Sonntag, 13. Mai 2018

Rezension zu Michael Kimmel: Angry White Men

Kimmel, Michael (2017), Angry White Men. American Masculinity at the End of an Era, 2nd edition, Nation Books.

Rezension

Autorin: Ulrike Maurer

"Amerikanische Männlichkeit am Ende einer Ära" - so lautet der Subtitel von Michael Kimmels 2017 in überarbeiteter Form erschienene Buch „Angry White Men“. Kimmel gibt in seiner neuesten Publikation einen detaillierten sowie spannenden Überblick über den Zustand und die Befindlichkeit des weißen amerikanischen Mannes im heutigen, von Donald Trump regierten Amerika.

Michael Kimmel untersucht in seinem Buch eine besondere Spezies: Es ist der weiße, amerikanische Mann, der sich nicht nur von der amerikanischen Gesellschaft im Stich gelassen fühlt, sondern verschiedene Minderheiten oder Gesellschaftsschichten für seine Misere verantwortlich macht. Ob es nun Homosexuelle, Frauen – insbesondere Feministinnen –, Schwarze oder andere weiße Männer der US-Upperclass sind: All diesen Menschen ist gemeinsam, dass der „wütende weiße Mann“ sie sich als Feindbild auserkoren hat. Kimmel ist es nicht nur ein Anliegen, zu erklären, weshalb der weiße, amerikanische Mann so sauer ist; er liefert dabei eine Beschreibung seiner Physiognomie. Ebenso könnte Kimmels Buch die optimale Spielwiese für Therapeuten und Psychologen sein, entwirft er doch gewissermaßen eine Pathologie dieses weißen Amerikanertypus.


Michael Kimmel, ein US-Amerikanischer Soziologe, Soziologieprofessor, Männer- und Genderforscher, gibt im einführenden Kapitel seines Werks selbst an, dass er jüdischer Abstammung ist. „What´s a nice Jewish Boy from Brooklyn doing in a place like this?“ I ask myself as I slide into my booth at the roadside diner (S. 1). Diese Tatsache mag unter gewöhnlichen Umständen mitnichten erwähnenswert sein. Da sich Michael Kimmel aber auf die Recherche in ein minderheitenfeindliches Milieu begibt, ist dies umso bemerkenswerter, ist doch Kimmel genau der Vertreter von Gruppierungen, die für die weißen, tobenden Kerle als Feindbilder anschlussfähig sind.

Aufgrund eines bestimmten Gestus oder Kleidungsstils hat sich der Autor jedenfalls als „nicht zugehörig“ zur weißen, amerikanischen Jungsclique identifiziert, was alsbald von einer Gruppe von Teilnehmern einer Pistolenschau in Pennsylvania auch so markiert wird (S. 1-2). Kimmel unterhält sich in dieser Szene mit einem Waffenhändler im Rahmen einer Pistolenschau in Pennsylvania. Auf seine Rechercheabsicht und seine Herkunft angesprochen, erklärt ihm Kimmel: „Ich bin ein Schriftsteller und ich bin auf Forschungsreise und wollte mit Ihnen sprechen.“ Dazu kommentiert Kimmel: „Sie beäugen mich argwöhnisch. Ich bin nicht sehr groß, offensichtlich „urtümlich“, älter, habe eine beginnende Glatze und trage ein Button-Down-Hemd.“.

Kimmels Ausführungen sind in den einleitenden Kapiteln recht langatmig geraten. In epischer Breite erläutert er den Lesern, was den heutigen weißen, amerikanischen Mann dazu gebracht hat, so aggressiv auf Minderheiten anzusprechen. Hierzu verwendet er fast durchgängig den Terminus des „Aggrieved Entitlement“, des „gekränkten Rechtsanspruchs“. Damit ist gemeint, dass der weiße, amerikanische Mann sich in der modernen Gesellschaft mehr und mehr benachteiligt fühlt, quasi entmännlicht, und dass er den Anspruch, alles zu lenken und zu bestimmen, heute nicht mehr geltend machen kann.

Der Spannungsbogen, den er bereits im einleitenden Kapitel aufmacht, schwächt sich leider bis zum beginnenden zweiten Kapitel ab, wo nun endlich die Charakterstudien zu den weißen Männergruppierungen der USA folgen. Bis dahin verbleibt Kimmel in repetitiven Beschreibungen über die Entwicklung des Mannes in der amerikanischen Gesellschaft seit 1820, wo noch das maskuline Ideal des Selfmade-Mannes dominierte (S. 18).

