Montag, 13. März 2017

Wie ist der Aufstieg von Avigdor Lieberman und seiner Partei Israel Beitenu zu erklären und welchen Einfluss haben sie auf Israel?

Seit der Staatsgründung am 14. Mai 1948 hat sich in Israel viel verändert: Mehr als drei Millionen Einwanderer wurden erfolgreich integriert. Die Wirtschaft entwickelte sich von einem agrarisch geprägten Staat zu einer der führenden Hightech-Nationen weltweit. Geblieben sind die Gegensätze und Auseinandersetzungen in der Gesellschaft: zwischen Säkularen und Orthodoxen, europäischen und orientalischen Juden, arabischen und jüdischen Israelis, zwischen Befürwortern und Gegnern eines Ausgleichs mit den Palästinensern. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst ebenso wie die Individualisierung der Gesellschaft (vgl. bpb Israel).

Die kreuz und quer verlaufenden sozialen Spaltungen in der Gesellschaft werden durch die Parteien vertreten. In der israelischen Knesset hat es deshalb seit der Staatsgründung nie weniger als zehn parlamentarische Fraktionen gegeben. Die wichtigste Trennlinie zwischen den politischen Blöcken und Parteien seit dem Sechs-Tage-Krieg (1967) ist die zwischen „Tauben“ und „Falken“.

„Tauben“ werden diejenigen genannt, die das Prinzip „Land für Frieden“ unterstützen. Damit ist die Bereitschaft zu einem permanenten Frieden mit den Palästinensern und Syrern gemeint. Voraussetzung dafür ist die Rückgabe der Gesamtheit oder eines großen Teils der von Israel im Sechs-Tage-Krieg besetzten Gebiete. Die „Tauben“ befürworten die Einrichtung eines palästinensischen Staates und die Teilung Jerusalems zwischen Israel und Palästina.

Hinter dem Slogan „Frieden für Frieden“ verstecken sich die „Falken“-Parteien. Sie haben die Absicht, alle oder fast alle besetzten Gebiete zu behalten und auf lange Sicht zu annektieren. Eine Falkenpartei ist die Israel Beitenu (hebr.: Israel ist unser Haus) – eine ursprünglich russische Einwanderer-Partei der 1990er Jahre. In den letzten Jahren entwickelte sich Israel Beitenu zu einer nationalistischen Partei, welche die Ansichten der Mehrheit der russischen Einwanderer vertritt.

Anders als die anderen Parteien des Falkenlagers (Likud, Nationale Einheit), die dem orthodoxen Lager nahestehen, vertritt Israel Beitenu eine nationalistisch-weltliche Ideologie (vgl. bpb, Parteien in Israel 2008). „Keine Staatsbürgerschaft ohne Loyalität“ und „Lieberman versteht Arabisch“ – mit diesen Wahlslogans gewann die Partei im Februar 2009 15 Sitze und wurde vor der traditionsreichen Arbeitspartei drittstärkste Kraft in der Knesset.

Das Erstarken der radikalen Rechten erregte national wie international großes Aufsehen. Die Partei brachte in der 18. Knesset (2009-2013) zahlreiche Gesetztesvorschläge ein, die die demokratischen Grundlagen des Staates und den staatsbürgerlichen Status der arabischen Minderheit in Frage stellten. Zwar konnte die Partei ihren Erfolg bei den Parlamentswahlen 2013 und 2015 nicht wiederholen. Dennoch ist sie nicht von der Bildfläche verschwunden und setzt ihren antidemokratischen und illiberalen Kurs fort.

Wie ist der Aufstieg von Lieberman und seiner Partei zu erklären und zu bewerten? Im Folgenden werden das Angebot von Israel Beitenu und seine gesellschaftliche und politisch-kulturelle Resonanz näher betrachtet. Es werden drei Deutungsansätze diskutiert, die den Aufstieg der Partei erklären sollen. Nachgefragt wird, ob der Aufstieg von Israel Beitenu einen Wandel der israelischen Gesellschaft bzw. der israelischen Rechten markiert, worin die spezifische Attraktivität des ideologischen Angebots von Lieberman besteht und ob es der Partei gelingt, auch außerhalb der russischsprachigen Einwanderer Sympathisanten zu gewinnen. (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 137-138).


