Dienstag, 28. Juli 2020

Die Ibiza Affäre – Baba HC!

Ein Beitrag von Helen Wörner

17. Mai 2019, 18 Uhr – Österreich brennt. Das inzwischen fast weltberühmte Ibiza-Video erscheint zeitgleich bei der SZ und beim Spiegel. Das Video mit dem damaligen österreichischen Vizekanzler Heinz-Christian Strache (kurz HC) und Klubobmann Johann Gudenus ging innerhalb kürzester Zeit viral. 2017 trafen sich die Hauptakteure mit einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte und deren Begleiter auf Ibiza und diskutierten in „lockerer, ungezwungener und feuchtfröhlicher Urlaubsatmosphäre“ (Obermaier/Obermayer, 2019, S.199) über das politische Geschehen. Und Korruption.

Im Folgenden wird kurz erläutert, um welche zwei Hauptthemen es an besagtem Abend des Skandals geht: Kronenzeitung und Parteispenden. Anschließend werden die Konsequenzen behandelt, die die Veröffentlichung mit sich brachte.


Sant Rafel de Sa Creu

Am Abend des 24. Juli 2017 trafen sich in einer Villa nahe Sant Rafel de Sa Creu auf Ibiza der damalige Chef der Freiheitlichen Partei Österreichs und Spitzenkandidat der FPÖ für die drei Monate später anstehende Nationalratswahl, HC Strache, und der damalige amtierende Vizebürgermeister Wiens, Klubobmann der FPÖ und guter Parteifreund von Strache, Johann Gudenus. Sie trafen sich mit der vermeintlich steinreichen, Putin-nahen Aljona Makarowa, Nichte vom Oligarchen Igor Makarow, und deren deutsch-sprachigem Begleiter. Des Weiteren war im Haus: Tajana Gudenus, die Ehefrau von Johann Gudenus.

Was die Politiker allerdings nicht wussten: Das Treffen war eine Falle. Die luxuriöse, extra angemietete Villa wurde nicht nur mit alkoholischen Getränken ausgestattet, sondern auch mit Kameras, die alle Bereiche gefilmt hatten und auch den Ton mitschnitten. Von wem die Falle initiiert wurde, ist bis heute unklar und wird nicht von den Reportern der SZ und dem Spiegel veröffentlicht.

Was passierte an besagtem Abend? Es wurde viel über Politik diskutiert und was man mit dem russischen Geld aus unbekannter Quelle alles anstellen kann. Dabei ging es um zwei Themen, für die Strache und Gudenus brannten und die sie weit später noch verfolgen würden. Es werden Einsichten gegeben, wie Strache über die österreichische Medienlandschaft denkt, was er mit ihr vorhat und wie die FPÖ Geld generiert und dadurch die Partei finanziert.

Kronenzeitung

Das Hauptthema des Abends: die Kronenzeitung. Im Gespräch ist, dass die russische Oligarchen-Nichte mit lettischen Wurzeln die Chance hat, Anteile an der Kronenzeitung zu kaufen. Und das kurz vor den anstehenden Parlamentswahlen in Österreich.

Die Krone ist das größte Zeitungsmedium in Österreich. Sie erreicht täglich etwa zwei Millionen Menschen, verkauft 700.00 Exemplare täglich. Das entspricht einer Reichweite von circa 30 % (vgl. ebd. S. 57 f.). Die Anteilverteilung der Kronenzeitung ist etwas komplizierter. 50% gehören der deutschen Funke Gruppe. Die anderen 50% sind auf vier Leute aufgeteilt: die Erben des verstorbenen Gründers, Hans Dichand. Dieser Anteil ist der wichtigere Anteil, denn dieser bestimmt über die inhaltliche Linie des Boulevardblattes.

Aljona Makarowa hat angeblich Kontakt zu zwei der vier Erben und könnte die Anteile kaufen. Sie gibt an, dass der „Deal“ bereits in den nächsten Wochen über die Bühne gehen kann. Aus welcher Quelle ihr Geld stammt, ist unbekannt, außerdem geht der Deal nicht ganz auf legalem Wege über die Bühne (vgl. ebd. S. 59). Doch angesichts des großen Machtzugewinns, den das Zeitungsmedium verspricht, ist HC Strache nicht mehr zu halten. „Das sind Ereignisse, die in den nächsten Wochen stattfinden, die sie beeinflussen kann“ (vgl. ebd.), so Strache. Mit Ereignissen ist hier die anstehende Parlamentswahl gemeint.

