der Präsidentschaftswahl, leugnete sie, wie bereits erwähnt, die Deportation von Juden im Zweiten Weltkrieg.


Im weiteren Verlauf des Videos erläutert Le Pen Frankreichs Unschuld und konstatiert, dass der verantwortlich sei, der damals an der Macht war, also nicht Frankreich. „Le Pens Position ist 75 Jahre nach den Ereignissen erschütternd […]. Mit dieser Geschichtsklitterung wird Le Pen ihre Kernwählerschaft unmöglich erweitern können“ (Meister 2017).

Ist die propagierte Entdiabolisierung also doch nicht geglückt und Le Pen fällt in alte Muster zurück? Eigentlich müsste ihr doch längst klar sein, dass der Antisemitismus, wie ihr Vater ihn lebte, in Frankreich nicht mehrheitsfähig ist. Es hat den Anschein, als hätte Le Pen unter anderem mit dieser Aussage ihre Arbeit der Entdiabolisierung zunichte gemacht und präsentierte sich hierbei wieder als Tochter eines rechtsextremen Vaters, welcher Ausschwitz als „Detail der Geschichte“ bezeichnete (vgl. Meister 2017). Meister kommt zu dem Schluss, „dass die fremdenfeindliche, im Kern antisemitische Ideologie des FN dieselbe geblieben ist. Sie hat sie nur besser zu verpacken gewusst“ (Meister 2017). 

Normalisierung unter der Regierungspolitik Sarkozys

Die Regierungspolitik unter Nicolas Sarkozy trug zu einer Normalisierung und Entdiabolisierung des FN unter dem Rechtsruck bei. Unter der Führung von Sarkozy versuchte dessen Partei, die UMP, eine Strategie der Annäherung an die gesellschaftlichen Stammthemen des FN, um auf die Anliegen der verlorenen Wähler einzugehen. Es scheint, als kämen die Modelle der UMP in den Bereichen der Gesellschafts- und Sicherheitspolitik den Vorschlägen des FN sehr nahe. „Dies beinhaltet die Gefahr verschwimmender Parteigrenzen zwischen „demokratischen“ und „extremistischen“ Parteien und einer damit einhergehenden Normalisierung“ des Front National (vgl. Köhler et al. 2011, S. 11).

Die Erfolge der Operation Entdiabolisierung wurden bei der Präsidentschaftswahl 2017 deutlich. Marine Le Pen konnte 21,3% der Stimmen in der ersten Runde erreichen, in der zweiten jedoch nur 33,9% und unterlag somit Emmanuel Macron. An prognostizierte Umfragewerte konnte sie allerdings nicht anknüpfen. „So beeindruckend das Stimmergebnis auch ist, so konnte es doch nicht in politische Macht umgesetzt werden“ (Camus 2017, S. 24). Damit blieb der FN auch 2017 eine isolierte Partei ohne Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung (vgl. Camus 2017, S. 24). 

Weitere Faktoren, die den Aufstieg begünstigten

Auch weitere Faktoren in der Politik Frankreichs bestärkten den Aufschwung des FN. Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise vergrößerte eine bereits seit den 1980er Jahren herrschende Vertrauenskrise in Frankreich infolge nicht realisierter Wahlversprechen. Es entstanden neue Konfliktlinien in der Gesellschaft und in der Politik. Vor allem soziokulturelle Fragen erfuhren durch die starken Migrationsprozesse einen Bedeutungszuwachs. Die Parteienlandschaft zersplitterte und war mehr von Persönlichkeit als von Inhalten geprägt.

„In der Konsequenz bleiben damit genau jene Wählerschichten, für die der FN eine Alternative darstellt, weiterhin von der Krise und ihren Folgen am stärksten betroffen“ (Köhler et al. 2011, S. 8). Die dadurch entstandene Kluft zwischen politischer Elite und den Bürgern schlug sich in der Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik nieder. Dieses Zusammenspiel lieferte dem FN herausragende Bedingungen, um für seine Ideologie und vor allem seine „nationale Präferenz“ zu werben. 56% der Franzosen gaben an, dass sie weder Vertrauen in die Rechte noch in die Linke haben. 61% bestätigten, dass sie Le Pen weniger aufgrund ihrer Inhalte, sondern als Warnung für die politische Elite wählen (vgl. Köhler et al 2011, S. 9).