Der Gründungskontext

Avigdor Lieberman begann bereits während seiner Studienzeit an der Hebräischen Universität in Jerusalem im Alter von 20 Jahren seine politische Karriere als Mitglied der Likud. Sein Aufstieg hat er vor allem Benjamin Netanyahu, dem Vorsitzenden der Likud zu verdanken, der ihn als Generealsekretär der Partei ernannte.

1999 gründete er Israel Beitenu mit dem erklärten Ziel, eine politische Alternative zum Likud zu schaffen. Auf Anhieb hatten sie vier Sitze im israelischen Parlament gewonnen. Im Jahr 2001 trat Israel Beitenu (im parlamentarischen Block mit anderen rechten und nationalreligösen Parteien) der Regierung bei; Lieberman bekleidete den Posten des Infrastrukturminister.

Bereits 2002 verließ er die Regierung – aus Protest gegen Sharons angeblich unzureichende, da „zu milde“ Reaktion auf die Zweite Intifada. In den darauffolgenden Wahlen erstarkte seine Partei kontinuierlich und er beteiligte sich an Regierungen. Allerdings währten die Regierungsbeteiligungen nie lange und Lieberman trat aus Protest von seinen verschiedenen Ministerposten immer wieder zurück.

Vor den Parlamentswahlen 2013 einigten sich Netanyahu und Lieberman darauf, mit einer gemeinsamen Liste unter dem Namen Likud Beitenu anzutreten. Beide Parteien haben aber nach wie vor eigenständig agiert und dementsprechend darauf verzichtet, ein gemeinsames Wahlprogramm auszuarbeiten (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 139-140). Allerdings verkündete Avigdor Lieberman am 7. Juli 2014 die Auflösung der Allianz aufgrund von Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Vorgehensweise gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas (vgl. Likud Beitenu 2016).


Parteiprogramm

Das politische Programm beruht auf einem ethnischen, nativistischen Nationalismus. Die Vorstellung von homogenen, geschlossenen Kollektiven spiegelt sich bereits im Namen der Partei wieder: Israel Beitenu = „Israel unser Haus“ oder „Israel unsere Heimat“ (vgl. Mudde 2007, S. 19). Dieser Name greift die in Israel weit verbreitete Idee der jüdischen Nation als einer erweiterten Familie auf und evoziert damit Vorstellungen einer biologischen Verbundenheit und gegenseitigen Verpflichtung.

Sie betonen die Einheit der jüdischen Nation und erheben sie zum obersten Ziel ihres politischen Handelns. Zugleich verweist der Bezug zum Heimatbegriff auf eine enge Verbindung von Volk und Territorium. Das reale bzw. angestrebte Staatsterritorium (Eretz Israel) wird als ein physisch abgegrenzter Raum mit besonderer emotionaler Bedeutung verstanden.

Die Idee des ethnischen Nationalismus wird inkludierend und zugleich exkludierend verwendet. Die biologische Zugehörigkeit zur Nation als primäre Identitätskonstruktion wird betont. So inkludierend dieses identitäsbezogene Narrativ für jüdische Einwanderer ist, so exkludierend richtet es sich gegen nichtjüdische Minoritäten, in erster Linie die palästinensische Minderheit.

Immer wieder betont Avigdor Lieberman, dass Israel zuallererst ein jüdischer Staat und dann erst ein demokratischer Staat sei. Diese Reihenfolge macht klar, welcher Begriff Vorrang hat. Das exkludierende Identitätsnarrativ spiegelt sich auch in der Zielrichtung der Loyalitätskampagne wider. Denn Lieberman verlangte nicht allein die Loyalität gegenüber dem israelischen Staat, sondern auch ein Bekenntnis zu Israel als jüdischem Staat mit seinen jüdischen Symbolen.

Lieberman geht sogar so weit, dass er sagt, dass jede Infragestellung der Eigendefinition von Israel als „jüdischer Staat“ einem nationalem Verrat gleichkomme und mit dem Verlust der Staatsbürgerschaft bestraft werden solle (vgl. Filc 2010, S. 108).

Die dargestellte weltanschauliche Orientierung prägt auch die Positionen zum israelisch-palästinensischen Konflikt. Israel Beitenu begreift den Konflikt als Teil einer globalen Auseinandersetzung zwischen dem Westen und dem radikalen Islam. Die Lösung für den Antagonismus liegt daher nicht in territorialen Zugeständnissen, sondern in einer räumlichen und ethnischen Trennung beider Bevölkerungsgruppen.

Das zentrale Ziel besteht in der Errichtung eines homogenen jüdischen Staates auf einem möglichst großen Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan. Der Grenzverlauf soll sich an den ethnischen Gegebenheiten orientieren. Deshalb müsse Israel auf jeden Angriff militärisch antworten.

Nach innen präsentiert sich Lieberman als starker Führer, der Klartext redet und über die Fähigkeit und Durchsetzungskraft verfüge, notwendige Entscheidungen zu treffen. Israel Beitenu ist dementsprechend um die Person Liebermans und sein Image aufgebaut – sowohl in der Kommunikation nach außen als auch in der innerparteilichen Organisationskultur.

Die nicht selten antielitäre Stilisierung gegen die herrschende Klasse mündet in einer Unterscheidung zwischen „dem Volk“ und der „alten Elite“. Zu ihren Vertretern zählt Lieberman die Repräsentanten der Justiz, der Medien, der staatlichen Bürokratie oder der Polizei. Israel Beitenu dagegen inszeniert sich als Stimme der von der herrschenden Klasse Unterdrückten und verspricht eine autoritär- charismatisch gelenkte „Bürgerdemokratie“.

Um der „Stimme des Volkes“ Gehör zu verschaffen, schlägt Lieberman die Einführung eines präsidialen Regierungssystems vor. In diesem solle der Präsident die Einheit des Volkes verkörpern und über starke exekutive Kompetenzen verfügen, um den Willen des Volkes umsetzen zu können. Minderheitsinteressen wie die der palästinensischen Staatsbürger solle weniger Gewicht und Einfluss bei Koalititionsverhandlungen zugestanden werden (vgl. Israel Beitenu).

Zusammenfassend sei angemerkt: Das Programm von Israel Beitenu basiert auf einem ethnischen Nationalismus, der sich gegen die palästinensische Minderheit in Israel, aber auch gegen linksliberale jüdische Israelis richtet und auf die Schaffung eines homogenen jüdischen Staates abzielt. Der Politikstil kann als rechtspopulistisch bezeichnet werden: Die Partei ist auf Avigdor Lieberman als starken Führer fokussiert; sie mobilisiert ethnozentrisch mit fremdenfeindlichen, teilweise rassistischen Ideologieelementen, zielt auf kollektive Affekte und inszeniert sich als Verteidigerin des Volkes gegenüber der herrschenden politischen und sozialen Elite (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 140- 145).


Erster Deutungsansatz

Wie ist der Aufstieg von Lieberman und Israel Beitenu zu erklären und zu bewerten? In der israelischen akademischen Debatte werden drei Deutungsansätze diskutiert, auf die im folgenden eingegangen wird (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 137- 138).

Dani Filc und Udi Lebel betonen den neuartigen Charakter von Israel Beitenu: In der Post-Oslo-Realität habe sich das Programm des Großisrael-Nationalismus als untauglich erwiesen, um Israel als jüdischen Staat zu bewahren. Sie charakterisieren Israel Beitenu daher als neue Form eines exklusiven Rechtspopulismus, der im Kern nicht mehr auf einem territorialen Maximalismus, sondern auf einem fremdenfeindlichen Ethnonationalismus basiert (vgl. Filc, Dani/Lebel, Uri 2005, S.85-97). Israel Beitenu ist durch drei spezifische Charakteristika gekennzeichnet, welche die Partei als Teil der „neuen radikalen Rechten“ sowohl von der moderaten Rechten als auch von der traditionellen Rechten in Israel unterscheiden:

Erstens: Mit der Abkehr vom territorialen Maximalismus geht eine Betonung der innergesellschaftlichen Homogenisierung gegenüber der in der israelischen Rechten bislang dominanten externen Exklusivität einher. Das Ziel einer inneren Homogenisierung hat dabei zwei Dimensionen: Einerseits zielen die von Israel Beitenu vorgeschlagenen Ideen auf eine ethnische Trennung zwischen Juden und Nicht-Juden ab. Die Staatsgrenzen sollen auf der Grundlage demographischer Erwägungen gezogen werden, in die auch das gegenwärtige israelische Staatsterritorium einbezogen ist. Israel Beitenu knüpft damit an die in vielen Varianten diskutierten Ideen eines „Transfers“ an.

Mittels ethnischer Trennung soll zugleich die innerisraelische Homogenisierung gestärkt werden, nicht zuletzt indem der jüdische Charakter des Staates und die Einrichtung des jüdischen Volkes hervorgehoben werden. In diese Stoßrichtung zielt der von Lieberman ins Spiel gebrachte Loyalitätseid, von dem die Verleihung der Staatsbürgerrechte abhängig gemacht werden soll.

Bedeutsam bleibt, dass die Partei Israel nicht als „Staat des jüdischen Volkes“ oder als „Staat aller seiner Bürger“ versteht, sondern ihn als jüdischen Staat mit jüdischen Symbolen definiert, der den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern mehr Privilegien verleiht als Nicht-Juden. Israel Beitenu befürwortet somit ein kollektivistisches Gesellschaftsmodell, in dem die Verleihung von Rechten von der Erfüllung der Pflichten des Individuums gegenüber dem Kollektiv abhängig gemacht wird.

Zweitens: Das dargelegte Konzept von Gesellschaft und Staat hat starke illiberale und antidemokratische Elemente. Zwar fordert Avigdor Lieberman nicht offen die Abschaffung der Demokratie, vertritt jedoch eine autoritäre Form der „Bürgerdemokratie“, in der demokratische Prinzipien dem jüdischen Charakter des Staates untergeordnet sind. Israel Beitenu beruft sich auf das Volk als Ganzes und bindet politische Herrschaft an ein ethnisch homogenes Staatsvolk.

Drittens: Die traditionellen Parteien der israelischen Rechten waren maßgeblich von den aus Europa stammenden Einwanderern der Vorstaatszeit gegründet worden. Sie verstanden ihre Aufgaben darin, das Volk zu führen und zu erziehen. Die Parteien der neuen Rechten, wie Israel Beitenu, fordern nunmehr die Herrschaft des Establishments heraus, indem sie materiell und politisch bisher unterprivilegierte Gruppen mobilisieren. Im Vordergrund steht die Unterteilung von „Volk“ und „Elite“ (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 145- 149).


Zweiter Deutungsansatz

Andere Autoren betrachten den Aufstieg als Resultat einer spezifisch autoritären politischen Kultur der russischsprachigen Einwanderer. Daphna Canetti-Nisim und Arkadi Mazin zeigen, dass die russischen Einwanderer überdurchschnittlich stark autoritäre und fremdenfeindliche Einstellungen aufweisen und rechten Ideologien zuneigen. Das autoritäre Angebot Liebermans, selbst ein Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, stieße daher insbesondere im russischsprachigen Milieu auf Zustimmung (vgl. Canetti-Nisim 2006 & Mazin 2006).

So war der Wahlkampf des Jahres 1999 fast ausschließlich auf die russischsprachigen Staatsbürger fokussiert. Doch in den letzten Jahren arbeitete Lieberman kontinuierlich daran, Israel Beitenu als gesamtisraelische Partei zu positionieren und über die russischsprachigen Israelis hinaus Wähler zu gewinnen. Die Wahlwerbung bediente sich nunmehr des Hebräischen und zielte auf das gesamte Spektrum der israelischen Gesellschaft ab.

Zusätzlich ging die Partei ein Bündnis mit den Parteien Moledet und Tekuma ein, um das Wählerspektrum zu erweitern und um die Partei als israelische Partei zu legitimieren. Lieberman versuchte außerhalb der russischsprachigen Gesellschaft, z.B. unter Siedlern, mit Transferforderungen zu punkten, indem er dafür warb, Ortschaften mit arabischer Bevölkerungsmehrheit im israelischen Kernland gegen Siedlerblöcke in der Westbank einzutauschen.

2009 gewann er zwei prominente Kandidaten, die der Partei außerhalb des russischsprachigen Milieus Glaubwürdigkeit verliehen. Seine Strategien waren erfolgreich: Die Zahl der russischsprachigen Wähler blieb in absoluten Zahlen konstant; darüber hinaus konnte die Partei jedoch neue Gruppen gewinnen, darunter Wähler der gemäßigten Rechten und der Siedler. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Israel Beitenu zwar besonderen Erfolg bei russischsprachigen Einwanderern zu verzeichnen hat, allerdings in den letzten Jahren auch neue Wählergruppen dazu gewinnen konnte (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 149- 152).


