Welche Rolle spielt der Katholizismus für den Wahlsieg der PiS? Dieser Frage wird in diesem Beitrag nachgegangen. Zuvor wird das Verhältnis zwischen Katholizismus und Polen umrissen, um dann Verbindungen zum Erstarken der PiS-Partei im Zusammenhang zum Katholizismus zu verdeutlichen.
Der Katholizismus spielt in Polen eine bedeutende und tief verwurzelte Rolle, die sowohl historische, kulturelle, gesellschaftliche als auch politische Dimensionen umfasst. Es besteht ein mythologisches Narrativ, das Polen in Europa als auserwählten Hort des katholischen Christentums sieht. Dies wird auf die erfolgreiche Abwehr muslimischer Invasoren im frühen Mittelalter und das „Wunder von Tschenstochau“ (1655) zurückgeführt, bei dem ein Kloster die Belagerung protestantischer Schweden abwehrte und der Sieg der Marienikone zugeschrieben wurde (Hennig 2023). Darüber hinaus zeichnet sich das enge Verhältnis zur katholischen Kirche in den drei polnischen Teilungen von 1772 und 1918 ab, welche von Widerstands- und Freiheitskämpfen geprägt waren. Dabei lässt sich Polen in drei Republiken teilen:
Die erste Republik (Polnisch-Litauische Adelsrepublik) bestand von 1569 bis 1795 und endete mit drei Teilungen, welche zum Verschwinden Polens auf der Landkarte für 123 Jahre führten. Damals wurde die polnisch-litauische Adelsrepublik unter Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt. Als Gegenreaktion zur Besetzung fanden sich Pol*innen aller drei besetzten Gebiete zusammen und leisteten durch die Erhaltung und Förderung der Kultur, Sprache und Religion Widerstand. Hierbei wurde der „Katholizismus zum einheitsstiftenden Identitätsmarker“ (Henning 2023).
Nach dem Ersten Weltkrieg 1918 wurde die zweite Republik, die Volksrepublik (Polska Rzeczpospolita Ludowa) vom ersten Ministerpräsidenten Józef Piłsudski ausgerufen. Sie bestand von 1918 bis 1939 als eigenständiger Staat. Zu dieser Zeit tritt auch der katholische und antisemitische Nationalismus auf. Dieser wird auch heute noch von Nationalist*innen und Rechtsradikalen aufgegriffen. Gleichzeitig stehen diese Einstellungen der „lebendigen und familiär tradierten katholischen (Volks-) kultur mit ihren Bräuchen und religiösen Festen“ (Hennig 2023) entgegen.
Während der kommunistischen Volksrepublik trotzte die Kirche dem Regime und schuf gesellschaftlich engagierten Gruppen Freiräume. Kardinal Karol Wojtyła, der spätere Papst Johannes Paul II., spielte hier eine entscheidende Rolle, indem er die Oppositionsbewegung Solidarność unterstützte und mit seinen Pilgerreisen zum Regimewandel beitrug. Er wird auch heute noch von über 80 % der polnischen Bevölkerung als wichtige moralische Autorität angesehen, auch nach Missbrauchsenthüllungen. Kritik an Wojtyła wird von der PiS als „zivilisatorischer Angriff auf Polen“ interpretiert (Hennig 2023).
Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus entstand zwischen der katholischen Kirche und dem Staat eine kooperative Beziehung. Im Zuge der Transformation in den 1990ern setzte die Kirche ihre Interessen wie das Konkordat, die Abtreibung sowie den Religionsunterricht gezielt durch. Lang (2023) fasst die Rolle der Kirche historisch rückblickend in eine tiefgreifende, nationsbildende, zivilisatorische und Schutzfunktion ein.
Mit Blick auf die letzten Jahre galt Polen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern bis vor Kurzem als eines der religiösesten Länder, mit einer hohen Rate an Gläubigen und Kirchengänger*innen (Hennig 2023). Zugleich weisen PiS-Wähler*innen das größte Vertrauen in die Kirche auf. Besonders ältere Menschen und Menschen aus ländlichen Bereichen lassen sich hier einordnen (Hennig 2023).
„Ein großer Teil der Öffentlichkeit erwartet, dass die Politik Souveränität und Staat verteidigt, gerade weil beides in langen Phasen der Geschichte nicht existierte und hart erkämpft werden musste“ (Lang 2023, S.7)
Die Partei greift diese Erwartungen auf, indem sie die Notwendigkeit der Stärkung der polnischen Nation betont, die unmittelbar an Gefühle nationaler Verbundenheit gekoppelt sind und ohne diese auch keine Demokratie möglich sei (PiS 2019 zit. n. Lang 2023). Die PiS-Partei betrachtet dabei die Kirche als eine der drei grundlegenden Gemeinschaften, die für die Sicherung der polnischen Identität gestärkt werden müssen (Lang 2023). Diese umfassen die „natürliche Familie“, polnische Nation sowie die katholische Kirche. Regelmäßig berufen die Mitglieder der PiS sich auf christliche Werte, zu denen für sie ein traditionelles Familienbild sowie die strikte Ablehnung der progressiven Genderpolitik gehört. Diese und weitere Einstellungen zeigt die polnische Kirche auf und verdeutlicht die große Überschneidung der Interessen. Ebenso sieht die PiS Angriffe auf die Kirche als Angriffe auf Polen selbst (Hennig 2023).