Interessant an Kimmels Studie ist, dass er sich insbesondere auch dem gewandelten Geschlechterverhältnis widmet. Obwohl Donald Trump, der aktuelle amerikanische Präsident, nicht explizit benannt wird, wird doch vollumfänglich klar, welchen Männertypus Kimmel meint und wie sich dies in der Praxis äußert. Da gibt es Gestalten wie Rush Limbaugh, ein amerikanischer Radiomoderator, der ein – euphemistisch ausgedrückt – konservatives Bild der Gesellschaft ausmalt und vertritt. Limbaugh, der der rechten Tea-Party-Bewegung angehört, meint beispielsweise, dass die US-Gesetzgebung zur Drogenkriminalität zu lasch sei. Noch bemerkenswerter ist aber seine Haltung gegenüber Frauen im Allgemeinen und dem Feminismus im Besonderen. Akteurinnen der feministischen Szene werden von ihm als „Feminazis“ bezeichnet. Gerade Männer wie Limbaugh sind Vorbild für das Ventil des verärgerten und verbitterten weißen Amerikaners.

Die Wut, der gekränkte Rechtsanspruch, ist etwas, das nicht nur ältere, weiße Männer betrifft. Ebenso findet man auch unter weißen, männlichen Jugendlichen und unter den weißen Papas Personen, die prototypisch sind für den weißen, wütenden Amerikaner: sie gehören oft der Arbeiterschicht an und tragen gerne Basecap, Flanellhemd, darunter ein T-Shirt und Boots (S. 3.).

Wichtig ist auch, dass sich diese weißen Männer immer in der Opferposition sehen. Sie fühlen sich von den sich emanzipierenden, selbstbewussten Frauen verschaukelt; können mit dem Feminismus nichts anfangen. Sie sind nicht mehr länger die alleinigen Versorger der Familie, was sie noch wütender werden lässt. Beklagt wird die Politik, die nichts mehr für den „kleinen weißen Mann“, für die untere Mittelschicht tut. Im Feuer der Kritik der weißen Jungs stehen vor allem Politiker wie John Kerry, der 2016 Präsidentschaftskandidat im US-Wahlkampf war. Obgleich weiß, steht er in ihrem Weltbild für den elitären, frankophilen Snob (S. 5).

Kimmel sieht anhand seiner Beobachtungen nun die amerikanische Männlichkeit langsam im Niedergang begriffen. Allerdings scheinen das die Betroffenen selbst noch nicht realisiert zu haben. Sie können oder wollen (noch) nicht akzeptieren, dass die amerikanische Gesellschaft viel diverser und heterogener wurde, als ihnen lieb ist.

Die Furcht vor dem Feminismus und den Frauen hat diese Amerikaner sogar dazu getrieben, eine spezielle Anti-Feminismus-Bewegung zu installieren. Die MRA (Men´s Rights Movement). Ganz an der Spitze ihrer Agenda steht die Bekämpfung des Feminismus, der den Männern Leid zugefügt habe (S. 122).

In seinem vorletzten Kapitel, in dem es um die „Zielscheibe Frau“ geht, arbeitet sich Kimmel zum wohl triftigsten Grund der weißen, männlichen Wut vor: Feminismus. Der Hass des wütenden Amerikaners wird nicht nur verbal ausgedrückt, sondern auch durch direkte Gewaltanwendung. Die Ursachen dafür sind nichtig: Zurückweisung durch Frauen, dadurch keine Möglichkeit der Auslebung der Sexualität.

Kimmel wirft viele Fragen zum Verhältnis des weißen Amerikaners zu anderen Gruppen der amerikanischen Gesellschaft auf. Seine Befindlichkeiten, sein gekränkter Stolz, seinen Hass auf alles, was jener nicht zu begreifen vermag, studiert Kimmel mit größter Akribie; man könnte sogar versucht sein zu sagen, dass er ein wenig Empathie für sie empfindet.

Gibt Michael Kimmel aber auch eine Antwort darauf, wie man nun der Wut des weißen, amerikanischen Mannes begegnen könnte? Jein. Der wütende, weiße Amerikaner strebt nur allzu gern eine Restauration der gesellschaftlichen Verhältnisse an, wie sie noch um 1900 waren, bevor Frauen beispielsweise wählen durften. Wenig tröstend ist Kimmels Erkenntnis, dass letztendlich der tobende amerikanische Mann immer noch existent ist. Obgleich sie aber viel Furor machen, sind sie eine inzwischen abnehmende Minderheit (S. 280).

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