Zudem betitelt sie die Globalisierung sowie das Finanzsystem mit den dazugehörigen Banken als Feind für die normale Bevölkerung, welche auf der „Schattenseite der Globalisierung leben müssen“ (Kuchenbecker 2017, S. 133). Demnach soll Einwanderung auch nur aufgrund von Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt geduldet werden und in Zeiten der hohen Arbeitslosigkeit in Frankreich ist folglich keine Immigration notwendig. Kuchenbecker stellt daher fest, dass sie „zentrale Begriffe der französischen Gesellschaft verbiege [..], um Demokratie vorzutäuschen, wo doch Nationalismus gemeint ist“ (Kuchenbecker 2017, S. 134).

Auch die Veränderung der gesellschaftlichen Bruchlinien leistete einen markanten Beitrag zur Anerkennung des FN. Nicht nur dieser selbst hat sich gewandelt, sondern auch die Gesellschaft Frankreichs. Die Politik spielt bei diesen neuen und bereits bestehenden Konfliktlinien eine entscheidende Rolle. Verändern sich diese Konfliktlinien, so entsteht damit auch Raum für neue politische Ideen.

Im Konflikt zwischen städtischen und ländlichen Interessen ergreift der FN Partei für den ländlichen und vorstädtischen Raum. Die zunehmende Angst der Bürger, von einem sozialen Abstieg bedroht zu sein, befeuert den FN und sein Versprechen, die Infrastruktur in Dörfern auszubauen und Strukturprogramme aufzulegen. „Ein starker Staat solle schließlich auch die Wirtschaft des Landes wieder ankurbeln und Industriearbeitsplätze, die in den vergangenen Jahren massenhaft verlorengegangen sind, zurückbringen. Über 40% der französischen Arbeiter trauten dem FN in den Regionalwahlen 2015 zu, ihre prekäre Situation zu verbessern“ (Kempin 2017). Der FN präsentiert sich hierbei als einzige Alternative. „Marine Le Pen erscheint als die einzige glaubhafte Vertreterin der Volksinteressen gegen eine mehr oder weniger unfähige und korrupte politische Elite (Brinkmann/ Panreck 2019, S. 307). 

Der Erfolg unter den „Vergessenen“ Frankreichs

Der Erfolg des FN unter den „vergessenen Franzosen“ ist besonders hoch. Sie finden in den Worten und Versprechen Le Pens Zuversicht und Sicherheit. In den größeren Metropolen hingegen erhält der FN kaum Stimmen (beispielsweise unter 5% in Paris). Je weiter man sich aber von Städten entfernt, desto stärker wird auch der FN. Es scheint sich also die Idee einer „lokalen Verwurzelung zu bestätigen, die sich in Regionen verstärkt, in welchen der FN bereits seit 2014 auf Gemeindeebene Verantwortung innehat […]“ (Camus 2017, S. 26).

Der FN hat zudem die „Vergessenen“ für sich gewonnen. Damit sind die sozial zu kurz gekommenen und von den traditionellen Parteien vergessenen oder vernachlässigten Bürger gemeint. Diese konkurrieren häufig mit Migranten um soziale Leistungen und fallen dabei häufig unter den Tisch. „Auf diese Weise ist es dem FN unter Marine Le Pen gelungen, die sich generationell wandelnden Wählermilieus der gemäßigten sowie der extremen Linken zu erreichen und zeitweilig die von allen Parteien höchsten Stimmenanteile bei den ArbeiterInnen zu erzielen“ (Brinkmann/ Panreck 2019, S. 308). 

