Donnerstag, 1. Februar 2024

Fidesz und die LGBTQIA+-Rechte

Die Fidesz-Partei hat seit ihrem Regierungsantritt im Jahr 2010 einen entscheidenden Einfluss auf die Richtung des Landes ausgeübt. Unter der Führung von Viktor Orbán hat sich die Partei zu einem Zentrum konservativer und nationalistischer Werte entwickelt. Ein besonders prägnantes Merkmal ihrer Regierungszeit ist der Umgang mit der LGBTQIA+-Bewegung in Ungarn. Obwohl Ungarn einst eines der liberalsten Länder in der Region war, Homosexualität bereits Anfang der Sechzigerjahre entkriminalisiert wurde und gleichgeschlechtliche Partnerschaften 1996 anerkannt wurden, drängt der rechtspopulistische Ministerpräsensident Orbán diese Freiheiten mit scharfen Gesetzen wieder zurück. Die Politik der Fidesz-Partei im LGBTQIA+- Bereich wirft grundlegende Fragen über die Natur der ungarischen Demokratie, den Schutz von Minderheitenrechten und die zukünftige Ausrichtung des Landes auf.

Die Geschichte der LGBTQIA+ Bewegung in Ungarn ist geprägt von einem Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung. Trotz einiger Fortschritte in den frühen 2000er Jahren bleibt die gesellschaftliche Akzeptanz in vielen Teilen des Landes begrenzt. Dies ist besonders in ländlichen und konservativen Bereichen der Fall, wo traditionelle Werte tief verwurzelt sind. Die LGBTQIA+-Bewegung in Ungarn hat es mit einer gesellschaftlichen und politischen Umgebung zu tun, die oft feindlich gesinnt ist. Ihre Bemühungen um Gleichstellung sind in einem Land, das zunehmend von konservativen und nationalistischen Ideologien geprägt ist, auf erhebliche Hindernisse gestoßen. In diesem Kontext ist die Rolle der Fidesz-Partei von besonderer Bedeutung.

Im Jahr 2021 wurde Minderjährigen beispielsweise verboten, über Queerness und Transgeschlechtlichkeit aufgeklärt zu werden. Seit März 2020 hat das ungarische Parlament nämlich mehrere Gesetze verabschiedet, die die Rechte von queeren und trans Personen einschränken. Zunächst wurde Transpersonen untersagt, ihr Geschlecht legal anzuerkennen (vgl. Darida 2021). Anschließend wurde ein weiteres Gesetz erlassen, das festlegt, dass der Vater ein Mann und die Mutter eine Frau ist, wodurch queeren und alleinstehenden Personen die Adoption von Kindern untersagt wird. Das 2021 verabschiedete Gesetz ist Teil eines Pakets, das Strafverschärfungen für sexualisierte Gewalt an Kindern vorsieht und zugleich die "Propagierung" von Homosexualität verbietet.

Das geplante Gesetz beinhalte ein Verbot von Büchern, Filmen und anderen Inhalten, die Kindern und Jugendlichen zugänglich sind und nicht-heterosexuelle Sexualität darstellen. Zudem soll jede Werbung untersagt werden, in der Homosexuelle oder Transsexuelle als Teil der Normalität erscheinen (vgl. Felschen 2021). Die ungarische Regierungspartei Fidesz verbindet nämlich seit Jahren die Themen Homosexualität und Kinderschutz (vgl. Darida 2021). In Bezug auf ein Kinderbuch mit queeren Figuren äußerte Premierminister Viktor Orbán: "Lasst unsere Kinder in Ruhe." (vgl. Darida 2021).

Aktivist*innen warnen davor, dass die neue Gesetzgebung in Ungarn queere und trans Personen gefährdet, insbesondere Jugendliche, die nicht cis und/oder hetero sind. Trotz tausender Proteste vor dem Parlament wurde der Gesetzesentwurf einen Tag später mit der Zustimmung von 157 von 199 Abgeordneten verabschiedet. Das Europäische Parlament hat dieses neue ungarische Gesetz zur Behandlung von Homosexualität und Transgender 2021 scharf kritisiert. Die Abgeordneten bezeichneten es als "klaren Verstoß" gegen die Werte, Grundsätze und Rechtsvorschriften der EU (vgl. Tschirner 2021).

Wie ernst Orbán es mit diesem „Homophobiegesetz“ meint, erkennt man an dem Vorfall Anfang November 2023, als der Direktor des Nationalmuseum entlassen wurde, weil er wegen LQBTI- Darstellungen in einer Ausstellung gegen das Kinderschutzgesetz verstoßen haben soll. Das Kultusministerium gab bekannt, dass Simon Gesetzwidrigkeiten in seinem Haus geduldet habe, weshalb er nicht länger im Amt bleiben könne. Der Auslöser für die Entlassung war eine Ausstellung der internationalen Stiftung World Press Photo im Nationalmuseum. Diese zeigte weltweit preisgekrönte Pressefotos, darunter Bilder von Bewohnern eines Altenheimes auf den Philippinen, in dem LGBTI-Menschen leben, einige davon in Frauenkleidern.

Im April 2023 wollte die ungarische Regierung ein weiteres kontroverses neues Gesetz verabschieden, das es Bürgern ermöglicht hätte, anonym gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern bei den Behörden zu melden. Kabinettschef Gergely Gulyás argumentierte, dass die Regelung die EU-Hinweisgeberrichtlinie umsetzt, die Whistleblower schützen soll. Das Gesetz erlaube Meldungen „im öffentlichen Interesse" und "zum Schutz der ungarischen Lebensweise", insbesondere wenn die "verfassungsmäßige Rolle von Ehe und Familie" infrage gestellt wird (vgl. Peer 2023). Kritiker sehen darin eine Schikane, die sich vor allem gegen LGBTQ+-Personen richtet.

Die Verfassung von 2019 beschränkt die Ehe auf Mann und Frau. Besorgte Bürger befürchteten, dass Kinder aus gleichgeschlechtlichen Familien durch die neue Meldemöglichkeit in Gefahr sein könnten. Áron Demeter von Amnesty International bezeichnet das Gesetz als "legalen Nonsens", der zu Selbstzensur und Angst in der LGBTQ-Gemeinschaft führt (vgl. Peer 2023). Die französische Europaministerin Laurence Boone kritisiert das Gesetz als nicht im Einklang mit europäischen Werten und als schlechtes politisches Signal. Die ungarische Staatspräsidentin Katalin Novak hat jedoch überraschend dieses umstrittene Gesetz abgelehnt, das die Rechte von LGBTIQ- Personen enorm einschränken wurde (vgl.. o.A. 2023).

In der seit 2010 währenden Amtszeit des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán hat erstmals ein Staatsoberhaupt Einspruch gegen ein Gesetz erhoben, das für Orbáns konservative Ideologie von großer Bedeutung ist. „Das Veto der Präsidentin bedeutet, dass das Parlament das Gesetz neu verhandeln muss. Grundsätzlich kann es dieses aber auch in unveränderter Fassung neu beschließen, wogegen die Präsidentin keine Handhabe mehr hätte“ (o.A. 2023).

Diese Politik sorgt nicht nur innerhalb des Landes für Spannungen, sondern belastet auch Ungarns Beziehungen zu internationalen Partnern. Die Zukunft der LGBTQIA+-Rechte in Ungarn bleibt ungewiss und hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, einschließlich der Innenpolitik Ungarns, dem internationalen Druck und den sich verändernden gesellschaftlichen Einstellungen.

Literatur:

Mittwoch, 31. Januar 2024

Wahl in Polen - Ist der Populismus besiegt?

Bedeutende Veränderungen prägten die jüngere politische Geschichte Polens. Nachdem der Kommunismus in den 1990er Jahren zusammenbrach, entwickelte sich Polen zu einer demokratischen Republik mit Mehrparteiensystem. In den letzten Jahren ist es jedoch unter der Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zu einer Verschiebung hin zu autoritären und rechtspopulistischen Tendenzen gekommen. Diese Entwicklung hat zu tiefgreifenden Veränderungen in der Justiz, den Medien und anderen staatlichen Institutionen geführt. Sie hat national und international Besorgnis ausgelöst.

Der Artikel "Der Populismus kann besiegt werden" von Piotr Buras wurde am 16. Oktober 2023 veröffentlicht. Er beleuchtet den Wahlsieg der demokratischen Oppositionsparteien in Polen. Für den Kampf gegen den Populismus in Europa könnte dieser Erfolg historisch werden. Piotr Buras zieht Parallelen zur Solidarność-Bewegung, die 1989 den Kommunismus in Polen zu Fall brachte und betont, dass der Sieg der Opposition zeigt, dass der Aufstieg des rechten und antieuropäischen Populismus gestoppt werden kann.

Montag, 15. Januar 2024

Die Finnen-Partei – NATO-freundliche, Russland-kritische Rechtspopulisten?

Die rechtspopulistische Partei Perussuomalaiset (PS) (dt.: Finnen-Partei), auch bekannt als die Finnen (die kursive Schreibweise weist auf die Partei hin, in Abgrenzung zu finnischen Bürger:innen), weist einige Besonderheiten im Gegensatz zu anderen europäischen rechtspopulistischen Parteien auf, die sich teils aus Besonderheiten von Finnland ergeben.

Zum Beispiel spielt das Thema Migration – obwohl die Finnen dieses Thema durchaus bedienen – in Finnland eine eher untergeordnete Rolle (vgl. Wilde-Krell & Adorf 2022, S. 288 f.). Auch zeigt sich in der Regierungsbeteiligung die Besonderheit, dass die Finnen nicht erst die nötige Reputation dafür aufbauen mussten, im Gegensatz zu einigen anderen rechtspopulistischen Parteien.

Dieser Umstand ist in der Tatsache begründet, dass die Finnen eine Nachfolgerpartei der Suomen maaseudun puolue (SMP) darstellt, welche als populistische Partei bereits Regierungserfahrung sammeln konnte (vgl. Wilde-Krell & Adorf 2022, S. 279). Die Finnen besitzen also eine lange Parteiengeschichte, welche auch dazu führt, dass die Partei nach Cas Muddes Kategorisierung in „extreme right“ und „radical right“ von Lahti und Palonen als „radical right“ Partei gesehen wird, wobei „extreme right“ Parteien als demokratiefeindlich gelten, während die „radical right“ Parteien im Rahmen der Demokratie operieren (vgl. Lahti & Palonen 2023, S. 128).

Eine weitere Besonderheit der Finnen wird nachfolgend in den Fokus genommen: ihre Russland-kritische Haltung. Viele rechtspopulistische Parteien in Europa fallen immer wieder durch ihre Nähe zu Russland bzw. Putin auf. Eine Nähe, die selbst nach dem russischen Überfall auf die Ukraine und dem daraus resultierenden Krieg häufig bestehen bleibt.

So beispielsweise die deutsche AfD, die diese Nähe aufrechterhält (vgl. Ntv 2023). Zwar ist die AfD auch in dieser Hinsicht gespalten und parteiintern gibt es genauso Stimmen gegen diese Russlandnähe, es ist jedoch auffällig, dass wichtige Parteimitglieder wie der Vorsitzende Tino Chrupalla immer wieder mit einer Pro-Russland Haltung auffallen.

Zudem zeichnet sich ein ähnliches Bild ab wie bei anderen Streitfragen der AfD: die Gemäßigteren, die die radikalen Meinungen anderer Parteimitglieder ablehnen, sind diejenigen, die die Partei verlassen (vgl. Schmidt 2022). Die AfD stellt hierbei nur ein Beispiel dar für eine europäische rechtspopulistische Partei, die – vereinfacht auf die beiden Konfliktparteien aus dem Kalten Krieg bezogen – einen USA-kritischen und Russland-freundlichen Ton anschlägt.