Durch den Kauf der Kronenzeitung durch die Russin erhofft sich HC Strache einen Machtzugewinn und einen „Push“ nach oben bei den anstehenden Wahlen. Doch sie fordert etwas für die politische Macht, die sie gibt mit den Anteilen der Kronenzeitung. Ihr schweben staatliche Aufträge zum „Überpreis“ vor, Privatisierung von Kunstsammlungen oder die Teilhabe am österreichischen Wasser per Gesetzesänderung. HC Strache will ihr dies ermöglichen, konkrete Absprachen gab es jedoch am besagten Abend nicht. Strache und Gudenus haben dennoch den Köder längst geschluckt, denn sie überlegen schon, wie sie die Kronenzeitung auf Kurs bringen können.

Parteispenden

Ein weiteres wichtiges Anliegen war es für HC Strache, Parteispenden von der Oligarchen-Nichte zu sichern, Großspenden sozusagen. Eigentlich positioniert sich die FPÖ klar gegen Großspenden und meldet im Vergleich zu anderen Parteien nur wenige Großspenden an den österreichischen Rechnungshof. Doch Strache erklärt der Russin hier, wie es einen ganz einfachen Weg gibt, die Meldung im Rechnungshof zu umgehen, und zwar per Spende an einen gemeinnützigen Verein. Eigentlich ist es illegal in Deutschland und Österreich, „Parteispenden zum Schein an Vereine umzuleiten“ (vgl. ebd. S. 81), doch dieser Trick findet Anwendung.

Vereine müssen nicht wie Parteien ihre Bilanzen öffentlich machen und können dennoch Wahlhilfe leisten. Nach der Veröffentlichung des Ibiza-Skandals fanden Behörden belastende Beweismittel für die Parteispenden von Vereinen. „Die Behörden gehen davon aus, dass die Vereine in "Absprache mit Strache und Gudenus" mit dem Vorsatz gegründet wurden, "finanzielle Zuwendungen für die FPÖ respektive Heinz-Christian Strache zu lukrieren".“ ( https://www.sueddeutsche.de/politik/ibiza-fpoe-strache-spenden-1.4806078).

Auch in puncto Parteispenden ist die Russin gewillt, Geld zu geben, aber natürlich nur mit entsprechender Gegenleistung. „Du steckst etwas hinein, gibst jemandem, kaufst eine Stimme. Dann macht diese Stimme etwas zu deinem Vorteil.“ (Obermaier/Obermayer, 2019, S. 85). Und Strache stand nicht auf und ging davon, im Bewusstsein, dass die reiche Oligarchen-Nichte hier über nichts anderes als Korruption redete. Er blieb sitzen. Den ganzen Abend lang.

Nach der Veröffentlichung

Strache, inzwischen Vizekanzler von Österreich, gab einen Tag nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos seinen Rücktritt als Vizekanzler, Bundesminister und Bundesparteiobmann bekannt. Während der dafür abgehaltenen Pressekonferenz, inszenierte er sich in die Rolle des Opfers, nicht des Täters. Er betitelte den Abend als eine „bsoffne G’schicht“ (ebd. S. 211). Sein Fazit: „Das war ein gezieltes politisches Attentat. Eine Auftragsarbeit“ (ebd.)
„Seine Erklärung ist ein Meisterwerk der populistischen Rede. Strache gibt sich reuig, entschuldigt sich bei seiner Frau und dafür, zu viel getrunken zu haben- und geht ansatzlos dazu über, den Feind zu attackieren.“ (ebd. f.)
Auch Johann Gudenus bleibt nicht unbeschadet. Er legt seine Tätigkeiten als geschäftsführender Klubobmann der FPÖ nieder und tritt von seinem Nationalratsmandat zurück. Des Weiteren tritt er von allen Funktionen in der FPÖ zurück.

