Sonntag, 6. Januar 2019

Rezension zu Reinhard Olschanski: Der Wille zum Feind

Olschanski, Reinhard (2017), Der Wille zum Feind. Über populistische Rhetorik, Wilhelm Fink.

Rezension

Autorin: Katharina Hermann

In Reinhard Olschanskis Buch „Der Wille zum Feind“ geht es um die populistische Rede und ihre Rhetorik, dabei geht er der Frage auf den Grund, was die entscheidenden Unterschiede zur politischen Rede sind und wie der Redner eine Verbindung zu seinem Publikum aufbaut.

Zu Beginn des Buches wird man mit einigen Methoden der populistischen Rede bekannt gemacht, wie z.B. der Erhabenheit gegenüber dem Gegner und gleichzeitig Betonung der „Mittelmäßigkeit“ des Redners, es geht um die schweigende, vergessene Mehrheit und um den wichtigsten Punkt jeder populistischen Rede: dem Wille zum Feind, der alles antreibt. All diese Punkte und weitere tauchen anschließend in den Kapiteln wieder auf und malen so ein deutliches Bild der populistischen Rede.

Im ersten Kapitel beschreibt der Autor das rhetorische Dreieck, das aus dem Redner, seinen Zuhörern und einem dritten Gegenstand besteht, der dem Redner dabei hilft, seine Hörer zu erreichen. Dieser Gegenstand ist in der populistischen Rede immer der Feind, so wird aus der Rede stets eine aggressive und verletzende Handlung, die niemals nur sachlich bleibt. Es sollen dabei Hass und Vorurteile geschürt werden.


Die Populisten haben den Anspruch an sich selbst, dass ihre Rede auch eine politische sei. Zwar halten sie sich meist an den Aufbau des klassischen Modells einer Rede, ihr Inhalt hat jedoch wenig mit dem einer politischen zu tun. Sie hält sich nicht an die Regeln von Höflichkeit und Respekt, um eine Eskalation zu vermeiden. Sie sucht vielmehr nach der Eskalation und ist nicht bereit, mit Gegnern zu verhandeln, denn für sie sind alle Gegner Feinde.

Olschanski beschreibt als weiteren wichtigen Gegenstand das sogenannte „Herzland“ des Populisten, es verbindet den Redner mit seinen Zuhörern. Doch es schwebt in großer Gefahr, denn es wird von einem Feind bedroht. Ziel des Populisten ist es also, seine Hörer zum gemeinsamen Kampf gegen den Feind und für die Rückeroberung des Herzlandes aufzurufen.

Als passenderen Oberbegriff für die populistische Rede erwähnt der Autor hier die epideiktische Rede oder sogar Schmährede, wobei der Gegner abgewertet und in die Rolle des Feindes gedrängt und ausgeschlossen wird. Die populistische Rede ist nicht bereit zur Diskussion, sie will nur schmähen, verdammen und sich selbst erhöhen.

Auch wenn die populistische Rede nicht einer politischen entspricht, ist es dennoch wichtig, sie an den Maßstäben der Demokratie zu messen, denn an ihre Regeln muss sie sich trotzdem halten.

„Fishing for Compliments“ ist die Überschrift des zweiten Kapitels, in dem der Schwerpunkt auf der Beziehung zwischen Redner und Zuhörer liegt. Nicht nur die populistische Rede will die Zuhörer für sich gewinnen, doch sie macht es auf eine ganz besondere Weise. Sie schmeichelt dem Publikum über einen negativen Zugang, bei dem über den Feind geschimpft und das Publikum dagegen groß gemacht wird.

Ein weiterer Punkt ist die Übermächtigung, bei der der Redner so prunkvoll auftritt wie ein Popstar. Dabei werden auch die Zuschauer erhöht, da sie glauben, ein wichtiger Teil dieses besonderen Moments zu sein.

Das Gegenteil davon ist, wie es der Autor nennt, das „Understatement“, bei dem sich der Redner, zum Beispiel mit seinem äußeren Erscheinungsbild, auf eine Ebene mit seinem Publikum begibt und damit zum Ausdruck bringt: Ich bin genau wie ihr! Außerdem gibt es auch noch eine Mischung von beidem. Ein Beispiel dafür ist Adolf Hitler, der seine Reden linkisch anmutend und unsicher begann, dann jedoch immer stärker wurde, bis zur Übermächtigungsgeste. Der Redner möchte nicht nur Zeichen setzen, sondern auch selbst eines sein.

Im nächsten Kapitel geht es um das postfaktische in der populistischen Rede. Der Postfaktizismus hält sich nicht an die Wahrheit, was schwierig ist für die politische Rede. Denn die hat die Vorschrift, Fakten darzustellen und verständlich zu sein. Doch beides trifft meist nicht auf die populistische Rede zu, denn erst durch ihre Faktenferne wurde sie populär. Sie hält sich meist nur kurz bei der Schilderung der Lage und der Fakten auf, um schnellstmöglich zu ihrem wichtigsten Punkt zu kommen: der Anfeindung.

Die Überschrift des nächsten Kapitels lautet „Die Welt des Man“, darin geht es um den Populisten, der wütend ist, da die Welt seine Ansprüche nicht erfüllt. Er ist die schweigende Mehrheit und wird zum Kämpfer für seine eigene Welt, gegen Eindringlinge und die Elite.

Als nächstes erklärt Olschanski den „Familialismus“ und die damit verbundene Verhaltensweise des Populisten, sich nach der Vergangenheit und der verloren gegangenen kleinbürgerlichen Familie zu sehnen. Dabei werden die einengenden Verhältnisse und starren Rollenbilder von damals ausgeblendet, man erinnert sich nur noch an die damalige Liebe, Sicherheit und Fürsorge, die mit „Gender-Wahn“, Migranten und "Umvolkung" verloren gegangen sei. Es ist eine Verklärung des christlich-fundamentalistischen Familienbildes, in dem kein Raum für Homosexualität, Recht auf Abtreibung und nicht-leibliche Eltern herrscht. Eine Retrotopie wird geschaffen.

Ein weiteres Verhaltensmuster populistischer Redner ist die Entpluralisierung. Das beste Beispiel dafür ist die Aussage: „Wir sind das Volk“. Dabei werden alle Anhänger zu einer gleichförmigen Masse und zur neuen Elite, denn wer nicht wie sie ist, gehört nicht zum Volk.

Der Populist präsentiert sich als Verletzter mit gebrochenem Herzen, denn seine geliebte Eigenwelt, sein „Herzland“ ist bedroht. Er sieht auf die Vergangenheit zurück als eine perfekte heile Welt und sehnt sich damit zurück ins verloren gegangene „Paradies“. Alles was neu ist, ist für ihn schlecht.

Im fünften Kapitel geht Olschanski genauer auf die Weltsicht des Populisten ein, der sich darin ein Drama erschafft und die Schuld an allem dem Feind gibt. Der Hauptpunkt seiner Rede ist stets der Beweis des Feindes und dessen Bekämpfung, dazu will er negative Gefühle bei seinen Zuhörern aufrufen und sie zu Handlungen gegen den Feind anregen. Der Autor beschreibt, wie sich zwei Fronten, Pegidisten und Salafisten, in ihrer gegenseitigen Anfeindung vereinen und so immer wieder neu als Gegner bestärkt werden.

Wenn es keinen Feind gibt, schafft sich der Populist eben selbst einen. Olschanski bezeichnet ihn hier als Philosophen, der allerdings nicht der Schöpfer seines eigenen Werkes sein möchte, denn nur so wird der Feind zu einer festen Größe.