Fragwürdiger Erfolg

Zwar stellt man fest, dass sich das Wählermilieu des FN deutlich gewandelt hat und nicht mehr ausschließlich rechtsextreme Wähler vertreten sind, jedoch bleibt der Zuspruch des FN fragwürdig. Einerseits zeigt die heterogene Schichtung, dass es der Partei gelungen ist, eine größere Wählerschaft anzusprechen mit dem Ziel, sich in der Parteienlandschaft zu etablieren. Andererseits verzeichnet der FN auch Zuspruch von zahlreichen Protestwählern, die mit der Arbeit der traditionellen Volksparteien unzufrieden sind. Diese Protestwähler stammen häufig aus der Unterschicht. Schulabbrecher, ungelernte Arbeiter und von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen wählen aus Angst vor einem drohenden sozialen Abstieg die Partei Marine Le Pens. Diese Verlierer des Strukturwandels lassen sich ideologisch weder rechts noch links einordnen und verschaffen dem FN den „Charakter einer neuen Klassenpartei“ (Köhler et al 2011, S. 2). 

Parallelen zur NS-Zeit

Alain Duhamel zieht eine Verbindung zwischen Marine Le Pen und den Entwicklungen der 1930er Jahre. Übereinstimmend seien die Ablehnung der Eliten, die Beschuldigung der Medien sowie eine Darstellung von sich selbst und ihrer Bewegung als Opfer. Nach Kuchenbecker nutzt sie die „aktuelle wirtschaftliche und soziale Krise aus, und ihr Diskurs sei von Fremdenfeindlichkeit geprägt – die Juden der 1930er Jahre ersetzt sie durch Muslime“ Kuchenbecker 2017, S. 131). Dabei bildet der extreme Nationalismus das Kernstück ihrer Identität.

Nach Köhler, Seidendorf und Thieben ist aber häufig „die Wahl des Front National […] keine Wahl für den FN, sondern eine Wahl gegen etablierte Parteien“ (Köhler et al. 2011, S. 2). Dabei spiegelt die Wählerschaft des FN eine sehr heterogene Zusammensetzung wider. Sie sei ein „Ausdruck der Auflösung klassischer sozialer Milieus und der von ihnen erzeugten Bindungskräfte. Anstelle der traditionellen Rechts-Links-Konstellation tritt eine Pro-/ Anti-Systemhaltung“ (Köhler et al. 2011, S. 2).

Marine Le Pen gilt zudem als einzige namhafte Vertreterin dieser Partei. Der FN steht und fällt mit ihr, im ganzen Land gibt es zu wenige Kandidaten für den FN, denen es gelingt, sich eine Stimme zu verschaffen. „Auch wenn es dem FN nicht wirklich gelang, die Zweispaltung der politischen Lager Frankreichs aufzubrechen, so steht immer noch Marine Le Pens Behauptung im Raum, der FN sei die stärkste Partei Frankreichs“ (Camus 2017, S. 25).

Weder links noch rechts

Gleichzeitig dominieren zwei grundlegende ideologische Richtungen die interne Debatte des FN. Einerseits der neurepublikanische Souveränismus unter Florian Philippot, andererseits eine Strömung zwischen dem von Marine Le Pen geführten Slogan "Weder links noch rechts" und den rechten Frontisten. Nach Jérôme Fourquet, französischer Politologe, spiegeln diese Strömungen sowohl eine geographische als auch eine sozialökonomische Realität wieder (vgl. Camus 2017, S. 5).

Im Norden Frankreichs kristallisiert sich eine aus Arbeitern und Menschen der unteren Mittelschicht bestehende Wählerschaft heraus, welche auf eine Partei mit sozialen Komponenten hoffen. Im Süden handelt es sich vermehrt um radikalisierte UMP-Abgänger, die auf Traditionen viel Wert legen. Hier findet man haupsächlich Wähler der Mittelklasse, Freiberufler und wirtschaftlich Liberale.

Bereits vor der Übernahme des Parteivorsitzes warnte man vor der Tochter des antisemitischen Rechtsextremen. Bereits damals galt sie als „weichgespülte Version von Frankreichs Rechtsextremisten, als Populistin mit Publikumsappeal“ (Simons 2011). 