Foto: Helen Wörner
Und die Österreicher? Die tanzen und jubeln am Wiener Ballhausplatz (dort befinden sich Kanzleramt und Präsidentschaftskanzlei) und am benachbarten Heldenplatz. „Whoa! We’re going to Ibiza“ ist von den Vengaboys überall zu hören. Es werden Partyveranstaltungen beworben mit dem Titel: „Party like HC!“ Der Wiener Ballhausplatz wird zu einer regelrechten Partymeile. Es werden immer mehr Menschen, die zum Song der Vengaboys Neuwahlen fordern.

Wie reagiert Kanzler Sebastian Kurz? Der betitelte noch am gleichen Abend in einer Pressekonferenz die Zusammenarbeit mit der FPÖ als durchgehend schwierig. „Genug ist genug“ (ebd. S. 215), sagte er bei der Pressekonferenz, er habe dem Bundespräsidenten vorgezogene Neuwahlen vorgeschlagen, und das so schnell wie möglich.

Österreichs Bundespräsident tritt noch am selben Abend (ein Tag nach Veröffentlichung des Videos) um 21 Uhr vor die Kameras bei der Wiener Hofburg. Er sagt: „Verantwortungsträger der Republik haben das in sie gesetzte Vertrauen gebrochen. Es ist eine unerhörte Respektlosigkeit Bürgerinnen und Bürgern gegenüber.“ (ebd. ff.) Er bestätigt, die von Sebastian Kurz geforderten Neuwahlen so schnell wie möglich durchführen zu wollen.

Am 20. Mai 2019 wird Herbert Kickl, der damalige Innenminister, durch Kanzler Kurz seines Amtes enthoben. Dieser war 2017, während des Skandals, Generalsekretär der FPÖ und muss somit auch Kenntnis über die „geheime Kasse“ (vgl. ebd. S. 226) der FPÖ gehabt haben. Die FPÖ kündigte darauf die Koalition mit der ÖVP.

Am 26. Mai stand dann die Europawahl an. Und da sah es, anders als erwartet, recht gut für HC Strache aus. Dieser stand auf dem letzten Listenplatz des Stimmzettels der FPÖ. Es stellte sich währenddessen heraus, dass Strache erstaunlicherweise viele Stimmen als Direktkandidat erhalten hatte. Die Identitäre Bewegung rief daraufhin auf, Strache sogenannte Vorzugsstimmen zu geben mit dem Slogan „Unsere Rache: #votestrache“ (vgl. ebd. S.228). Und es hat funktioniert. Strache hat genügend Stimmen erhalten, um als Abgeordneter ins EU-Parlament einzuziehen. Er nimmt das EU-Mandat an. „Strache ist back. Nach nur neun Tagen“ (ebd. f.).

Am 27. Mai, zehn Tage nach Veröffentlichung des Videos, steht nun auch das Amt des Kanzlers auf der Kippe. Ein Misstrauensantrag wird aufgebracht. Gestellt hat diesen die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Der Antrag wird angenommen und der Regierung damit das Vertrauen entzogen. Sebastian Kurz wird vom jüngsten Kanzler zum jüngsten Altkanzler der österreichischen Geschichte (vgl. ebd. S. 229).

Bundespräsident Alexander Van der Bellen verkündet am 31. Mai 2019, dass die Übergangsregierung bis zu den Neuwahlen von Brigitte Bierlein geleitet wird, welche ein Übergangskabinett bilden soll, mit ihr als Bundeskanzlerin. Brigitte Bierlein ist bis dato die Präsidentin des österreichischen Verfassungsgerichtshofs gewesen und parteilos.

Österreich ist mitten in der größten Regierungskrise. Auch heute noch sind die Auswirkungen des Ibiza-Skandals zu spüren. Es kommen immer mehr Details ans Licht und Österreich muss nun schauen, wie es diese bewältigen kann. Die Ibiza-Affäre wird juristisch aufgearbeitet und Stück für Stück verarbeitet.

Quellen
  • Al-Serori et al. in Süddeutsche. (20.02.2020): Großspenden an die FPÖ-Vereine aufgedeckt. https://www.sueddeutsche.de/politik/ibiza-fpoe-strache-spenden-1.4806078 [22.07.2020]
  • Obermaier F., Obermayer B. (2019). Die Ibiza-Affäre. Innenansicht eines Skandals. Wie wir die geheimen Pläne von Rechtspopulisten enttarnen und darüber die österreichische Regierung stürzte. Verlag Kiepenheuer& Witsch. Köln.

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