In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" (
APuZ 40-42/2016) zum Thema "Repräsentation in der Krise?" findet sich ein lesenswerter und für das Thema dieses Blogs unmittelbar einschlägiger Essay von
Jan-Werner Müller: "
Populismus. Symptom einer Krise der politischen Repräsentation?". Einmal mehr plädiert Müller dafür, genau hinzusehen und nicht vorschnell mit dem Etikett "Populist" um sich zu werfen:
"Wirklicher Populismus – der sich daran erkennen lässt, dass seine
Vertreter behaupten, sie und nur sie repräsentierten das wahre, immer
als homogen gedachte Volk – ist für die Demokratie gefährlich.
Populisten sind immer antipluralistisch; die Demokratie ist aber nur in
pluralistischer Form zu haben." (S. 24)
Es geht ihm in diesem Beitrag in erster Linie um die Grenze zwischen legitimem Protest (Podemos, Syriza, AfD zu Beginn), der durchaus demokratieförderlich sein kann, und populistischem Protest, der die Demokratie gefährdet (Trump, Orban, Le Pen, Erdogan, Wilders, AfD heute).
"In jeder Demokratie ist es legitim, gegen regierende Parteien zu
protestieren oder auch zu monieren, dass existierende
Oppositionsparteien die Interessen und Identitäten vieler Bürger nicht
überzeugend verträten. Friedlicher Protest, der nicht wie bei den
Populisten auf einem moralischen Alleinvertretungsanspruch des angeblich
"wahren Volkes" beruht, ist nicht automatisch undemokratisch oder ein
Symptom einer tiefen Krise – das Gegenteil ist der Fall. Dies lässt sich
erneut am spanischen Beispiel verdeutlichen: Hier konnte Podemos als
neue Gruppierung Wähler an die Urnen bringen, die sich bisher gar nicht
am politischen Prozess beteiligt hatten und die auch in der bestehenden
radikalen Linkspartei Izquierda Unida kein plausibles Politik-
beziehungsweise Protestangebot fanden. Die erhöhte Beteiligung ist erst einmal ein Gewinn für die Demokratie." (S. 26/27)
Demgegenüber sind "echte" Populisten immer unvereinbar mit Demokratie. Wie sie zu erkennen und abzugrenzen sind, dazu schreibt Müller:
"Populist ist nur, wer den Anspruch stellt, er und nur er vertrete das
wahre Volk – mit der Folge, dass politische Mitbewerber eigentlich alle
illegitim seien, beziehungsweise dass Bürger, die dem populistischen
Führer die Unterstützung verweigern, gar nicht wirklich zum Volk
gehören. Man denke an eine Äußerung des republikanischen
Präsidentschaftskandidaten in den USA, Donald Trump, die angesichts der
vielen skandalösen Dinge, die der Milliardär ständig von sich gibt, kaum
beachtet wurde, aber seine populistische Sichtweise auf die Politik
eindeutig belegt. Trump sagte bei einer Wahlkampfveranstaltung im Mai
2016: "The only thing that matters is the unification of the people, and
all the other people don’t matter." "Das Einzige, was zählt, ist die
Einheit des Volkes" – das klingt eher harmlos im Vergleich zu dem, was
er sonst so alles sagt. Entscheidend ist aber der zweite Teil des
Satzes: "All die anderen Menschen zählen gar nicht." Es gibt demnach
also ein wahres Volk und einen einzigen wahren Vertreter dieses Volkes –
nämlich Trump. Wer gegen ihn ist, ist automatisch nicht Teil des wahren
Volkes und zählt damit moralisch und vor allem auch politisch nicht.
Ein anderes Beispiel ist eine rhetorische Frage Recep Tayyip Erdoğans an
seine Kritiker 2014: "Wir sind das Volk, wer seid ihr?" Das ist ein
Alleinvertretungsanspruch, der mit Demokratie, die notwendigerweise
pluralistisch ist, schlicht nicht kompatibel ist." (S. 28)
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