Fazit

Heute zählt der FN zu den „erfolgreichsten rechtspopulistischen Parteien in Europa“ (Brinkmann/ Panreck 2019: S. 294). Auch wenn es von der Gründung über die ersten Wahlerfolge mehr als ein Jahrzehnt dauerte, konnte sich die Partei seit dem erstmaligen Einzug ins Europaparlament Schritt für Schritt als beständiger Faktor etablieren.

Unter Marine Le Pen erhöhte der FN seine Kampagnenfähigkeit stark. Die einstige rhetorische Übermacht durch den Vater Jean-Marie Le Pen ersetzte die dynamische Parteiführerin durch ihr entschlossenes Auftreten. Doch dabei hat Marine Le Pen „fast alle ideologischen Elemente, die ihr Vater rhetorisch nutze, übernommen, jedoch neu arrangiert und „republikanisiert“ […]“ (Brinkann/Panreck 2019, S. 309). Damit befriedigt der FN eine Nachfrage, der die traditionellen Konkurrenten im Parteiensystem offenbar nicht nachkommen.

Fest steht, dass Marine Le Pen an die Spitze will. Ihr Ziel ist es, bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2022 an die Macht zu gelangen. Dieses Ziel ist hoch gesteckt, doch die Parteichefin zeigt sich ehrgeizig und verbissen. Ob dies realistisch ist, ist strittig, allerdings wird sie es schwer haben, „insbesondere, da die Präsidentschaftswahl 2017 gezeigt hat, dass es nach wie vor einen wirksamen Sperrgürtel rund um den FN gibt“ (Camus 2017, S. 28).

Ihre Strategie der Entdiabolisierung des FN ist bislang nur bedingt erfolgreich gewesen. Sicherlich haben sich innerparteiliche Themen gewandelt und entradikalisiert und durch ihre geschickte Rhetorik präsentiert die Parteichefin ihre weiterhin rechtsradikalen Meinungen salonfähig. Weiterhin leidet der FN aber unter einem „Glaubwürdigkeitsdefizit, gepaart mit fehlender Regierungserfahrung“ (Camus 2017, S. 29).

Der misslungene TV-Auftritt in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl mit Emmanuel Macron verschlimmerte dies. Le Pen gestand im nachhinein ein, den Auftritt verpatzt zu haben, und es scheint, als habe sie begriffen, dass das Glaubwürdigkeitsdefizit tieferreichende Gründe hat. Letztendlich will die Partei dasselbe wie zuvor, drückt dies aber mit anderen Worten aus. Es geht weniger um eine Überzeugung als darum, neue Wähler aus der Mitte zu erreichen.

„Es ist vor allem Kosmetik. Marine Le Pens Vater schlug mit der Faust auf den Tisch, sie hingegen ist ruhiger, benutzt ein anderes Vokabular“ (Al-Serori 2017). Bislang zeigen die Niederlagen im zweiten Wahlgang auch die Grenzen ihrer Mobilisierungsbestrebungen. Wenngleich auch kaum Veränderungen an der programmatischen Substanz zu erkennen ist, erkennt man aber deutlich neue strategische Ausrichtungen und eine bessere Vermarktung des Programms, welche es dem FN möglich machen, weiter in der Mitte der Gesellschaft anzukommen und koalitionsfähig zu werden. Wie Hillebrand bereits 2017 feststellte, wird der Populismus als „politisches Phänomen in Europa nicht so schnell verschwinden“ (Hillebrand 2017: S. 10).

