Donnerstag, 23. Juli 2020

Chronologie: Terroranschlag in Oklahoma (1995)

Dies ist ein Hintergrundtext von Annabell Bühler zu folgendem Eintrag in der Chronologie:

1995: Rechtsextremer Terroranschlag in Oklahoma

Am 19. April 1995 gab es in Oklahoma City, Oklahoma, den bis dato schlimmsten Terroranschlag in den USA. Ein mit Sprengstoff beladener Van brachte einen Teil des Alfred P. Murrah Federal Buildings, das acht Stockwerke umfasste, zum Einsturz. Es handelte sich um ein Regierungsgebäude, das in der Innenstadt lag und unter anderem Büros des Secret Service, der Drug Enforcement Administration und des Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives beheimatete. Bei diesem Terroranschlag starben 168 Menschen, darunter 19 Kinder, durch einen Rechtsextremisten, der die Bombe des Vans zündete (BpB, 2020). In der folgenden Chronik wird der Täter porträtiert und auf die amerikanische Rechte eingegangen. 

Der Täter und das Attentat

Der Täter wurde 1968 im Norden des Bundesstaates New York geboren. In der Schule erbrachte er unterdurchschnittliche Leistungen. An einer Hochschulbildung war er nicht interessiert und brach sein Studium früh ab (Russakoff & Kovaleski, 1995). Mitte der 1980er Jahre kam er auf den Arbeitsmarkt, als Jobs für wenig qualifizierte Arbeitskräfte im Agrar- und Handwerkssektor gerade versiegten (Soule & van Dyke, 2002, S. 502). Er war deshalb oft arbeitslos, und die Regierung unternahm wenig, um zu helfen (Russakoff & Kovaleski, 1995).

In dieser Zeit begann der Täter, sich mehr und mehr für Gewehre zu interessieren und besaß zwei halbautomatische Schusswaffen (Russakoff & Kovaleski, 1995). In Perioden, in denen er erwerbstätig war, erinnern sich Arbeitskolleg*innen an Verhaltensauffälligkeiten von ihm, die sie auf Medikamente zurückführten.

Um seiner prekären Arbeitssituation zu entkommen, entschloss sich der Attentäter für einen Eintritt in die US-Armee. Eine seiner Hauptmotivationen, sich der US-Armee anzuschließen, war das Schießen (Russakoff & Kovaleski, 1995). In der Armee lernte er einen Soldaten aus Michigan kennen, der sein Freund und später sein Komplize bei dem Terroranschlag in Oklahoma wurde. Beide fanden heraus, dass sie „Survivalists“ (dt.: Prepper) waren und glaubten, die Regierung wolle das Second Amendment (das Recht, Waffen zu tragen) auflösen und den US-amerikanischen Bürger*innen ihre Waffen wegnehmen.

Die Faszination des Täters an jeglichen Kampfgeräten wuchs in der US-Armee weiter. Als Soldat lieferte er ein nahezu perfektes Bild ab, arbeitete hart und vorbildlich. Der Täter wäre sogar zum Sergeant ernannt worden, wäre nicht sein Rassismus gewesen, denn nicht selten kamen abfällige Bemerkungen über Schwarze von ihm.

Nach seiner Zeit in der Armee, die er 1991 verließ, begann abermals eine ziellose Etappe seines Lebens, in der sich seine regierungsablehnenden Ansichten steigerten und er sich einredete, die Vereinigten Staaten seien im Niedergang. Der Attentäter zeigte vermehrt antisemitische Tendenzen und gehörte nun auch der Bürgerwehr an, die an Zuwachs gewann, als der damalige President Bill Clinton sich kritisch gegenüber privatem Waffenbesitz äußerte (Russakoff & Kovaleski, 1995).

Im Sommer 1992 besuchte der Täter seinen Freund aus der US-Armee in Michigan. Zwischen Winter 1993 und dem Anschlag im April 1995 pendelte der Terrorist zwischen Kingman, Arizona und dem Wohnort seines Freundes in Michigan hin und her. Beide Orte waren Hochburgen paramilitärischer Anti-Regierungsorganisationen.

Vorfälle in Idaho im Jahr 1992 und Waco, Texas, am 19.04.1993 zwischen Preppern, Mitgliedern fundamental-christlicher Sekten und der Regierung, bei denen mehrere Sektenanhänger und Prepper starben, trugen zusätzlich zur Radikalisierung des Attentäters und seiner Anti-Regierungsansichten bei. Der Vorfall in Texas gilt zudem als Schlüsselmoment für die Milizbewegung der USA.