Dritter Deutungsansatz

Ahmad Sa’di betont gegenüber den anderen beiden Deutungsansätzen die Kontinuitäten und Gemeinsamkeiten zwischen dem Angebot Liebermans und dem Mainstream Zionismus. Denn die Idee eines ethnisch homogenen Staates und des Transfers der palästinensischen Bevölkerung seien der israelischen Gesellschaft und politischen Kultur keineswegs fremd, auf Einwanderermilieus beschränkt oder gar neu, sondern bereits in der zionistischen Ideologie und Geschichte angelegt. Raison d’Être des Zionismus sei die Gründung des jüdischen Staates in Palästina gewesen, wie ihn auch Isreal Beitenu heute fordere.

In der Tat war ein bedeutender Teil der aus Osteuropa stammenden Elite des staatsbildenen Zionismus durch eine ethnonationale Ideologie geprägt, die die Einrichtung eines möglichst homogenen Staates befürwortete und entsprechende Pläne vorbereitete. Sa’di verweist zu Recht darauf, dass selbst die Idee eines Transfers keineswegs von Lieberman erfunden wurde, sondern dass dieser an Traditionsbeständen anknüpfen konnte (vgl. Sa’di 2009, S.143-158).

Gleiches gilt für das von Lieberman propagierte kollektivistische Identitätsnarrativ: Nach der Staatsgründung wurde eine nichtliberale politische Kultur in Israel stetig bedeutsamer. In dieser Kultur dominierten Kollektivität und Uniformität über gesellschaftliche Diversität und Pluralität. Das Angebot von Lieberman schließt somit an wirkungsmächtige politische-kulturelle Traditionen an.

Die Fortsetzung mit dem Mainstream verbundenen zionistischen Denkens darf allerdings nicht überbetont werden. Denn neben der ethnonationalen Legitimationsbegründung existiert in der israelischen Bevölkerung zeitgleich stets ein liberaler Zionismus. Dieser liberale Zionismus definiert Israel als Staat des jüdischen Volkes und nicht als jüdischen Staat und hebt gleichzeitig seinen demokratischen Charakter hervor. Israel Beitenu gehört zu den Kräften, die die liberale Traditionslinie ablehnen und sie als antizionistisch delegitimieren (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 161-162).


Konsequenzen für die israelische Gesellschaft

Der Erfolg, den Israel Beitenu lange verzeichnen konnte, verweist nicht zuletzt darauf, dass ein wachsender Teil der israelischen Öffentlichkeit die Optionen eines verhandelten Friedens für wenig aussichtsreich hält. Zwar befürwortet in Umfragen noch immer eine Mehrheit die Zwei-Staaten-Regelung, d.h. die Schaffung des palästinensischen Staates an der Seite Israels. Zugleich glaubt aber ebenfalls eine Mehrheit der stereotypen Argumentation der Rechtspopulisten, dass Israel keinen palästinensischen Partner für Gespräche habe und daher die militärische Kontrolle über die besetzten Gebiete aufrechterhalten müsse.

Die antiarabische Mobilisierung in der jüdischen Bevölkerung sowie die wechselseitige Radikalisierung, auch unter den palästinensischen Staatsbürgern Israels, birgt somit Sprengstoff in sich – im Hinblick auf den israelisch-palästinensischen Konflikt, aber auch hinsichtlich der israelischen Gesellschaft selbst.

Programm, Diskurs und Politik von Israel Beitenu gefährden die institutionellen und politisch-kulturellen Grundlagen der israelischen Demokratie (vgl. Hagemann & Timm 2013, S. 163). Während die Partei bei den Parlamentswahlen vom 28. März 2006 auf elf Mandate kam, und dabei beinahe stärker gewesen wäre als der Likud-Block, errang sie bei den letzten beiden Knessets nicht mehr so viele Mandate.

Bei der letzten Parlamentswahl am 17. März 2015 traten anders als bei der Wahl 2013 die beiden konservativen Parteien Likud von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Israel Beitenu von Avigdor Lieberman getrennt an. Die Partei von Lieberman konnte nur noch 5,1% der Stimmen für sich gewinnen und erlangte dadurch nur noch 6 Sitze in der Knesset (vgl. Knesset).