Quellen 

Literatur
  • Al-Serori, Leila (2017): Marine Le Pen hats geschafft -wie rechts ist sie wirklich? Online verfügbar unter https://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/das-wahre-gesicht-der-marine-le-pen/story/16660569.(19.07.2019)
  • Brinkmann, Heinz Ulrich/ Panreck, Isabelle-Christine (2019): Rechtspopulismus in Einwanderungsgesellschaften: Die politische Auseinandersetzung um Migration und Integration. Springer Link: Bücher. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden (Springer eBook Collection). Online verfügbar unter http://dx.doi.org/10.1007/978-3-658-23401-0. (16.08.2019)
  • Camus, Jean-Yves (2014): Der Front National (FN) – eine rechtsradikale Partei? In: Internationale Politikanalyse. Online verfügbar unter URL: http://library.fes.de/pdf-files/id/10640.pdf. (22.04.2019)
  • Camus, Jean-Yves (2017): Kann der Front National an die Macht kommen? In: Ernst Hillebrand (Hg.): Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie? 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Bonn: Dietz.
  • Hillebrand, Ernst (Hg.) (2017): Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie? Verlag J. H. W. Dietz Nachf. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Bonn: Dietz.
  • Kempin, Ronja (2017): Der Front National - eine feste politische Größe in Frankreich. bpb. Online verfügbar unter: https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/245672/der-front-national-eine-feste-politische-groesse-in-frankreich. (19.07.2019)
  • Kim-Yvonne Köhler, Stefan Seidendorf, Nils Thieben (2011): Neuer Kopf, alte Ideen? „Normalisierung“ des Front National unter Marine Le Pen. Hg. v. Deutsch Französisches Institut (Aktuelle Frankreich-Analysen, 25). Online verfügbar unter: https://www.dfi.de/pdf-Dateien/Veroeffentlichungen/afa/afa25.pdf. (19.07.2019)
  • Kuchenbecker, Tanja (2017): Marine Le Pen. Tochter des Teufels - vom Aufstieg einer gefährlichen Frau und dem Rechtsruck in Europa. Unter Mitarbeit von Petra Thorbrietz. Freiburg, Basel, Wien: Verlag Herder.
  • Le Pen, Marine (2014): Réforme du droit d’asile : toujours plus de droits pour les clandestins, l’UMP complice. Online verfügbar unter: https://rassemblementnational.fr/communiques/reforme-du-droit-dasile-toujours-plus-de-droits-pour-les-clandestins-lump-complice/(19.07.2019)
  • Meister, Martina (2017): Le Pen zeigt ihr wahres Gesicht. Online verfügbar unter https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article163606040/Le-Pen-zeigt-ihr-wahres-Gesicht.html. (19.07.2019)
  • Simons, Stefan (2011): Papas zuckersüße Populistin. Online verfügbar unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/le-pen-tochter-papas-zuckersuesse-populistin-a-739473.html. (12.07.2019)
  • ZEIT ONLINE (2018): Front National benennt sich um. Online verfügbar unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-06/rassemblement-national-front-national-marine-le-pen. (23.07.2019)
  • Peters, Katharina/ AFP (2011): Rechtsextreme wählen Le Pen zur Chefin. Online verfügbar unter: https://www.spiegel.de/politik/ausland/frankreich-rechtsextreme-waehlen-le-pen-zur-chefin-a-739772.html. (12.07.2019) 
Videos/ Bilder/ Grafiken
  • Diagramm erstellt nach: https://www.sueddeutsche.de/politik/frankreich-wie-der-front-national-eine-normale-partei-wurde-1.2397696. (19.07.2019)
  • Tweet: https://twitter.com/MLP_officiel/status/670496620874702848 (19.07.2019)
  • Video 1 : IDYLLE ENTRE MARINE LE PEN ET JEAN-FRANÇOIS COPÉ (2011) : https://www.youtube.com/watch?v=z5RZ1Msqv9s (19.07.2019)
  • Video 2 : Le Pen jugée pour ses propos sur les prières de rue (2015) : https://www.youtube.com/watch?v=4F0iE9G2Vpk. (19.07.2019)
  • Video 3 : Afflux de migrants: Marine le Pen à Calais (2014) : https://www.youtube.com/watch?v=ANDqu4oKtqI . (19.07.2019)
  • Video 4 : France : le Front national devient Rassemblement national (2018) : https://www.youtube.com/watch?v=-hHY4UYuRgE. (19.07.2019)
  • Video 5 :Pour Marine Le Pen, la France "n'est pas responsable du Vél' d'Hiv" (2017) : https://www.youtube.com/watch?v=xQnLKDtUmoc. (19.07.2019)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen