Mittwoch, 31. Januar 2018

Rezension zu Nierth/Streich: Brandgefährlich

Nierth, Markus / Streich, Juliane (2016), Brandgefährlich – Wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht. Erfahrungen eines zurückgetretenen Ortsbürgermeisters, Ch.Links (oder Lizenzausgabe für die bpb, Bonn 2017)

Rezension

Autor: Tom Meyer

In „Brandgefährlich“ schildert Markus Nierth, der ehrenamtliche Ortsbürgermeister der sächsischen Gemeinde Tröglitz, wie mit der Ankündigung, einige Flüchtlinge im Ort unterzubringen, rechte politische Kräfte in den Ort voller wütender und besorgter Bürger vorstießen, was letztlich in einem schrecklichen Brandanschlag gipfelte.

Der Theologe und parteilose ehrenamtliche Bürgermeister Nierth lebt zusammen mit seiner Frau Susanna und seinen Kindern auf einem schönen Hof in Tröglitz. Er, in seiner Funktion als Ortspfarrer, und Susanna, mit der er eine Tanzschule betreibt, haben beide viel Kontakt zu den Bürgern der kleinen Gemeinde und sind bei den Menschen sehr beliebt.


Im Zuge der Flüchtlingskrise sollen auch in Tröglitz einige Flüchtlinge untergebracht werden, was zum Auslöser für die erschreckenden Entwicklungen in der kleinen Gemeinde wird. Nachdem die Leute darüber informiert wurden, dass tatsächliche Asylbewerber im Ort untergebracht werden sollen, sieht Nierth, wie die Bürger, die mit Vorurteilen und Ängsten auf die Nachricht reagieren, von keiner der dafür zuständigen Behörden darüber aufgeklärt werden.

In der Folge fühlt er sich von seinen Politikerkollegen im Stich gelassen und versucht auf verschiedenen Wegen, seine Tröglitzer, die ihm selbst immer fremder werden, zu beschwichtigen und über Vorurteile aufzuklären. Er schreibt mehrere Briefe, organisiert Informationsveranstaltungen und versucht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Jedoch verfehlen alle seine Versuche die gewünschte Wirkung und die Stimmung im Ort, auch gegen ihn selbst und seine Familie, droht immer mehr zu kippen.

Er und Susanna müssen sich jetzt nicht nur gegen radikale Facebook-Seiten wehren, die gegen Flüchtlinge in Tröglitz aufrufen, sondern auch gegen regelmäßig stattfindende Demonstrationsmärsche durch den Ort ankämpfen, deren Führung und Organisation die in dieser Gegend immer präsente NPD schleichend übernommen hat. Als Nierth erkennt, dass sich auch bei seinen Gegendemonstrationen nur wenige Tröglitzer den Rechten in den Weg stellen, wird er wütend und ist enttäuscht von den Leuten, für deren Wohl er sich so gerne als Bürgermeister eingesetzt hatte.

Der sehr einsame und anstrengende Kampf seiner Familie gegen eine sich ausbreitende fremdenfeindliche Gesinnung in ihrem Ort endet mit seinem Rücktritt als Bürgermeister, als die Behörden ihm und seiner Familie den Schutz verweigern. Diesen hatte er gefordert, als er von einer NPD-Demonstration erfuhr, die bis vor sein Haus führen sollte. Jedoch erteilten die Behörden den Organisatoren kein Verbot, woraufhin Nierth zurücktritt und deutschlandweit mediale Aufmerksamkeit erlangt.

Ab diesem Moment ist Markus Nierth ein gefragter Gast in vielen Talkshows und wird von Zeitungen aus ganz Europa interviewt. Er erhält jetzt auch viel Zuspruch von höheren Politikern, Landtags- und Bundestagsabgeordnete besuchen ihn. Sogar der Ministerpräsident kommt persönlich vorbei. Nierth erzählt von einem sehr positiven Bild, welches er von der Arbeit der meisten Journalisten und Politikern bekommt, kritisiert aber auch einige unseriös arbeitende und scheinheilig auftretende Begegnungen.

Der Höhepunkt der aufgeheizten Stimmung ist ein Brandanschlag auf das Gebäude, in dem in einigen Wochen die ersten Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Zwar sind beim Brand keine Personen ernsthaft zu Schaden gekommen, jedoch ist dieser Anschlag als einschüchterndes und bedrohliches Zeichen an die ankommenden Menschen zu verstehen. Die Widerwärtigkeit dieses Brandanschlags lässt auch ganz Deutschland auf den kleinen sächsischen Ort blicken und trotz des großen allgemeinen Interesses, den Täter zu finden, gelingt es der Polizei bis heute nicht, jemanden für diese Tat zur Verantwortung zu ziehen.

Die Bürger aus Tröglitz jedoch finden, sie werden von den Medien zu Unrecht als ein Dorf voller Rechter verurteilt und geben Nierth die Schuld an dieser Tatsache. In der Folge werden die Angriffe auf Nierth und seine Familie immer heftiger, sie bekommen Drohbriefe, werden ausgegrenzt und stehen unter dauerhaftem Polizeischutz. Auch für die Arbeit der engagierten Polizeibeamten dankt Nierth an mehreren Stellen im Buch.