Die USA, sinnbildlich für den liberalen Westen mit seinen vermeintlich linken Ideologien, welche durch die Rechtspopulisten abgelehnt werden (LGBTQI+ Bewegung, Klimaproteste, etc.), Russland bzw. Putin sinnbildlich für Autorität, Stärke, Nationalismus. Entgegen diesem Bild stehen die finnischen Rechtspopulisten der PS.

Hierbei ist erwähnenswert, dass Finnland nicht frei von Populisten mit Nähe zu Russland ist. Die finnische Partei Liike Nyt ist stark geprägt von wirtschaftlichen Eliten mit Nähe zu russischen Oligarchen, welche jedoch seit Beginn des Krieges abgestritten wird (vgl. Lahti & Palonen 2023, S. 129).

Die Finnen hingegen waren nie pro-russisch eingestellt, wofür es vielseitige Erklärungsansätze gibt. Einerseits kann hierbei das historische Erbe erwähnt werden. Lahti und Palonen sehen die Möglichkeit einer starken Solidarisierung mit der Ukraine auf Basis der finnischen Geschichte. Finnland wehrte im Winterkrieg 1939-1940 mit vergleichsweise geringer militärischer Stärke das militärisch starke Russland ab.

Russland ist somit in der finnischen Geschichte ein Kriegsgegner gewesen, zudem stellt sich möglicherweise für manche finnische Bürger:innen die Situation in der Ukraine ähnlich dar: die militärisch unterlegene Ukraine, welche von Russland angegriffen wird und bisher erfolgreich Widerstand leistet.

Ein weiterer wichtiger Faktor stellt der bis 2021 Vorsitzende der Partei, Jussi Halla-aho, dar. Halla-aho kann keineswegs als gemäßigter Konservativer bezeichnet werden, viel Kritik begleitet seine politische Biografie sowie seine ideologischen Positionen, immerhin wurde Halla-aho bereits wegen Volksverhetzung verurteilt und fällt immer wieder mit extremistischen Aussagen gegen Bevölkerungsgruppen, beispielsweise muslimische Bürger:innen, auf. Auch gilt er nicht als EU-freundlich, immerhin forderte er den „Fixit“, also den Austritt Finnlands aus der EU (vgl. Wolff 2017).

Ein Punkt in Halla-ahos Biografie beleuchtet allerdings, weshalb er dennoch pro-ukrainisch eingestellt ist: Halla-aho studierte Slawistik und setzte sich im Rahmen des Studiums schon früh mit der Geschichte slawischer Länder auseinander, so auch mit der Geschichte der Ukraine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Es scheint logisch, dass Halla-aho eine große Gefahr in der Ausbreitung der russischen Grenzen für das eigene, an Russland grenzende Land sieht. Als überzeugter Nationalist ist es daher kaum verwunderlich, dass er für finnische Interessen einen Eingriff zugunsten der Ukraine als nötig betrachtet, wofür er sich auch mehrfach stark gemacht hat (vgl. Lahti & Palonen 2023, S. 131 f.).

Dass die pro-ukrainische Haltung der Finnen nicht nur ein politisches Manöver darstellt, um Stimmen zu generieren, sondern auf Überzeugung basiert, zeigt auch der Wechsel der Fraktion im EU-Parlament. Während die Finnen – Vertreten durch zwei Abgeordnete – vor dem Krieg in der Ukraine der rechtspopulistisch bis -extremistischen Fraktion Identität und Demokratie (ID) angehörten, welche viele weitere rechtspopulistische bis -extremistische Parteien unter sich vereint wie z.B. Rassemblement National, Lega, Alternative für Deutschland, Vlaams Belang uvm., schloss sie sich als Reaktion auf den Krieg der Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) an (vgl. Camut 2023).

Die EKR vereint ebenfalls einige rechtspopulistische Akteure unter sich, wie z.B. Vox oder die Alternative für Deutschland, bevor sie in die ID-Fraktion eintrat. Die Finnen kommentierten, sie hätten sich einer Gruppe angeschlossen, “whose member parties are united by the uncompromising defense of Western civilization and the European security policy architecture” (Camut 2023). Ihre anti-russische Haltung zum Schutze Europas bzw. Finnlands sahen sie folglich in der vorigen Fraktion nicht mehr für möglich.