Die Überschrift des sechsten Kapitels lautet „Rede ad personam“, also quasi gegen den Feind. Auch Kontrahenten sind keine Debattengegner, sondern Feinde. Populismus macht andere schlecht, um sich selbst damit zu erhöhen, was man zum Beispiel am Umgang von Trump mit Hillary Clinton erkennen konnte. Sein Motto könnte sein: „Angriff ist die beste Verteidigung“. Zudem zeichnet sich ein Populist durch seine Respektlosigkeit aus, er sagt einfach ungefragt „du“, so wird die Rede ad personam sehr persönlich und übergriffig und will genau das auch sein.

Da der Populist sich vom Feind in seiner eigenen Welt unterdrückt fühlt, kämpft er für seine Befreiung. Er glaubt zum Objekt, zum hilflosen Gegenstand gemacht worden zu sein, doch nun will er zurückkehren und zwar als wiederauferstandenes Subjekt. Da ihm die Kontrolle geraubt wurde, möchte er das kompensieren, indem er die Kontrolle über einen anderen gewinnt, über seinen Feind. Und das soll für das gesamte Volk gelten, dabei zählt allerdings nicht mehr jeder einzelne, sondern nur noch eine einzige Masse. Olschanski sagt dazu: „Jeder gefällte Feind ist ein Stück zurückgewonnener Souveränität“, was dem Populisten dabei hilft, wieder zum Subjekt zu werden.

Die populistische Rede möchte Aufklärung leisten, doch es ist keine wahre Aufklärung, es bleibt stets alles undurchsichtig. Denn es findet keine klare Analyse statt, ein Mythos wird stattdessen dem Publikum aufgetischt und die Rede wird zur Kampfansage gemacht.

In Kapitel 8 entlarvt Olschanski die populistische Rede als Performance zur Volksbelustigung. Denn sie legt keine Fakten dar, viel wichtiger ist es ihr zu schockieren. Der Autor geht sogar so weit zu sagen, dass Populisten sich der Nähe zu früheren öffentlichen Hinrichtungen mit ihrer Rede wohl bewusst sind und es auch provozieren möchten.

Als nächstes wird noch auf das rhetorische Dreieck vom Anfang eingegangen, mit Schwerpunkt auf dem dritten Punkt, dem Feind. Er wird mit der populistischen Rede ausgegrenzt und nach draußen verbannt. Sollten populistische Gegner während einer Rede auftreten, gelten sie durchaus als Bestätigung für die Populisten. Sie sind leicht in die Rolle des Feindes abzudrängen, werden vom gesamten Publikum verachtet und vereinen so das Publikum, indem sie den Gegner gemeinsam einschüchtern und besiegen. Wenn sich der Gegner allerdings nicht seiner Rolle als Verlierer fügt, kommt es zu einer Krise innerhalb des Zuhörerkreises. Es ist typisch für sie, dass sie lieber vor dem Feind fliehen und behaupten, dass mit ihm keine Verständigung möglich sei, denn mit einem Gegner verhandeln können sie nicht. Im schlimmsten Fall lassen sie ihren Feind von der Security nach draußen begleiten.

Ein weiteres Ziel der populistischen Rede ist die Vereinigung des Redners mit seinem Publikum. Mit hooliganmäßiger Lautstärke wird die Überlegenheit gegenüber dem Feind proklamiert und die Masse zusammengeschweißt. Aber die populistische Wut lässt sich nicht einengen und kann auch mal außer Kontrolle geraten.

Populismus hat viele Schnittmuster, mit denen alle möglichen Feinde ausgegrenzt werden. Nicht nur mit dem horizontalen Schnitt nach oben gegen die Elite und nach unten gegen alles, was schlechter ist. Auch vertikal werden so andere Gruppen ausgegrenzt und zum Feind gemacht.

Man kann Populismus nicht an seinen Inhalten festmachen, sondern lediglich an seinem politischen Stil. Der Inhalt kann sich chamäleonartig mal links mal rechts anpassen und überspielt seine Widersprüche, indem er sich klar von Demokratie und Parlament abgrenzt.