In den folgenden Kapiteln vergleicht Nierth die Vorfälle in Tröglitz mit Angriffen, denen sich beispielsweise ein Pfarrer einer kleinen bayerischen Gemeinde ausgesetzt sieht, als er in seinem Ort gegen fremdenfeindliche Strömungen vorgeht, oder wie es auch in einer baden-württembergischen Gemeinde zu ähnlichen Ereignissen kommen konnte.

Nierth will zeigen, dass es sich dabei keinesfalls um ein rein ostdeutsches Phänomen handelt, macht sich aber anschließend Gedanken, wieso es den Rechten in den neuen Bundesländern immer noch leichter fällt, sich auszubreiten und gute Wahlergebnisse zu erzielen. Dabei geht er auch auf die geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklungen der DDR-Zeit ein und zieht daraus Erkenntnisse für so manche Handlungsweise in der heutigen ostdeutschen Gesellschaft.

Die Ergebnisse dieser Überlegungen dienen dem Autor dazu, mögliche Lösungsstrategien zu skizzieren, mit denen man den Rechten in diesen Gebieten die Grundlage entziehen kann. In seinen Ideen spielen neben einer besseren politischen Bildung auch die Vermittlung verlorengegangener gesellschaftlicher Werte eine Rolle.

Ein großes Problem sieht Nierth für die Menschen, welche in unserer Leistungsgesellschaft keinen Platz finden, weil sie einfach nicht über die benötigten bzw. erwarteten Stärken verfügen. Diesen Menschen, sagt Nierth, muss man eine Perspektive bieten, damit sie ihre Anerkennung nicht in rechtsextremen Gemeinschaften suchen. In einem kurzen Kapitel am Ende kehrt Nierth nach Törglitz zurück und beschreibt, wie die Ankunft der Flüchtlinge letztendlich verläuft:

Es gibt viele engagierte Helfer, die den Flüchtlingen mit Geld oder Rat zur Seite stehen, selbst ein paar der sogenannten „besorgten“ Bürger erkennen zu seiner Freude nun, dass es ja eigentlich gar keinen Grund zur Sorge gibt, da alles perfekt funktioniert.

Die vollständige Überschrift lautet: „Brandgefährlich - Wie das Schweigen der Mitte die Rechten stark macht“. Der Titel ist nicht nur eine Anspielung auf den Brandanschlag, sondern beinhaltet auch gleichzeitig schon das eigentliche Hauptthema, welches Nierths Ausführungen durchgehend durchzieht.

„Das Schweigen der Mitte“ - und das ist eine von seinen Erkenntnissen - darf man nicht mit eingeschüchterten Menschen verwechseln, sondern steht oftmals für eine stille Zustimmung. Was sich in der Flüchtlingskrise durch das Aufkommen rechter Strömungen auch in Zahlen lesen lässt, ist eine dramatische Zunahme von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte und weiterer rechtsextremer Straftaten.

Auch die Art, wie man über Menschen anderer Herkunft, über die politische „Elite“, die „Lügenpresse“ oder die „Gutmenschen“ redet, ist eine sehr bedenkliche Entwicklung. Sätze, die früher hinter verschlossenen Türen ausgesprochen wurden, sind heute salonfähig und werden in aller Öffentlichkeit zum Besten gegeben. In den meisten Fällen erfahren die Menschen, die so etwas äußern, nicht einmal Widerspruch, sie können sich sicher fühlen, man lässt sie machen.

Und da ist die große Gefahr, auf die dieses Buch hinweist. Bürgermeister Nierth und seine Frau warten die ganze Zeit darauf, dass endlich einige mutige Tröglitzer Bürger aufspringen und sich den rechtsextremen Demonstrierenden in den Weg stellen. Jedoch kommt diese Hilfe nicht, die Rechten dürfen sich ohne Widerspruch immer mehr ausbreiten und erfahren aus der Bevölkerung noch leisen Zuspruch.

Nierth mahnt an dieser Stelle, nicht alle Bürger als „Rechte“ oder „Nazis“ zu bezeichnen, sondern weist darauf hin, dass jeder Mensch unterschiedliche Gründe hat, wieso er eine bestimmte rechte Position teilt. Vielleicht helfen ihm auch sein theologischer Hintergrund und sein Glaube dabei, jeden Menschen im Kern als gut anzusehen und nie die Hoffnung zu verlieren, dass man jeden Menschen auch wieder verändern kann.

Er spricht die auf politischer Ebene begangenen Fehler deutlich an, ohne dabei den Blick auf die gut funktionierenden Mechanismen, wie zum Beispiel einfühlsame Polizeibeamte oder gute Berichterstattung, zu verlieren. Markus Nierth schildert in seinem Buch beeindruckend, wie es Leuten ergehen kann, die sich bedenklichen Entwicklungen mutig entgegenstellen.

Durch die sehr intimen Gedanken, die er schildert, kann man sich gut in seine Lage und die Lage seiner Frau hineinversetzen und bekommt ein sehr persönliches Bild eines hochpolitischen Themas. Der Umgang mit den Flüchtlingsströmen ist auch 2018 noch sehr brisant. Man bekommt durch dieses Buch auch Einblicke in die Probleme, vor welchen die Behörden und Politiker stehen, was im Alltag des „normalen“ Bürgers selten der Fall ist. Daher trägt das Buch dazu bei, den eigenen Horizont zu erweitern und eine andere Perspektive einzunehmen.

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