Die polnische katholische Kirche reagiert nicht einheitlich auf diese aktive Bezugnahme. Hennig (2023) spricht hier von einem „vielseitige[n] Katholizismus in Polen“ (ebd.), welcher drei verschiedene Strömungen beinhaltet: offen-liberal wie beispielsweise der Priester Ludwig Wieśniewski, der „den Abbau des Rechtsstaates und die Politisierung des Katholizismus“ (Hennig 2023) bemängelt (sich jedoch trotzdem gegen die Segnung homosexueller Paare ausspricht), mehrheitlich konservativ, was sich in der Programmatik der PiS-Partei widerspiegelt, sowie geschlossen-nationalistisch wie Pater Tadeusz Rydzk, der auch innerhalb der Kirche kontrovers diskutiert wird. Darüber hinaus gibt es Themen, in denen die Kirche ein einheitliches Bild abgibt. In Fragen des Asyls dürfe man nicht mittels eines verfälschten Patriotismus oder politischer Intentionen negative Gefühle hinsichtlich Asylsuchenden hervorbringen (Weltkirche 2023).
„Man darf nicht der Versuchung nachgeben, im Namen eines falsch verstandenen Patriotismus oder politischen Kalküls Angst, Feindseligkeit oder Abneigung gegenüber Ankömmlingen zu entfachen“
Die Vielfalt an verschiedenen Haltungen innerhalb der katholischen Kirche in Polen verdeutlicht das komplexe Verhältnis der Kirche zur PiS-Partei.
Trotz weiterhin substanziellen Vertrauens in die Institution Kirche weist auch Polen einen Säkularisierungstrend auf. Deutlich wird dies unter anderem an Austritten aus der Kirche, dem sinkenden Interesse an katholischem Religionsunterricht sowie dem Mangel an Nachfolgern für das Priesteramt. Dieser Wandel vollzieht sich besonders schnell im städtischen Raum, in jüngeren Generationen und bei höher Gebildeten. Auch die Pandemie trug zu den sinkenden Zahlen der Messebesuche und Kirchenmitglieder bei. Darüber hinaus trug auch das von der PiS 2021 in Kraft gesetzte Abtreibungsverbot dazu bei, dass insbesondere Frauen sich von der Kirche entfernten, und entfachte die größten Demonstrationen, die es bisher gab. Dies zeigt, dass der Katholizismus zwar langsam, aber auch in Polen an Relevanz verliert.
Aus den bisherigen Punkten lässt sich ein Teilerfolg der PiS im Aufgreifen der Kirche und christlicher Werte deuten. Zum einen spielt vermutlich der hohe Anteil (84% Stand 2022 (Hennig 2023)) an Menschen, die sich als gläubig beschreiben würden, eine Rolle und damit ein nicht unbedeutender Teil, der sich von der PiS-Partei repräsentiert fühlt (Hennig 2023). Ebenso vorteilhaft für die PiS-Partei sind die geschichtliche Bedeutung und die damit einhergehenden verschiedenen gesellschaftlichen Funktionen der Kirche (nationsbildende, zivilisatorische und Schutzfunktion), die von der PiS durch ihr Wahlprogramm und die ideologische Aufstellung aufgegriffen werden. Trotz 2023 belegter Vertuschungen sexuellen Missbrauchs durch Karol Wojtyła vor seiner Papstwahl 1978 wird er in Polen weiterhin von über 80 % der Bevölkerung als moralische Autorität anerkannt. Die regierende PiS-Partei wertete die öffentliche Kritik daran als Angriff auf Polen (Roguska 2023 zit. n. Hennig 2023).
Es wird deutlich, dass die PiS-Partei immer wieder versucht, eine enge Verbindung zur Kirche sowie zum Staat herzustellen und sich damit die katholische Kirche und religiöse Inhalte für ihre politische Agenda zu eigen macht. Das Verhältnis der Kirche zur PiS ist ambivalent, da sie verschiedene Haltungen zur Partei ausdrückt. Sicherlich spielt nicht nur die Kirche für den Wahlerfolg der Partei eine Rolle, da unter anderem Faktoren wie das Alter und der Wohnort (ländlich vs. städtisch) unterschiedliche Einstellungen gegenüber der PiS und Kirche bedingen.
Es bleibt abzuwarten, wie sich das Verhältnis von Kirche und PiS entwickeln wird. Gleichzeitig deuten Pläne der derzeitigen Regierungskoalition aus Bürgerkoalition, Dritter Weg und Neue Linke tiefgreifende Reformen des Verhältnisses von Kirche und Staat, insbesondere einer deutlicheren Trennung beider Bereiche, an (Hennig 2023). Mit dem neugewählten Staatspräsidenten Karol Nawrocki, der von der rechtspopulistischen PiS-Partei bei der Präsidentschaftswahl unterstützt wurde, dürfte das Vorhaben der aktuellen Regierung allerdings schwer umzusetzen sein.
Quellen
- Hennig, A. (2023, 28. November). Polen und die Zukunft des Katholizismus (bpb, Hrsg.). Bpb. Abgerufen am 10. August 2025, von https://www.bpb.de/themen/europa/polen/543077/polen-und-die-zukunft-des-katholizismus/
- Lang, K.-O. (2023). Die Welt der PiS: Weltanschauliche Basis und programmatische Leitlinien der polnischen Partei »Recht und Gerechtigkeit«. In Stiftung Wissenschaft und Politik [SWP] (Hrsg.), SWP (SWP-Studie 12). SWP. Abgerufen am 10. August 2025, von https://www.swp-berlin.org/10.18449/2023S12/
- Polnische Kirche kritisiert geplante Volksabstimmung über EU-Asylreform. (2023, 13. Juli). weltkirche.de. Abgerufen am 10. August 2025, von https://weltkirche.katholisch.de/artikel/46018-polnische-kirche-kritisiert-geplante-volksabstimmung-ueber-eu-asylreform