Eine weitere schwerwiegende Entscheidung und Veränderung in der Haltung der Finnen war der Eintritt Finnlands in die NATO. Während die finnische Bevölkerung, die ein Selbstverständnis von Neutralität in Bezug auf den Kalten Krieg hatte und bis heute hat, nach der Annexion der Krim durch Russland nach wie vor gegen einen NATO-Beitritt war, änderte der russische Angriff auf die Ukraine 2022 diese Haltung. 2014 nach der Annexion der Krim stimmten nur 26% für einen Beitritt Finnlands zur NATO. Im März 2022 waren es 48%, die dafür stimmten, im Juni 2022 waren es 79% (vgl. Lathi & Palonen 2023, S. 129). Infolge dieser Veränderung kam es 2023 zum Beitritt in das NATO-Bündnis (vgl. ZDFheute 2023), wobei auch die Finnen hinter diesem Beitritt stehen.

Die Haltung der Finnen unterscheidet sich also in Bezug auf Russland von anderen europäischen rechtspopulistischen Parteien. In Umfragen ist kein maßgeblicher Unterschied merkbar, seit die Finnen sich auf die Seite der Ukraine gestellt haben, was vermuten lässt, dass dieser Faktor keinen allzu großen Stellenwert in der Wählerschaft hat oder die bisherige Wählerschaft diesen Standpunkt teilt.

Dennoch ist diese Besonderheit einer europäischen rechtspopulistischen Partei nicht unbedeutend, insbesondere mit Blick auf mögliche Entwicklungen. Die Entscheidung zum NATO-Beitritt könnte Spannungen einerseits zwischen den Finnen und anderen rechten Randparteien, andererseits aber auch zwischen verschiedenen Lagern innerhalb der Partei auslösen. Mit der Frage beispielsweise nach der Neutralität Finnlands, die mit dem NATO-Beitritt nicht mehr vorhanden ist, könnte vor allem von NATO-kritischen Parteien der Versuch unternommen werden, Wähler:innen zu mobilisieren oder von den Finnen abzuwerben.

Auch die Tatsache, dass die Finnen nicht mehr aktiv die „Fixit“-Kampagne verfolgen – wobei unklar ist, ob die Kampagne wieder aktiviert wird – könnte einerseits das Feld für andere rechtspopulistische Parteien öffnen, andererseits aber auch die Finnen für eine breitere Wählerschaft öffnen (vgl. Lathi & Palonen 2023, S. 134 f.). Ob und - wenn ja - wie sich die Partei und die Zustimmung im Volk verändern wird aufgrund dieser Entwicklungen, bleibt abzuwarten. Mit der Unterstützung der Ukraine, der Ablehnung von Russland und der Zustimmung zum NATO-Beitritt haben die Finnen in den letzten zwei Jahren jedoch auf jeden Fall besondere Positionen eingenommen, verglichen mit anderen europäischen rechtspopulistischen Parteien.

Quellen:

  • Lahti, Yannick/Palonen, Emilia (2023): The impact of the Russia–Ukraine war on right-wing populism in Finland; in: Ivaldi, Gilles/Zankina, Emilia (Hrsg.) (2023): The Impacts of the Russian Invasion of Ukraine on Right-wing Populism in Europe. European Center for Populism Studies (ECPS). Brussels.
  • Wilde-Krell, Anna-Lena/Adorf, Philipp (2022): Die Finnen - Auf dem Weg zum konventionellen Rechtspopulismus?; in: Decker, Frank (Hrsg.) (2022): Aufstand der Außenseiter. Die Herausforderung der europäischen Politik durch den neuen Populismus, Nomos.