Das Datum des 19. April war für ihn, den Attentäter, nun von großer Bedeutung. Es stand nicht nur für den Vorfall in Waco mit mehreren Toten, den er vermutlich rächen wollte, sondern auch für den Anfang der Amerikanischen Revolution (vgl.: Gefechte von Lexington und Concord, 19. April 1775). Am 19. April 1995 entlud sich schließlich der Hass des rechtsextremen Täters auf die US-amerikanische Regierung, indem er das Alfred P. Murrah Federal Building in Oklahoma City zum Einsturz brachte, 168 Menschen tötete und über 500 verwundete.
„Das Gebäude in Oklahoma City wählte [der Täter] den rechten Verschwörungstheorien folgend als Ziel aus, weil darin mehrere Bundesbehörden untergebracht waren […]. Angeblich soll die Waco-Aktion gegen die […] Sekte von Oklahoma City aus gesteuert worden sein“ (BpB, 2020).
Der Attentäter wurde kurze Zeit später festgenommen und am 11. Juni 2001 hingerichtet - drei Monate bevor der Anschlag auf das World Trade Center in New York das Oklahoma City Bombing als schlimmsten Terroranschlag in den USA ablöste.

Die amerikanische Rechte - Milizgruppen

Mit dem Oklahoma City Bombing erregten sogenannte Milizgruppen (dt. Bürgerwehren) nationale Aufmerksamkeit (Soule & van Dyke, 2002). Die Geschichte der „Militias“, wie sie auf Englisch genannt werden, geht bis zum Amerikanischen Bürgerkrieg zurück. Jedoch haben die heutigen Milizgruppen mit den damaligen beinahe nichts mehr zu tun.

Studien zufolge führte unter anderem die „Farm Crisis“ der 1980er Jahre, in der viele Kleinbauern und landwirtschaftliche Betriebe mittlerer Größe ihr Geschäft aufgeben mussten, zu einem Erstarken der Milizen (Mulloy, 2005). Aber auch die steigende politische Einflussnahme von früher benachteiligten, sogar entrechteten Gruppen, wie Afro-Amerikaner*innen, Frauen und Juden beeinflusste die Bewegung (Soule & van Dyke, 2002, S. 497). Diese Ursachen schürten bei Weißen das Gefühl, politisch, ökonomisch und demographisch bedroht, gar entmachtet, zu sein und führten zu einem Anstieg von sowohl rassistischer und rechtsextremer Gewalt als auch von Sexismus (Soule & van Dyke, 2002, S. 499). Zu den betreffenden Gruppen zählen unter anderem:
  • die John Birch Society, eine radikale, rechte, antiglobalistische und antikommunistische Bewegung, die sich 1958 gründete (Stone, 1974),
  • der Ku Klux Klan, ein rechter, fanatischer, rassistischer und gewalttätiger Geheimbund, der hauptsächlich in den Südstaaten agiert,
  • die Minutemen, eine militante, antikommunistische Bewegung der 1960er Jahre und
  • die Posse Comitatus (dt.: „Kraft des Landes“), eine rechtsextreme Bewegung, die in den frühen 1970er Jahren gegründet wurde (Levitas, 1998).
Alle Gruppierungen, die vorwiegend im Untergrund handeln, können dem rechts-konservativen bis rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden (Soule & van Dyke, 2002, S. 501). Die Mitglieder sind in den allermeisten Fällen weiß, männlich, (fundamental) christlich und wirtschaftlich benachteiligt (Mulloy, 2005). Was die rechte Bewegung in den USA eint, ist die ideologische Ansicht, dass die US-Regierung ihre Bürger*innen nicht repräsentiere, sie sogar verrate, und sich nicht an die Verfassung halte (Soule & van Dyke, 2002, S. 501).

Die Mitglieder der rechtsextremen Gruppen sind dem Recht, eine Waffe zu besitzen, stark verbunden und stehen einer Kontrolle und Regulierung des eigenen Waffenbesitzes oppositionell gegenüber. Zudem sind sie der Auffassung, dass die USA in eine neue sozialistische Weltordnung rutsche, die von jüdischen Finanzexpert*innen finanziert, von den Vereinten Nationen unterstützt und geleitet würde und darauf abziele, eine Diktatur zu errichten (Soule & van Dyke, 2002, S. 501).

Während man um die Jahrtausendwende einen Rückgang der Milizbewegung verzeichnete (Westcott, 2001), sorgte die Finanzkrise 2007/2008 und die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten der Vereinigten Staaten im Jahr 2008 für ein erneutes Aufflammen der Bewegung (Schendel, 2012). Zusätzlich brachte die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016 eine Vielzahl offen rechtsextremer Gruppierungen hervor. Unter anderem formierte sich die Alt-Right-Bewegung (die alternative Rechte) in den 2010er Jahren, die wohl mit ihrer „Unite the Right“.Kundgebung im August 2017 in Charlottesville, Virginia, bei der eine Person starb und zahlreiche weitere Menschen verletzt wurden, weltweit am meisten für Aufsehen gesorgt hat.

Literatur

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