Im zehnten Kapitel geht es um die Zweisprachigkeit des Populismus. Er versteht sich besonders gut darauf, wenn die Kameras laufen, einen anderen, harmloseren Ton anzuschlagen und auf extreme Anfeindung zu verzichten. Ein wichtiges Mittel dabei ist die doppeldeutige Sprache, mit welcher Aufsagen nicht klar ausgelegt werden könne, sondern der Redner die Möglichkeit hat, sie zu seinen Gunsten so hinzudrehen, wie es ihm gerade passt.

Doch trotz all den Hassreden versuchen Populisten auch Herzlichkeit und Freundlichkeit zu vermitteln, sie wollen zu Herzensmenschen werden und versuchen vor allem in den letzten Jahren, auch mehr und mehr die Frauen zu erreichen. Dafür schwächen sie ihre Aggressivität durch neue Angebote ab. Sie versuchen, mit der Unmenschlichkeit der Feinde ihre eigene Menschlichkeit und Unschuld zu betonen. Olschanski spricht hier für die Populisten:
„Die Botschaft ist klar: Wir sind hart und streng, wo es sein muss, aber eigentlich lieb und nett und fürsorglich. Jeder und jede kann sich bei uns geborgen fühlen – solange es sich nicht um Flüchtlinge, Ausländer oder volksverräterische Eliten handelt.“
In Kapitel 11 wird aufgegriffen wie sich Populisten von der Vergangenheit bestimmen lassen. Sie können Verletzungen von damals nicht vergessen und so kommt es zu immer mehr aufgestauter Wut.

Am Ende des Buches möchte der Autor dem Leser noch eine Lösung für den Umgang mit Populismus mitgeben. Hier nennt er die Wichtigkeit, die Verunsicherungen der Menschen abzubauen und sie wieder an den demokratischen Pluralismus zu binden - und das natürlich ohne Feindbild! Man muss mehr bieten als die Beschimpfung der Populisten. Für sich selbst ist es wichtig zu wissen, „dass zwischen Neoliberalismus und einem ressentimentgeladenen Populismus kein tiefer Graben liegt, sondern vielleicht nur jener Münzkörper, der zwei Seiten einer Medaille trennt und verbindet.“

Olschanski schließt mit der Frage, ob es sich lohne, dem Populismus so viel Aufmerksamkeit zu schenken, denn eigentlich gibt es viel wichtigere Probleme. Und früher wurden Islam- oder Asylkritiker noch schlicht Rassisten genannt.

Mir hat an Olschanskis Buch gut gefallen, wie er viele unterschiedliche Strategien und Denkweisen der Populisten offenlegt, was sehr hilfreich im Umgang mit populistischer Rede für jeden von uns ist. Allerdings schimmert doch recht deutlich seine stark linke Haltung hindurch, der ich nicht in allen Punkten zustimmen kann. Denn für mich ist es keine Lösung, nur mit radikal linker Haltung gegen den Populismus vorzugehen.

Beim Lesen des Buches wurde mir bewusst, dass eine ausschließlich linke Haltung auch Probleme aufweisen kann, wenn man dazu neigt, alles zu respektieren und zu legitimieren. Das Suchen eines Feindbildes in allem und jedem ist natürlich eine falsche Sichtweise, doch wer sich vor nichts und niemandem mehr fürchtet und alles akzeptiert, könnte auch zu Leichtsinn neigen und etwaige Probleme und Gefahren übersehen. Wichtig finde ich zu erwähnen, dass man nicht zum Populisten wird, wenn man an manchen Stellen ihre Meinungen teilt, wie man es z.B. den Christen vorwerfen könnte, es gehört eindeutig mehr dazu, auch wenn die Grenzen hier natürlich fließend sind.

Das Buch kann ich all jenen empfehlen, die sich gerne mit populistischen Reden genauer auseinandersetzen und sich vielleicht auch manchmal fragen, wie der Populist es schafft, seine Anhängerschaft scheinbar so leicht zu überzeugen und zu fesseln. Hierzu liefert Olschanski eindeutige Antworten mit vielen Beispielen von Populisten und ihren Reden.

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