Donnerstag, 30. November 2023

Postfaschisten an der Macht – Giorgia Meloni und die Fratelli d’Italia

Es waren Antifaschist:innen, die die italienische Verfassung ausgearbeitet haben. Sie trat 1948 in Kraft und sollte sicherstellen, dass niemand jemals wieder die Kontrolle über die Republik übernehmen konnte, ähnlich wie dies der Diktator Benito Mussolini die Jahre zuvor vollbracht hatte. Seitdem hat Italien bereits 67 Regierungen erlebt, doch die aktuelle Regierung, Nummer 68, ist auch für Italien besonders (Siefert, 2023). Sie wurde mehrfach als „gefährlichste Frau Europas“ betitelt (Brandl & Ritter, 2022). Die Rede ist von Giorgia Meloni, die am 22. Oktober 2022 als Vorsitzende der nationalistischen, konservativen und postfaschistischen Partei Fratelli d'Italia (FDI) als Ministerpräsidentin vereidigt wurde.

Mit dem Wahlsieg der italienischen Postfaschistin ist ein weiterer Schritt in Richtung einer politischen Entwicklung vollzogen worden, die den autoritären Rechtspopulismus als Regierung zu einem sichtbaren Bestandteil der politischen Realität macht. Ihre politische Gruppierung wird weithin als populistisch, postfaschistisch und weit rechts im politischen Spektrum positioniert, was in weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen wurde. Die folgende Seminararbeit versucht nach mehr als einem Jahr an der Macht eine Bilanz zu ziehen, die Auswirkungen der Wahl zu analysieren und die Besonderheiten der italienischen Rechten näher zu beleuchten.

Freitag, 24. November 2023

FPÖ-Umfragehoch ein Jahr vor den Nationalratswahlen in Österreich

In manchen europäischen Ländern haben Populisten bereits die Macht übernommen, wie beispielsweise in Italien, Ungarn oder Polen. Auch in Deutschland ist die AfD stark wie nie und gewinnt zunehmend an Popularität. Spätestens im Herbst 2024 finden in Österreich wieder Nationalratswahlen statt. Und laut aktuellen Umfragen liegt dort ebenfalls eine rechtspopulistische Partei vorne, und zwar die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) mit Kanzlerkandidat Herbert Kickl.

    

(INSA Austria 2023, Wahlumfrage vom 30.10. bis 02.11.2023, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-09/fpoe-oesterreich-rechtspopulismus-skandale)

Doch wie hat es die FPÖ trotz vieler Skandale geschafft, zur beliebtesten Partei Österreichs zu werden und damit ein ernsthafter Anwärter auf die österreichische Kanzlerschaft zu sein? Daniel Harper mit seinem Artikel „A year away from national elections, Austria’s far-right is more popular than ever“ vom 06.10.2023, Christof Mackinger mit seinem Artikel “FPÖ in Österreich: Mit Antielitenkurs in die Regierung?“ vom 08.09.2023 und Cathrin Kalweit mit ihrem Artikel „Österreich – Beziheung ja, Liebe nein“ vom 25.06.2023 versuchen, auf diese Frage Antworten zu finden.

Dazu ist ein Blick ins Jahr 2019 zurück hilfreich, als Heinz-Christian Strache, der damalige FPÖ-Parteivorsitzende und Vizekanzler, in einem Video erwischt wurde, wie er mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte über Großinvestitionen, politische Gefälligkeiten und Korruption spricht. Mit diesem „Ibiza-Skandal“ verlor die FPÖ selbst bei ihren treuesten Anhängern an Glaubwürdigkeit. Infolgedessen trat Heinz-Christian Strache zurück und die Regierungskoalition wurde aufgelöst. Im Jahr 2020 erlebte die FPÖ deswegen ein Umfragetief und erreichte in Umfragen lediglich 11 %.

Doch diverse Krisen verhalfen der FPÖ schneller zum Comeback als gedacht. Mithilfe der Corona-Pandemie gelang es der FPÖ, aus dem Umfragetief zu kommen. Die FPÖ stellte sich damals klar gegen die Politik der Regierung. Gegen Beschränkungen der persönlichen Freiheit in Form von Schließungen oder auch Impfungen wurde eifrig mit österreichischen Flaggen demonstriert und Stimmung gemacht. Die FPÖ konnte in dieser Zeit viele Wählerinnen und Wähler davon überzeugen, dass sie die einzig wahrhaft „freie“ Partei ist. Die Corona-Pandemie war für die FPÖ demnach der erste Schritt zurück zu alter Stärke.