Trotz dieser rückläufigen Zahlen darf man die Partei und vor allem Lieberman nicht aus den Augen verlieren. Erst im vergangenen Jahr wurde Lieberman als neuer Verteidigungsminister und seine Parteikollegin Sofa Landver als Integrationsministerin vereidigt. Das Kabinett von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte die Ernennung einstimmig gebilligt, im Anschluss hat dann das Parlament die Berufung bestätigt. 55 von 120 Abgeordneten stimmten dafür, 43 dagegen. Der Rest enthielt sich oder war abwesend. Damit rückt Israels Regierung wieder nach rechts. Aus Protest gegen die Berufung Liebermans war Umweltminister Avi Gabai von der Partei Kulanu zurückgetreten. Zuvor hatte bereits Verteidigungsminister Mosche Jaalon sein Amt abgegeben, um der Ablösung durch Netanjahu zuvorzukommen.

Eine friedliche Lösung des Konfliktes mit den Palästinensern gilt nun als noch unwahrscheinlicher. Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages zwischen seinem Likud und Israel Beitenu betonte Netanjahu allerdings, er werde weiterhin alles unternehmen, um ein Friedensabkommen mit den Palästinensern zu erzielen. Lieberman sagte, er werde als Verteidigungsminister eine vernünftige Politik verfolgen, die Stabilität in der Region und in seinem Land gewährleistet.

Allerdings zeigt sein Parteiprogramm ganz andere Ziele auf. Außerdem kritisierte er in den letzten Jahren Netanjahus Palästinenserpolitik immer wieder als zu „lasch“ (vgl. Rechtsruck in Israel). Es gilt also zu beobachten, wohin diese Koalition in Zukunft führt und ob der Rechtsruck noch weiter vollzogen wird. Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit Lieberman in Zukunft seine politischen Ziele mit einbringen kann. Die nächste Knesset-Wahl ist in zwei Jahren und es bleibt abzuwarten, ob Lieberman und seine Partei durch die jetzige Koalition eine Zunahme oder einen Rückgang der Wählerstimmen erleben.



Literaturverzeichnis:

Filc, Dani (2010): The Political Right in Israel. Different Faces of Jewish Populism. London and New York: Routledge

Filc, Dani/Lebel, Uri (2005): The Post-Oslo Israli Populist Radical Right in Comparative Perspective, in: Mediterranean Politics, B. 10, Nr.1

Hagemann, S./ Timm, A.: Angriff auf die Demokratie? Avigdor Lieberman und die neue israelische Recht. In: Birk, M./ Hagemann, S. (Hrsg.): The Only Democracy? Zustand und Zukunft der israelischen Demokratie, Berlin 2013, 137-163

Mazin, Arkadi (2006): Russian Immigrants in Israeli Politics: The Past, the Recent Elections and the Near Future, 2006, Herzliya: Friedrich Ebert Stiftung

Mudde, Caas (2007): Populist Radical Right Parties in Europe, Cambridge: Cambridge: Cambridge University Press

Sa’di, Ahmad H. (2009): Beyond the Pale? Avigdor Lieberman and Demographic Racism in Israel, in: Holy Land Studies, B.8, Nr.2


Internetquellen:

bpb, Israel: http://www.bpb.de/izpb/9567/israel (abgerufen am 21.Februar 2017)

bpb, Parteien in Israel (2008): http://www.bpb.de/internationales/asien/israel/45029/parteien (abgerufen am 25.Februar 2017)

Canetti-Nisim, Daphna et al (2006): Xenophobia Toward Palestinian Citizens of Israel Among Russian Immigrants in Israel: Heightened by Failure to Make Gains in a New Democratic Society, Haifa National Security Studies Center: Working Paper #327 (http://kellog.nd.edu/publications/workingpapers/WPS/327.pdf) (abgerufen am 01.03.2017)

Israel Beitenu: http://www.beytenu.org/ (abgerufen am 22.02.2017)

Knesset: https://de.wikipedia.org/wiki/Knesset (abgerufen am 06.03.2017)

Lieberman als neuer Verteidigungsminister vereidigt (2016): http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-05/israel-verteidigungsminister-regierung-avigdor-lieberman (abgerufen am 03.03.2017)

Likud Beitenu (2016): https://de.wikipedia.org/wiki/Likud_Jisra%E2%80%99el_bejtejnu (abgerufen am 21. Februar 2017)

Rechtsruck in Israel (2016): http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Rechtsruck-in-Israel-id37901642.html (abgerufen am 06.03.2017)

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