Ein weiterer entscheidender Faktor für das Wiedererstarken der FPÖ ist die anhaltende Schwäche der anderen Parteien, was sowohl Regierung als auch Opposition betrifft. Zum einen lässt sich da das Verhalten der Regierungspartei ÖVP nennen. Angefangen mit der Ukraine-Krieg kommt es immer mehr zu öffentlicher Kritik an der Regierungspartei aufgrund der explodierenden Preise und der vermeintlichen österreichischen „Neutralität“. Als dann auch noch Kanzler Sebastian Kurz nach monatelangen Ermittlungen wegen Korruption zurücktrat, fanden viele frühere Anhänger den Weg zurück zur FPÖ. Zudem macht sich auch die stärkste Oppsitionspartei, die SPÖ, das Leben immer wieder selbst schwer. Interne Diskussionen um die Parteispitze sowie innere Streitigkeiten schwächen sie seit Jahren.

Außerdem spielt das typisch rechtspopulistische Thema der Migration weiterhin eine entscheidende Rolle. Österreich, das an der Balkanroute liegt, verzeichnet jährlich eine hohe Zahl an Asylanträgen, weswegen Migration und Asyl ein präsentes Thema der österreichischen Politik darstellen. Die FPÖ sieht die steigenden Zahlen der Migration als große Bedrohung und wirbt teils mit fragwürdigen und rassistischen Kampagnen. Auch eine gewisse Neigung zum Rechtsextremismus wird der Partei immer wieder vorgeworfen. Gerade innerhalb der FPÖ-Jugend zeichnet sich ein deutlicher Rechtsruck ab.

Trotzdem hat es die FPÖ in den letzten Jahren geschafft, ihre Beliebtheit zu stärken und ihre Wählerbasis zu erweitern. Das Vertrauen in die Regierung ist bei vielen Bürgerinnen und Bürgern am Tiefpunkt angelangt. Dies führt dazu, dass auch immer mehr Menschen der Mittelschicht die FPÖ wählen. Sie ist immer weniger eine „männerdominierte Partei der Globalisierungsverlierer“ (Mackinger 2023), sondern eine Partei, deren Anhängerschaft immer „weiblicher, städtischer und wohlhabender“ (Mackinger 2023) wird.

Bis zur Wahl 2024 sind es zwar noch einige Monate und es ist unklar, ob die FPÖ ihre Popularität bis dahin halten kann. Doch die anhaltenden Krisen und inneren Streitigkeiten der anderen Parteien lassen darauf schließen. Die Landtagswahlen im größten Bundesland, Niederösterreich, und im wohlhabenden Salzburg haben gezeigt, dass die FPÖ nicht zu unterschätzen ist. Niederösterreich, wo die FPÖ die ÖVP zu einer Koalition gezwungen hat, obwohl Spitzenkandidatin Johanna Mikl-Leitner einen äußerst emotionalen Wahlkampf gegen die Zusammenarbeit geführt hat, zeigt die aktuelle Macht der österreichischen Rechtspopulisten.

Und dann kam es überaschenderweise bereits zwei Monate später zur nächsten Koalition auf Landesebene. Auch in Salzburg hatte man sich von Seiten der ÖVP im Vorfeld kritisch gegenüber der FPÖ geäußert, im Endeffekt stellt diese schwarz-blaue Landesregierung nun die dritte ihrer Art dar. Auch deswegen ist die FPÖ-Regierungsbeteiligung auf Bundesebene in Österreich nicht unwahrscheinlich. In Brüssel wird man im nächsten Herbst jedenfalls gespannt nach Wien schauen, um zu sehen, ob ein weiterer europäischer Dominostein in Richtung Rechtspopulismus fallen könnte.

Literatur: